Die Rezeption der Moderne und der Westkunst in offiziellen Ausstellungen
Bereits in den 1960er Jahren hatten Künstler wie Herbert Sandberg und Fritz Cremer sowie Kunsthistoriker wie Günter Feist, Siegfried Heinz Begenau und Diether Schmidt immer wieder versucht, die Moderne als wesentliche Tradition deutscher Gegenwartskunst in der DDR auszuweisen. Doch erst seit Mitte der 1970er Jahre wurden die fortschrittlichen Kunstbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts – und die zeitgenössische "Westkunst“ – wieder in den Museen der DDR gezeigt.
Noch 1967 fand eine Bauhaus-Ausstellung in Dessau in aller Stille statt. Ab 1976 entwickelte sich das Bauhaus Dessau in Kooperation mit der Weimarer Hochschule für Architektur und Bauwesen zum wissenschaftlichen Zentrum der Bauhausforschung in der DDR – mit jährlich etwa zwei bis drei Ausstellungen zu dieser Tradition der Moderne in Architektur und Design. Die Vielfalt avantgardistischer Entwürfe wurde in Studioausstellungen der Nationalgalerie – beispielsweise in "Von der Collage zur Assemblage“ (1978) – oder der großen Expressionismus-Ausstellung im Alten Museum (1986/87) sichtbar, während das Lindenau-Museum in Altenburg die Aufarbeitung der Moderne in Konzeptionen umsetzte, die bestimmte Richtungen der Avantgarde in Literatur, Musik, bildender Kunst und Fotografie mit ihrem Echo in der Gegenwartkunst verbanden: "Segel der Zeit – Gedichte, Bücher, Bilder, Dokumente aus der Geschichte des Russischen Futurismus“ zum 100. Geburtstag des Dichters Chlebnikow (1985/86) befasste sich mit dem Zukunftsentwurf und "Von Merz bis heute“ zum 100. Geburtstag von Kurt Schwitters (1987/88) mit der Rebellion.
Die Ausstellung "Positionen. Malerei aus der Bundesrepublik Deutschland“ im Herbst 1986 im Alten Museum in Berlin und danach im Albertinum in Dresden war schließlich ein Ergebnis des im Mai des Jahres unterzeichneten Kulturabkommens zwischen beiden deutschen Staaten. Sie sollte Gelegenheit geben, mit den Arbeiten der Altmeister Willi Baumeister, Ernst Wilhelm Nay und Emil Schumacher, der in den 1930er Jahren geborenen Künstler Raimund Girke, Günther Uecker, Gotthard Graubner, Gerhard Richter, Konrad Klapheck und Horst Antes sowie der damals etwa 40jährigen Sigmar Polke und Anselm Kiefer die zeitgenössische westdeutsche Malerei kennenzulernen. Mit Graubner, Richter und Uecker wurden dabei auch Künstler präsentiert, die zwischen 1954 und 1961 die DDR verlassen hatten.
Eine Sonderstellung in der programmatischen Vermittlung der klassischen Moderne und zahlreicher Positionen der westlichen Gegenwartskunst nahm die 1979 gegründete Galerie der
Der Staatliche Kunsthandel der DDR und die Galerie am Sachsenplatz in Leipzig
Bernhard Heisig spielte gleichfalls eine wesentliche Rolle bei der Entstehung des Staatlichen Kunsthandels für zeitgenössische Kunst. Bereits von 1955 an hatte das Ministerium für Kultur einen vom Staat kontrollierten Kunsthandel aufgebaut, der vor allem den Verkauf von Antiquitäten ins Ausland abwickelte. Anfang 1972 forderte Heisig, der nach seiner Kündigung als Professor an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (1968) wieder freischaffend arbeitete, in der Zeitschrift "Bildende Kunst“ unter dem Titel "Wo bleibt der sozialistische Kunsthandel?” den privaten "Markt für den Künstler“ zu erschließen. Er verschaffte seinem Freund, dem Leipziger Kunstsammler Hans-Peter Schulz den Auftrag des Ministeriums für Kultur, auf der VII. Kunstausstellung der DDR vom Oktober 1972 bis März 1973 einen Verkaufsstand für originale DDR-Kunst einzurichten. Am Ende der Ausstellung hatte Schulz für 300.000 Mark Malerei, Grafik und Kleinplastik verkauft. Daraufhin stellte ihm der Rat der Stadt Leipzig Räume für eine eigene Galerie zur Verfügung. Der Erfolg veranlasste das Ministerium in Berlin darüber hinaus, den "Volkseigenen Handel Antiquitäten” 1973 zum "Volkseigenen Handelsbetrieb Kunst und Antiquitäten“ umzustrukturieren, aus dem sich das System des „Staatlichen Kunsthandels der DDR“ mit 40 Verkaufsgalerien in 26 Städten der Republik (1989) entwickelte.
