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Gleichwertige Lebensverhältnisse

Gabi Troeger-Weiß

/ 17 Minuten zu lesen

"Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen", das bedeutete früher vor allem, dass Stadt und Land in Sachen Verkehr und Infrastruktur gleichwertig ausgestattet sind. Heute sind die Rahmensetzungen andere, denn die Bedarfe im ländlichen Raum und in den Metropolen unterscheiden sich mittlerweile.

(© picture-alliance, Geisler-Fotopress)

Einführung

Die Diskussion über die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen gerade in Verbindung mit der Diskussion um die Entwicklung ländlicher Räume ist nicht neu, jedoch gewinnt sie aufgrund aktueller Rahmenbedingungen und Entwicklungstrends neue Dimensionen. Ging es noch in den 1970er und 1980er Jahren – u.a. im damaligen Bundesraumordnungsprogramm – im Wesentlichen um die gleichwertige Ausstattung ländlicher Regionen und Verdichtungsräume mit sozialer, verkehrlicher und wirtschaftsnaher Infrastruktur (möglichst in Rahmen des zentralörtlichen Systems), so weist die "Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen und Lebensbedingungen" heute andere Rahmensetzungen und Dimensionen auf. Verschiedene Raumtypen sowohl in ländlichen Räumen als auch in Metropolen haben sehr unterschiedliche Bedarfe und Handlungserfordernisse.

Karte 1: Siedlungsstrukturelle Kreistypen in Deutschland (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Abgrenzungskriterien: Für die Typenbildung auf der Kreisebene werden folgende Siedlungsstrukturmerkmale berücksichtigt:

  • Bevölkerungsanteil in Groß- und Mittelstädten

  • Einwohnerdichte der Kreisregion

  • Einwohnerdichte der Kreisregion ohne Berücksichtigung der Groß- und Mittelstädte

Dabei ergeben sich 4 Kreistypen:

Die vier Kreistypen

Kreistyp Definition
Kreisfreie GroßstädteKreisfreie Städte mit mind. 100.000 Einwohnern
Städtische KreiseKreise mit einem Bevölkerungsanteil in Groß- und Mittelstädten von mind. 50% und einer Einwohnerdichte von mind. 150 EW/km²; sowie Kreise mit einer Einwohnerdichte ohne Groß- und Mittelstädte von mind. 150 EW/km²
Ländliche Kreise mit VerdichtungsansätzenKreise mit einem Bevölkerungsanteil in Groß- und Mittelstädten von mind. 50%, aber einer Einwohnerdichte unter 150 EW/km², sowie Kreise mit einem Bevölkerungsanteil in Groß- und Mittelstädten unter 50% mit einer Einwohnerdichte ohne Groß- und Mittelstädte von mind. 100 EW/km²
Dünn besiedelte ländliche KreiseKreise mit einem Bevölkerungsanteil in Groß- und Mittelstädten unter 50% und Einwohnerdichte ohne Groß- und Mittelstädte unter 100 EW/km²

Quelle: Bundesinstitut Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBSR), Bonn 2021 (Externer Link: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/forschung/raumbeobachtung/Raumabgrenzungen/deutschland/kreise/siedlungsstrukturelle-kreistypen/kreistypen.html?nn=2544954)

Das Thema der "Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen" ist seit Jahrzehnten ein Grundanliegen der Disziplin und des Politikbereichs der Raumordnung, Raumplanung und Regionalentwicklung (vgl. verschiedene Veröffentlichungen der Akademie für Raumentwicklung, Hannover 1970-2021). Die Thematik der Gleichwertigkeit von Räumen hat im Vergleich zu den 1970er und 1980er Jahren deutlich größere Dimensionen angenommen. Für Bevölkerung, Kommunen und Unternehmen geht es dabei um vergleichbare Startchancen und Entwicklungsmöglichkeiten, Zugang und Erreichbarkeit zu öffentlichen und privaten Einrichtungen und Infrastrukturen der Daseinsvorsorge sowie auch vergleichbaren Zugang zu Fördermöglichkeiten auf der Ebene der EU, des Bundes und der Länder und damit vergleichbare Möglichkeiten zur Gestaltung des demographischen, sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Strukturwandels. Ferner bedeutet Gleichwertigkeit vergleichbare Lebensqualitäten, vergleichbare Ausbildungs- und Qualifikationschancen für Arbeitnehmer und vergleichbare (technologische) Innovationsmöglichkeiten für Unternehmen sowie ein vergleichbares Nahversorgungsangebot.

Zentrales Anliegen und Leitbild der Raumordnung ist die Schaffung und Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse, wobei es keineswegs nur um das breite Spektrum der Daseinsvorsorge geht, sondern – mit Blick auf den Zusammenhalt – insbesondere um den Ausgleich gesellschaftlicher, sozialer und ökonomischer Divergenzen, Polarisierungen, Segmentierungen und Auseinander-Entwicklungen von Regionen.

