Soziale Gerechtigkeit: menschliches Grundbedürfnis und Politikum
Soziale Gerechtigkeit ist eine Leitvorstellung, die sich aus der dem Menschen eigenen Erwartung eines guten Lebens speist. Sie steht in der Wertordnung traditionell ganz weit oben. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2017 hielten 92 Prozent diesen Wert für wichtig (Hilmer u.a. 2017, S. 14f.). Soziale Gerechtigkeit ist Wunsch und Anspruch zugleich. Bestimmender Maßstab dafür ist der Gleichheitsgrundsatz. Als sozial gerecht wird angesehen, was im persönlichen Vergleich mit anderen Mitmenschen als recht und billig anmutet. Wer ohne eine für sich selbst überzeugende Begründung Ungleichheit erfährt, sieht sich ungerecht behandelt.
Soziale Gerechtigkeit ist jedoch nicht nur ein relationaler, d.h. auf Vergleichbarkeit beruhender und auf soziale Verhältnismäßigkeit abstellender, sondern auch ein zutiefst moralischer Begriff. Immer geht es im Kern um Fragen der Würde, der Ehre, des eigenen Werts, des fairen Miteinander, des Nachteilsausgleichs und einer angemessenen Berücksichtigung individueller Bedürfnisse und Interessen. Hierunter werden einesteils eine finanziell auskömmliche Lebensführung und anderenteils immaterielle, d.h. Selbstentfaltung ermöglichende Lebenschancen verstanden.
Soziale Gerechtigkeit wird zum einen verwirklicht (oder eben auch verweigert) durch gesellschaftliche Beziehungen, z.B. in Form von Arbeitsentgelten oder der Rollenverteilung in Familien. Als Produzenten und Garanten sozialer Gerechtigkeit fällt zum anderen in traditionellen Wohlfahrtsstaaten wie Deutschland dem Staat eine Schlüsselstellung zu, da dieser für das Arbeits- und Sozialrecht zuständig sowie für die Systeme sozialer Sicherung verantwortlich ist. Der Staat solle, das bejahten 2017 rund 70 Prozent der Bevölkerung, eine umfassende soziale Absicherung garantieren (Ebenda, S. 18).
Die Leistungen der Versicherungssysteme für die Versorgung im Alter sowie im Falle von Krankheit, Invalidität und Arbeitslosigkeit werden allgemein am Maßstab der "Herstellung von Chancengleichheit und Verteilungsgerechtigkeit" gemessen (Czada 2008: 199). Allerdings ist die Messung schwierig: Es gibt keine allgemein gültigen objektiven Messgrößen, anhand derer sich soziale Gerechtigkeit exakt bestimmen ließe. Diese ist daher ein Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlung bzw. politischer Abwägung, das unter dem Vorbehalt der Korrektur steht. Da es um finanzielle Transferleistungen enormen Ausmaßes geht und fast alle Bürgerinnen und Bürger irgendwie betroffen sind, ist das Thema folglich stets ein Politikum.
Das Thema soziale Gerechtigkeit entfaltet seine breite politische Wirkung als kollektive Vorstellung von gerechter Politik. Die Menschen verbinden mit sozialer Gerechtigkeit insbesondere gute Arbeit und sorgenfreie Lebensbedingungen, gleiche Bildungs- und Ausbildungschancen sowie eine leistungsgerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen.
Im allgemeinen Bewusstsein liegen das Begehren sozialer Gerechtigkeit, das Grundbedürfnis nach Sicherheit und der Wunsch nach Korrekturen sozialer Ungleichheit eng beieinander. Je nachdem, wie die Abwägung des Standes von Sicherheit, Gleichheit und Gerechtigkeit ausfällt, steigen oder schwinden die Systemzufriedenheit und das Vertrauen in die handelnde Politik.
Im Folgenden wird anhand ausgewählter Einstellungsdaten ausgeführt, welche Gerechtigkeitsvorstellungen die Bevölkerung in Ost- und Westdeutschland zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung hegte, welchen Präferenzen sie anhing, wie sie die Realität bewertet und wie sich das Meinungsbild bis hin zur Gegenwart gefestigt oder gewandelt hat.
