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Wertewandel und Kultur

Michael Hofmann

/ 10 Minuten zu lesen

Die DDR verfolgte von Beginn an eine anders akzentuierte Kulturpolitik als der Westen. Nach dem zweiten Weltkrieg wollte sie das bessere Deutschland aufbauen. Und die Kultur sollte als zentrales Volksbildungs- und Erziehungsinstrument in den Dienst des Aufbaus einer antifaschistischen und sozialistischen Gesellschaft genommen werden.

Das Neue Gewandhaus in Leipzig am 04.10.2021. (© picture-alliance/dpa, Zentralbild | Jan Woitas)

Hinweis

Unter Wertewandel wird hier die Veränderung geschichtlich entstandener, kulturell, herrschaftstechnisch beeinflussbarer und bewusst gestaltbarer allgemeiner Zielstellungen und Orientierungen verstanden.
Unter Kultur wird hier der geistig-soziale Zustand sowie Gesamtheit des Wissens, Glaubens, der Kunst, Moral, des Rechts, der Sitten und aller anderen Fähigkeiten und Gewohnheiten einer Gesellschaft oder/und sozialen Gruppe verstanden.

"Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört" – dieser Ausspruch Willi Brandts kurz nach dem Fall der Berliner Mauer nährte die Hoffnung auf eine neue gedeihliche soziale und kulturelle Einheit der deutschen Nation. Doch wie sich im Transformationsprozess seit 1990 zeigte, ließen sich diese Hoffnungen so schnell nicht erfüllen. Die Deutschen in Ost und West hatten sich in ihren kulturellen Grundorientierungen und Wertmustern doch gehörig auseinanderentwickelt. Axel Schildt und Detlef Siegfried schätzen in ihrer "Deutschen Kulturgeschichte" ein, dass "der Alltag im vereinigten Deutschland nur sehr begrenzt von gemeinsamen Werten und Praktiken bestimmt war" (Schildt/Siegfried 2009, 474).

Auf den ersten Blick führten Historiker und Journalisten das auf die ausgebliebene "Kulturrevolution" bzw. den ausgebliebenen Wertewandel in der DDR zurück. Ostdeutschland sei als "arbeiterliche Gesellschaft" (Wolfgang Engler) traditioneller geblieben und hätte am Wertewandel hin zu postmaterialistischen Orientierungen und am zivilgesellschaftlichen Aufbruch, die im Westen mit den kulturellen Bewegungen der 1960er Jahre begannen, zu wenig Anteil gehabt.

Enge und Vielfalt: zentrale politische Kultursteuerung in der DDR

Tatsächlich verfolgte die DDR von Beginn an eine anders akzentuierte Kulturpolitik als der Westen. Nach dem zweiten Weltkrieg wollte sie das bessere Deutschland aufbauen. Und die Kultur sollte als zentrales Volksbildungs- und Erziehungsinstrument in den Dienst des Aufbaus einer antifaschistischen und sozialistischen Gesellschaft genommen werden. In den vier Jahrzehnten der Existenz der DDR wurde ein umfassendes, zentralistisch organisiertes System der Kulturarbeit etabliert. Kultur und Kunst sollten dazu beitragen, engagierte sozialistische Persönlichkeiten heranzubilden, die wirtschaftliche Produktivität zu steigern und die moralische Überlegenheit über den Westen zu demonstrieren. Die DDR-Kulturpolitik verfolgte eher traditionelle, hochkulturorientierte Ziele. Die "Qualifizierung" der Volkskunst und die Pflege des bürgerlich humanistischen Erbes stand im Mittelpunkt. Arbeiter und Bauern sollten die Höhen der Kultur stürmen. Stilistisch wurde die DDR-Kunst von den politischen Aufsichtsbehörden rigoros auf volkstümliche Verständlichkeit eingeschränkt. Der sozialistische Realismus sollte vor allem den sozialistischen Aufbau und die Werktätigen ins Bild setzen und richtete sich gegen die westliche Moderne und abstrakte Kunst. So entwickelte sich in 1950er und 1960er Jahren eine Kultur- und Kunstlandschaft, die sich in Romanen und Bildern, in der kulturellen Massenarbeit und im künstlerischen Volksschaffen vorwiegend mit der Ankunft in der neuen Gesellschaft des Sozialismus auseinandersetzte.

