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Lebenszufriedenheit in der DDR

Mandy Stobbe

/ 22 Minuten zu lesen

Wie in jeder Gesellschaft war Lebenszufriedenheit auch in der DDR ein Ausdruck altersbedingt unterschiedlicher Erfahrungshorizonte derselben Lebensumstände. Die Generationen von DDR-Bürgern unterschieden sich untereinander zudem teils stark in ihren Erfahrungen, ihrer Systemidentifikation sowie ihren Zukunftserwartungen.

Arbeiter/-innen von NARVA Glühlampen im Pausenraum. Anders als in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) waren bis zum Ende der 1980er Jahre 91,2 Prozent der Frauen (50 Prozent in der BRD) voll berufstätig. (© picture-alliance, ZB | Peer Grimm)

In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland zunehmend angeglichen (Interner Link: Beitrag "Lebenszufriedenheit"). Ein aussagekräftiger Indikator für die Stimmung im Land ist die Frage nach der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben. Die Lebenszufriedenheit der Deutschen ist seit 1990 gestiegen und liegt heute auf einem nahezu einheitlichen, hohen Niveau (vgl. Stobbe 2020).

Zwischen 1991 und 2006 hielten 73 bis 81 Prozent der Menschen in den neuen Bundesländern rückblickend den Sozialismus für eine "gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde" (ALLBUS 2007: 115). In der Bewertung schwingen Nähe und Distanz zum System der DDR gleichermaßen mit. Die Sichtbarkeit und Allgegenwärtigkeit der Diktatur bedeutete für die Menschen in der DDR, besonders nach dem Bau der Berliner Mauer, sich mit den Gegebenheiten abfinden zu müssen. Doch wie zufrieden war die Bevölkerung der DDR mit ihrem Leben?

Lebenszufriedenheit und subjektives Wohlbefinden - Definition

Lebenszufriedenheit ist die zum Ausdruck gebrachte subjektive Einschätzung, ob und in welchem Maß eine Person mit den Lebensbedingungen in ihrem Umfeld zufrieden ist (vgl. Gabriel u.a. 2015: 104). Das subjektive Wohlbefinden umfasst neben der allgemeinen Lebenszufriedenheit auch die empfundene Zufriedenheit in unterschiedlichen Lebensbereichen, wie Gesundheit, Partnerschaftsstatus, Einbindung in soziale Netzwerke, Beruf, Einkommen/Vermögen, Wohnsituation, wirtschaftliche Entwicklung, Freizeit, Schutz der Umwelt sowie übergeordnete Rahmenbedingungen, wie die politische Ordnung und die Sorge um die Entwicklung von Kriminalität und Frieden (vgl. Baier/Boehnke 2007). Jedoch ist nicht nur die individuelle Perspektive bedeutsam. Auch das aggregierte subjektive Wohlbefinden ist ein Indikator dafür, inwieweit gegebene Entfaltungsmöglichkeiten mit den Bedürfnissen der Bürger*innen im Einklang stehen (vgl. Veenhoven 1997: 268).

Generationen der DDR-Bürger*innen

Wie in jeder Gesellschaft war Lebenszufriedenheit auch in der DDR ein Ausdruck altersbedingt unterschiedlicher Erfahrungshorizonte derselben Lebensumstände. Die Erfahrungen aus Kindheit, Jugend, frühem, mittlerem sowie spätem Erwachsenenalter sind dabei stets in Bezug dazu zu setzen, welche Möglichkeiten sich in der Aufbau- und Aufbruchszeit, in der Stabilisierung bzw. Stagnation wie auch in Krisen-, Umbrüchen- und der Phase des Zusammenbruchs der DDR boten (vgl. Ahbe/ Gries 2006a: 90). Die Generationen von DDR-Bürger*innen unterschieden sich untereinander zudem teils stark in ihren Erfahrungen, ihrer Systemidentifikation sowie ihren Zukunftserwartungen, was wiederum erheblichen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit der Menschen hatte. So stellte sich die DDR gleichzeitig für die verschiedenen Generationen sehr unterschiedlich dar (vgl. Ahbe 2007: 38f.). Über alle Generationen hinweg, mit leichten Schwankungen zu der einen oder anderen Seite, gab es bezüglich der Systemzufriedenheit eine Dreiteilung der DDR-Bevölkerung in die Minderheiten der Systemanhänger und der Systemkritiker sowie eine große Mehrheit der Angepassten (vgl. Holtmann u.a. 2015).

Die Generation der misstrauischen Patriarchen

Als Generation der misstrauischen Patriarchen wird in der Literatur eine kleine und prägende Gruppe von zumeist kommunistischen Mitbegründer*innen der DDR verstanden. Unter ihren Altersgenossen stellte sie eine isolierte Minderheit mit einem eigenen Lebensstil und Habitus dar. Die Jüngsten unter ihnen wurden während des Ersten Weltkrieges geboren, die Ältesten in den 1890er Jahren. Die Generation war gezeichnet von zwei Weltkriegen und ihren Nachwirkungen, von Not und existentieller Unsicherheit, politischer Verfolgung und den besonderen Erlebnissen des politischen Kampfes bzw. Widerstands. Diese Erlebnisse prägten zeitlebens die Weltanschauung und die Handlungsweisen der Angehörigen dieser Generation. Sie fungierten in der DDR als Träger, Interpreten und Vermittler des Sozialismus. Sie versuchten damit, ihre traumatischen Erfahrungen mit der Hoffnung auf eine große politische Zukunftschance zu kompensieren. Ihre politische und kulturelle Einstellung wies dabei geradezu zivilreligiöse Züge auf (vgl. Ahbe/ Gries 2006a: 92f.). Aufgrund der im NS-Staat gemachten Erfahrungen fehlte ihnen auch nach Gründung der DDR das Grundvertrauen in ihre Mitmenschen. Für sie bedeutete Demokratie die unanfechtbare Vormachtstellung der marxistisch-leninistischen Partei (vgl. Fulbrook 2019).

