Die Auseinandersetzung mit der DDR spielt in der heutigen Gesellschaft eine erstaunlich große Rolle. Ein „Unter-den-Teppich kehren“, das heißt, ein Verdrängen und Beschweigen der totalitären Vergangenheit wie nach 1945, hat es nach 1989 nicht gegeben. Die heutige demokratische und freiheitliche Gesellschaft definiert sich ganz wesentlich als Gegenentwurf zu den beiden Diktaturen der neueren deutschen Geschichte.
Wesentlichen Anteil an dieser positiven Bilanz haben Bürgerrechtsinitiativen, die sich direkt aus der Zeit der Opposition und der Friedlichen Revolution herleiten. Die beiden Enquete-Kommissionen des Bundestages, die parteinahen Stiftungen und vor allem solche Institutionen wie z.B. die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) und die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sehen die Aufarbeitung der DDR-Geschichte als eine ihrer zentralen Aufgaben an.
Entwicklung der Aufarbeitung seit 1990
Grob gesehen lassen sich mehrere Phasen in diesem vielstimmigen Diskurs unterscheiden. Unmittelbar während der turbulenten Ereignisse von 1989/90 und in den Jahren danach stand das Repressionssystem der SED, insbesondere die Stasi und die Mauer, im Fokus der Auseinandersetzungen.
Einer der Anlässe für die Besetzungen der Stasi-Zentralen, die am 4. Dezember 1989 in Erfurt begannen, war die Sicherung der Akten, deren Vernichtung durch MfS-Mitarbeiter zu Recht befürchtet wurde. In der Nacht der Erstürmung des Stasi-Hauptquartiers in Berlin-Lichtenberg am 15. Januar 1990 wurden die Arbeitsräume des Ministers von einem spontan gebildeten Bürgerkomitee versiegelt und zum Museum erklärt. Am nächsten Tag begann das Bürgerkomitee und die Arbeitsgruppe Sicherheit des Zentralen Runden Tisches mit der Sichtung der Archive, so dass bereits im März 1990 unter dem Titel „Ich liebe euch doch alle“ eine erste Edition von MfS-Akten erscheinen konnte. Viele weiter Dokumentationen folgten in den nächsten Jahren und fanden reißenden Absatz.
Diese Aufmerksamkeit wurde weder vom Westen initiiert, um die DDR zu delegitimieren, noch stand die Sensationsgier der Boulevardpresse im Vordergrund. Das Interesse resultierte aus dem Bedürfnis der DDR-Bevölkerung nach Aufklärung über ihre Geschichte. Das Stasi-Unterlagengesetz (StuG) öffnete jedem Nutzer die Möglichkeit seine eigenen Akten einzusehen und zu kopieren. Bei Anonymisierung, d.h. praktisch Schwärzung, aller Eigennamen nichtbetroffener Dritter können die Akten, Fotos, Ton- und Bildaufzeichnungen der Stasi durch Betroffene, Wissenschaftler und Journalisten eingesehen und genutzt werden. Niemals in der Geschichte ist das Innenleben eines Geheimdienstes so konsequent offen gelegt worden. Zu Recht wird die Arbeit der BStU international als Vorbild gesehen.
Dennoch war eine gewisse Verengung der Debatte nicht zu verkennen. Viele Menschen fanden angesichts der Fokussierung auf die Unterdrückung und die Stasi in den geschichtlichen Darstellungen ihr eigenes Leben nicht mehr wieder. Dies beförderte die sogenannte Ostalgie, deren Ursachen allerdings tiefer liegen, insbesondere in einer verbreiteten Enttäuschung über die wirtschaftlichen Folgen der Wiedervereinigung. Etwa seit der Jahrtausendwende widmete sich die Wissenschaft, die Museen und die Publizistik deswegen stärker Alltagsthemen zu. Sie bemühten sich um eine komplexe und differenzierte Darstellung der Lebenswirklichkeit, ohne die politischen und sozialen Rahmenbedingungen dabei auszublenden. Die allgemein anerkannte Richtlinie lautet: Weder Verklärung noch Dämonisierung, sondern Darstellung der komplexen Lebenswirklichkeit.
Wissenschaftliche Einrichtungen
Einen großen Anteil an der systematischen Aufarbeitung haben speziell zu diesem Zweck gegründete Einrichtungen wie das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZFF) in Potsdam, das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden, der Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin oder die Abteilung Bildung und Forschung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR (BStU). Diese und andere Einrichtungen veröffentlichen Schriftenreihen akademischen Charakters, die oft die Grundlage für populärwissenschaftliche und publizistische Arbeiten bilden.