Erst in den 1970er Jahren kommt es zu einer stärkeren Öffnung hin zu Vielfalt, zu Unterhaltungskunst und Kulturindustrie. Nicht zuletzt nach dem Vorbild westlicher Bewegungen entstanden in der DDR in den 1970er Jahren auch subkulturelle Szenen und Milieus. In der Kulturpolitik gab es neben dem orthodoxen Festhalten an einer Antimoderne auch Liberalisierungen. Zwar wurde an der traditionellen Hochkulturorientierung und der Ablehnung westlicher abstrakter Kunst festgehalten, aber es gab mit dem Westen politisch zensierten, wenngleich regen Kulturaustausch zum Beispiel mit der Bundesrepublik. Selbst in der kulturellen Massenarbeit öffneten sich neue, auch kommerzielle Möglichkeiten. Von den gesellschaftlich propagierten Wertorientierungen blieb das Idealbild einer "sozialistischen Menschengemeinschaft", das enge Miteinander in einer angestrebten sozialistischen deutschen Nation maßgebend. Das Menschenbild der allseitig entwickelten Persönlichkeit zeigte sich durchaus offen für Individualisierung und Selbstentfaltung. Aber die programmatisch-propagandistischen Ausrichtung der Wertorientierungen auf das Gemeinwohl und das kollektive Miteinander sah die kulturelle Emanzipation der Bürger vor allem im Rahmen von gesellschaftlichen Verantwortungsrollen in der Arbeitswelt vor, zum Beispiel als Mitglied oder Leiter eines betrieblichen Zirkels für künstlerisches Volksschaffen. Und tatsächlich wurden kulturelle und volkskünstlerische Aktivitäten in der DDR in sehr hohem Maße über die Betriebe kollektiv organisiert.

So lässt sich die DDR-Kulturlandschaft der 1980er Jahre mit den Schlagworten "Enge und Vielfalt" beschreiben. Die Enge bezieht sich auf die staatstragende Bedeutung der Kultur und ihre Anbindung an dogmatische, sozialistische Zielvorstellungen. Die Breite und Vielfalt hingegen bezieht sich auf die große Reichweite alltagskultureller Mobilisierungen, die von den traditionellen (Hoch-)Kulturinstitutionen über vielfältige Klubs und Szenen bis hin zum kulturellen Wettbewerb und den subventionierten Brigadeausflügen in den Betrieben reichte.

Weite und Vielfalt. Die Kulturlandschaft der Bundesrepublik in den 1980er Jahren

Zur gleichen Zeit war der Westen Deutschlands in seinem Selbstverständnis schon in einer modernen "farbigen und toleranten Kulturgesellschaft" (CDU-Generalsekretär Heiner Geißler 1987) angekommen. Bereits ab der Mitte der 1960er verwandelten zunehmender Wohlstand, die Hebung des Bildungsniveaus, neue soziale Bewegungen und Medien, Rock, Punk, alternative Kunst und Ästhetik, neue Wohnformen und ethnische Vielfalt die Bundesrepublik in eine Kulturgesellschaft mit einer politischen Teilhabekultur (Schildt und Siegfried 2009, 246ff.).

Die Bundesrepublik gibt zugleich auch ein Musterbespiel für das soziologische Modell des Wertewandels in der westlichen Welt ab (Inglehart 1977). Seit den 1970er Jahren wird eine Abwendung von materialistischen hin zu postmaterialistischen Werten und einer humanistischen Gesellschaft durch höhere Bereitschaft zum Engagement, Orientierung an Individualität, Autonomie, Freiheit und Emanzipation beobachtet. Allerdings gab es in den 1970er Jahren schon kritische Hinweise darauf, dass die postmodernen Orientierungen auf Individualität und Unabhängigkeit Gemeinschaftsorientierungen vernachlässige. Zwar wird auch in der Bundesrepublik versucht, gesellschaftliche nationale Wertmuster und Orientierungen für Gemeinsinn und Kulturentwicklung zu prägen. Aber die in den 1980er Jahren diskutierte "westdeutsche Staatsnation" (Rainer M. Lepsius) oder der "Verfassungspatriotismus" (Dolf Sternberg, Jürgen Habermas) können sich in der postmodernen Vielfalt nicht als Leitvorstellungen durchsetzen. Das "Anything goes", die Weite und Vielfalt, der wertgeschätzte und geförderte Pluralismus bot viele Ansatzpunkte für kulturelles und kreatives Engagement vor allem in den Mittelschichten und ließ – anders als in der DDR – die Nachfrage nach staatstragenden oder nationalen Orientierungen und Kultur verblassen.