Soziale Gerechtigkeit: nicht wortwörtlich im Grundgesetz aufgeführt, aber ein Verfassungsauftrag
Wie der Begriff "Sozialstaat" findet auch der Begriff "soziale Gerechtigkeit" im Grundgesetz nicht wortwörtlich Erwähnung. Obwohl folglich soziale Gerechtigkeit kein förmliches Verfassungsgebot ist, sind beide inhaltlich eng anverwandten Begriffe als Verfassungsaufträge anzusehen. Als solche entfalten sie rechtliche und politische Wirkung, welche den demokratischen und sozialen Rechtsstaat des Grundgesetzes (Artikel 20 und 28) konkretisiert.
Wie bei der Auslegung des Sozialstaatspostulats obliegt es dem Bundesverfassungsgericht zu verdeutlichen, was gemäß Verfassung unter sozialer Gerechtigkeit zu verstehen ist. Ein Grundsatzurteil lautet, dass der Staat verpflichtet ist, "für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen" (BVerfGE 22, S.180, 204). Das Gebot des sozialen Rechtsstaates sei, so ein anderes Urteil, "in besonderem Maße auf einen Ausgleich sozialer Ungleichheiten zwischen den Menschen ausgerichtet" und diene "zuvörderst der Erhaltung und Sicherheit der menschlichen Würde" (BVerfGE 35, S.348 und 355f.). Während insoweit das staatliche Handeln in Gesetzgebung und Verwaltung in die Pflicht genommen wird, macht das Gericht auch Ausführungen zur "Drittwirkung" sozialer Gerechtigkeit. Dem Recht falle die Aufgabe zu, "auch im Verhältnis der Bürger untereinander für Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu sorgen" (BVerfGE 5, S. 85 und 206).
Es gibt keine rechtliche Garantie absoluter Gerechtigkeit
Die Rechtslehre ist sich darin einig, dass absolute Gerechtigkeit im sozialen Rechtsstaat nicht gewährleistet werden kann. Was "gerechte" oder "ungerechte" Merkmale einer Sozialordnung sind, lässt sich, das betont der Arbeitsrechtler Michael Kittner, weder logisch ableiten noch empirisch genau festlegen. Auch eine nur näherungsweise Beschreibung bedürfe daher der Wertung (Kittner, in Alternativkommentar I, S. 1354). Daraus folgt, "dass es auf die 'materiale Gerechtigkeit im Einzelfall' überhaupt nicht ankommen kann, sondern nur auf die Systemgerechtigkeit, die in der Regel mit der 'Rechtssicherheit' am besten bedient ist" (Bäumlin/ Ridder, in Alternativkommentar I, S. 1355).
Der Grundsatz der Rechtssicherheit bedeutet lediglich, aber dies immerhin, dass für ungleiche Behandlung "sachlich überzeugende, vernünftige Gründe" vorliegen müssen (Gramm/ Pieper 2008, S. 49). Doch in der Rechtspraxis "wird das Maß an Gerechtigkeit, das der Rechtsstaat zu leisten imstande ist, gemessen an absoluten Gerechtigkeitsvorstellungen häufig nur unbefriedigend sein" (Ebenda, S. 51). Anders gesagt: Dass sich Einzelne oder Teile der Gesellschaft sozial ungerecht behandelt fühlen, wird sich selbst im sozialen Rechtsstaat niemals gänzlich ausschließen lassen.