Die Aufbaugeneration

Eine tief gespaltene Generation bildete die Aufbaugeneration der DDR, zu der die Jahrgänge 1925 bis 1935 gehören. Ihre Kindheit verbrachte diese Generation in den Vorkriegsjahren des Nationalsozialismus (Ahbe/Gries 2006a: 94). Unter dem Diktat der misstrauischen Patriarchen bauten sie die DDR auf. In keinem anderen DDR-Generationszusammenhang war der soziale Aufstieg so stark verbreitet. Die DDR bot, insbesondere den Frauen, soziale Chancen und berufliche Aufstiegsmöglichkeiten, die vom starken Fach- und Führungskräftebedarf sowie von der programmatischen Förderung von Arbeiter- und Bauernkindern angetrieben wurden. So stellten Mitglieder dieser Jahrgänge überproportional oft Leistungsträger der DDR (Ahbe/ Gries 2006a: 94).

Zudem waren viele DDR-Bürger*innen dieser Jahrgänge ausgesprochen systemtreu. Nur wenige von ihnen waren Kirchgänger*innen (vgl. Fulbrook 2019). Planbarkeit, Leistung und Erfolg waren die Maxime dieser Generation. Die Menschen versuchten mit Ausdauer, aber kaum rebellisch, ihr Leben zu meistern. Die Aufbau-Generation wurde in besonderer Weise vom Bau der Mauer betroffen. Bis zum Mauerbau 1961 gab es noch die Möglichkeit, über Berlin in die alten Bundesländer auszuwandern. Die Menschen dieser Generation waren damals jung und gut ausgebildet und hätten in der Bundesrepublik eine neue Existenz aufbauen können. Der systemloyale Teil blieb freiwillig in der DDR (vgl. Ahbe 2007: 45f.; Ahbe/Gries 2006a: 95). Als sich die Geschichte der DDR dem Ende zuneigte, hatten auch die Angehörigen der Aufbau-Generation das Rentenalter erreicht und griffen kaum mehr in die politischen Auseinandersetzungen der 1980er Jahre ein. Die neuen Reise- und Konsummöglichkeiten, die sich nach der Wende boten, nutzten sie indessen aktiv (vgl. Ahbe/Gries 2006a: 95).

Die funktionierende Generation

Als funktionierende Generation werden die zwischen Mitte der 1930er bis Ende der 1940er Jahre geborenen Jahrgänge zusammengefasst (vgl. Ahbe/Gries 2006a: 96ff.). Angehörige dieser Jahrgänge sind geprägt durch die in ihrer Kindheit und Jugend erlittene Kriegsnot. Sie lernten schnell, unauffällig sowie pragmatisch zu sein, eben: zu funktionieren (vgl. Brähler u.a. 2004). Zu ihren Verhaltensregeln gehörte es, nicht negativ aufzufallen, sich nicht entmutigen zu lassen, sich durchzukämpfen sowie keine Fragen zu stellen und nicht anzuklagen. Aus dieser Generation entsprang eine Vielzahl von Bürgerrechtler*innen, welche die friedliche Revolution vorbereiteten und anführten (vgl. Ahbe/Gries 2006a: 96; Land/ Possekel 1998; Grunenberg 1993). Nach 1990 erging es den Angehörigen dieser Generation schlechter als der Aufbau-Generation. So mussten sie sich den neuen Herausforderungen des Berufslebens unter westlichen Bedingungen bzw. der Arbeitslosigkeit stellen (vgl. Ahbe/Gries 2006a: 98). Sowohl in den 1970er und 1980er Jahren als auch nach 1990 steckten sie in zweitrangigen Positionen ohne Aussicht auf größere Karriereschritte fest. Zuerst besetzte die Aufbau-Generation diese Posten, nach der Wiedervereinigung waren dies häufig Altersgenossen aus den alten Bundesländern (vgl. Ahbe/Gries 2006a: 98; Haupt/Liebscher 2005: 129).

Die integrierte Generation

Die "Integrierten" wurden in den 1950er Jahren geboren und ausschließlich vom DDR-Sozialismus geprägt. Noch bevor sie erwachsen waren, existierte bereits die Mauer zum Westen. In ihrer (Aus)Bildungszeit trafen sie auf Lehrer*innen aus der Aufbau-Generation und wurden im Sinne des offiziellen DDR-Bildes sozialisiert. Ihre Welt war geprägt von sozialer Stabilität, Frieden, mäßig steigendem Wohlstand, teils verordneter, teils gelebter Solidarität und einem in manchen Strukturmerkmalen modernen Bildungssystem. Für sie war vieles Normalität, was für die vorherigen Generationen als besonderes Glück oder Luxus galt.

Ende der 1970er Jahre sowie in der Zeit von Glasnost und Perestroika versiegten ihre Hoffnungen auf wirtschaftlichen Aufschwung und kulturpolitische Liberalisierung. Der Zugang zu West-Medien bot Anschluss an westliche Diskurse, womit das Streben nach Selbstverwirklichung einherging. Der politisierte Teil dieser Generation setzte sich aktiv für langfristige Reformen ein, der bürgerrechtlich orientierte Kern schloss sich der Bewegung der funktionierenden Generation an. Die Menschen dieser Generation sind die einzigen, deren Angehörige in zwei Systemen im Erwerbsleben standen und stehen. (vgl. Ahbe/Gries 2006a: 98). Nach der Wiedervereinigung waren sie, besonders die Frauen, die eigentlichen Wendeverlierer*innen. Sie hatten oftmals ihre sicheren Arbeitsplätze sowie Betreuungsplätze für ihre Kinder verloren, ihre Bildungsabschlüsse wurden teilweise entwertet. Für den Ruhestand waren sie noch zu jung, als Alternativen standen oft nur Umschulung oder andere Maßnahmen des Arbeitsamtes zur Verfügung. In die Selbständigkeit begaben sich von ihnen nur wenige ( Interner Link: Beitrag "Selbständigkeit nach der Wiedervereinigung"). Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft schwand (vgl. Fulbrook 2019).