Mit dem Fall der Mauer treffen nun die beiden deutschen Teilkulturen aufeinander: Die vom Wertewandel zur Individualisierung, Kommerzialisierung und Medialisierung der Alltagskultur sowie Entnationalisierung erfasste westdeutsche trifft auf die teilmodernisierte ostdeutsche Alltagskultur, in der der Wertewandel hin zur Individualisierung und die Loslösung von nationalen Orientierungen viel weniger weit fortgeschritten waren.

Kultur und Kunst im Vereinigungsprozess

Zwar geriet in den 1990er Jahren in den alten Bundesländern der Wertewandelschub der 1970er und 1980er Jahre hin zu postmaterialistischen Werten ins Stocken, aber an den kulturellen Verhältnissen änderte sich durch den Beitritt der DDR erst einmal nichts.

Die Ostdeutschen hingegen erfahren mit dem Beginn der 1990er Jahre zunächst große alltagskulturelle und ästhetische Gewinne. Es waren die Bedürfnisse des Konsumierens, Reisens und der Unterhaltung, auch ästhetische Bedürfnisse nach Verschönerung, Farbigkeit und Restaurierung, die zu einer raschen Anpassung der ostdeutschen Alltagskultur und -praktiken an die Breite und Pluralität des Westens führten. Nach Einschätzung der Wertewandel-Forscher wuchsen in den 1990er Jahren hedonistische Wertorientierungen in Ostdeutschland. Mit der Ankunft der Ostdeutschen in der Konsumgesellschaft des Westens macht sich aber bald eine steigende Unzufriedenheit mit der deutschen Politik und Kultur in Ostdeutschland breit. Einerseits lag das an der Vereinigungskrise der frühen 1990er Jahre, die eine Angleichung der Arbeits- und Lebensverhältnisse und damit einen wachsenden Anteil der Ostdeutschen an den Konsummöglichkeiten in die Ferne rückten. Andererseits fehlten vielen Ostdeutschen, nach dem Schließen der Kulturhäuser und dem Wegfall der kulturellen Massen- und der betrieblichen Kulturarbeit Integrations- und Identifikationsangebote für die kulturellen Alltagsroutinen. In den meisten postsozialistischen Ländern Europas wurde die nationalstaatliche und nationalkulturelle Besinnung zu einem Identitätsanker und "Solidaritätsgenerator" (Herfried Münkler) der Bevölkerung im Transformationsprozess. Das fiel in Ostdeutschland weitgehend weg. Die Angebote der Soziokultur (quasi das westdeutsche Pendant zur kulturellen Massenarbeit) wurde zwar von den ostdeutschen subkulturellen und Mittelschicht-Milieus aufgegriffen und es entstand auch in den ostdeutschen Metropolen eine dichte Szenekultur, aber die Masse der oft freigesetzten Werktätigen (Anfang der 1990er Jahren sank die Beschäftigtenzahl in Ostdeutschland von 9,8 Mio. auf 6,7 Mio.) erreichte die Soziokultur nicht. Es entstand hingegen eine Ostalgiewelle.

So blieb trotz konsumkultureller und wertmäßiger Annäherung in den 1990er Jahren eine kulturelle Distanz der Ostdeutschen zur westdeutschen Kultur- und Wohlstandsgesellschaft spürbar.

Kultur im Einigungsvertrag

Im deutschen Einigungsvertrag, der sich im Artikel 35 der Kultur widmet, wird die Hoffnung ausgedrückt, dass "die Bedeutung des Kulturstaates Stellung und Ansehen eines vereinten Deutschlands in der Welt" mitbestimmen wird. Diese Hoffnung konnte in der Vereinigungsgeschichte weitgehend erfüllt werden. Im Transformationsprozess seit 1990 gelang es durch die stetige Erhöhung der föderal organisierten Kulturförderung in Ost und West, die überaus reiche kulturelle Substanz in Ost und West zu erhalten und auszubauen (Verweis auf das Dossier zur kulturellen Infrastruktur). Die Pflege des kulturellen Erbes gehört zu den unbestreitbaren Leistungen deutscher Kulturpolitik. Allein 43 der 51 deutschen Welterbestätten wurden nach 1990 in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen, 13 davon in Ostdeutschland.