Räumliche Bedeutung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse – Gleichwertigkeit nicht nur ein Postulat für ländliche Räume

Gleichwertige Lebensverhältnisse sind ein aktuelles Handlungsfeld von Staat und Kommunen. Sie konkretisieren sich insbesondere über den physischen und funktionalen Zugang zu Einrichtungen und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge in differenziert strukturierten ländlichen Räumen und auch Verdichtungsräumen. Letztere sind in zweifacher Hinsicht berührt: zum einen weisen die meisten Verdichtungsräume eine hohe räumliche, strukturelle und kommunale Diversität auf – neben den Kernstädten sind unterschiedlich strukturierte ländliche Räume (Landkreise und kreisangehörige Gemeinden) räumliche Teilbereiche vieler Metropoleregionen. In den Kernstadtbereichen der Metropolregionen zeigen sich zunehmend "Überhitzungserscheinungen" und "Wachstumsschmerzen", die vor allem in den Bereichen Immobilienmarkt, Arbeitsmarkt, Mobilität, Freiraum und natürliche Ressourcen (Wasser, Luft u.a.) zum Tragen kommen. Daraus kann die Forderung von Verdichtungsräumen nach Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse, insbesondere in den Bereichen Mobilität, Wohnen und Bildung, nachvollzogen werden. Was ferner die ländlichen Räume betrifft, so ist ein breiteres Spektrum an Infrastrukturen und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge berührt, um dem Postulat der Gleichwertigkeit gerecht zu werden.

Gleichwohl ist es erforderlich, den Schwerpunkt der Diskussion über "Gleichwertigkeit" in strukturschwachen ländlichen Räumen zu setzen, ohne andererseits die Wachstumszentren in Metropolregionen und ihre Herausforderungen insbesondere durch die multilateralen Transformationsprozesse (Demographie, Ökonomie, Mobilität, Energie, Klima u.a.) aus den Augen zu verlieren. Es bedarf daher zur sachgerechten Einschätzung von Gleichwertigkeit auf der einen und von räumlichen sowie funktionalen Disparitäten auf der anderen Seite einer räumlich differenzierten Betrachtung der strukturellen Ausgangssituation in einzelnen Regionen, insbesondere mit Blick auf die Basisbereiche Demographie, Daseinsvorsorge, Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Immobilienmarkt und natürliche Ressourcen. Gerade die Raumordnung mit ihrer hoch differenzierten Raumbeobachtung durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBSR) liefert hierfür detaillierte Informationen, die im Wesentlichen der Politikberatung und der Entscheidungsvorbereitung im politischen Raum dienen (vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Bundesministerium für Familie, Senioren und Frauen (Hrsg.), Deutschlandatlas, Berlin 2021).

Fragestellungen zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse

Von welchen Fragestellungen ist nun die aktuelle gesellschaftliche und politische Diskussion über die Gleichwertigkeit geprägt? - Derzeit zeichnen sich folgende zentrale Fragestellungen ab:

  • Inwieweit sind von der Gleichwertigkeitsproblematik ländliche Räume und Großstädte/Verdichtungsräume/Metropolregionen betroffen? Um welche Raumtypen handelt es sich?

  • Welche Faktoren bestimmen die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse? Kann die Gleichwertigkeit von Lebensbedingungen (ausschließlich) über ein breites Spektrum der Daseinsvorsorge definiert werden?

  • Gibt es eine Bedürfnispyramide im Bereich der Daseinsvorsorge, also Grundbedürfnisse und sekundäre Bedürfnisse (Infrastruktur und Dienstleistungen für existentielle Bedürfnisse und für "nice-to-have"), mit unterschiedlichen Konsequenzen für das Postulat der Gleichwertigkeit? Ist hierbei eine Differenzierung nach unterschiedlichen Raumtypen erforderlich?

  • Welchen Herausforderungen steht die staatliche und kommunale Handlungsfähigkeit im Lichte der "Gleichwertigkeit" gegenüber?

  • Welche Strategien und Instrumente sind zur Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen geeignet? Können die Heimatstrategien des Bundes und der Länder (vgl. hierzu Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse, Berlin 2018) für die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse (Stichworte: Gemeinschaft, Sicherheit im Alltag, kulturelle Identität, Stabilität, Orientierung) eine Plattform darstellen?

Betont sei an dieser Stelle, dass der vorliegende Beitrag Anregungen und Impulse zur Diskussion der Fragestellungen geben möchte, ohne stets konkrete Antworten liefern zu können, da die Diskussion über gleichwertige Lebensverhältnisse im Fluss ist und auch durch neue Rahmenbedingungen, beispielsweise die Pandemie COVID-19, neue Denkansätze entstehen – so z.B. zum Bedeutungsgewinn ländlicher Räume aufgrund geringerer Siedlungsdichten und der Möglichkeit zu größeren Distanzen und Abständen oder auch, bedingt durch günstigere Möglichkeiten zum Erwerb von Wohneigentum, aufgrund einer vorteilhafteren Situation auf den Immobilienmärkten.

