Am Abend des 11. Oktober 1949 feiert die FDJ in Ost-Berlin die Gründung des neuen Staates. „Ein Meer von Fackeln“ jubelt der Rundfunksprecher. Wenn es nicht wirklich eine Million Jugendlicher gewesen ist, wie die FDJ-Zeitung „Junge Welt“ meldet, so waren es doch sehr viele. Manche Zeitgenossen zehren über den Zusammenbruch der DDR hinaus von der Aufbruchsstimmung jener Tage. Wenigstens in einem Teil Deutschlands soll es einen Friedensstaat geben, eine Arbeiter- und Bauernmacht, ein Land ohne Konzerne und Kapitalisten. So gehen sie der lichten Zukunft entgegen und merken nicht, dass sie schon wieder im Gleichschritt marschierten und einem Führer die ewige Treue gelobten.
Vom Aufbau des Sozialismus zum Neuen Kurs
Als die Versuche der Sowjetunion, zu einer gesamtdeutschen Lösung zu kommen, an der westlichen Ablehnung gescheitert sind, hat die SED-Führung unter Walter Ulbricht endlich freie Bahn. Auf der 2. Parteikonferenzen im Juli 1952 wird der planmäßige Aufbau des Sozialismus in der DDR verkündet. Die folgenden 11 Monate bis zum Aufstand des 17. Juni 1953 sind ein Lehrbeispiel dafür, wie eine Regierung in kurzer Zeit ihr Volk in die offene Rebellion treiben kann.
Durch die Doktrin des Aufbaus der Schwerindustrie wird die Herstellung von Konsumgütern vernachlässigt und dadurch die ohnehin prekäre Versorgungslage weiter verschlechtert. Die Versuche, die Einzelbauern in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) zu pressen, veranlasst viele Bauern, Haus und Hof zu verlassen und in den Westen zu gehen. Eine Kampagne gegen die Kirche verbittert viele Christen und der gewerbliche Mittelstand wird durch den Entzug der Lebensmittelmarken verprellt. Dafür wird militärisch aufgerüstet und ein Arbeitsdienst eingeführt. Dann stirbt am 6. März 1953 Stalin. Seine Nachfolger sind sich über den künftigen Umgang mit Deutschland uneins. Sie bestellen die SED-Führung nach Moskau ein und dekretieren den Neuen Kurs, den am 11. Juni 1953 die Zeitungen veröffentlichen. Fast alle Maßnahmen des letzten Jahres werden für falsch erklärt und zurückgenommen. Doch einen wichtigen Punkt vergisst die SED. Die seit Mai 1953 angekündigte Erhöhung der Arbeitsnormen wird nicht revidiert. Das sollte sich als Funke im Pulverfass erweisen.
Volksaufstand
Am 15. Juni 1953 kündigen die Bauarbeiter der Stalinallee an, sie würden in Streik treten, wenn bis zum nächsten Tag die Normerhöhung nicht zurückgenommen wird. Als nichts geschieht, ziehen sie quer durch die Stadt zum Haus der Ministerien. Dort fällt zum ersten Mal das Wort Generalstreik. Eine Arbeiterdelegation erscheint beim RIAS in West-Berlin und fordert die Durchgabe der Streikparole. Dies geschieht nicht. Doch der westliche Rundfunk meldet die Vorgänge im Ostsektor von Berlin. Mit Beginn der Frühschicht am 17. Juni 1953 wird in tausenden Betrieben des Landes die Arbeit niedergelegt. In vielen Städten gibt es große Demonstrationen. Die Staatsmacht der DDR befindet sich in voller Auflösung. In dieser Situation verkündet die sowjetische Besatzungsmacht den Ausnahmezustand. Sowjetische Panzer rollen in die Städte, es fallen Schüsse und es gibt standrechtliche Erschießungen. Angesichts dieser massiven Militärpräsenz bricht der Volksaufstand in sich zusammen.
Auf der einen Seite war nun jedermann klar, dass die Bevölkerung, gerade die Arbeiterschaft, in ihrer großen Mehrheit gegen das SED-Regime ist. Auf der anderen Seite war deutlich geworden, dass eine offene Konfrontation mit der Staatsmacht aussichtslos sein würde, solange die Sowjetunion die SED stützt. Viele Menschen ziehen ihre Konsequenz und verlassen die DDR für immer. Andere passen sich an oder hoffen auf eine allmähliche Wandlung zum Besseren, was nach dem Aufstand nicht aussichtslos scheint, da auch die SED-Führung ihre Lehren zieht und wenigstens für einige Jahre stärker die Bedürfnisse und Wünsche der Bevölkerung berücksichtigt.