Der Staatliche Kunsthandel besaß nicht nur das Verkaufsmonopol für bildende Kunst im Inland, sondern beanspruchte auch die Alleinvertretung von DDR-Künstlern im Ausland – unter anderem seit 1981 auf den Kunstmessen in Basel, Köln und Chicago. Gleichzeitig beeinflusste die Institution das Ausstellungsprofil der einzelnen Galerien in hohem Maße: Ausstellungskonzeptionen, Katalogvorhaben und Umsatzpläne wurden zwar von den Galeristen eigenständig erarbeitet, waren aber den jeweiligen Bezirksleitungen zur Bestätigung vorzulegen, die wiederum dem Generaldirektor Rechenschaft abzulegen hatten. Deshalb blieben unerwünschte Künstler in der Regel von Ausstellungen und in der Folge von der materiellen Existenzsicherung durch den Verkauf ihrer Arbeiten ausgeschlossen. Die im Prinzip einzige Galerie des Staatlichen Kunsthandels mit einem Ausstellungsprogramm, das diese Künstler favorisierte, war die
Im Frühjahr 1975 ließ der Ministerrat der DDR den Inhabern der Galerie am Sachsenplatz Gisela und Hans-Peter Schulz per Telegramm mitteilen, dass die Einrichtung als erste dem Staatlichen Kunsthandel der DDR angegliedert werde. Zwei Jahre zuvor zunächst als privates Unternehmen eröffnet, gehörte sie neben der Galerie Arkade in Berlin nicht nur zu den programmatisch bedeutendsten und unabhängigsten offiziellen Verkaufsgalerien, sondern war auch die mit Abstand wirtschaftlich erfolgreichste. Hans-Peter Schulz (1933–1996) kam ursprünglich aus dem Kürschnergewerbe, hatte 1964 eine Umschulung zum Isolierer im Chemiewerk Buna in Schkopau absolviert und anschließend seine Leidenschaft zum Sammeln von Kunst zur Profession gemacht. 1965 begann er, im Foyer des werkseigenen Kulturhauses Ausstellungen mit moderner Kunst zu organisieren. Schulz geriet mit dieser Konzeption unweigerlich in Konflikt mit der Kulturbürokratie – Ausstellungstitel mussten geändert werden, Kataloge wurden eingestampft und Bilder aus den Ausstellungen entfernt. Privat pflegte das Ehepaar Schulz seine Kontakte zu den Künstlern weiter und baute eine eigene Kunstsammlung auf – die persönlichen Vorlieben bestimmten im Wesentlichen auch das Profil der späteren Galerie am Sachsenplatz.
Dazu gehörte die Kunst des Bauhauses. 1976 fand die erste Bauhaus-Verkaufsausstellung statt – sie wurde zur Gepflogenheit ebenso wie die sogenannten Bauhaus-Kataloge, von denen bis 1989 sieben Ausgaben erschienen. Im Laufe der Jahre zeigte die Galerie zahlreiche Künstler dieser Tradition in Einzelausstellungen – unter anderem Carl Marx, Irene Blühova, Albert Hennig, Otto Hofmann, Rüdiger Berlit, Theo Balden, Grete Reichardt und Franz Ehrlich. Mit feinem Gespür und großem Engagement suchten Gisela und Hans-Peter Schulz nach Künstlern und Werken, die vergessen worden waren oder sich in der "inneren Emigration“ befanden wie Herbert Behrens-Hangeler, Otto Müller-Eibenstock, Hermann Glöckner, Edmund Kesting, Max Lachnit, Albert Wigand und Willy Wolff. Gleichzeitig förderten sie jüngere Künstler, die sich auf die Moderne beriefen. Nicht selten gelang es, ihnen damit den Weg zur Aufnahme in den Verband zu ebnen, was wiederum die Möglichkeiten erweiterte, auch andernorts auszustellen zu können.
Über ihre Ausstellungstätigkeit hinaus veranstaltete die Galerie im Zwei-Jahres-Rhythmus die wichtigsten Auktionen für bildende Kunst des 20. Jahrhunderts in der DDR, bei denen sich oft Hunderte von Interessierten, nicht selten aus dem westlichen Ausland, drängten. Bereits im ersten Jahr der Übernahme erwirtschaftete das Ehepaar Schulz einen Umsatz von 240.000 Mark, später waren es etwa zwei Millionen Mark pro Jahr. Dass die Pläne des stets linientreuen Direktors des Staatlichen Kunsthandels Horst Weiß, den Galeristen ihrer offensichtlichen ideologischen Unabhängigkeit wegen die Lizenz zu entziehen, letztlich nicht umgesetzt wurden, war ausschließlich dem erzielten Profit zu verdanken.