Transformation: Eckwerte und Trends für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse

Die Entwicklung und Ordnung von Räumen, also von Regionen und Kommunen, – sei es im ländlichen oder im metropolitanen bzw. kernstädtischen Einzugsbereich – wird zunehmend von Transformationsprozessen bestimmt. Als Trigger-Faktoren, also auslösende Momente, können demographische, soziale, ökonomische, ökologische, jedoch auch digitale, institutionelle, organisatorische und instrumentelle Trends wirksam sein, die von Regionen und Kommunen mit unterschiedlichen Anpassungspotentialen und Geschwindigkeiten für eine zukunftsfähige Entwicklung aufgenommen werden. Gerade die Anpassungsfähigkeiten und Anpassungsgeschwindigkeiten sind wesentliche Aspekte für die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen, sind doch manche Regionen und Kommunen, insbesondere in Metropolregionen, in der Lage, schnell und vorwegnehmend neue Trends und Entwicklungen aufzunehmen und politisch sowie fachlich umzusetzen. Hingegen zeigt sich gerade in ländlichen, strukturschwachen Regionen und Kommunen, dass die Implementation, also die Umsetzung von neuen Entwicklungen deutlich zeitversetzt oder gar nicht erfolgt.

Die derzeit ablaufenden Veränderungsprozesse werden im Lichte der Raumordnung und Raumentwicklung als sechs Dimensionen fassbar:

  • als gesellschaftlicher Wertewandel und sozialer Wandel, konkret beispielsweise in der Individualisierung der Lebensstile, in Pluralität, Diversität und Meinungsvielfalt,

  • als Wandel in Verhaltensweisen, z.B. Arbeits- und Pendlerverhalten, Versorgungs- und Einkaufsverhalten, Freizeitverhalten, u.a.,

  • als ökonomisch-infrastruktureller Wandel,

  • als digitaler Wandel,

  • als ökologischer Wandel,

  • als instrumentell-organisatorischer Wandel, also als Wandel von formalisierten Instrumenten und Organisationen hin zu offenen, informellen Formen (z.B. Beteiligungsverfahren von Bürgern oder Konsens-orientierte Instrumente statt oder in Ergänzung rechtlich bindender Instrumente: so basieren beispielsweise kommunale und regionale Entwicklungskonzepte auf dem Konsens regionaler und kommunaler Akteure und lösen damit eine Selbstbindung aus, während beispielsweise Regionalpläne rechtlich bindende Instrumente sind). Im organisatorischen Bereich zeigt sich ein Bedeutungsgewinn von anlass- oder projektbezogenen (Bürger-)Initiativen, die teilweise keine formalisierten, rechtlichen Strukturen (z.B. eingetragene Vereine) aufweisen, jedoch auf politischer Ebene durchaus entscheidungsrelevant sein können.

Damit verbunden sind folgende Trends:

  • Globalisierung, Internationalisierung und Europäisierung, was insbesondere für Unternehmen hohe Bedeutung hat;

  • Digitalisierung und digitale Infrastrukturen als zentrale Voraussetzung für die künftige Entwicklung von Regionen, Kommunen und Wirtschaftsstandorten (z.B. aufgrund der Bedeutung für die Bereiche Arbeitsmarkt, Einzelhandel, Logistik, medizinische Versorgung);

  • Standortmobilitäten und damit verbunden der ökonomische Strukturwandel, wobei sich dieser insbesondere in der Automobil- und Automobilzulieferindustrie zeigt;

  • Mobilitäts- und Verkehrs- sowie Logistik-Infrastruktur (Mobilitätswende);

  • Nachhaltigkeit – bei Ökologie: Energiewende und Klimawandel;

  • Gesellschaftliche Trends: sozialer Wandel und Wertewandel in der Gesellschaft, so z.B. der Wertewandel in der jüngeren Generation, neue Verhaltensweisen der Bevölkerung, Anspruch auf Mitsprache und Mitentscheidung u.a.m.

Im Einzelnen bedeutet dies:

Der Trend "Globalisierung – Europäisierung – ökonomischer Strukturwandel"

Der sozio-ökonomische Strukturwandel in Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Phasen durchlaufen. War in den 1960er und 1970er Jahren insbesondere die Landwirtschaft von einem tiefgreifenden Strukturwandel berührt, so waren in den 1970er und 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts neben dem Bergbau, der Stahlindustrie sowie der Werftindustrie insbesondere die Branchen Textil- und Bekleidungsindustrie sowie die Porzellanindustrie betroffen. Durch betriebliche Standortverlagerungen aufgrund günstiger Standortbedingungen insbesondere in asiatischen Ländern gingen in traditionellen Industriestandorten in Deutschland - dies betraf gerade ländliche Räume in Mittelgebirgsregionen, beispielsweise im Schwarzwald, im Bayerischen Wald, im Frankenwald im Fichtelgebirge, im Harz, in Sachsen und Thüringen oder in der Westpfalz - mehrere zehntausend Arbeitsplätze verloren.

