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Ländliche Räume

Claudia Neu

/ 17 Minuten zu lesen

Umweltverschmutzung und Verkehrschaos, Wohnungsnot und Armut: Nicht erst die Coronapandemie hat in vielen Menschen die Sehnsucht nach einem ruhigen, naturnahen und gemeinschaftlichen Leben auf dem Land geweckt. Mehr noch: Ländliche Räume werden zunehmend als Freiräume und kreative Orte wahrgenommen, die alternative Zukünfte möglich machen.

Altes Bauernhaus in Mecklenburg-Vorpommern (© picture-alliance, imageBROKER )

Verheißungen der Moderne

In der modernen Gesellschaft gilt die Stadt häufig als der Ort der verheißungsvollen Zukunft, das Land als der Ort der verklärten Vergangenheit. Die Großstädte des beginnenden 20. Jahrhunderts waren erleuchtet von elektrischen Straßenlaternen, Lichtreklamen und vorbeiflitzenden Straßenbahnen. Strahlende Opernhäuser, rauchende Fabrikschlote und wunderschöne Automobile beschworen – trotz Weltwirtschaftskrise – eine glänzende Moderne. Und so werden sie auch heute noch immer wieder aufs Neue medial erzählt und erinnert. Man denke etwa an das Berlin der 1920er Jahre, das insbesondere auch in seinen schillernden Ambivalenzen gegenwärtig nahezu allpräsent ist, z.B. in populären Fernsehserien.

Doch das Blatt scheint sich zu wenden. Das Vertrauen in die zukunftsgestaltende Kraft der Städte wirkt erschüttert. Umweltverschmutzung und Verkehrschaos, Wohnungsnot und Armut trüben den verheißungsvollen Blick auf die Metropolen. Die Sehnsucht nach einem ruhigen, naturnahen und gemeinschaftlichen Leben auf dem Land hat, nicht erst in pandemischen Zeiten, viele Menschen in ihren Bann geschlagen. Mehr noch: Ländliche Räume werden zunehmend als Freiräume und kreative Orte wahrgenommen, die alternative Zukünfte möglich machen (vgl. Koolhaas 2020).

Ländliche Räume nicht etwa als Orte (idyllisierter) Vergangenheit, sondern der kreativen Zukunft? - Das scheint auf den ersten Blick doch überraschend. Überhaupt entziehen sich ländliche Räume beim näheren Hinsehen eindeutigen Zuschreibungen. Ländliche Räume sind in den vergangenen Jahren zunehmend zu einem Gegenstand gesellschaftlicher Debatten, sozialer Aushandlungsprozesse und Konfliktfelder geworden. Einerseits entzünden sich an idealisierten Vorstellungen vom Landleben gesellschaftliche Diskurse um "das gute Leben", um neue Gemeinschaftskonzepte und Landwirtschaft, um naturnahes Wohnen und Gesundheit (vgl. Neu 2016, Nell/Weiland 2021). Andererseits sind gerade ländliche Räume vielfach Orte beschleunigter Transformationen: Abwanderung und Alterung, Klimawandel und infrastrukturelle Ausdünnung ganzer Regionen verändern die ländlichen Lebensbedingungen vor allem in peripheren Räumen. Zugleich entzünden sich Nutzungskonflikte an der High-Tech-Landwirtschaft, an Umwelt- und Artenschutzmaßnahmen sowie an der Veränderung des Landschaftsbildes beispielsweise durch Windparks (vgl. Koolhaas 2020). Mehr und mehr werden – auch das aktuelle literarische Erzählen arbeitet sich gerade an diesen Problemkomplexen ab (vgl. Marszałek/Nell/Weiland 2018) – die vielfältigen, sich anders als in urbanen Räumen darstellenden Entwicklungs- und Transformationsdynamiken, die Polarisierungen und Spaltungen, die Chancen und Ressourcen innerhalb und zwischen ländlichen Räumen differenziert wissenschaftlich bearbeitet. Dennoch oszillieren ländliche Räume in der (massen-)medialen Darstellung zumeist zwischen Idyll und Abgrund.

SehnsuchtsLand

Seit der Antike träumen Menschen von unberührter Natur, vom einfachen Leben, dem lieblichen Ort (locus amoenus) – den sie in Arkadien auf der Peleponnes verwirklicht sahen und im 18. Jahrhundert in englischen Landschaftsgärten nachbauten. Später entdeckte dann die deutsche Romantik auch die dunkle und melancholische Seite der Natur als reizvolles Motiv, daher auch schwarze Romantik genannt (vgl. Neu 2016). Gleichwohl war die Stadt der Ort der Zivilisation, der Machtkonzentration und Freiheit – das Landidyll blieb bis in die Neuzeit hinein ein Elitenprojekt für diejenigen, die sich Müßiggang leisten konnten. Erst unter dem Eindruck der Industrialisierung und Urbanisierung im 19. Jahrhundert wurde die Stadt nun als unsittliches, unhygienisches, lautes und einsam machendes Gegenbild zum Land konstruiert und empfunden. Das Land galt forthin auch in der breiteren Bevölkerung als der Ort des "guten Lebens".