Die entgrenzte Generation

Die Angehörigen der entgrenzten Generation wurden zwischen 1960 und 1972 geboren. Sie absolvierten als letzte Generation ihren Schulabschluss und eine Ausbildung in der DDR. Der Werthorizont und die Sinnvorstellungen dieser Generation griffen, nicht zuletzt durch die westdeutschen Medien vermittelt, über die DDR hinaus. Diese Generation war geprägt von einer neuen Balance zwischen alltagskulturellen Konventionen und individuellen Lebensentwürfen (vgl. Ahbe/Gries 2006a: 100f.). Sie strebten nach Abwechslung und Konsum (vgl. Gensicke 1992). Ein Generationenkonflikt fand kaum statt. Sie waren tendenziell unideologisch, hatten eine eher pragmatische und visionslose Haltung und rebellierten nicht. Persönliche Bindungen, Heimat und erlebte Geborgenheit bildeten wichtige Identifikationspunkte dieser Generation (vgl. Förster 1999: 102). Die soziale Sicherheit in der DDR wurde von dieser Generation eher als gegeben hingenommen und nicht weiter wertgeschätzt. Der Sozialismus konnte ihnen kaum mehr attraktive Angebote machen. Gedanklich hatten sich bereits vor der friedlichen Revolution viele Menschen dieser Generation von der DDR verabschiedet. Viele von ihnen gehörten zu jenen, die 1988 und 1989 einen Ausreiseantrag stellten oder einen Fluchtversuch unternahmen. Lebensgeschichtlich kam die friedliche Revolution für diese Generation gerade zur richtigen Zeit. Sie konnten sich im vereinten Deutschland gut zurechtfinden. Eine Ausbildung oder eine Berufstätigkeit in den alten Bundesländern waren für sie eine neue Möglichkeit und weniger stark mit Ängsten behaftet wie noch bei ihrer Vorgängergeneration (vgl. Ahbe/Gries 2006a: 100ff.).

Wende-Kinder

Die Generation der Wende-Kinder beginnt mit den 1973 und endet mit den 1984 Geborenen. Sie waren die Letzten, die noch in der DDR eingeschult wurden und ihre Kindheitsjahre verlebten. Sie haben zum Großteil gute Erinnerungen an die DDR. Die friedliche Revolution und die Öffnung der Grenzen, die Einführung der D-Mark und das Verschwinden des Landes, in dem sie heranwuchsen, brachte für sie einen frühen Abschied von ihrer behüteten und durchgeplanten Kindheit (vgl. Ahbe/Gries 2006b: 556f.). Diejenigen, denen in Kindergarten, Schule und den Jugendorganisationen der DDR deren politische Rhetorik vermittelt wurde, nahmen diese für eine wahre und stimmige Weltdeutung, welche mit der Wiedervereinigung auf den Kopf gestellt wurde. Jene, die 1990 bereits Jugendliche waren, mussten den rasant erfolgten Umbruch kognitiv verarbeiten und waren gezwungen, aktiv und selbstbestimmt zu handeln. Je nach Milieuzugehörigkeit wurde die Anpassung unterschiedlich gut bewältigt. Für viele war es nicht einfach, innerhalb der weitreichenden und oft unübersichtlichen Chancen- und Risikostrukturen der 1990er-Jahre eine gute Ausbildung zu absolvieren und sich beruflich einzurichten (vgl. Ahbe/Gries 2006a: 100ff.).

Alltag in der DDR

Die SED wachte über die Menschen in der DDR. Die Parteileitung versuchte, das Leben der Menschen allumfassend zu organisieren und zu planen. Anders als in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) waren bis zum Ende der 1980er Jahre 91,2 Prozent der Frauen (50 Prozent in der BRD) voll berufstätig. Die Kinder gingen schon früh in die Kinderkrippe, wo jedem Kind ein Platz auf eine Ganztagsbetreuung zustand. Das Bildungssystem in Kindergarten und Schule folgte festen und einheitlichen Lehrplänen. Von zehn Schüler*innen absolvierten acht bis neun eine Berufsausbildung. Die Vergabe von Studienplätzen erfolgte nach Noten und war nach Bedarfserwägungen kontingentiert. Als Zulassungskriterium spielten das politische bzw. gesellschaftliche Engagement und die familiäre Herkunft eine wichtige Rolle. Arbeiterkinder hatten es einfacher, einen Studienplatz zu erhalten als Akademikerkinder oder Kinder aus christlichen oder oppositionellen Familien. Mit Schuleintritt wurde jede/r Schüler/in in die Pionierorganisation Ernst Thälmann aufgenommen, einer Unterorganisation der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Ziel beider Jugendorganisationen war es, die Kinder zur Parteitreue zu erziehen. Im Arbeiter- und Bauernstaat DDR war das Recht auf Arbeit verfassungsmäßig garantiert. Wer nicht arbeitete, musste mit einer Geld- oder Gefängnisstrafe rechnen. Im Kollektiv zu arbeiten unterstrich den Gedanken der Solidarität (vgl. Ziegler/ Oster 2019).

Wohnraum war nach dem Krieg knapp. Viele Mietshäuser wurden in den 1950er Jahren verstaatlicht. Die Höhe der Mieten wurde von der Regierung festgelegt. Der Mietpreis/m² kalt lag 1989 bei weniger als 1 Mark (Ost), in der BRD bei ca. 7 DM (1987). Für Wohnungsbau sorgte allein der Staat. Ob man umziehen durfte, entschied in der DDR das Amt für Wohnungswesen nach bestimmten Kriterien. Demzufolge stand z.B. einem Vierpersonenhaushalt eine 60 qm große Wohnung zu (vgl. Ziegler/ Oster 2019).

Das Freizeit- und Kulturangebot in der DDR war vielfältig. Systemkritische Inhalte wurden jedoch zensiert und vielfach untersagt. Sogenanntes antisozialistisches Schrifttum und Westliteratur waren verboten. Sport hatte in der DDR offiziell einen hohen Stellenwert. Die Talentförderung begann bereits in Kita und Schule. Erfolge bei Olympia bedeuteten für das DDR-Regime immer auch einen Sieg des Sozialismus über den Kapitalismus (vgl. Ziegler/ Oster 2019) Dieser hier kurz skizzierte Abriss des DDR-Alltags bedeutete für die Lebenszufriedenheit zweierlei: eine Gewöhnung zum einen an die Lenkung durch das Regime sowie zum anderen an bescheidene, aber sichere Lebensbedingungen.