Die Diskussion um den wirtschaftlichen Strukturwandel ist aufgrund der seit mehreren Jahren zu beobachtenden günstigen wirtschaftsstrukturellen Situation in Deutschland in letzter Zeit etwas in den Hintergrund getreten. Gerade angesichts der Pandemie COVID-19 zeigen sich erste Tendenzen neuer Wellen des Strukturwandels, der manche Branchen auch bereits vor der Pandemie betroffen hat (z.B. Automobilindustrie, Maschinenbau, chemische Industrie, Teile der Konsumgüterindustrie, Bergbau - Kohlereviere). Derzeit entstehen insbesondere in China und Indien Konsumgütermärkte der doppelten und dreifachen Größe Europas und der USA; speziell für Konsumgüterbranchen, wie etwa die Elektro- und Automobilindustrie, könnte dies mittelfristig Konsequenzen – auch im Hinblick auf breite Standortverlagerungen – nach sich ziehen.

Daher kann im Zuge eines Trendszenarios auf globaler/internationaler und europäischer Ebene davon ausgegangen werden, dass die wirtschaftliche Globalisierung, verbunden mit einer erheblichen Standortmobilität von Leitbranchen insbesondere der Automobilindustrie und der chemischen Industrie, eine verstärkte Dynamik erfahren wird. Gründe hierfür liegen in der Nutzung des hohen Nachfragepotentials und der ungesättigten Märkte in Asien auf der einen und der zunehmenden Sättigungserscheinungen in der (privaten und öffentlichen) Nachfrage in Europa und USA auf der anderen Seite. In der Konsequenz wird dies zu erheblichen Auswirkungen auf den (bundesdeutschen) Arbeitsmarkt wie auch auf die innerstädtische Flächensituation auf kommunaler und regionaler Ebene führen. Auf dem Arbeitsmarkt könnte dies eine deutliche Zunahme von Multilokalitäten, also mehrörtige/multilokale Lebensweisen der Arbeitnehmer zur Folge haben.

Zusammengefasst bedeutet dies einen tiefgreifenden Strukturwandel und damit eine Transformation in den nächsten Jahren, der sich in folgenden zentralen Aspekten zusammenfassen lässt:

  • China- und Asien-Trend: Erhöhung der Standortmobilität der Unternehmen in verschiedenen Branchen, u.a. aufgrund globaler Kaufkraftverschiebungen und Rohstoffverfügbarkeiten insbesondere bei der Automobilzulieferindustrie. Das ist auch für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse von Belang, da die produktiven Bereiche der Branchen häufig in ländlichen Regionen ihren Standort haben;

  • "High Potentials": Fachkräfte werden zum Engpass für die Entwicklung von Unternehmen und auch für den öffentlichen Bereich. Von Bedeutung ist dabei, dass die Anforderungsprofile an Fachkräfte sich ändern werden, wobei fachliche und räumliche Mobilität ebenso an Bedeutung gewinnen wie interkulturelle Kompetenzen;

  • Industrie 4.0, also Digitalisierung von Produktionsprozessen mit erheblichen Wirkungen auf den Arbeitsmarkt.

Der Trend "Digitalisierung"

Die Digitalisierung ist – gerade angesichts der Pandemie – zu einer der zentralen Stellschrauben für die sozio-ökonomische Entwicklung von Regionen und Kommunen sowie für Unternehmen geworden. In besonderer Weise betrifft die Digitalisierung den Dienstleistungssektor mit teilweise weitreichenden räumlichen und flächenhaften Konsequenzen. Der Trend "Digitalisierung" lässt sich wie folgt beschreiben:

  • Daten als "Kapital der Zukunft",

  • Digitalisierung und damit auch Rationalisierung der Produktion ("Industrie 4.0"),

  • Digitalisierung von Strukturbereichen mit hohen räumlichen Auswirkungen, insbesondere
    - Digitalisierung im Gesundheitswesen/E-Health,
    - im Online-Handel mit starken Auswirkungen auf die Attraktivität der Innenstädte,
    - im Bank- und Kreditgewerbe mit weitreichenden Folgen für die Daseinsvorsorge für Bevölkerung und Unternehmen insbesondere in ländlichen Räumen,

  • Nutzung der Digitalisierung zur Sicherung der Daseinsvorsorge, beispielsweise durch Einsatz von Drohnen (aktuell etwa für die Lieferung von Medikamenten, z.B. Impfstoffen, in abgelegene ländliche Räume),

  • Digitalisierung des Bildungswesens, also an Schulen und Hochschulen sowie in der Weiterbildung,

  • Digitalisierung der Arbeitswelten (z.B. fließender Übergang von Selbstständigkeit und Beschäftigung; Home-Working mit Wirkungen auf den Büroflächenbedarf von Unternehmen),

  • Vernetzte Mobilität und all-inclusive-Mobilitätsketten sowie E-Mobility und automatisiertes Fahren, was vor allem die Verkehrsinfrastruktur erheblich verändern wird,

  • Digitalisierung der nationalen und internationalen Kommunikation (z.B. internationale digitale Kongresse, Kommunikationsplattformen usw.).