Gerechtigkeitserwartungen in Ost- und Westdeutschland nach der Wiedervereinigung
Die psychologische Ausgangslage in Ostdeutschland nach dem Systemwechsel von 1989/90 lässt sich knapp so beschreiben: Die große Mehrheit der Bevölkerung der vormaligen DDR, die im autoritären Wohlfahrtsstaat eine zwar qualitativ bescheidene, aber eben doch umfassende Daseinsvorsorge erfahren hatte, sah es als selbstverständlich an, dass staatliche Hilfe auch fürderhin für alle Fährnisse des Lebens bereitgestellt wird. Deutlich mehr Ost- als Westdeutsche nahmen während der 1990er Jahre den Staat auch für Vollbeschäftigung, Einkommensgleichheit und gesetzliche Lohnkontrolle in Verantwortung (Gabriel/ Holtmann 2015, S. 86f.). Zu solchen vom westdeutschen Sozialstaatsmodell "abweichenden Normvorstellungen" (Fuchs 1997, S. 83,85), die Ostdeutsche aus der DDR in das geeinte Deutschland mitnahmen, kontrastierte die Wirklichkeit der Systemtransformation umso härter. Tatsächlich erfuhren Millionen infolge der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturbrüche eine Entwertung ihrer persönlichen Lebensguthaben. "Im Zuge des Regimewechsels und des ökonomischen Umbruchs sind berufliche Qualifikationen, Karrierepfade und persönliche Lebensperspektiven im Osten Deutschlands mannigfach entwertet, abgebrochen und verschüttet worden. Viele Betroffene sehen darin einen Akt systembedingter Ungerechtigkeit" (Brachert u.a. 2019, S. 101). Das Empfinden, ungerecht behandelt und persönlich zurückgesetzt zu werden, konnte der soziale Rechtsstaat der Bundesrepublik nicht in jedem betroffenen Einzelfall zufriedenstellend auffangen.
Unter diesen Vorzeichen behielt die Gerechtigkeitsfrage hohe Bedeutung. "Wir haben Gerechtigkeit gewollt und den Rechtsstaat bekommen" – dieser bittere Satz der DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, der im innerdeutschen Diskurs viel Widerspruch erfuhr, benennt intuitiv die Leistungsgrenze des sozialen Rechtstaats, der immer nur eine Rechtsordnung mit beschränkter Gerechtigkeitshaftung bereitstellen kann, zumal unter Bedingungen eines abrupten Systemwechsels. Es ist ein Grundproblem einer jeden sozial verpflichteten Rechtsstaatlichkeit, dass sie Einzelfallregelungen, die von sämtlichen Betroffenen als gerecht bewertet werden, nicht generell garantieren kann. Für die Menschen selbst, die im Osten Deutschlands sich etwa durch die Wegsanierung ihres Arbeitsplatzes oder die Streichung von DDR-Zusatzrenten sachgrundlos ungleich behandelt fühlten, war dieses Grundproblem selbstredend keine rechtstheoretische Frage und wohl auch nicht in erster Linie ein Mangel des bundesdeutschen Rechtssystems, sondern vor allem Ausdruck ungerechter Politik. Jedenfalls unterschritt das in Ostdeutschland von 1994 bis 2014 gemessene Vertrauen in die rechtsstaatlichen Institutionen (Gerichte, Polizei) den für Westdeutschland ermittelten Vergleichswert nur gering und stieg über denselben Zeitraum hinweg sogar moderat an (Gabriel/ Holtmann 2015, S. 165). Im September 2018 zeichnete sich hier allerdings ein Trendbruch ab: 73 Prozent der Westdeutschen, aber nur 50 Prozent der Ostdeutschen teilten die Meinung, dass der Rechtsstaat in Deutschland alles in allem gut funktioniere (ARD-DeutschlandTrend September 2018).
