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Rückblick auf dreißig Jahre Aufarbeitung | DDR kompakt | bpb.de

DDR kompakt Was war die DDR? Die Etappen der Entwicklung von 1945 bis 1990 1945 – 1949 Überblick: Die SBZ Bedingungslose Kapitulation Bildung der SBZ Verhalten der Roten Armee gegenüber der Bevölkerung Gruppe Ulbricht Gründung der SPD, CDU und der LDPD Bodenreform Schulreform Vereinigung von KPD und SPD zur SED Wahlen in Großberlin Währungsreform, Blockade, Luftbrücke Partei Neuen Typus Staatsgründung 1949 – 1953 Überblick: Die frühen Jahre Die doppelte Staatsgründung Die ersten Einheitswahlen zur Volkskammer am 15. Oktober 1950 Die Stalinnoten und die westlichen Reaktionen Die 2. Parteikonferenz der SED und die Verkündung des beschleunigten Aufbaus des Sozialismus Die Bildung der Kasernierten Volkspolizei Die ersten LPGen Der Arbeitsdienst „Dienst für Deutschland“ Kampagne gegen die Jungen Gemeinden der evangelischen Kirchen Stalins Tod und die Verkündung des Neuen Kurses Normerhöhung Der Volksaufstand im Juni 1953 Die Folgen des Aufstands 1953 – 1961 Überblick: Tauwetter und neuer Nachtfrost Kulturpolitik nach dem 17. Juni Militarisierung der DDR Der XX. Parteitag der KPdSU Unruhen an den Universitäten der DDR Reaktionen der SED und innerparteiliche Opposition Reaktion auf den Aufstand in Poznan, den polnischen Oktober und den Volksaufstand in Ungarn Verschärfung des ideologischen Kampfes seit 1957/58 Zwangskollektivierung Fluchtbewegung Sperrung der Grenze in Berlin am 13. August 1961 1961 – 1971 Überblick: Aufbruch in die Stagnation Die DDR nach dem Mauerbau Wirtschaftliche Reformprogramme seit 1962/63 Kritische Filme und Literaturwerke Jugendpolitik der SED Universitäts- und Akademiereform Das 11. Plenum des ZK der SED Der Prager Frühling und die DDR 1971 – 1989 Überblick: Die heile Welt des Sozialismus Kulturpolitik der Honecker-Ära Verstaatlichung der privaten und halbstaatlichen Betriebe Wirtschafts- und Sozialpolitik Verkündung der These von der eigenständigen sozialistischen Nation der DDR, Verfassungsänderung 1974 Deutschlandpolitik, Besuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik Kirchenpolitik Opposition und Widerstand Wandlungen in der Sowjetunion unter Gorbatschow 1989 – 1990 Überblick: Friedliche Revolution und Wiedervereinigung Wahlfälschungen Wandel im Ostblock Fluchtbewegung Gründungsaufruf Neues Forum Aufbruch und Differenzierung der Opposition Montagsdemos in Leipzig Rolle der Westmedien Ereignisse im Oktober 1989 Demonstration auf dem Alex Mauerfall Der Verfall der Macht der SED unter Egon Krenz Der Runde Tisch Stasi-Auflösung Volkskammerwahlen 1990 Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion Zwei-plus-Vier-Vertrag Deutsche Einheit 3.10.1990 Staat und Partei Die SED Staat und Partei Sozialstruktur der SED Parteiorganisationen in Betrieb und Wohngebiet Parteilehrjahr, Schulungen Parteidisziplin Institutionen der SED Institutionen der SED Die Rolle der Führungspersönlichkeit in der SED Erich Honecker wird gestürzt Ende der SED, Wandlung zur PDS Blockparteien, Massenorganisationen und Wahlen Blockparteien, Massenorganisationen und Wahlen Blockparteien Massenorganisationen Staatliche Institutionen Volkskammer, Staatsrat, Ministerrat Sicherheit Militarisierung der Gesellschaft Ministerium des Inneren Ideologie, Erziehung, Kunst und Literatur Marxismus-Leninismus Erziehungswesen Sozialistischer Realismus Literatur Bitterfelder Weg Kritische Literatur der siebziger und achtziger Jahre Bildende Kunst Architektur und Städtebau Die Kirchen Alltag und Lebenswirklichkeit Kollektivität Gleichberechtigung Lebensmittelversorgung Rückblick und Aufarbeitung Rückblick auf dreißig Jahre Aufarbeitung Filme Literatur Redaktion

Rückblick auf dreißig Jahre Aufarbeitung

Stefan Wolle

/ 5 Minuten zu lesen

Laden mit DDR-Nostalgika in Berlin. Seit der Jahrtausendwende widmen sich die Wissenschaft, die Museen und die Publizistik stärker DDR-Alltagsthemen. (© picture-alliance/dpa, Rainer Jensen)

Die Auseinandersetzung mit der DDR spielt in der heutigen Gesellschaft eine erstaunlich große Rolle. Ein „Unter-den-Teppich kehren“, das heißt, ein Verdrängen und Beschweigen der totalitären Vergangenheit wie nach 1945, hat es nach 1989 nicht gegeben. Die heutige demokratische und freiheitliche Gesellschaft definiert sich ganz wesentlich als Gegenentwurf zu den beiden Diktaturen der neueren deutschen Geschichte.