Auf große Resonanz stoßen die diversen Gedenkstätten und Museen zur DDR-Geschichte. Einiger erinnern am originalen Schauplatz an die Repression. Dazu eignen sich insbesondere ehemalige Haftanstalten aber auch das Aufnahmelager in Berlin-Marienfelde. Andere Museen widmen sich der Geschichte, wie die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin oder der Alltagskultur wie das Dokumentationszentrum für Alltagskultur in Eisenhüttenstadt oder das DDR-Museum in Berlin.
Auch die Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen veröffentlichen Schriftenreihen, die sich an ein breiteres Publikum wenden. Hinzu kommen eine umfangreiche Vortragstätigkeit, Tage der Offenen Tür und andere Aktivitäten.
Gegenwärtige Situation der Aufarbeitung
Gegenwärtig scheinen wir uns in einer dritten Phase der Aufarbeitung zu befinden. Sie ist gekennzeichnet durch den Generationenwechsel. Ein großer Teil der Bevölkerung hat keine unmittelbaren DDR-Erfahrungen mehr. Viele jüngere Menschen können sich die Beschränkungen in der Realität der Diktatur nicht mehr vorstellen.
Das betrifft sowohl die politische Repression als auch die Alltagswirklichkeit. Um zwei Beispiele zu nennen: In einer Gesellschaft, in der Reisen um die ganze Welt bereits im Vorschulalter zur Selbstverständlichkeit geworden sind, ist es schwer nachvollziehbar, dass die DDR-Bürger erst im Rentenalter „reisemündig“ wurden. In einer Zeit, in der jede Information in Sekundenschnelle aus dem Netz gefischt werden kann, ist es kaum noch verständlich, welche fundamentale Einschränkung Verbote von Filmen, Büchern und Zeitungen bedeuten können.
Die im Kern richtige Betonung von DDR-Alltagserfahrungen, die deutliche Relativierung des Unrechtscharakters des SED-Staates, die Differenzierung von Diktaturerfahren, die Bevorzugung der „netten“ Seiten des Lebens in der DDR, die Herausarbeitung von positiven Seiten des Sozial- oder Erziehungswesen, haben inzwischen ein Bild geschaffen, in dem das Ampelmännchen, die Spreewaldgurken oder der liebenswerte Kobold Pittiplatsch aus dem Kinderfernsehen im Mittelpunkt stehen. Dahinter stehen auch kommerzielle Interessen der Produzenten von sogenannten Ostprodukten, die in der Regel lediglich die Markenrechte übernommen haben, um Waren anzubieten, die mit den ursprünglichen Produkten aus der DDR nichts zu tun haben.
Im linken Spektrum der Bundesrepublik kursieren wenig durchdachte sozialistische Ideen, die gerne auf die DDR als Vorbild verweisen. So werden die in der Tat damals lächerlich niedrigen Mieten in der DDR als beispielhaft dargestellt und vergessen, dass gerade die verfehlte Politik des Einfrierens der Mieten auf dem Vorkriegsniveau einer der Gründe für die massive Wohnungsnot war.
Zudem haben sich in den letzten drei Jahrzehnten in der öffentlichen Wahrnehmung die Akzente verschoben. Freiheit und Demokratie sind so selbstverständlich geworden, dass viele junge Leute verächtlich über Errungenschaften wie freie Wahlen sprechen, die verfassungsmäßigen Grundrechte gering achten, andererseits den Wohlstand für selbstverständlich halten und den Staat für alle Probleme verantwortlich machen. Seltsamerweise versuchen rechtspopulistische Bewegungen, insbesondere in Sachsen und Thüringen an die äußerlichen Formen der Friedlichen Revolution, wie beispielsweise auf den Montagstermin bei regelmäßigen Aufmärschen, anzuknüpfen. Dabei vermengen sich eine diffuse Ostalgie mit ebenso diffusen fremdenfeindlichen Tendenzen. Manche politischen Beobachter sprechen seit den Europa-Wahlen 2019 von einer neuen Ost-West-Spaltung.
Aus alledem resultiert eine immer stärker um sich greifende neue Ostalgie der Nachgeborenen. Sie wird nicht mehr von der entmachteten DDR-Elite und von sozial enttäuschten ehemaligen DDR-Bürgern getragen, sondern von jungen Leuten aller Schichten. Teilweise idyllische Vorstellungen von der DDR vermischen sich mit einer gewissen Blindheit oder zumindest Indifferenz gegenüber von Diktatur und Unrechtsstaat. Gleichzeitig aber ist ein wachsendes Interesse an Geschichte insgesamt und an der Auseinandersetzung mit den beiden Diktaturen in Deutschland speziell festzustellen.
Dies stellt die Forschung, die Publizistik, die Museen und die politische Bildung vor neue Aufgaben.