Andererseits konnte, ebenso wie im Spitzensport, wo die Olympiabilanzen seit der Vereinigung ständig sanken (Verweis auf das Dossier Sport) das vereinigte Deutschland in der Gegenwartskultur kaum seine Kräfte bündeln.

Natürlich gab es Versuche, aus den kulturellen Unterschieden zwischen Ost und West neue Themen und Inspirationen für Kunst und Kultur entstehen zu lassen. In der Literatur wurden verschiedene Romane, die sich rückschauend mit der DDR beschäftigten, mit dem deutschen Buchpreis ausgezeichnet, zum Beispiel Uwe Tellkamps "Der Turm" (2008) oder Eugen Ruges "In Zeiten abnehmenden Lichts". Für den deutschen Film erhielt Wolfgang Becker mit "Good Bye, Lenin" (2003) zwei europäische Filmpreise und für Florian Henkel von Donnersmarcks Film "Das Leben der Anderen" (2006) gab es einen Oscar. Hingegen gab es zum Buch von Günter Grass "Ein weites Feld" (1995) – dass das Leben in der "kommoden Diktatur" der DDR beschreibt – heftige vor allem politisch begründete Verrisse. Im innerdeutschen Kontext herrschte in den Kunstszenen eher Kulturkampf. Der Einigungsvertrag verweist darauf, dass "in den Jahren der Teilung Kunst und Kultur eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation waren" und dass sie auch "im Prozess der staatlichen Einheit der Deutschen auf dem Weg zur europäischen Einigung einen eigenständigen und unverzichtbaren Beitrag leisten" werden. Diese Hoffnung hat sich gerade nicht erfüllt. Auf den Gebieten der Kunst gab und gibt keine neuen gemeinsamen rebellischen Gruppenbildungen, sondern zum Teil hartnäckige Ost-West-Konflikte. Der deutsch-deutsche Bilderstreit zum Beispiel (Rehberg/Kaiser 2013) begann mit einer massiven Delegitimierung der DDR- und ostdeutschen Kunst. Der Streit konzentrierte sich allerdings gar nicht auf künstlerische Fragen, sondern anfangs fast ausschließlich auf das politisch repressive Kultursystem der DDR, deren Teil ostdeutsche Künstler gewesen seien. In den Kunstkonflikten zwischen West und Ost geht es wohl eher um Konkurrenz, Macht und Einfluss, als um die neuen thematischen Herausforderungen der Transformation.

Kulturpolitik

Um mehr Einfluss auf das föderal organisierte Kultursystem nehmen zu können wurde in der Bundesrepublik Deutschland 2008 erstmals ein Staatsminister für Kultur und Medien ernannt. Er sollte die verschiedenen kulturellen Aufgaben des Bundes koordinieren. Jedoch gelang es mit dieser Institution noch immer nicht, den Bund mit abgesicherten Kompetenzen in kulturellen Angelegenheiten von überregionaler Bedeutung auszustatten. Noch schwieriger gestaltete es sich, dieser Institution ein kulturpolitisches Programm zu geben. Weder in den Diskussionen um eine Leitkultur in Deutschland noch in den deutschen Ost-West-Debatten hatte der Staatsminister für Kultur eine Position anzubieten. Verdienste erwarb sich das Staatsministerium vor allem durch seine mäzenatische Tätigkeit und die Förderung der Kreativwirtschaft. Hingegen waren die Zeiten für ein aufklärerisches, auf die gesamte Gesellschaft zielendes Konzept, etwa einer "Kultur für alle" (Hilmar Hoffmann, 1984) wohl abgelaufen. Dass unter der Federführung der Staatsministerin Monika Grütters neu erbaute Humboldtforum in Berlin zeigt die Konzeptlosigkeit dieser Institution. Der Palast der Republik, Sitz der Volkskammer der DDR, zugleich aber ein Kulturhaus, das für Freizeitvergnügen wie Bowling oder Tanzen ebenso nutzbar war wie für Ausstellungen, Konzerte und Theater wurde abgerissen, um an dieser Stelle ein programmatisch unbestimmtes und vieldeutiges "Weltkulturmuseum" zu errichten. Der neue Repräsentationsbau für die Kultur in der der Bundesrepublik Deutschland in der äußeren Form des feudalen Preußenschlosses soll nun ein politisch korrektes, museales Begegnungszentrum sein: "ein einzigartiger Ort des Erlebens und der Begegnung. … Ein Ort für Kultur und Wissenschaft, des Austauschs, der Diversität und Vielstimmigkeit" . Ein Diskussionsangebot zum kulturellen Näherkommen zwischen Ost- und Westdeutschen wird an diesem dafür hochsymbolischen Ort jedoch nicht gemacht. Das Humboldtforum wäre vielleicht ein Platz gewesen, um das von der Kommission "30 Jahre friedliche Revolution und deutsche Einheit" in ihrem Abschlussbericht geforderte Kulturzentrum für Europäische Transformation und deutsche Einheit einzurichten.