Umfragen zu Lebensverhältnissen in der DDR - die MfS-Berichte

Die 1960er und 1970er Jahre waren aus ökonomischer- und gesellschaftlicher Perspektive eine Schlüsselperiode der DDR, mit welcher die Nachkriegszeit endete und das postindustrielle Zeitalter begann. Im Jahr 1961 erfolgte, als Stabilisierungsakt der kommunistischen Diktatur, der Mauerbau. Diese Periode unterteilt sich in die späten Jahre der Ära Ulbricht und der damit verbundenen ökonomischen Reformversuche sowie die Jahre unter Erich Honecker mit einem Anstieg sozialer Leistungen (vgl. Gieseke 2008: 236; Maier 2004; Jarausch 2008).

Die Generationenkonstellation in der DDR verschob sich zwischen 1960 und 1970. Zu den durch den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegsjahre geprägten älteren Jahrgängen, der misstrauischen Patriarchen und der Aufbaugeneration, gesellten sich nun die Generationen der funktionierenden- und der integrierten Generation, deren Lebensträume und Wertvorstellungen vom Leben in der DDR, aber auch durch den persönlichen Systemvergleich vor der Haustür, d.h. mit der Bundesrepublik geformt wurden. Für diese Jüngeren verlor die egalitaristische und kollektivistische Wertorientierung der Gründungsväter und -mütter der DDR angesichts der materiellen Standards und der Wünsche an die Lebensgestaltung, wie man sie aus der BRD kannte, an Geltungskraft (vgl. Wierling 2002).

Die SED-Führung war an dem Meinungsbild ihrer Bürger*innen wie jede Diktatur stark interessiert. Daher wurden von 1959 bis 1989 streng geheime Stimmungs- und Lageberichte des MfS erstellt und nach oben gemeldet (vgl. Gieseke 2008: 243). So entstanden pro Jahr zwischen 140 und 340 Inlandsmeldungen, wobei sich pro Jahr maximal 15 Berichte der "Reaktion der Bevölkerung" widmeten (vgl. Mitter/ Wolle 1996; Gieseke 2008: 243). Ein Merkmal dieser Stimmungs- und Lageberichte war, dass die Erkundung auf bestimmte Felder beschränkt und heikle Themen, wie die Frage nach der Legitimation des Systems oder die Beschneidung von Menschenrechten, ein Tabu blieben (Lindenberger 1999, S. 13ff.). Dies bedeutete für die SED-Führung insofern ein Dilemma, als sie durchaus an authentischen Informationen über die Meinungen des Volkes interessiert war, um die Stabilität des Regimes einschätzen zu können (vgl. Gieseke 2008: 242).

Bei der Erkundung seitens des MfS wurden nicht flächendeckend persönliche Haltungen ungefiltert eingefangen. Vielmehr lag die Eigenart der Berichte neben einzelnen Befragungen darin, Äußerungen von Bürger*innen durch inoffizielle Mitarbeiter, sogenannte IM, am Arbeitsplatz, unter Nachbarn oder in der Warteschlage beim Einkauf mittels verdeckter Beobachtung einzufangen. Erschwert wurde dies dadurch, dass die Bürger*innen der DDR nach offizieller und privater Meinung unterschieden und sich teilweise je nach Kontext passend ausdrückten (vgl. Gieseke 2008: 242).

Inhalte der Erkundung waren neben Einzelinformationen sowie Berichten zum Lohn- und Arbeitsregime und damit verbundenen Unruhepotentialen in DDR-Betrieben auch die mangelhafte Versorgungslage sowie die Reaktionen der Bevölkerung auf Parteitage der SED, Wahlrituale und außenpolitische Ereignisse. In der Regel umfassten die Berichte zwei bis zehn Seiten (vgl. Hürtgen 2005, Gieseke 2008: 242ff.).

Die MfS-Berichte folgten in den 1960er Jahren den Spielregeln des sogenannten sozialen Klassentheaters, was bedeutet, dass die überwiegende Bevölkerungsmehrheit der SED-Politik vorgeblich zustimmte und kritische Stimmen grundsätzlich als Minderheit dargestellt wurden (vgl. Stolle 1997: 211). Ab den 1970er Jahren wurden diese Spielregeln nur noch der Form halber befolgt und es gab nun ausführlichere und kritischere Berichte. Dieser Wandel erschwert eine heutige Auswertung dieser Quelle. Denn hinfort mischten sich ideologische Sprachmuster mit begrenzt kritischen und doppeldeutigen Äußerungen.

Mit dem 19. November 1972 endete die Berichterstattung an die SED-Führung über die "Reaktionen der Bevölkerung". Im Jahr 1974 startete die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) des MfS die neue Berichtsreihe "Hinweise zu Reaktionen der Bevölkerung", welche insbesondere die materielle Lage in der DDR im Blick hatte und über Unzufriedenheit bezüglich Preiserhöhungen, Versorgungsengpässen und des Zugangs zu Westwaren berichtete (vgl. Gieseke 2008: 251f.).

Ein Beispiel für die mehrdeutigen Artikulationsmuster und die Beziehung zwischen SED und Arbeiterschaft sind die Berichte im Vorfeld des IX. Parteitags im Jahr 1976. Zu Beginn wurde auf der einen Seite ein ‚großes Interesse’ am Entwurf des neuen Parteiprogramms und eine ‚tiefe Befriedigung’ unter den Werktätigen über den Kurs der SED registriert. Auf der anderen Seite gab es jedoch eine starke einseitige Orientierung auf die Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen, sozialpolitische Maßnahmen, Ziele und Aufgaben im jeweiligen Tätigkeitsbereich und die Entwicklung der Territorial- und Wohnbereiche. Womit wiederum Erwartungen wie die Einführung der 40-Stunden-Woche, höhere Löhne, frühere Renten und mehr Urlaub geweckt wurden. Vom MfS als "nicht massenwirksam’ eingeschätzt wurden gehässige Äußerungen in individuellen Gesprächen und im kleinen Kreis über den harten Kurs in der Außenpolitik oder Bemerkungen wie: "oben wisse man nicht, was unten los ist". (vgl. Gieseke 2008: 242ff.; Information über erste Reaktionen unter der Bevölkerung der DDR auf die in Vorbereitung des IX. Parteitages veröffentlichten Materialien, 3.2.1976; BStU, ZA, ZAIG 4100).