Wesentlichen Anteil an dieser positiven Bilanz haben Bürgerrechtsinitiativen, die sich direkt aus der Zeit der Opposition und der Friedlichen Revolution herleiten. Die beiden Enquete-Kommissionen des Bundestages, die parteinahen Stiftungen und vor allem solche Institutionen wie z.B. die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) und die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sehen die Aufarbeitung der DDR-Geschichte als eine ihrer zentralen Aufgaben an.

Entwicklung der Aufarbeitung seit 1990

Grob gesehen lassen sich mehrere Phasen in diesem vielstimmigen Diskurs unterscheiden. Unmittelbar während der turbulenten Ereignisse von 1989/90 und in den Jahren danach stand das Repressionssystem der SED, insbesondere die Stasi und die Mauer, im Fokus der Auseinandersetzungen.

Einer der Anlässe für die Besetzungen der Stasi-Zentralen, die am 4. Dezember 1989 in Erfurt begannen, war die Sicherung der Akten, deren Vernichtung durch MfS-Mitarbeiter zu Recht befürchtet wurde. In der Nacht der Erstürmung des Stasi-Hauptquartiers in Berlin-Lichtenberg am 15. Januar 1990 wurden die Arbeitsräume des Ministers von einem spontan gebildeten Bürgerkomitee versiegelt und zum Museum erklärt. Am nächsten Tag begann das Bürgerkomitee und die Arbeitsgruppe Sicherheit des Zentralen Runden Tisches mit der Sichtung der Archive, so dass bereits im März 1990 unter dem Titel „Ich liebe euch doch alle“ eine erste Edition von MfS-Akten erscheinen konnte. Viele weiter Dokumentationen folgten in den nächsten Jahren und fanden reißenden Absatz.

Diese Aufmerksamkeit wurde weder vom Westen initiiert, um die DDR zu delegitimieren, noch stand die Sensationsgier der Boulevardpresse im Vordergrund. Das Interesse resultierte aus dem Bedürfnis der DDR-Bevölkerung nach Aufklärung über ihre Geschichte. Das Stasi-Unterlagengesetz (StuG) öffnete jedem Nutzer die Möglichkeit seine eigenen Akten einzusehen und zu kopieren. Bei Anonymisierung, d.h. praktisch Schwärzung, aller Eigennamen nichtbetroffener Dritter können die Akten, Fotos, Ton- und Bildaufzeichnungen der Stasi durch Betroffene, Wissenschaftler und Journalisten eingesehen und genutzt werden. Niemals in der Geschichte ist das Innenleben eines Geheimdienstes so konsequent offen gelegt worden. Zu Recht wird die Arbeit der BStU international als Vorbild gesehen.

Dennoch war eine gewisse Verengung der Debatte nicht zu verkennen. Viele Menschen fanden angesichts der Fokussierung auf die Unterdrückung und die Stasi in den geschichtlichen Darstellungen ihr eigenes Leben nicht mehr wieder. Dies beförderte die sogenannte Ostalgie, deren Ursachen allerdings tiefer liegen, insbesondere in einer verbreiteten Enttäuschung über die wirtschaftlichen Folgen der Wiedervereinigung. Etwa seit der Jahrtausendwende widmete sich die Wissenschaft, die Museen und die Publizistik deswegen stärker Alltagsthemen zu. Sie bemühten sich um eine komplexe und differenzierte Darstellung der Lebenswirklichkeit, ohne die politischen und sozialen Rahmenbedingungen dabei auszublenden. Die allgemein anerkannte Richtlinie lautet: Weder Verklärung noch Dämonisierung, sondern Darstellung der komplexen Lebenswirklichkeit.

Wissenschaftliche Einrichtungen

Einen großen Anteil an der systematischen Aufarbeitung haben speziell zu diesem Zweck gegründete Einrichtungen wie das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZFF) in Potsdam, das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden, der Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin oder die Abteilung Bildung und Forschung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes der DDR (BStU). Diese und andere Einrichtungen veröffentlichen Schriftenreihen akademischen Charakters, die oft die Grundlage für populärwissenschaftliche und publizistische Arbeiten bilden.