Daran scheint sich bis heute wenig geändert zu haben: Der Sehnsuchtsort der Deutschen bleibt das Dorf. Im vergangenen Jahr (2020) wünschten sich nach Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Kantar/Emnid mehr als ein Drittel (34%) der Deutschen, wenn sie es sich aussuchen dürften, auf dem Dorf zu leben. Für ein gutes Viertel (27%) erschien das Leben in einer Land- oder Kleinstadt attraktiv, ein weiteres Viertel bewertete das Leben am Stadtrand positiv, lediglich 13 Prozent bevorzugten ein Leben in der Stadt (vgl. FAZ 2020, Abb. 1).

Wo würden Sie am liebsten wohnen? (Kantar GmbH im Auftrag von BHW Wohnen 2025) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Diese raumgebundenen Vorstellungen, Imaginationen und Bedeutungszuschreibungen von einem idyllischen Landleben bezeichnet der Geograph Marc Redepenning im Unterschied zu manifesten, also sichtbaren oder (statistisch) erfassbaren Größen wie Gebäuden oder landwirtschaftlicher Nutzung, als latente Geografien, die als Kommunikations- und Diskursraum, als Spiegel gesellschaftlicher Zustände und gewünschter Zukünfte zu verstehen sind. Was und wie Land (und Stadt) zu sein hat oder sein sollte, wird ständig in Landmagazinen, jahreszeitlichen Dekorationsartikeln, Filmen und Romanen reproduziert. Wobei gerade die Literatur immer auch die "unschönen Seiten des Landlebens" wie Gewalt, soziale Kontrolle und Armut thematisiert (hat), vgl. Weiland 2020, Zeh 2016, 2020). Imaginationen und normative Vorstellungen des Ländlichen können daher nicht nur im individuellen, sondern auch im kollektiven Gedächtnis jederzeit abgerufen werden (vgl. Redepenning 2021: 578ff.).

So sehr die ländliche Idylle auch beschworen wird, längst suchen die Menschen sie nicht mehr ausschließlich auf dem Land. Attribute ländlichen Lebens – wie Gemeinschaft, Naturnähe, Handwerk und Selbstversorgung – sind längst Teil städtischer Lebenswelten geworden. Nachbarschafts-Apps, Urban Gardening, Mehrgenerationenhäuser, Repair-Cafes sind die Indikatoren für eine idyllische Verländlichung der Stadt (Neu/Nikolic 2014). Umgekehrt macht die Digitalisierung auch den letzten Winkel des Landes zu einem Teil des urbanen Gewebes (Lefebvre 1972).

StadtLand

Was ist aber dann (noch) Land? Wie es auf dem Land aussieht (oder: auszusehen hat), weiß vermeintlich jeder: naturnahe Dörfer mit Bauernhöfen, Kirchturmspitzen und Feuerwehrhäuschen mitsamt Spritzenwagen. Keine Hochhäuser, wenig Menschen. Soweit das Bild ländlicher Idylle im Kopf. Bei einem Versuch, ländliche Räume zu definieren, wird es schon schwieriger. Wo endet das Land, wo fängt die Stadt an? Was ist mit Dörfern ganz ohne landwirtschaftliche Betriebe?

Für die OECD ist dort ländlicher Raum, wo weniger als 150 Einwohnerinnen und Einwohner pro km leben (Europäische Kommission 2010). Auch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) definiert Räume anhand von Bevölkerungszahl, Besiedlungsdichte und Zentralität. Betrachtet man die Ebene der Kreise (siedlungsstrukturelle Kreistypen, laufende Raumbeobachtung 2018), dann leben lediglich 32 Prozent der Bevölkerung auf 68 Prozent der Fläche in ländlichen Räumen, davon 15 Prozent in sehr dünn besiedelten Räumen (vgl. BBSR 2021). Eher weiträumig grenzt hingegen das Thünen-Institut, eine nachgeordnete Behörde des Landwirtschaftsministeriums, diesen Raumtyp ab: Hier leben demnach etwa 47 Millionen Menschen, was circa 57 Prozent der Bevölkerung Deutschlands entspricht, auf ungefähr 91 Prozent der Fläche des Bundesgebietes (Küpper 2020).