Laut Berichten aus dem Jahr 1977 wurden die Sozialpolitik und der Wohnungsbau kritisiert:

Zitat

Nach vorliegenden Hinweisen aus der Mehrzahl der Bezirke der DDR zeichnet sich in den letzten Wochen in der Reaktion der Bevölkerung der DDR, insbesondere unter Arbeitern, eine Tendenz zunehmender Unzufriedenheit ab. In den Diskussionen werden teilweise skeptische, resignierende, pessimistische und negative Meinungen bis hin zu aggressiven Argumenten deutlich.

Hinweise auf Tendenzen der Unzufriedenheit in der Reaktion der Bevölkerung der DDR, 12.9.1977; BStU, ZA, ZAIG 4119, Bl 2

Geklagt wurde auch über die Ungleichbehandlung, dass sich die Sparmaßnahmen nur gegen den 'kleinen Mann' und somit Menschen mit geringem Einkommen, insbesondere Rentner, richteten (vgl. Das Bundesarchiv: Jahrgang 1977). Es verbreiteten sich Gerüchte über Warnstreiks, mit welchen angeblich die Teilauszahlung des Lohnes in Westgeld erreicht werden sollte. Zudem wuchs Unmut über den Versuch, erschwinglichen Kaffee durch ein Mischgetränk (Kaffee-Mix), eine Mischung aus 50 Prozent Röstkaffee und 50 Prozent gerösteten Erbsen, Roggen, Gerste und Zuckerrübenschnitzeln, zu ersetzen. Im Bericht des MfS vom 1. September 1977 heißt es dazu, dass

Zitat

Qualität und Preis der neuen Kaffeesorte 'Kaffee-Mix' von breiten Kreisen der Bevölkerung abgelehnt werden

Stasi-Unterlagen-Archiv: Betrug am Arbeiter
Zitat

Zunehmend sind zum 'Kaffee-Mix' abfällige Bezeichnungen im Umlauf, die bis zu politischen Witzeleien, in denen führende Funktionäre verunglimpft werden, reichen

Hinweise auf Tendenzen der Unzufriedenheit in der Reaktion der Bevölkerung der DDR, 12.9.1977; BStU, ZA, ZAIG 4119, BL 18

Im Volksmund wurde das Getränk als 'Erichs Krönung' verspottet, was im MfS-Bericht allerdings so deutlich nicht gesagt wurde (vgl. Wolle 1998: 200; Wünderich 2003: 240-261).

Hinsichtlich der Wahlen, die in der DDR einem Akklamationsritual gleichkamen, waren sich die Bürger*innen in der DDR der fehlenden demokratischen Partizipation und Legitimation ihrer Stimmabgabe bewusst. Bürger*innen, die geheim abstimmten, mussten Nachteile befürchten. Die Menschen hatten gelernt, Vorteile aus ihrer Teilnahme an den Wahlen zu ziehen und die Stimmabgabe an Erfüllungen sozialpolitischer Zusagen, wie die Zusage für eine bessere Wohnung, zu knüpfen. (vgl. Gieseke 2008: 251ff.).

Empfänger der insgesamt 234 Berichte waren nur die Minister*innen des MfS und ihre Stellvertreter*innen, jedoch keine externen Verteiler. Erst 1989 nahm das MfS die politische Führung wieder in den Verteiler auf. Im Anschluss daran folgten nur noch wenige Berichte, bevor das MfS aufgelöst wurde (vgl. Gieseke 2008: 247; Süß 1999: 232ff.).

Fehlende verlässliche Datenquellen für die DDR - die Geburtsstunde der westdeutschen Stellvertreterumfrage

In der DDR wurden während der Zeit ihres Bestehens nur sehr begrenzt Einstellungsdaten erhoben. Diese blieben jedoch unter Verschluss, da das SED-Regime ausschließlich eine parteilich gelenkte Medienöffentlichkeit zuließ. Befragungen von DDR-Bürger*innen zu ihrer Lebenszufriedenheit, wie sie bereits seit 1978 in der BRD im Rahmen des Wohlfahrtsurvey erhoben wurden, waren seinerzeit in der DDR nicht möglich. Um die westdeutsche Informationslücke zu füllen, wurden im Auftrag der Bundesregierung seit 1968 jährlich stellvertretend ca. 1.200 westdeutsche Besucher der DDR nach ihrer Rückkehr in standardisierter und anonymisierter Form über die dort herrschenden Stimmungslagen, welche ostdeutsche Kontaktpersonen berichteten, befragt. Im Fortgang dieser sogenannten Stellvertreterumfragen wurden bis 1989 insgesamt 27.000 Fragebögen ausgefüllt. Mithilfe dieses Erhebungsinstruments konnte die Bevölkerungsmeinung besser eingefangen werden, als es durch Befragungen geflüchteter oder ausgereister DDR-Bürger*innen möglich gewesen war (vgl. Holtmann/ Köhler 2015).

Diese damals geheimen und über zwei Jahrzehnte laufenden Befragungen lieferten, wie sich nach 1990 bestätigte, ein ziemlich genaues Stimmungsbild der Lebenszufriedenheit der DDR-Bürger*innen. Das Forschungsinstitut Infratest, welches die Befragung durchführte, wies seinerzeit darauf hin, dass die Ergebnisse der Umfragen nicht als harte, auf den Prozentpunkt genaue Daten, sondern vielmehr als Anhaltspunkte für das vorherrschende Meinungsbild in der DDR anzusehen seien. Zudem ergänzten Auswertungen schriftlicher Quellen aus den DDR-Medien sowie qualitative Gruppendiskussionen mit DDR-Besucher*innen und Expertengespräche die Befragungen (Ebenda).

Nach der Wiedervereinigung wurde bekannt, dass die DDR-Führung dank eines "Maulwurfs" im Bonner Gesamtdeutschen Ministerium die Befragung als stiller Teilhaber begleitet hat, was für sie durchaus von Vorteil war. So ging sie kein Risiko einer eigenen Befragung ein, erhielt jedoch belastbare Informationen über das Meinungsbild der Bürger*innen ihres Landes (Ebenda).