Wandel der westlichen Kulturen

Die Schwierigkeiten kulturpolitischer Programmbildung kommen nicht von ungefähr. Spätestens seit dem "Anything goes", der Postmoderne der 1980er Jahre, hat die europäische und globale Vielfalt kultureller und kommerzieller Bewegungen und Aktivitäten und ihre mediale Verbreitung zu Grenzverschiebungen und Verschmelzungen geführt, die es gar nicht mehr sinnvoll und durchsetzbar erscheinen lassen, traditionelle, aufklärerische und hochkulturorientierte Zielstellungen für staatliche Kulturpolitik aufzustellen oder auch nur von einer deutschen Kultur zu sprechen. Die seit den 1980er Jahren zu beobachtenden Verschmelzungen von Hoch- und Populärkultur, von Medien- und Kulturarbeit, das Vordringen von Werbung und Marktorientierung in die Alltagskommunikation und den sozialen Medien eröffnete neue Möglichkeiten kultureller Teilhabe und entlastete die Alltagskultur von traditionellen hochkulturellen Ansprüchen und Normen. Die postmoderne Vielfalt der Kultur in Deutschland folgt vor allem in den privatwirtschaftlich gesteuerten sozialen Medien zunehmend Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie. Dadurch verliert der Kulturbegriff immer mehr den Bezug zum Höheren und Geheiligten und wird plural: Die klassische Musik, die Kultur des Wohnens, des Essens oder auch der Achtsamkeit stehen heute gleichberechtigt nebeneinander. Jürgen Habermas kritisierte diese Entwicklungen als das "Ende der Aufklärung".

So mag der gesellschaftliche Auftrag, mit Kultur und Kunst alle zu erreichen und eine gebildete, geeinte Nation zu werden zwar weiterhin verteidigt werden. Die Einflussmöglichkeiten von Politik und Staat auf den geistig-sozialen Zustand der Bürger, auf kulturelle Prozesse gehen jedoch zurück.

Quellen / Literatur

Herman W. von der Dunk (2004:) Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, 2 Bände, München.

Wolfgang Engler (1999): Die Ostdeutschen, Berlin.

Werner Faulstich (Hg.)(2010): Kulturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Kultur der 90er Jahre, Paderborn.

Gerd Dietrich (2019): Kulturgeschichte der DDR, 3 Bände, Bonn.

Hermann Glaser (1985-1989): Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, 3 Bände, München, Wien.

Günter Grass (1995): Ein weites Feld, Göttingen.

Hilmar Hoffmann (1979): Kultur für alle. Perspektiven und Modelle, Frankfurt.

Paul Kaiser, Karl-Siegbert Rehberg (Hg.)(1999): Enge und Vielfalt – Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR, Dresden.

Birgit Mandel, Birgit Wolf (2020): Staatsauftrag: "Kultur für alle“. Ziele, Programme und Wirkungen kultureller Teilhabe und Kulturvermittlung in der DDR, Bielefeld.

Thomas Gensicke (2013): Werte und Wertewandel, in: Uwe Andersen/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 7., aktual. Aufl., Heidelberg, S. 766.