Entscheidend für die Zukunft ländlicher Räume ist ihre Rolle als Wirtschafts- und Lebensstandorte. Das Thünen-Institut (vgl. Abb. 2) unterscheidet hier zwischen sehr ländlichen Räumen mit guter und weniger guter sozioökonomischer Lage einerseits und zwischen eher ländlichen Räumen mit guter bzw. weniger guter sozioökonomischer Lage andererseits. Diese Einteilung gibt bereits erste Hinweise darauf, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nicht (mehr) in allen Teilregionen der Bundesrepublik gegeben ist (siehe Beitrag "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse"). Vielmehr kommt eine Vielzahl an Studien der vergangenen Jahre zu dem Ergebnis, dass räumliche Ungleichheiten zunehmen und die Lebensverhältnisse sich auseinanderentwickeln (vgl. Fink/Hennicke/Tiemann 2019; Sixtus et al. 2019). Deutlich wird, dass die Definition und die Abgrenzung von ländlichen Räumen nicht frei von politisch zugeschriebenen Bedeutungen sind. Letztlich aber "[s]agen [sie] wenig darüber aus, was Stadt und Land im 21. Jahrhundert ausmacht und bedeutet" (Schmidt-Lauber/Wolfmayr 2020: 26).

Anteil der Fläche und Einwohner der einzelnen Typen ländlicher Räume sowie der nicht-ländlichen Räume (Patrick Küpper, Abgrenzung und Typisierung ländlicher Räume) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Um die (neue) räumliche Vielfältigkeit, die Mischformen, Polarisierungen und fließenden Übergänge zwischen Stadt und Land zu beschreiben, hat sich eine fast unübersichtliche Zahl an Begriffen in der Raumplanung und Geographie entwickelt: Zwischenstadt, Peri-Urbaner-Raum, Stadt-Land-Kontinuum, Urban Sprawl, rurbaner Raum, Raumhybride. Um sich ein Stück weit von der Dichotomie des "nicht mehr, noch nicht" zu entfernen, machen Schmidt-Lauber/Wolfmayr (2020: 29ff.) einen kulturwissenschaftlichen Vorschlag zur Raumbeschreibung: Rurbane Assemblagen, frei übersetzt als "mehrdimensionale Stadt-Land-Sammellagen". Diese eher kollage-artige Betrachtungsweise von Räumen will Vermischung und Vernetzung, Relationalität und Machtverhältnisse zusammenführen – zwischen unterschiedlichen Räumen und also auch zwischen und innerhalb von (ländlichen) Räumen. Dies würde es ermöglichen, auch die rurbanen Arbeits- und Lebensstile in den Blick zu nehmen, deren Eigenheiten wechselseitig aufeinander verweisen: Pendlerströme, Co-Workings-Space, Zweitwohnsitz, die klein- und mittelständischen Unternehmen, die im ländlichen Raum produzieren und heimliche Weltmarktführer mit bestimmten Nischen-Produkten sind (hidden champions) oder die urbanen Gärtner und Mehrgenerationenhäuser. Durch den Assemblage-Ansatz sollen drei analytische Ebenen – die jeweils ihre eigene Transformationslogik aufweisen – miteinander verknüpft werden: 1. Die Beschreibung von räumlichen Materialitäten (Bevölkerung, Zentralität/Peripherie, Infrastruktur, Landwirtschaft/Klima, Energie/Wirtschaft), 2. die Beobachtung, dass (ländliche) Räume stets auch Orte symbolischer Aushandlungen sind (Was bedeutet Land für wen? Wer produziert welche Bilder, Diskurse, Konflikte?) und 3. Urbanität und Ruralität als soziale Praxis (Wie wird Raum hergestellt? Von wem? Wer gehört zu Nachbarschaften? Wer nutzt den Raum in welcher Weise?).

BauernLand

Land und Landwirtschaft gehen für viele Menschen immer noch Hand in Hand. Doch die Trias von Land, Landwirtschaft und ländlicher Gesellschaft ist längst aufgebrochen. Die Landwirtschaft prägt zwar weiterhin das Landschaftsbild, ihre vormals dominierende (wirtschaftliche) Rolle im ländlichen Raum hat sie aber verloren. Stellten in der Landwirtschaft Tätige zum Ende des 19. Jahrhunderts im Deutschen Reich noch rund die Hälfte aller Arbeitskräfte, so hat sich ihre Zahl auf 1,3 Prozent der Beschäftigten im gegenwärtigen Deutschland (2020) reduziert. Heute arbeiten 938.000 Beschäftigte (davon 275.000 Saisonarbeitskräfte) in 263.000 landwirtschaftlichen Betrieben. Dieser Schrumpfungs- und Konzentrationsprozess begann bereits in den 1920er Jahren, bekam in den Aufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland aber eine besondere Dynamik (vgl. Kopsidis 2016; Mahlerwein 2020). Der Rückgang der Beschäftigten in der Landwirtschaft wurde durch die neu entstehenden Arbeitsplätze in der Industrie und im Dienstleistungsgewerbe überkompensiert. Pendlerströme verbanden nun das Wohnen auf dem Land und die Arbeit in der Stadt. Der Ausbau der Gesundheits- und Bildungsinfrastruktur seit den 1960er Jahren, die allgegenwärtigen Discounter und die zunehmende Mediennutzung sowie schließlich auch die Digitalisierung ließen die ländlichen Lebensverhältnisse immer näher an die städtischen heranrücken.