Karte 2: Versorgung mit digitalen Infrastrukturen in Deutschland. (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Derzeit ist die Digitalisierung in Deutschland im internationalen Vergleich erheblich ausbaufähig. Rankings belegen, dass der Digitalisierungsgrad hierzulande sich im europäischen und internationalen Vergleich im unteren Drittel befindet.

Der Trend "Gesellschaftlicher Wandel – Standortfaktoren – Infrastruktur"

Der gesellschaftliche Wandel und dessen Wirkungen werden bislang in seiner Bedeutung nur bedingt wahrgenommen. Neue gesellschaftliche Entwicklungen betreffen dabei zum einen veränderte Verhaltensweisen der Bevölkerung, zum anderen auch Trends und Herausforderungen auf der Ebene der Kommunen und der Regionen:

  • Multilokalitäten der Bevölkerung;

  • neue Formen des Arbeits- und Pendlerverhaltens: rund sieben Millionen Menschen in Deutschland sind Fernpendler, d.h. Wohnstandort und Arbeitsstandort sind so weit voneinander entfernt, dass eine tägliche Rückkehr nicht möglich ist. Pandemie-bedingt könnte sich der Anteil der Fernpendler und damit der "multilokalen Arbeitnehmer" aufgrund der Möglichkeiten von Home-Office erhöhen. Für öffentliche Verwaltungen und private Unternehmen eröffnet dies ggflls. die Möglichkeit, Immobilienkosten durch geringere Inanspruchnahme von Büroflächen zu reduzieren;

  • Wertewandel gegenüber materiellen Werten und Sachwerten bei der jungen Generation: Ausdruck solcher Neuorientierung sind insbesondere
    - work-life-Balance,
    - Neubewertung der Familienarbeit,
    - Teilen statt besitzen – sharing economy, insbesondere im Hinblick auf den Besitz eines eignen PKWs,
    - Geschärftes Umweltbewusstsein, u.a. im Hinblick auf den Klimawandel,
    - neue Lebens- und Ernährungsweisen (Zunahme der vegetarischen und veganen Ernährungsformen, Nachfrage regionaler Produkte),
    - reduzierte, flächensparende Wohnformen (z.B. Tiny Houses),
    - umweltbewusstes Mobilitätsverhalten,
    - Flucht in Sachwerte aufgrund geringer Anreize für Spareinlagen und langfristige Geldanlagen;

  • Polarisierung der Gesellschaft durch zunehmend sehr stark divergierende unterschiedliche Bildungs- und Einkommensniveaus;

  • Diskussion um Grundeinkommen für Senioren und Kinder bis 16 Jahre zur Reduzierung der Kinder- und Altersarmut;

  • Nachfrageverschiebungen durch geänderte Altersstruktur – Entstehung neuer Märkte insbesondere im Bereich Gesundheit und Dienstleistungen für Senioren;

  • Neues Konsumverhalten (Online-Handel);

  • Anspruch auf Mitsprache und Mitentscheidung durch Bevölkerungsgruppen.

Alle diese Trends haben eine hohe Bedeutung für die Schaffung und Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Regionen und Kommunen.

Hinzu kommen Entwicklungen wie

  • Finanzknappheit der Kommunen sowie des Bundes und der Länder aufgrund weitreichender Investitionen und Mittelzuweisungen zur Abfederung der Wirkungen der Pandemie COVID-19;

  • Investitionsstaus bei kommunaler und staatlicher Infrastruktur;

  • Abnehmende Akzeptanz von (großen) Infrastrukturprojekten, insbesondere in den Bereichen Energie und Verkehr;

  • Tendenzen zur Privatisierung öffentlicher Infrastrukturen (Krankenhäuser, Wasserversorgung u.a.);

  • Wahrnehmung der Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen als zentrale Motoren der wirtschaftlichen und demographischen Entwicklung (Multiplikatorwirkungen in vielen Bereichen – Innovation, Einzelhandel, Immobilienmarkt usw.);

  • zunehmende Notwendigkeit des Einsatzes von Management- und Marketingstrategien auf kommunaler und regionaler Ebene. Diese Strategien zielen auf die Profilierung sowie Stärkung und Präsentation der kommunalen Potentiale, angesichts des zunehmenden Wettbewerbs um junge gut ausgebildete Bevölkerung, Fachkräfte, Unternehmen und Fördermittel.