Grundrechte, Chancengleichheit und Zukunftsperspektiven

Seit Beginn der Stellvertreterforschung im Jahr 1968 haben lediglich ca. 30 Prozent der Menschen in der DDR die Lebensbedingungen im Land als gut oder sehr gut empfunden. Ebenso viele stuften die Bedingungen als ausgesprochen schlecht ein. In den 1980er Jahren stieg die kritische Stimmung stark an. Als Vergleichsmaßstab für die Bürger*innen der DDR zählte stets die BRD (vgl. Holtmann u.a. 2015: 9).

Zum Thema Meinungsfreiheit waren im Jahr 1988 44 Prozent der Menschen in der DDR der Auffassung, es gehe insgesamt freier zu als noch vor wenigen Jahren. Zwei Drittel hielten es sowohl 1972 als auch 1988 für angebracht, vorsichtig bei öffentlichen Äußerungen zu sein. Einzig 1969 hatte der Wert mit 70 Prozent noch höher gelegen (Ebenda: 6).

Die Bürger*innen der DDR waren in den letzten eineinhalb Jahrzehnten deren Bestehens mehrheitlich unzufrieden mit den politischen Verhältnissen im Land. So stieg die Zahl der Menschen, die eine Verschlechterung feststellten, zwischen 1975 und 1980 von 14 auf 40 Prozent um fast das Dreifache an. 1987 ging der Wert auf 17 Prozent zurück und die Zahl der Menschen die angaben, keine Veränderung festzustellen, stieg auf zwei Drittel. Ab 1988 verschlechterte sich das politische Klima und erreichte im Jahr 1989 den Höhepunkt der Kritik (Ebenda: 7f.). Umgekehrt erhöhte sich im Spiegel der Umfragen die Zahl der Systemgegner bis Anfang der 1980er Jahre auf etwa 30 Prozent und stieg 1989 auf 40 Prozent. Die Mehrheit der Menschen verhielt sich bis dahin dem DDR-System gegenüber angepasst oder resigniert. 1989 mochten sich nur noch 13 Prozent mit dem System identifizieren. 1970 gaben 39 Prozent der SED-Mitglieder für ihren Parteibeitritt als Motiv an, Schwierigkeiten zu vermeiden. 28 Prozent sagten, sie seien wegen erhoffter Vorteile beigetreten (Ebenda).

Eine zentrale Botschaft des Gesellschaftsbildes der DDR war das Gleichheitsversprechen. Die Mehrheit der Ostdeutschen sah jedoch die wirtschaftliche und soziale Sicherheit, die Chancengleichheit und eine bessere Zukunft seit den späten 1970er Jahren eher in der BRD verwirklicht als in ihrem sozialistischen Land. Auch bezüglich der Aussichten auf bessere Lebensbedingungen in der Zukunft fiel die subjektive Meinung seit Mitte der 1970er Jahre zugunsten der BRD aus (Ebenda: 9).

Ende der 1980er Jahre wurden Reisen in den Westen erleichtert, was den Erwartungsdruck auf das DDR-Regime erhöhte. So empfand jede*r vierte Westreisende die Verhältnisse in der DDR nach Rückkehr negativer als vor der Reise in die BRD (Ebenda: 9). Die BRD wurde im Vergleich zur DDR bezüglich der wirtschaftlichen Lage, der allgemeinen Lebensbedingungen, der Chancengleichheit sowie der sozialen Sicherheit als überlegen angesehen (Ebenda: 89-96). Aber auch die Schattenseiten der BRD, wie soziale Ungleichheiten, Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Drogenprobleme, waren den Reisenden aus der DDR bewusst. Insgesamt wurde die BRD jedoch als ein wohlhabendes Land erfahren, und der Eindruck besserer Lebensverhältnisse blieb bei den Reisenden haften (Ebenda: 9, 92).

Quelle: Holtmann 2017, beruhend auf Infratest Kommunikationsforschung Bericht 1 (1994). (© bpb)

Was stiftete Lebenszufriedenheit in der DDR?

Die Umfragen belegen, dass das Regime der DDR wenig ideellen Rückhalt in der Bevölkerung besaß. Die DDR wies in der Wahrnehmung ihrer Bürger*innen im Vergleich zur BRD klare Defizite im Bereich der Freiheitsrechte, der Lebensqualität wie auch der persönlichen Zukunftsaussichten auf (vgl. Holtmann/ Köhler 2015). Ausgesprochen wichtig waren den Menschen in der DDR ihre Gemeinschaftsbezüge sowie ihr Privatleben. Zwischen 1979 und 1985 rangierten auf den oberen Plätzen eine gemütliche Wohnung, der familiäre Zusammenhalt, eine gute Partnerschaft/Ehe und Kinder (Tabelle 1). Werte wie Karriere, Reisen und ein eigenes Auto nahmen hingegen nur mittlere Plätze ein (vgl. Holtmann u.a. 2015: 8).

Zwischen 1979 und 1985 sank der Stellenwert des Bedürfnisses, gut essen und trinken zu können. Hingegen wünschten sich mehr Menschen, sich kritisch äußern zu können (Tabelle 1). Berufstätig zu sein war zu Beginn der 1970er Jahre für 80 Prozent der DDR-Bürger*innen ein Mittel zum Zweck. Lediglich 18 Prozent empfanden Freude am Beruf. Auf der einen Seite wurden das Betriebsklima von 49 Prozent und die Zusammenarbeit und Solidarität von 52 Prozent gelobt. So war es für 40 Prozent normal, sich mit Kolleg*innen auch außerhalb der Arbeitszeit zu treffen und die Betriebsgemeinschaft als Anker der Gemeinschaftsbezüge zu erleben. Auf der anderen Seite gaben 49 Prozent an, Nachteile befürchten zu müssen, wenn sie ihre Meinung über Missstände und Probleme im Betrieb frei äußerten (Ebenda: 9).