In der DDR hingegen vollzog sich in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg durch Bodenreform, Kollektivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft ein fundamentaler Umbruch in der landwirtschaftlichen Produktionsweise und der ländlichen Gesellschaft (vgl. Beitrag "Die Landwirtschaft in Ostdeutschland"). Das Land sollte nicht zuletzt aus ideologischen Gründen den Lebens- und Arbeitsverhältnissen der Städte angeglichen werden. Gleichwohl blieb die Verbindung zwischen Land, Landwirtschaft und ländlicher Gesellschaft sehr eng. Die großen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und Volkseigenen Güter (VG) waren nahezu in jedem Dorf als Taktgeber der ländlichen Gesellschaft präsent: als Arbeitgeber, als Anbieter von Infrastrukturen und sozialen Dienstleistungen, als Organisator ländlicher Freizeit.

Mit der Wiedervereinigung wurden die LPGen und VG aufgelöst bzw. in neue Rechtsformen überführt. Nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz mussten die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften sich bis Ende 1991 auflösen, aufteilen und/oder in eine eingetragene Genossenschaft, eine Personengesellschaft (Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, offene Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft) oder eine Kapitalgesellschaft (Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Aktiengesellschaft) umwandeln. Daneben wurden rund 20 Prozent der land- und forstwirtschaftlichen Fläche der DDR, u.a. das Land der Volkseigenen Güter, seit 1992 durch die Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft (BVVG) verpachtet, verkauft und somit privatisiert. Den "Kampf um das Volkseigentum" (vgl. Löhr 2002) konnten letztlich allerdings weniger die Alteigentümer oder sogenannten Wiedereinrichter für sich entscheiden, als die großen LPG-Nachfolgebetriebe und die finanzstärkeren West-Landwirte.

Im Zuge dieser Umstrukturierung verkleinerten sich die Betriebe, stießen sie Dienstleistungsbereiche und Versorgung ab und konzentrierten sich nunmehr auf ihr landwirtschaftliches Kerngeschäft, sodass Hundertausende Beschäftigte ihre Arbeit in der Landwirtschaft verloren (vgl. Neu 2004). Eine massenhafte Rückkehr zur bäuerlichen Landwirtschaft erfolgte im Zuge der Transformation in Ostdeutschland allerdings nicht, heute prägen große Betriebe (in den Rechtsformen eingetragene Genossenschaft, Aktiengesellschaft oder GmbH) das Bild der ostdeutschen Landwirtschaft. Diese Betriebe spielen als Arbeitgeber in ländlich-peripheren Regionen immer noch eine gewisse Rolle. Mit der Transformation der ostdeutschen Landwirtschaft verloren die Agrarunternehmen jedoch weitgehend ihre vorherige Funktion als wichtigster Träger sozialen und kulturellen Lebens in den Dörfern. Dennoch übernehmen die privatisierten Agrarbetriebe in geringerem Umfang einige infrastrukturelle Dienstleistungen, wie z.B. Winterdienst für die Kommunen, oder engagieren sich weiterhin beim Erntedankfest oder dem Aufstellen des Maibaums.

Die weitere Entkopplung von Landwirtschaft und ländlicher Gesellschaft wird zudem befeuert durch die steigende Konzentration des Bodeneigentums in immer weniger Händen. Ein Faktor stellt in diesem Zusammenhang auch die hohe Verkaufsbereitschaft ausscheidender Genossenschaftsbäuerinnen und -bauern bzw. von Landbesitzern ohne landwirtschaftlichen Bezug dar. Aus Geldsorgen, anderen Investitionswünschen oder schlichtweg, weil kein Bezug zum Boden da war, verkauften in den vergangenen Jahren viele ihre eingebrachten Bodenanteile, zumeist an die lokalen Landwirtschaftsbetriebe (vgl. Laschewski/Tietz 2020).

Der Kampf um das BauernLand ist noch lange nicht zu Ende, vielmehr wird sich das Konfliktpotential weiter verschärfen: Landnutzungskonflikte zwischen Landwirtschaft, Energiewirtschaft und Naturschutz werden unter den verschärften Bedingungen des Klimawandels sicher an Fahrt aufnehmen. Verbraucherwünsche und landwirtschaftliche Produktionsbedingungen scheinen immer weniger vereinbar: Selbstbilder und Fremdbilder der Bauern driften zunehmend auseinander – hier bilden sich Polarisierungen aus, die beständig reproduziert werden und gesellschaftliche Konflikte erzeugen. Auch das Höfesterben ist noch nicht vorbei. Allein in den vergangenen zehn Jahren gaben 37.000 landwirtschaftliche Betriebe auf (von 2010 bis 2020, vgl. destatis 2021). Bisher ist noch nicht entschieden (vgl. Laschewski/Tietz 2020), was das für eine (ländliche) Gesellschaft bedeutet, die noch dazu größtenteils den Eindruck hat, gesellschaftlich ungehört zu bleiben, und fürchtet randständig zu werden (vgl. Ruge 2020), wenn Boden zunehmend Spekulationsobjekt für überregionale und außerlandwirtschaftliche Investoren wird, welche die ortsansässigen Landwirte im Preiskampf um Ackerflächen locker jederzeit überbieten können, und wenn die Investoren keinerlei Bezüge zum Dorf oder zur Gemeinde haben. Werden so auch die letzten Brücken zwischen Landwirtschaft und lokaler ländlicher Gesellschaft gekappt?