Einen wichtigen Trend bei den gesellschaftlichen Entwicklungen stellen neue Verhaltensmuster dar, was am Beispiel des Verkehrs gut nachvollziehbar ist. So kann davon ausgegangen werden, dass die Zahl der eigengenutzten PKWs im Zuge des Bedeutungsgewinns der sharing economy mittelfristig abnimmt, mit erheblichen Auswirkungen auf die deutsche Schlüsselbranche Automobilindustrie (einschl. Zulieferer) und ebenso auf die Verkehrsinfrastruktur. Wirkungen werden sich auch durch die Umstellung auf Elektromobilität (PKW und Fahrrad) und automatisiertes Fahren ergeben, wobei hier insbesondere neue Marktsegmente (Senioren) erschlossen werden können. Gerade bei der Gruppe der Senioren werden sich neue Mobilitätsmuster in ländlichen Räumen ergeben (automatisiertes Fahren bis in das hohe Alter). Nicht übersehen werden sollte in diesem Zusammenhang, dass große Mobilitätskonzerne (DB AG, SIXT AG u.a.) bereits Konzepte für umfassende Mobilitätsdienstleistungen im Sinne einer all-inclusive-Mobilität entwickeln. Nicht unerheblich in diesem Bereich sind ferner neue Formen der Logistik, insbesondere im Einzelhandel in Gestalt der Lieferung von Produkten und Waren durch "Air-basierte" Systeme (Drohnen), mit Wirkungen auf das Verkehrsaufkommen und damit die Verkehrsinfrastruktur.

Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse – eine Zukunftsaufgabe für Staat und Kommunen: Handlungsansätze – Strategien – Maßnahmen

Konzeptionelle und rechtliche Ansätze

So vielschichtig die Thematik der "Gleichwertigkeit" inhaltlich auch ist, so ist die rechtliche Einordnung doch klar und deutlich: §2 Abs. 2 Ziffer 1 Raumordnungsgesetz des Bundes (ROG) gibt in den Grundsätzen der Raumordnung unmissverständlich den Auftrag an Bund und Länder, gleichwertige Lebensverhältnisse im Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und in seinen Teilräumen zu schaffen Dabei sollen ausgeglichene soziale, infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Verhältnisse angestrebt werden. Diese Aufgaben sind gleichermaßen in Verdichtungsräumen wie in ländlichen Räumen, in strukturschwachen wie in strukturstarken Räumen zu erfüllen. Auf einen Ausgleich räumlicher und struktureller Ungleichgewichte zwischen den Regionen ist hinzuwirken.

Entgegen manchen aktuellen Forderungen steht damit das "ob" der Gleichwertigkeit nicht zur Disposition. Allerdings erscheint eine Diskussion über die inhaltliche, funktionale und distanzielle, d.h. auf mit unterschiedlichen Entfernungen verbundene Raumfunktionen abhebende Ausgestaltung erforderlich. Neben Grundbedürfnissen (Infrastrukturen und Dienstleistungen in den Bereichen Wohnen, technische Ver- und Entsorgung einschl. Digitalisierung, Bildung, Alltagsversorgung, Arbeitsmarkt, Mobilität, medizinische und pflegerische Versorgung, Nutzung natürlicher Ressourcen, Sicherheit, soziale Teilhabe) gibt es abgeleitete Bedürfnisse, beispielsweise im Bereich der Freizeiteinrichtungen. Die Verantwortbarkeit und Leistungsfähigkeit staatlicher, kommunaler und privater Träger ist dabei gerade im Bereich der Daseinsvorsorge ein wichtiger Maßstab. Nicht ausschließlich finanzielle Aspekte, sondern auch eine räumlich-individuelle, maßgeschneiderte und passgenaue Leistungserbringung sollten künftig die Leitlinien für Gleichwertigkeit bestimmen (vgl. Beirat für Raumentwicklung beim Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Hrsg.), Empfehlung des Beirats für Raumentwicklung Gleichwertige Lebensverhältnisse, Berlin 2019).

Zu berücksichtigen ist dabei, dass Gleichwertigkeit in strukturstarken und strukturschwachen sowie ländlichen und verdichteten Räumen bedeutet:

  • vergleichbare Lebensqualitäten (z.B. den Bedürfnissen entsprechender und bezahlbarer Wohnraum, Zugang zu natürlichen Ressourcen - Freiflächen, Luftqualitäten u.a.),

  • vergleichbare Start- und Entwicklungsmöglichkeiten,

  • hochwertige digitale Infrastruktur "an jeder Milchkanne" (möglichst im state-of-the-art-Standard),

  • Zugang zu und Erreichbarkeit von öffentlichen und privaten Einrichtungen der Daseinsvorsorge,

  • vergleichbarer Zugang zu Informationen (z.B. Fördermöglichkeiten auf der Ebene der EU, des Bundes und der Länder),

  • vergleichbare Möglichkeiten zur Gestaltung des (wirtschaftlichen) Strukturwandels,

  • vergleichbare Qualifikationschancen für Arbeitnehmer,

  • vergleichbare Innovationsmöglichkeiten für Unternehmen (vgl. Beirat für Raumentwicklung beim Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Hrsg.), Stellungnahme des Beirats für Raumentwicklung „Kommentierung der Schlussfolgerungen der Kommission Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, Berlin 2020).

Festzuhalten ist somit, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse maßgeblich von der Sicherung von Einrichtungen und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge bestimmt wird, da diese die Bleibe- und Haltefaktoren von Bevölkerung und Unternehmen und damit die Zukunftsfähigkeit von Regionen bestimmen. Geprüft werden müssen dabei allerdings auch der Anspruch auf Verteilungsgerechtigkeit sowie die Stärkung der Flexibilitäten bei der Leistungserbringung und bei Leistungsstandards.