Der wahrgenommene Zustand sozialer Gerechtigkeit
Die Sicht Ostdeutscher auf ihre Position, die sie in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik der Bundesrepublik einnehmen, blieb im Gesamtbild zwiespältig. Einesteils zog nach rund zweieinhalb Jahrzehnten die übergroße Mehrheit eine grundsätzlich positive Bilanz der deutschen Einheit. Für 80 Prozent der befragten Ostdeutschen überwogen im Jahr 2014 allgemein eher die Vorteile der Wiedervereinigung (Ebenda, S. 139). Andererseits fiel der subjektive Systemvergleich DDR/Bundesrepublik aus ostdeutscher Perspektive weniger eindeutig aus, sobald nach konkreten Systemleistungen gefragt wurde: Unterschiedlich große Mehrheiten waren der Meinung, dass sich im Vergleich zum Leben in der DDR der soziale Zusammenhalt (70 Prozent), das Bildungssystem und die Kinderbetreuung (jeweils 57 Prozent), aber auch die soziale Gerechtigkeit (50 Prozent) verschlechtert hätten (Ebenda, S. 136). Allerdings bewerteten die unter 35-Jährigen, also jene, welche die DDR als Lebensordnung nicht mehr bewusst erlebt haben und denen sich, anders als vielen ihrer Eltern und Großeltern, einigungsbedingte Nachteilserfahrungen nicht in die eigene Biografie eingeschrieben haben, die Bundesrepublik einschließlich der sozialen Gerechtigkeit deutlich positiver (Ebenda).
In der umfragebasierten Einstellungsforschung wird soziale Gerechtigkeit einem dreiteiligen Fragenkomplex zugeordnet. Zwei Standardfragen lauten, ob es "hierzulande ganz allgemein gerecht oder ungerecht zugeht" und ob jemand "persönlich meinen gerechten Anteil erhält". Während diese beiden Fragen in Bevölkerungsumfragen regelmäßig gestellt werden, wird die konkrete Frage nach der subjektiven Einschätzung des Standes sozialer Gerechtigkeit seltener erhoben. Das mag daran liegen, dass in systembezogene und personenbezogene generelle Gerechtigkeitsbewertungen immer auch soziale Abwägungen der Befragten mit einfließen.
Existieren allgemein gerechte Zustände?
Bei der Beantwortung der Frage, ob es "in Deutschland alles in allem eher gerecht oder eher ungerecht zugeht", ist die Bevölkerung seit je her gespalten. Wie die langfristige Verlaufskurve zeigt, wechselt die Mehrheitsmeinung wiederholt, wobei seit 1990 durchweg mehr Ost- als Westdeutsche ein negatives Gerechtigkeitstestat ausstellen. Beispielsweise nahmen im Frühjahr 2017 44 Prozent aller Bundesbürger, aber 51 Prozent der Ostdeutschen eine stärker ungerechte Entwicklungstendenz wahr (ARD-DeutschlandTrend März 2017). Dass das ostdeutsche Stimmungsbild pessimistischer ausfällt, bestätigt auch eine Bevölkerungsumfrage von 2018. Bei der Antwortvariante "es geht eher ungerecht zu" beträgt das Ost-West-Gefälle 17 Prozent.
Ist eine persönlich gerechte Teilhabe gewährleistet?
Verglichen mit der allgemeinen Gerechtigkeitsbewertung fällt die Einschätzung, ob jemand persönlich den gerechten Anteil erhält, ersichtlich positiver aus. Davon überzeugt waren bei einer Herbstumfrage 2014 rund sechs von zehn Befragten. Ein knappes Drittel äußerte sich gegenteilig. Dabei fiel die Ost-West-Verteilung nahezu gleich aus. In späteren Umfragen tritt ein zwischen beiden Teilen des Landes unterschiedliches Stimmungsbild hervor. So äußerten im Frühjahr 2016 bundesweit 28 Prozent der Befragten, in Ostdeutschland aber 40 Prozent, sie erhielten weniger als den gerechten Anteil (Infratest Februar/März 2016). Eine in etwa identische regionale Spreizung bei der Verneinung persönlich gerechter Teilhabe – 27,4 Prozent West und 37,5 Prozent Ost – weist die oben schon erwähnte Bevölkerungsumfrage von 2018 aus.
Herrscht soziale Gerechtigkeit in Deutschland?