MarginalLand

Land am Rand. Peripherie. Residualraum. Diese Bezeichnungen beschreiben Regionen – ländliche Räume, ebenso aber altindustrielle Siedlungen –, die in den vergangenen Jahrzehnten anhaltend unter Strukturschwäche und Schrumpfung gelitten haben, wo sich Prozesse der Peripherisierung verfestigt haben: Jahrzehntelange Abwanderung junger Menschen, Infrastrukturlücken und Alterung haben diese Regionen im Konkurrenzkampf um Köpfe, Ressourcen und Investitionen zu Verlierern der Globalisierung werden lassen. Sei es im Nordosten, im Saarland oder dem Ruhrgebiet – die Lebensverhältnisse erweisen sich im Vergleich zum Bundesdurchschnitt als unterdurchschnittlich gut. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es vielen ländlichen Räumen im Süden der Republik und in den Speckgürteln der Großstädte überdurchschnittlich gut geht. Brauchen die Bewohnerinnen und Bewohner in bevorzugten Wohnlagen weniger als 3,5 Minuten mit dem PKW zum nächsten Lebensmittelladen, so können es in peripheren Räumen schnell einmal mehr als 10 oder zwanzig Minuten werden. Auch der Weg zum Kinderarzt oder nächstgelegenen Krankenhaus ist um ein Vielfaches weiter, muss man aus dem peripheren Raum anreisen (vgl. BMEL 2021, Neu/Riedel/Stichnoth 2020). Wer kein Auto hat, sitzt fest und ist stets auf andere angewiesen.

Diese Abwärtsspirale hat viele entlegene ländliche Räume verarmen lassen – wirtschaftlich, infrastrukturell und sozial. Zudem haben kommunale Gemeindegebietsreformen – in den 1970er Jahren in Westdeutschland und wiedervereinigungsbedingt in den 1990er und dann in einer zweiten Welle ab Mitte der 2000er Jahre in Ostdeutschland (Kuhlmann/Bogumil 2019) – die lokalen politischen Entscheidungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten geschwächt. Die zum Teil drastische Reduzierung der Kreise und Kommunen hat nicht nur zu einer Verringerung des Verwaltungspersonals geführt, sondern auch tausende ehrenamtlich tätige Bürgermeister und Bürgermeisterinnen „freigesetzt“ (Henkel 2018). So verloren viele (kleine) Gemeinden nicht nur lokale Entscheidungsbefugnisse, Orte staatlicher Repräsentation und bürgerlicher Mitwirkung, sondern auch das aktive – angestellte und ehrenamtliche - Personal, das Demokratie und Staatlichkeit konkret vor Ort erfahrbar macht (Kersten/Neu/Vogel 2012). Hier zeigt sich, was aus einer machttheoretischen Perspektive Peripherie bedeutet: nicht nur weite Entfernung zu Zentren zurücklegen zu müssen, sondern auch keinen oder kaum Zugang zu Zentren der Macht zu haben, um eigene Interessen durchsetzen oder überhaupt ansprechen zu können, ferner von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen ausgeschlossen zu sein, die Teilhabe und Mitwirkung ermöglichen (Neu 2006). Damit verbunden ist dann nicht zuletzt eine Selbstwahrnehmung und ein Gefühl, über keine eigene (relevante) Stimme zu verfügen, abgehängt und politisch vergessen zu sein. Narrative der Abwertung und des Verlustes verfestigen sich – nicht nur, aber vor allem auch in ländlichen Räumen (vgl. Deppisch 2020). Die zunehmende räumliche Polarisierung bzw. Abkopplung stellt eine ernstzunehmende Gefahr für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt dar, denn es entstehen Räume, die nur noch als Problemzonen wahrgenommen werden, in denen marginalisierte Menschen an verlassenen Orten leben.