Wichtige Dinge im Leben

DDR-Bürger Gesamt
1979 1985
Gut Essen und Trinken 73 59
Politisch aktiv sein 17 11
Gute Partnerschaft/Ehe 88 89
Berufliche Karriere 57 52
Gemütliche Wohnung 93 93
Sich in der Freizeit für die Gemeinschaft einsetzen (freiwillige Hilfe beim Bau von Kinderspielplätzen, kulturelle Aufgaben etc.) 28 29
Eigene Kinder haben 74 81
Ein eigenes Auto haben 64 65
Kritisch äußern, wenn einem was nicht passt 69 75
Religiös aktiv sein 27 24
Möglichst viel Freizeit fürs Privatleben haben 81 80
Zusamenhalt, Zusammengehörigkeit der eigenen Familie 92 95
Sich viel anschaffen, sich viel leisten können 69 61
Viel reisen, um die Welt kennenzulernen 63 59

Quelle: Holtmann 2017, auf Datenbasis Infratest. Nennung 'besonders wichtig'. Angaben in Prozent.

Gemeinschaft durch Mangelwirtschaft

Nach Auffassung der Mehrheit der DDR-Bürger*innen hatte sich das Angebot an Konsumgütern Mitte der 1980er Jahre stabilisiert, nachdem es noch zwischen 1979 und 1983 als kritisch eingestuft worden war. Die Unzufriedenheit mit den Konsumchancen in der DDR stieg im Jahr 1989 merklich an. Zwar wurde die Versorgung mit Gütern zur Deckung der Grundbedürfnisse als nicht prekär angesehen (vgl. Holtmann u.a. 2015: 9). Bei speziellen Gütern und Dienstleistungen wurde jedoch eine chronisch herrschende Mangelwirtschaft wahrgenommen. Häufig kam man nur durch Beziehungen oder Tauschwirtschaft an rare Waren. So waren die Möglichkeiten, unter der Hand durch Beziehungen schneller an Dienstleistungen oder Waren heranzukommen, die sonst nur schwer zu haben waren, für viele Bürger*innen der DDR eine wichtige Alltagserleichterung, die indirekt die Gemeinschaftsstruktur stärkte. Dies betraf insbesondere Südfrüchte, Kaffee, aber auch Baustoffe, Ersatzteile für Autos bzw. Motorräder und handwerkliche Dienstleistungen. Bei der Beschaffung dieser Güter und Waren zeigte sich eindeutig eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. So hat es Privilegien für systemtreue Funktionäre und Parteimitglieder, Westgeldbesitzer*innen und Reisekader gegeben (vgl. Gieseke 2008: 257; Holtmann u.a. 2015: 8).

Die Jahre des mentalen Umbruchs 1988 und 1989

In den letzten Jahren der DDR war das Stimmungsbild unter den Bürger*innen zwiespältig. Auf der einen Seite schwand die politische Unterstützung für das DDR-System und wuchs die wirtschaftliche Unzufriedenheit. Auf der anderen Seite stieg vorübergehend die Zahl jener, die sich mit dem System identifizierten und es, aus Angst vor der der unsicheren Zukunft, nicht verlieren wollten. Viele Menschen gewannen zudem den Eindruck, dass sie ihre Meinung nun endlich freier äußern könnten (vgl. Holtmann u.a. 2015: 9).

Im Sommer 1989 wuchs die Erwartung unter den DDR-Bürger*innen, dass sich die gesellschaftlichen und politischen Zustände ändern würden. 81 Prozent erhofften sich, dass man von Übersprungeffekten der Reformimpulse anderer Ostblockstaaten profitieren könne. Als Katalysator gesellschaftlichen und politischen Wandels wurden die Evangelische Kirche sowie regimekritische Gruppen angesehen (Ebenda: 10).

Erste repräsentative Befragungen der DDR-Bürger*innen im Jahr 1990

Im Oktober/November 1990 wurde erstmals das seit 1984 in der BRD durchgeführte Sozio-ökonomische Panel (SOEP) auf die DDR erweitert. So wurden vergleichbare Daten und Fakten über objektive Lebensbedingungen und die subjektiv wahrgenommene Lebensqualität in der DDR erhoben. Auch konnte nun gemessen werden, wie Besonderheiten im Leben der ehemaligen DDR-Bürger*innen und typische Errungenschaften der sozialistischen Ordnung im Nachhinein bewertet wurden (vgl. Landua u.a. 1991: 2).

Das SOEP untersucht neben der allgemeinen Lebenszufriedenheit auch das subjektive Wohlbefinden in verschiedenen Lebensbereichen wie Wohnen, Familie, Freizeit, Arbeit, Gesundheit sowie persönlichem Einkommen und Haushaltseinkommen. Ein Ziel ist es, über private und öffentliche Lebensbereiche individuelle Präferenzen, Wünsche und Zufriedenheiten zu erheben (Glatzer /Zapf 1984; Statist. Bundesamt 1989; Zapf u. a. 1991).

Auch der Wohlfahrtssurvey-Ost aus dem Jahr 1990, die Erweiterung einer seit 1978 in der BRD (1978, 1980, 1984 und 1988) durchgeführten Studie, machte deutlich, dass die Befriedigung privater und insbesondere immaterieller Bedürfnisse im Osten Deutschlands zu dieser Zeit Priorität genoss. Neben ähnlichen Grundmustern gab es im Bereich Arbeit und Einkommen starke Unterschiede (vgl. Habich/ Priller 1992: 244). Die Lebenszufriedenheit wurde auf einer Skala von 0 bis 10 (0: völlig unzufrieden - 10: ganz und gar zufrieden) gemessen. Im Juni 1990 lag der Wert der Zufriedenheit unter den Befragten bei 6,6, im Herbst bei 6,5. Hochzufrieden waren nur 8 Prozent im Juni und 6 Prozent im Herbst, unzufrieden 9 Prozent im Juni und 13 Prozent im Herbst. In der Summe erreichte die Gesamtbevölkerung in den ostdeutschen Bundesländern ein Niveau, wie es in der BRD typischerweise bei Problemgruppen wie Arbeitslosen, Alleinlebenden, einsamen älteren Menschen bzw. dauerhaft gesundheitlich Beeinträchtigten gemessen wurde (vgl. Habich/ Priller 1992: 245).