Für die subjektive Bewertung, inwieweit es in Deutschland sozial gerecht zugeht, spielen Erwartungen von Leistungs-, Verteilungs- und Chancengerechtigkeit eine Rolle. Eine neuere Bevölkerungsumfrage zeigt: "In der Werte- und Grundsatzhierarchie der Menschen steht die soziale Gerechtigkeit nach wie vor weit oben." Diesen Leitwert halten im Jahr 2017 mehr als 90 Prozent der Bundesbürger für wichtig (Hilmer u.a. 2017, S. 15). Zugleich sieht eine Dreiviertelmehrheit dieses Postulat fortwährend weniger eingelöst. Die in nachstehende Tabelle aufgenommenen Daten "geben der verbreiteten Rede einer von der Mehrheit der Bevölkerung empfundenen "Gerechtigkeitslücke" eine anschauliche empirische Bestätigung" (Kohl 2016: 19).
Zwar reicht hier die Zeitreihe nur bis 2008. Erkennbar wird immerhin, dass schon in den 1990er Jahren das Empfinden einer zunehmenden sozialen Ungerechtigkeit weit verbreitet gewesen ist. Dieser Eindruck ist nach der Jahrtausendwende Gemeingut geworden. Mehrheitlich als "eher ungerecht" wird empfunden, "welchen Lohn man für seine Arbeit bekommt" (60 Prozent) und "wie die Gesellschaft mit den Schwachen umgeht" (69 Prozent). Auch bei der Absicherung im Falle von Arbeitslosigkeit (35 Prozent) und bezüglich des Umgangs des Staates mit Hartz-IV-Empfängern (42 Prozent) sehen starke Minderheiten Gerechtigkeitslücken. Unter den kritischen Stimmen sind ressourcenschwache Bürger, d.h. solche mit formal niedriger Bildung und geringem Einkommen, überdurchschnittlich vertreten (ARD-DeutschlandTrend März 2017).
In der Veröffentlichung, auf die sich die Grafik "Bewertung der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland im Zeitverlauf" bezieht, sind die Daten nicht nach Ost-West-Anteilen aufgeschlüsselt. Insgesamt kann festgehalten werden, dass zwar auch in Ostdeutschland die zentralen Einrichtungen des deutschen Sozialstaates nach wie vor große Akzeptanz finden (Heinrich/ Jochem/ Siegel 2017, S. 3), dass aber zugleich im östlichen Teil des Landes die Menschen für Defizite sozialer Gerechtigkeit feinfühliger geblieben sind. Denn belegen lässt sich: "Die Bewertung der eigenen sozialen Absicherung bleibt auch ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung bei den Ostdeutschen durchgängig hinter derjenigen der Westdeutschen zurück" (Ebenda, S. 21).
Als ungerecht wahrgenommen werden Niedriglöhne, nicht ungleiche Einkommen als solche
Einkommensunterschiede lösen regelmäßig Sozialkritik aus. Bemerkenswert ist, dass die große Mehrheit der Bevölkerung mit einer ungleichen Verteilung von Einkommen kein grundsätzliches Gerechtigkeitsproblem hat - vorausgesetzt, die Niedriglöhne werden angehoben und das Leistungsprinzip gilt für alle Lohnempfänger. Eine Auswertung der Daten des Sozioökonomischen Panels ergibt, dass seit 2005 ziemlich konstant "zwischen zwei Drittel und drei Viertel der Befragten ihr eigenes Einkommen als gerecht wahrnehmen" (Adriaans/ Liebig 2018, S. 808). Wenn jedoch "Spitzenmanager hohe Bezüge erhalten und ihr Leistungsverhalten dem scheinbar nicht entspricht, dann wird dies offenbar als eine Verletzung des Leistungsprinzips, das in unserer Gesellschaft sehr stark verankert ist, angesehen" (Ebenda).
Gerechtigkeitsgefühl und politische Partizipation
Das Gerechtigkeitsgefühl beeinflusst die Beteiligung an Politik. Wie eine im Mai 2019 vorgelegte Studie ausweist, ist die Überzeugung, dass einem persönlich Ungerechtigkeit widerfahre, unter Nichtwählern verbreiteter als unter Wählern. Dieser Zusammenhang ist in Ostdeutschland deutlicher ausgeprägt als im Westen des Landes. Und in Ost wie West fühlen sich vor allem AfD-Wähler ungerecht behandelt.