WutLand

Wen wundert es da, dass der Wolf sich dieses Land zurückerobert, dass rechtsextreme Siedler in entlegenen ländlichen Räumen neue Heimstätten finden und Populisten mit den Ängsten der Menschen auf Stimmenfang gehen? Scheint hier doch das ebenso mächtige dunkle Gegenbild des locus amoenus, des lieblichen Ortes, auf: der locus terribilis, der schreckliche Ort. Wo die Natur nicht idyllisch, sondern mörderisch ist. Der Ländliche Raum als Defizitort, wo die dummen Nazis wohnen. Wo Zusammenhalt gern ohne Vielfalt gedacht wird. Wo Gewalt herrscht und Tradition lediglich tradierte Machtverhältnisse bemäntelt. Der ländliche Raum als letztes Residuum der Männlichkeit (vgl. Nell/Weiland 2021: 38).

Doch Widerstand regt sich: "Hinterwäldler", "Gelbwesten" und "Globalisierungsverlierer" gehen auf die Straße, wählen populistisch bis links- oder rechtsextrem, beginnen sich ihre eigenen Geschichten zu erzählen, gegen die Narrative der Deklassierung und Abwertung. In ihrem viel beachteten Buch "Fremd in ihrem Land" erzählt Arlie Russel Hochschild von dem ungebrochenen Fortschrittsglauben, dem Stolz und Arbeitsethos im tiefen Süden der USA, aber auch von den Entwertungserfahrungen, der Wut und den Globalisierungsängsten, die viele Wählerinnen und Wähler in die Arme der ultrakonservativen Tea-Party getrieben und Trumps Wahl zum Präsidenten ermöglicht haben. Hochschild zeichnet eine tiefgespaltene US-amerikanische Gesellschaft, in der nicht Wissen und Informationen die Sichtweisen und Standpunkte der Menschen bestimmen, sondern das Vorhandensein einer emotional tief verankerten Haltung zur Welt, die darüber entscheidet, wie sie die wirtschaftliche Entwicklung, die Globalisierung und die Politik wahrnehmen und welche Konsequenzen sie aus ihnen ziehen. Hochschild fasst diese konservativen Erzählungen zu einer "Tiefengeschichte" (deep story) der alltäglichen Weltsichten zusammen, die "sich für viele Menschen wie die eigentliche Wahrheit" anfühlt (vgl. Hochschild 2016: 27).

Solche “Tiefengeschichten“, die von enttäuschten Gerechtigkeitsvorstellungen, Marginalisierung und kultureller Abwertung traditioneller Lebensformen und -modellen handeln, lassen sich längst auch in Deutschland finden. Bewohner und Bewohnerinnen peripherisierter Räume fühlen sich vom infrastrukturellen Verlust und von Abwanderung der Jugend betroffen sowie von der Politik vergessen (vgl. Hillje 2018; Ranft/Fröhlich 2022). Arbeiterinnen und Arbeiter, die den rechtspopulistischen Parteien zuneigen, erzählen ebenso wie Landwirte und Landwirtinnen, die mit dem Rücken zur Wand stehen, von der Marginalisierung ihrer Arbeit und ihres Lebensstils (vgl. Dörre 2019; Pieper 2021). Für Politik und Gesellschaft wird es eine große Herausforderung sein, Antworten auf soziale Entfremdung, Verbitterung und Rassismus zu finden und die von der Demokratie Enttäuschten wieder einzubinden; ja den vielfach wahrgenommenen Graben zwischen Stadt und Land zu überwinden. Ein Ansatzpunkt scheint offensichtlich: Staat bzw. Wohlfahrtsstaatlichkeit muss auch in der Fläche präsent, Infrastrukturen müssen erreichbar und Institutionen wie Verwaltung und Polizei ansprechbar sowie niedrigschwellige Mitwirkung vor Ort möglich sein. Oder um es anders zu sagen: Öffentlichkeit sollte (wieder) konkret erfahrbar und erlebbar – auch selbst herstellbar – sein.

KreativLand

Also doch nur wieder die Rhetorik des Verlustes, der Spaltung und des Niedergangs? Nicht unbedingt. Denn längst haben sich Raumpioniere (vgl. Faber/Oswalt 2013), Neulandgewinner (vgl. Frech/Scurell/Willisch 2017), Produzenten Sozialer Orte (vgl. Kersten/Neu/Vogel 2021) aufgemacht, das kreative Potential ländlicher Räume voll auszuschöpfen. Demonstriert wird so, dass ländliche Akteurinnen und Akteure nicht wehrlos den Verhältnissen ausgeliefert sind, sondern Handlungsspielräume nutzen, um Ort und Zukunft zu gestalten. Das Land als Ort von Reformgedanken und Gemeinschaftsideen hat eine lange Tradition: die Künstlerkolonie Worpswede, die Gemeinnützige Obstbau-Siedlung Eden, die 1893 von Vegetariern im Berliner Hinterland gegründet wurde, oder Aussteiger, die in den 1970er Jahren Landkommunen gründeten (vgl. Schwab 2021). Auch heute sind Motive und Sozialstruktur der "Landpioniere" sehr unterschiedlich. Die einen lockt der kreative Freiraum, die anderen streben alternative Wirtschaftsformen an, wieder andere versuchen ihre Ideen einer homogenen Gemeinschaft auszuleben. Zugezogene, Zurückgekommene und Einheimische entfalten ihr kreatives und produktives Potential für eine Umgestaltung des Lokalen.