Strategien und Handlungsansätze

In der Diskussion um die Schaffung und Sicherung der gleichwertigen Lebensverhältnisse ist der Aspekt der Umsetzung, also der Einsatz von Strategien und Maßnahmen, zentral. Bei den Handlungsansätzen geht es vor dem Hintergrund der skizzierten Trends und Herausforderungen schwerpunktmäßig um die Frage, welche "Stellschrauben" Einfluss auf die Entwicklungsdynamik einer Region nehmen. Regionen und Räume bedürfen dahingehend der Unterstützung, dass sie innerhalb eines (Bundes-)Landes eine annähernd gleiche Entwicklungsdynamik entfalten können. Es geht damit um die Frage, welche Maßnahmen und Strategien geeignet sind, um eine gleichwertige Entwicklungsdynamik von Regionen und Teilräumen in ländlichen Räumen und Verdichtungsräumen/Metropolregionen zu gewährleisten. Ziel ist es, möglichst konkrete Handlungsansätze und -strategien zu erarbeiten, welche die bisherigen "Slow-Regions" in die Lage versetzen, eine höhere Entwicklungsdynamik zu erreichen.

Die Heimatstrategien des Bundes und der Länder (vgl. hierzu die Landesentwicklungsprogramme und -pläne der Flächenländer sowie die Heimatstrategie des Bundes unter Federführung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat) sind für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse Orientierungs- und Handlungsrahmen zugleich und bedürfen der Konkretisierung durch Projekte und der Finanzierung über ein Regional- und Demographiemanagement-Programm des Bundes (vgl. hierzu die Initiativen des Freistaates Bayern – beispielsweise Programm zur Projektförderung nach der Förderrichtlinie Landesentwicklung – Programm FöRLa des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, oder das Programm zur Förderung Regionaler Identität des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen und für Heimat).

Was die Handlungsansätze betrifft, so ist zunächst grundsätzlich festzuhalten, dass es auf der Ebene des Bundes und der Länder einer instrumentellen Individualisierung auf kommunaler und regionaler Ebene in Gestalt eines "passgenauen und maßgeschneiderten" Instrumenteneinsatzes bedarf (Reduzierung von Förderprogrammen und Modellprojekten im "Gießkannenprinzip" und Einführung passgenauer, raum-individueller Fördermaßnahmen) (vgl. Beirat für Raumentwicklung beim Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Hrsg.), Stellungnahme des Beirats für Raumentwicklung „Kommentierung der Schlussfolgerungen der Kommission Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, Berlin 2020).

Folgenden Überlegungen kommt im Hinblick auf die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse als Gegenstand der politischen Diskussion auf der Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen Bedeutung zu:

Verstärkung der rechtlichen Verankerung und Absicherung der "Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen": Hier geht es um die Aufnahme der Schaffung gleichwertiger Lebens- und Arbeitsbedingungen als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz. Ferner geht es gerade im Hinblick auf gleichwertige räumliche Entwicklungschancen darum, die digitale Infrastruktur als Teil der Daseinsvorsorge, beispielsweise durch Aufnahme dieses Aspekts in die Grundsätze der Raumordnung gemäß § 2 Absatz 2 Ziffer 3 des Bundesraumordnungsordnungsgesetzes, anzuerkennen (Versorgung mit Dienstleistungen und Infrastrukturen der Daseinsvorsorge einschließlich eines flächendeckenden, terrestrischen Glasfasernetztes).

Ein weiterer Handlungsansatz stellt auf die nachhaltige, dauerhafte und verlässliche Finanzausstattung der Kommunen ab, da diese einen maßgeblichen Beitrag zur Sicherung der Daseinsvorsorge leisten.

Das Instrumentarium der Raumordnung, Landes- und Regionalplanung sowie Regionalentwicklung bedarf insoweit im Hinblick auf die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen einer Erweiterung: so kann – auch als "Antwort" auf die Ausweisung von Metropolregionen – die Ausweisung eines Netzes von Regiopolen mit Anker- und Haltefunktionen für Bevölkerungsgruppen und als Innovationspole für Unternehmen in ländlichen Regionen geprüft werden, ohne das bewährte Prinzip der Zentralen Orte zu relativieren.

Ferner erscheint es im Hinblick auf die Daseinsvorsorge sinnvoll, das Prinzip "Managing Diversity", also flexible Einrichtungen und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge einzuführen (statt technokratischer Mindeststandards).

Zentrale Bedeutung kommt dem Ausbau der Infrastruktur zu, insbesondere dem zügigen Ausbau einer hochleistungsfähigen digitalen Infrastruktur in Gestalt eines flächendeckenden, terrestrischen Glasfasernetzes (5G-Standard). Neben der digitalen Infrastruktur ist allerdings auch der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur auf Straße, Schiene und Luftverkehr erforderlich, wobei hier der zeitnahen Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren und dem Abbau von Bürokratien in den Realisierungsphasen eine zentrale Rolle zukommt.