Auf große Resonanz stoßen die diversen Gedenkstätten und Museen zur DDR-Geschichte. Einiger erinnern am originalen Schauplatz an die Repression. Dazu eignen sich insbesondere ehemalige Haftanstalten aber auch das Aufnahmelager in Berlin-Marienfelde. Andere Museen widmen sich der Geschichte, wie die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin oder der Alltagskultur wie das Dokumentationszentrum für Alltagskultur in Eisenhüttenstadt oder das DDR-Museum in Berlin.

Auch die Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen veröffentlichen Schriftenreihen, die sich an ein breiteres Publikum wenden. Hinzu kommen eine umfangreiche Vortragstätigkeit, Tage der Offenen Tür und andere Aktivitäten.

Gegenwärtige Situation der Aufarbeitung

Gegenwärtig scheinen wir uns in einer dritten Phase der Aufarbeitung zu befinden. Sie ist gekennzeichnet durch den Generationenwechsel. Ein großer Teil der Bevölkerung hat keine unmittelbaren DDR-Erfahrungen mehr. Viele jüngere Menschen können sich die Beschränkungen in der Realität der Diktatur nicht mehr vorstellen.

Das betrifft sowohl die politische Repression als auch die Alltagswirklichkeit. Um zwei Beispiele zu nennen: In einer Gesellschaft, in der Reisen um die ganze Welt bereits im Vorschulalter zur Selbstverständlichkeit geworden sind, ist es schwer nachvollziehbar, dass die DDR-Bürger erst im Rentenalter „reisemündig“ wurden. In einer Zeit, in der jede Information in Sekundenschnelle aus dem Netz gefischt werden kann, ist es kaum noch verständlich, welche fundamentale Einschränkung Verbote von Filmen, Büchern und Zeitungen bedeuten können.

Die im Kern richtige Betonung von DDR-Alltagserfahrungen, die deutliche Relativierung des Unrechtscharakters des SED-Staates, die Differenzierung von Diktaturerfahren, die Bevorzugung der „netten“ Seiten des Lebens in der DDR, die Herausarbeitung von positiven Seiten des Sozial- oder Erziehungswesen, haben inzwischen ein Bild geschaffen, in dem das Ampelmännchen, die Spreewaldgurken oder der liebenswerte Kobold Pittiplatsch aus dem Kinderfernsehen im Mittelpunkt stehen. Dahinter stehen auch kommerzielle Interessen der Produzenten von sogenannten Ostprodukten, die in der Regel lediglich die Markenrechte übernommen haben, um Waren anzubieten, die mit den ursprünglichen Produkten aus der DDR nichts zu tun haben.

Im linken Spektrum der Bundesrepublik kursieren wenig durchdachte sozialistische Ideen, die gerne auf die DDR als Vorbild verweisen. So werden die in der Tat damals lächerlich niedrigen Mieten in der DDR als beispielhaft dargestellt und vergessen, dass gerade die verfehlte Politik des Einfrierens der Mieten auf dem Vorkriegsniveau einer der Gründe für die massive Wohnungsnot war.

Zudem haben sich in den letzten drei Jahrzehnten in der öffentlichen Wahrnehmung die Akzente verschoben. Freiheit und Demokratie sind so selbstverständlich geworden, dass viele junge Leute verächtlich über Errungenschaften wie freie Wahlen sprechen, die verfassungsmäßigen Grundrechte gering achten, andererseits den Wohlstand für selbstverständlich halten und den Staat für alle Probleme verantwortlich machen. Seltsamerweise versuchen rechtspopulistische Bewegungen, insbesondere in Sachsen und Thüringen an die äußerlichen Formen der Friedlichen Revolution, wie beispielsweise auf den Montagstermin bei regelmäßigen Aufmärschen, anzuknüpfen. Dabei vermengen sich eine diffuse Ostalgie mit ebenso diffusen fremdenfeindlichen Tendenzen. Manche politischen Beobachter sprechen seit den Europa-Wahlen 2019 von einer neuen Ost-West-Spaltung.

Aus alledem resultiert eine immer stärker um sich greifende neue Ostalgie der Nachgeborenen. Sie wird nicht mehr von der entmachteten DDR-Elite und von sozial enttäuschten ehemaligen DDR-Bürgern getragen, sondern von jungen Leuten aller Schichten. Teilweise idyllische Vorstellungen von der DDR vermischen sich mit einer gewissen Blindheit oder zumindest Indifferenz gegenüber von Diktatur und Unrechtsstaat. Gleichzeitig aber ist ein wachsendes Interesse an Geschichte insgesamt und an der Auseinandersetzung mit den beiden Diktaturen in Deutschland speziell festzustellen.

Dies stellt die Forschung, die Publizistik, die Museen und die politische Bildung vor neue Aufgaben.

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Dr., geb. 1950; Studium der Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. 1972 Relegation aus politischen Gründen. 1976–1989 Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der DDR, 1990 Mitarbeiter des Komitees für die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit, 1998-2000 Referent bei der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, danach freier Autor, zeitweilige Mitarbeit im Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin. Seit 2005 wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums Berlin.