Auffällig ist jedoch, dass diese sozialen Innovationen in ländlichen Räumen (vgl. Christmann 2019, Heyme et al. 2018) weniger von traditionellen Vereinen und Institutionen wie Kirchen und Freiwilligen Feuerwehren angestoßen werden, sondern dass sich neue Akteurkonstellationen bilden (vgl. Kersten/Neu/Vogel 2021; Schubert 2021). Bürgerinnen und Bürger, Verwaltung und Unternehmen finden - je nach lokalen Anforderungen – zusammen, um vor Ort zu agieren. Aus der Forschung zu Sozialen Orten wissen wir, dass lokales Engagement häufig aus einem erfahrenen (infrastrukturellen) Mangel heraus entsteht, wie dem Schließen der Grundschule oder der Dorfkneipe. Aber auch Konflikte und Krisen können Auslöser sein, um mit einem Gestaltungsprozess für einen Sozialen Ort zu beginnen.

Der Aufbau Sozialer Orte folgt keinem Bauplan, sondern diese sind von und für Bürgerinnen und Bürger gestaltete Orte der Begegnung, des Miteinanders und der Aktivität (vgl. Kersten/Neu/Vogel 2019, 2021). Die lokalen Akteure und Akteurinnen, die soziale Innovationen auf dem Land voranbringen, initiieren so zugleich gesellschaftliche Prozesse des alternativen Wirtschaftens, Wohnens, der Institutionenbildung und der Gestaltung des öffentlichen Raums. Sie wirken als gesellschaftlicher Transmissionsriemen zwischen Nachbarschaft und Gesellschaft. Reformideen auf dem Land sind nicht per se "gut", ihre demokratische Kraft müssen sie stets aufs Neue durch inklusive Angebote und das Aushalten von Konflikten beweisen.

Was braucht es, um Raumpioniere und Neulandgewinner zu ermutigen oder um Soziale Orte zu produzieren? Es bedarf – wie überall - engagierter und innovationsfähiger Akteure und Akteurinnen. Doch gerade hier bewahrheitet sich, dass sich ehrenamtliches Engagement nur dort entfaltet, wo es nicht als "Lückenbüßer" für den Ausfall öffentlicher Angebote angesehen wird. Engagement entwickelt sich indes nicht gegen oder ohne öffentliche Strukturen, sondern mit ihnen. Wenn es Verwaltungen gelingt, Akteure zu ermutigen und zu unterstützen, dann können hier besonders erfolgreiche Netzwerke aus Zivilgesellschaft, Unternehmen und Verwaltung entstehen. Häufig sehen sich Engagierte allerdings durch bürokratische Hürden ausgebremst (vgl. Brückner 2020).

Engagement bleibt immer eine Frage der Gegenseitigkeit, der Anerkennung auf Augenhöhe. Insofern ist die finanzielle Förderung des Ehrenamts wichtig, aber keineswegs der allein entscheidende Faktor. Für eine zukünftige Förderpolitik für ländliche Räume, die sich an den Bedarfen vor Orte orientiert, Kreativität Raum gibt, Begegnung und Öffentlichkeit schafft, bedeutet dies, einen Wandel von der kurzfristigen Projekt- hin zur nachhaltigen Prozessförderung einzuleiten.

MultiLand

So wenig es den ländlichen Raum gibt, so wenig gibt es auch die Zukunft des ländlichen Raumes. Vielmehr schieben sich ländliche Zukunftsentwürfe übereinander, ineinander oder berühren sich gar nicht. Die Idyllisierung des Ländlichen verengt den Blick auf vermeintlich unberührte Natur, Selbstversorgung und solidarische Gemeinschaft. Viele Facetten und Ebenen der sich überlagernden Funktionen und Konflikte der ländlichen Räume bleiben durch die Engführung auf die "guten Seiten des Landlebens" eher unsichtbar, weil sie in unserem Alltagsleben nur selten bewusst wahrgenommen werden. Wenn wir etwa auf der Autobahn entlegene Landschaften durchfahren oder Strom aus Windkraftanlagen in Ostfriesland verbrauchen, wenn wir uns über die hellgelb leuchtenden Rapsfelder in Mecklenburg-Vorpommern freuen oder über die Einfamilienhaussiedlungen am Dorfrand wundern, dann sehen wir hier nur Ausschnitte einer gesellschaftlichen Transformation, nicht aber die Raumkonflikte zwischen Landwirtschaft, Klima, Energie, Verkehr und Wohnen.