Als drängendste politische Aufgaben sahen die Menschen in Ostdeutschland zu dieser Zeit vorrangig wirtschafts- und sozialpolitische Fragen mit Bezug zur eigenen Lebenssituation an (vgl. Holtmann u.a. 2015: 107). Rückblickend bewertete der Großteil der befragten ehemaligen DDR-Bürger*innen (96 Prozent) die Bereitstellung eines Arbeitsplatzes für jede*n, die/der arbeitet, und ausreichende Betreuungsangebote für Kinder in der DDR als sehr gut. Auch die Hilfsbereitschaft der Menschen untereinander wurde von 85 Prozent der Befragten als sehr gut bewertet, was die hohe Bedeutung von sozialen Netzwerken unterstreicht. Positiv bewertet wurden ferner gleiche Rechte für Männer und Frauen sowie die Sicherung stabiler Preise (81 Prozent bzw. 79 Prozent). In der Rückschau wurden die Bereitstellung angemessener Wohnungen und der Umweltschutz (82 Prozent bzw. 97 Prozent) als unzureichend bewertet (Landua u.a. 1991: 26).

Am 1. Juli 1990 erfolgte mit der Währungsumstellung eine frühe tiefe Zäsur für die Menschen der DDR (vgl. Holtmann u.a. 2015: 12). Zwar wuchs die Zufriedenheit mit materiellen Konsumgütern, nicht aber mit der Gesundheit, der Arbeit oder der Familie (vgl. Rötzer 2009). Obwohl die Befragungen der Bürger*innen in der Endzeit der DDR nur einen kurzen Zeitraum abdecken (Juni und Oktober/November 1990), dokumentieren die Erhebungen doch negative Veränderungsprozesse, die sich auf fast alle Lebensbereiche übertrugen. So sank die Zufriedenheit mit dem Einkommen von 5,5 auf 4,7, mit der Umwelt von 3,1 auf 2,2, mit der Arbeit von 7,2 auf 6,7 und mit dem Wohnen von 6,9 auf 6,5. Einzig im Bereich Gesundheit stieg die Zufriedenheit von 6,6 auf 6,9 (Landua u.a. 1991: 14f.).

Zufriedenheit in ausgewählten Lebensbereichen nach sozial relevanten Merkmalen 1990

*Zufriedenheitsskala von 0 bis 10: 0 = "ganz und gar unzufrieden"; 10 = "ganz und gar zufrieden".
Datenbasis: Basiserhebung DDR und Wohlfahrtssurvey-Ost
Zufriedenheit mit…..
Arbeitsplatz Wohnung Gesundheit Lebensstandard Haushaltseinkommen Umweltschutz
Juni Herbst Juni Herbst Juni Herbst Juni Herbst Juni Herbst Juni Herbst
Mittelwerte
Insgesamt 7,2 6,7 6,9 6,5 6,6 6,9 6,3 6,0 5,5 4,7 3,1 2,2
Geschlecht
Männer 7,2 6,6 6,8 6,5 6,8 7,2 6,4 6,0 5,6 4,8 3,1 2,1
Frauen 7,2 6,9 7,0 6,5 6,4 6,7 6,3 5,9 5,5 4,6 3,1 2,3
Alter in Jahren
18-34 Jahren 7,0 6,3 6,0 5,9 7,8 8,2 6,2 5,9 5,3 4,6 2,9 1,8
35-59 Jahren 7,3 6,9 7,3 6,7 6,3 6,6 6,4 6,0 5,7 4,8 2,9 2,3
60 Jahren u. älter 7,6 - 7,6 6,9 5,4 5,4 6,3 6,0 5,4 4,7 3,8 2,4
Bildungsabschluss
8. Klasse 7,6 6,8 7,4 6,5 5,9 6,0 6,3 5,7 5,4 4,4 3,4 2,3
10. Klasse 7,1 6,7 6,5 6,4 7,2 7,6 6,3 6,1 5,5 4,9 2,9 2,1
Abitur 6,7 6,6 6,5 6,4 7,1 7,4 6,4 6,3 5,9 5,0 2,6 2,1
Stadt-Land-Kontinuum
Dorf 7,2 6,4 7,4 7,0 6,3 6,8 6,5 5,9 5,4 4,6 3,7 2,3
Großstadt 7,1 6,6 6,7 6,4 6,5 7,0 6,0 6,0 5,6 4,6 2,6 2,1
Einkommen
Oberstes Quintil 7,4 7,0 6,7 6,5 6,8 7,0 6,6 6,5 6,2 5,6 3,1 2,0
Unteres Quintil 7,1 6,1 7,0 6,1 6,1 6,5 5,9 5,0 4,5 3,2 3,5 2,2

Quelle: Habich/ Priller 1992: 251.

Blick in die Zukunft - ein vereintes Land

Dennoch blickten 49 Prozent der DDR-Bürger*innen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Bildungsstand, Beruf oder Einkommen, optimistisch in die Zukunft. Die anderen 44 Prozent sahen den Veränderungen eher mit Sorge entgegen (vgl. Holtmann u.a. 2015: 12). Insbesondere jene, die um ihren Arbeitsplatz fürchteten (34 Prozent), hatten Sorge, dass sich ihre persönlichen Lebensbedingungen verschlechterten (Ebenda: 13).

Der innerdeutsche Vergleich 1990/91 zeigt: Seinerzeit führten in Ost- und Westdeutschland private Lebensbereiche wie Ehe, Familie und Partnerschaft die Liste der Zufriedenheit an. Die Bereiche Einkommen, Gesundheit und Lebensstandard rangierten auf mittleren Rängen. Die Bereiche Umweltschutz und soziale Sicherheit wurden von der ostdeutschen Bevölkerung, insbesondere auf dem Land, mit einer hohen Unzufriedenheit bewertet (vgl. Landua u.a. 1991: 2). Ein deutliches Ost-West-Gefälle war bezüglich der Zufriedenheit mit den materiellen Lebensbedingungen feststellbar. So fiel die Beurteilung des Angebotes an Waren und Dienstleistungen in Ostdeutschland sehr negativ aus, was auf die Bedeutung der materiellen Lebensbedingungen hinweist (Ebenda: 2).

Mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung hat die persönliche Lebenszufriedenheit der gesamtdeutschen Bevölkerung ein hohes Niveau erreicht. Die Werte zwischen Ost- und Westdeutschland haben sich erkennbar angeglichen (vgl. Holtmann/Jaeck 2015: 11). Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland sind dennoch bis heute messbar (Interner Link: Beitrag "Lebenszufriedenheit").

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ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum soziale Innovation Sachsen-Anhalt.