Die Kulturbund- und Stadtbezirksgalerien
Die fehlenden Ausstellungsmöglichkeiten hatten Künstler immer wieder dazu veranlasst, privat die Initiative zur Präsentation ihrer Arbeiten zu ergreifen. Um diese Bestrebungen zu kanalisieren und damit kontrollieren zu können, forcierte die staatliche Kulturpolitik in den 1970er Jahren neben der Gründung von Galerien des Staatlichen Kunsthandels das Entstehen von etwa 450 "Kleinen Galerien“ des Kulturbundes und der städtischen Regierungsbezirke – sogenannte Stadtbezirksgalerien. Trotz der institutionellen Einbindung gelang es engagierten Vermittlern, ein individuelles Profil zu entwickeln und ihr Programm auf bisher nicht in den offiziellen Kanon aufgenommene Künstler und Projekte zu erweitern. In Dresden beschloss der Rat der Stadt im Gefolge der privat organisierten Ausstellungen der Künstlergruppe
Tatsächlich entdeckte eine Gruppe junger Künstler um Joachim Böttcher, Stefan Plenkers und Rainer Zille – das Trio hatte ein Jahr zuvor auch die Ausstellung zur Wiedereröffnung des
Das Profil der Galerie Mitte, im September 1979 als städtische Galerie im Erdgeschoss eines alten Bürgerhauses am Fetscherplatz gegründet, bestimmte sich eher durch Gruppen- und thematische Ausstellungen, die systematische Vergleiche und "horizontale Kritik“ (Klaus Werner) erlaubten. Auch kamen die gezeigten vorrangig jungen Künstler zumindest anfangs nicht überwiegend aus Dresden, was an der aus Berlin stammenden Kunstwissenschaftlerin Gabriele Muschter lag, die die Galerie bis 1984 leitete. Nach ihrem Weggang setzte Karin Weber Fotografie und Installationen ins Zentrum ihrer Ausstellungstätigkeit – beides eher Randerscheinungen in der offiziellen DDR-Ausstellungskultur. Besonders die Ausstellung "Junge Fotografen der achtziger Jahre“ mit 17 Fotografen aus der DDR und Lutz Dammbecks Mediencollage „Herakles“ (beide 1986) stießen auf großes Publikumsinteresse.
In Leipzig präsentierte die 1981 entstandene Galerie Nord des Kulturbundes im Viertelsweg 47 unter der Leitung der Leipziger Kunstwissenschaftlerin Ina Gille zwischen 1986 und 1989 ein eigenwilliges Programm junger Kunst. Hier fanden Filmaktionen von Lutz Dammbeck ebenso statt wie Ausstellungen der Künstlerin und früheren Organisatorin der Erfurter
Die Galerie P, 1981 als erste Plakatgalerie des Staatlichen Kunsthandels von der Kulturwissenschaftlerin Elke Pietzsch in der Erich-Ferl-Straße 13 eröffnet, konzentrierte ihre Arbeit auf das Medium der Fotografie, die in den 1980er Jahren zum künstlerischen Synonym der Abwendung von ideologisch geprägten Bildformeln wurde. Die bildnerischen Ausdrucksmittel der gezeigten Fotografen, darunter viele Absolventen der Fachrichtung Fotografie an der
Die Fotografie als experimentelles Instrument der Selbsterforschung und Selbstinszenierung, nicht selten in aktionistische oder installative Zusammenhänge gestellt, dominierte auch das Programm der Berliner Galerie Treptow im Kreiskulturhaus des am südlichen Rand Ostberlins gelegenen Stadtbezirks. Mit den Debüts von Tina Bara, Sven Marquardt, Jens Rötzsch oder Maria Sewcz, den Ausstellungen von Claus Bach, Kurt Buchwald, Klaus Elle, Harald Hauswald, Florian Merkel, Michael Scheffer, Gundula Schulze, Ulrich Wüst und den Einzelauftritten der als
Alle Beispiele zeigen, dass Künstler und Kunstvermittler von staatlicher Seite gewährte Freiräume konsequent erweiterten. Seit den 1970er und vor allem in den 1980er Jahren, parallel zum politischen und ökonomischen Niedergang der DDR, konnten sich deshalb auch in staatlichen Galerien und Ausstellungsinstitutionen souveräne Entscheidungen und selbstständiges Handeln programmatisch durchsetzen – sofern die jeweiligen Protagonisten nachdrücklich auf ihren Vorstellungen künstlerischer Freiheit bestanden.