Die Internationale Bauausstellung Thüringen, die über mehr als zehn Jahre neue Raummodelle in Thüringen unter dem Titel StadtLand erprobt, hat 2016 einer Gruppe von Landschaftsarchitekten die Aufgabe gestellt, Raumbilder und Rauminterpretationen der geographischen Mitte Thüringens zu entwerfen. Die Landschaftsarchitekten entwickelten das Bild eines MultiLANDES (vgl. Abb.), das sich aus unterschiedlichen Schichten und Funktionen von Land und Landschaft, die häufig unverbunden nebeneinander existieren, zusammensetzt. Von besonderer Bedeutung scheint dabei die Frage zu sein, ob die Transformation ländlicher Räume zukünftig als ein Prozess verstanden werden kann, der nicht etwa Konflikte zwischen den verschiedenen ländlichen Akteursgruppen und Landnutzungskonzepten schürt, sondern Interessen verbindet und Synergien schafft. "Kann das SehnsuchtsLAND das ProduktionsLAND befördern? Können beispielsweise neue dezentrale Abwasserlandschaften schöne, multifunktionale Dorfränder entstehen lassen? Wie könnte Bodenerosionsschutz das SehnsuchtsLAND und die Artenvielfalt zugleich befördern? Der Gestaltungsspielraum in der Mitte Thüringens liegt darin, die segregierten Interessen zu kombinieren und vernetzte Lösungen zu finden." (IBA Thüringen et al. zit. bei Doehler-Behzadi: 609)

Noch ist nicht klar ersichtlich, wie dieses vernetzte MultiLand entstehen kann. Damit jedoch die Transformation ländlicher Räume gelingt, die Ressourcen schont, Klima schützt, Menschen Arbeit, Lebensraum und Perspektive gibt, müssen die Ver- und Aushandlungen über neue Raum(nutzungs)konzepte jenseits von alten Stadt-Land-Dichotomien geführt werden, die zugleich den Wert gleichwertiger Lebensverhältnisse, Zusammenhalt und Teilhabe, Gemeinschaft und Solidarität berücksichtigen.

Von MonoLÄNDERN zu MultiLÄNDERN (IBA Magazin 2017 Raumbild Thüringen) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Quellen / Literatur

Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) (2021): Landatlas, unter: Externer Link: www.landatlas.de

Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBSR) (2021): Raumbeobachtung, unter: Externer Link: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/forschung/raumbeobachtung/Raumabgrenzungen/deutschland/kreise/siedlungsstrukturelle-kreistypen/kreistypen.html?nn=2544954

Brückner, Heike (2020): Instrumente der räumlichen Planung für ein Soziale Orte Konzept. Raumplanerische Expertise im Rahmen des BMBF-Projekts Das Soziale-Orte-Konzept. Dessau-Roßlau.

Christmann, Gabriela B. (2020): Wie man soziale Innovationen in strukturschwachen ländlichen Räumen befördern kann. IRS Dialog (5) 2020. Erkner.

Deppisch Larissa: "Gefühle des Abgehängtseins" – ein Angstdiskurs. In: Susanne Martin/Thomas Linpinsel (Hg.), Angst in Kultur und Politik der Gegenwart.

Kulturelle Figurationen: Artefakte, Praktiken, Fiktionen. Wiesbaden 2020, S. 179–203.

Destatis (2021): Landwirtschaftliche Betriebe. Bonn. Externer Link: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Landwirtschaftliche-Betriebe/_inhalt.html

Doehler-Behzadi, Marta (2021): Stadt, Land, Landschaft. In: Nell, Werner/Weiland, Marc (Hg.), Gutes Leben auf dem Land? Imaginationen und Projektionen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bielefeld, S. 593–618.

Dörre, Klaus (2019): »Land zurück!« Arbeiter, Abwertung, AfD. In: WSI-Mitteilungen 72 (2019), S. 168–176.

Europäische Kommission (Eurostat) (2010): Eine revidierte Stadt-Land-Typologie, Jahrbuch der Regionen, Luxemburg, S. 239-249.

Faber, Kerstin/ Oswalt, Philip (Hrsg.) (2013): Raumpioniere in ländlichen Regionen. Leipzig.

Fink, Philipp/ Martin Hennicke/ Heinrich Tiemann (2019): Ungleiches Deutschland. Sozioökonomischer Disparitätenbericht 2019, Friedrich-Ebert–Stiftung. Berlin.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Dabei lässt sich zugleich auch feststellen: Die Marginalisierung der einen Seite, der ruralen Peripherien, ging und geht immer wieder mit der Überhöhung der anderen Seite, den urbanen Zentren, einher. In der jüngeren Forschung soll diese Konstellation etwa mit dem Begriff der Urbanormativität (Fulkerson/Thomas 2019) gefasst werden.

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Weitere Inhalte

Prof. Dr. Claudia Neu ist seit September 2016 Inhaberin des Lehrstuhls Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel. Von 2009 - 2016 war sie Professorin für Allgemeine Soziologie und empirische Sozialforschung an der Hochschule Niederrhein.