Als Instrument noch ausbaufähig ist die Dezentralisierung öffentlicher Einrichtungen auf der Ebene des Bundes und der Länder; gerade die damit verbundenen strukturpolitischen Wirkungen leisten einen nicht hoch genug einzuschätzenden Beitrag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse, da alle Bereiche durch Dezentralisierungsmaßnahmen Vorteile haben (Immobilienmarkt, Arbeitsmarkt, Einzelhandel usw.).

Die Neugründung bzw. Zweigstellen-Gründung von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Umfeld der Hochschulen (wie dies beispielsweise in großem Umfang in Bayern und Rheinland-Pfalz erfolgt) sowie von Berufsbildungsstätten trägt wesentlich zur Aufwertung ländlicher Räume und zur Schaffung gleichwertiger Bedingungen bei. Allerdings muss hier auch angemerkt werden, dass gerade im Bereich der Hochschulen und Forschungseinrichtungen der dezentralen Strukturbildung im Hinblick auf ´kritische` Untergrenzen durchaus Grenzen gesetzt sind.

Ein Gegenstand aktueller Diskussion ist ferner die Ausweisung eines Programms auf der Ebene der Bundesraumordnung, das den Aufbau von regionalen Entwicklungs- und Managementagenturen zum Ziel hat. Damit verbunden sein sollte eine Bündelung von Förderaktivitäten von EU, Bund und Ländern. Aufgabe der Agenturen könnte ferner auch die Begleitung von Antragstellungen bei fachlich und organisatorisch komplexen Förderprogrammen ebenso sein wie eine Lotsenfunktion (Förderlotsen). Organisatorisch bedarf es beim Aufbau der Agenturen einer Einbeziehung der Wirtschaftskammern (IHKs und HWKs, ggflls. auch Landwirtschaftskammern) sowie staatlicher Mittelbehörden. Die Erfolge in einer Vielzahl ländlicher Räume in Bayern zeigen, dass es mit einer solchen querschnittsorientierten raumplanerischen Maßnahme gelingen kann, einen Beitrag zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu leisten (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie (Hrsg.), 18. Raumordnungsbericht, München 2019).

Quellen / Literatur

Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie (Hrsg.), 18. Raumordnungsbericht, München 2019

Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (Hrsg.) (2014): Nutzungschancen des Breitbandinternets für ländliche Räume.

Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung (Hrsg.) (2011): Bildung, Gesundheit, Pflege – Auswirkungen des demographischen Wandels auf die soziale Infrastruktur, BBSR-Berichte KOMPAKT

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hrsg.) (2015): Grünbuch Arbeiten 4.0, Berlin.

Beirat des Bundesministeriums des Innern für Bau und Heimat, Stellungnahme der Ad-hoc-AG des Beirats für Raumentwicklung zum Thema „Kommentierung der Schlussfolgerungen der Kommission Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“, Berlin 2019

Beirat für Raumentwicklung beim Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Hrsg.), Empfehlung des Beirats für Raumentwicklung Gleichwertige Lebensverhältnisse, Berlin 2019)

Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.) (2015): Daseinsvorsorge in ländlichen Regionen Schwedens, Norditaliens, Österreichs und der Schweiz. Ergebnisbericht. BMVI-Online-Publikation 02/2015, aufgerufen unter: http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/ Veroeffentlichungen/ BMVI/BMVIOnline/ 2015/DL_BMVI_Online_02_15.pdf?__blob=publicationFile&v=2, S. 116, Zugriff: 12.02.2018.

Informationskreis für Raumplanung (Hrsg.), Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, Themenheft, Nr. 212, Dortmund 2021

Internetauftritt Bundeszentrale für politische Bildung: Herausforderungen für die Bildungspolitik: Demografischer Wandel, aufgerufen unter: Externer Link: http://www.bpb.de/gesellschaft/kultur/zukunft-bildung/175009/demografischer-wandel, Zugriff: 12.02.2018.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Als Verfassungsgrundsatz ist das Postulat gleichwertiger Lebensverhältnisse in Artikel 72,2 GG verankert. Zwar stellt diese Zielmarke laut Bundesverfassungsgericht ein „bundesstaatliches Rechtsgut“ dar (Zitat nach Kersten/ Neu/ Vogel 2015: 4) und wird demgemäß gelegentlich zu einer „Richtschnur“ der Bundesgesetzgebung erklärt (Jb. dt. Einheit 2021: 11). Dennoch handelt es sich bei dem Rechtsbegriff Gleichwertige Lebensverhältnisse um ein „unspezifisches Minimum“, das sich verfassungsrechtlich wie verfassungspolitisch nicht eindeutig bestimmen lässt (Kersten/ Neu/ Vogel 2015: 5).

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Univ.-Prof. Dr. habil. Gabi Troeger-Weiß ist Inhaberin des Lehrstuhls Regionalentwicklung und Raumordnung der Technischen Universität Kaiserslautern.