Stefan Hradil (2003): Vom Leitbild zum "Leidbild“. Singles, ihrer veränderte Wahrnehmung und der "Wandel des Wertewandels“, Zeitschrift für Familienforschung 15 (1), 38-54.

Jost Hermand (2006): Deutsche Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, Darmstadt.

Axel Schildt, Detlef Siegfried (2009): Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik - 1945 bis zur Gegenwart, München.

Rehberg, Karl-Siegbert; Kaiser, Paul (Hg.) (2013): Bilderstreit und Gesellschaftsumbruch. Die Debatten um die Kunst aus der DDR im Prozess der deutschen Wiedervereinigung, Berlin.

Elisabeth Noelle-Neumann (1978): Werden wir alle Proletarier? Wertewandel in unserer Gesellschaft, Osnabrück.

Wolfgang Ulrich (2020): Feindbild werden. Ein Bericht. Der neue Ost-West-Konflikt, Berlin.

Olaf Zimmermann¸ Theo Geißler (Hg.) (2018): Wertedebatte: Von Leitkultur bis kulturelle Integration, Deutscher Kulturrat: Aus Politik und Kultur Nr. 15, Berlin.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe dazu: Interner Link: https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/68er-bewegung/51824/1968-in-der-ddr, Wolfgang Engler (1999), Die Ostdeutschen, Berlin oder Werner Faulstich (2010), S. 16

  2. Siehe dazu: Birgit Mandel, Birgit Wolf (2020) S. 203

  3. Ankunftsliteratur

  4. Das Ziel eine "sozialistische Menschengemeinschaft" zu schaffen, findet sich auch in der am 8. April 1968 verabschiedeten Verfassung der DDR wieder.

  5. Siehe dazu auch Thomas Gensicke (2013): Stichwort "Werte und Wertewandel", in: Andersen, Uwe/Wichard Woyke (Hg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. 7., aktual. Aufl. Heidelberg

  6. Enge und Vielfalt – Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR ist der Titel eines Buches, das von Paul Kaiser und Karl-Siegbert Rehberg 1999 in Hamburg herausgegeben wurde. Der Titel spielt auf die zeitweilige Liberalisierung der Kunstpolitik in der DDR an, die Anfang der 1970er Jahre unter dem Motto "Weite und Vielfalt" begonnen wurde.

  7. Noelle-Neumann: Werden wir alle Proletarier?

  8. Siehe dazu auch Stefan Hradil (2003): Vom Leitbild zum "Leidbild". Singles, ihrer veränderte Wahrnehmung und der "Wandel des Wertewandels", Zeitschrift für Familienforschung 15 (1), 38-54

  9. Noelle-Neumann 2002

  10. Siehe dazu: Thomas Ahbe: Ostalgie: Zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit in den 1990er Jahren. Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Erfurt 2005

  11. Einigungsvertrag vom… Artikel 35

  12. Ulrich: Feindbild werden

  13. Paul Raabe (2018) Von der Kulturnation zum Kulturstaat. Die Kultur gehört ins Grundgesetz, In: Politik & Kultur 4/ 2008; S. 103

  14. Siehe dazu: Zimmermann und Geißler 2018

  15. Externer Link: https://www.humboldtforum.org/de/ueber-uns/

  16. Abschlussbericht der Kommission "30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit", Herausgeber: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Berlin, 2020, S. 13 f.

  17. Die Kulturpolitiker verwenden inzwischen die Formulierung "Kultur in Deutschland" (Zimmermann/Geißler 2018)

  18. Georg Kneer: Die Pathologien der Moderne: Zur Zeitdiagnose in der ‚Theorie des kommunikativen Handelns‘ von Jürgen Habermas, Opladen 2012

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autor/-in: Michael Hofmann für bpb.de

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Prof. Dr. Michael Hofmann ist außerplanmäßiger Professor für Soziologie an der TU Dresden, Gastdozent am Institut für Soziologie der FSU Jena und Gastdozent an der Fachhochschule der Sächsischen Verwaltung in Meißen. Seine Forschungen widmen sich der Milieusoziologie und der Transformationsforschung sowie verschiedenen kultursoziologischen Themen wie soziale Reziprozität, Männerforschung oder Alltagsgeschichte.