Zentrale Daten zur ostdeutschen Hochschulentwicklung 1989 und 20 Jahre später (ohne Berlin)
1989 | 2009 | ||
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Staatliche Hochschulen | 54 | 46 (+ 8 Verwaltungshochschulen) | |
Studierende | 133.000 | 286.000 | |
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Hochschulen | 39.000 | Personalabbau 1990er Jahre: ca. 60 % | 26.000 |
Sozioökonomische Referenzdaten | Hochschuldaten |
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Ostdeutsche Anteile an Gesamtdeutschland | |
Bevölkerungsanteil: 16 % | Anteil an öffentlichen Wissenschaftsausgaben aller Länder: 16 % |
BIP: 12 % | Studierende: 15 % |
Hochschulpersonal: - Universitäten: 15 % - Fachhochschulen: 17 % |
Datenquellen: 1989: Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen der DDR, Sektor Statistik: Statistisches Jahrbuch des Hochschulwesens der DDR 1989, o.O. [Berlin] 1990; 2009: Statistisches Bundesamt: Fachserie 1, Reihe 1.3; Fachserie 4, Reihen 4.3-4.5 (2011); eigene Berechnungen
Mit dem Zusammenbruch der DDR im Herbst 1989 hatte zunächst eine spontane Entwicklung an den Hochschulen eingesetzt. Sie führte zur Auflösung der SED- und FDJ-Strukturen sowie zur Entsorgung ideologischer und (para-)militärischer Studienanteile (marxistisch-leninistisches Grundlagenstudium, Zivilverteidigung und Reservistenkurs), stellte die studentische Selbstverwaltung wieder her und hob die Beschränkungen der Wissenschaftsfreiheit auf. Die Herstellung des freien Studienzugangs war eine befreiende Erfahrung nach 40 Jahren rigider Zulassungspolitik. Mit dem 3. Oktober 1990 setzte dann eine Komplettumgestaltung der ostdeutschen Hochschulen ein. Diese hatte vier Facetten: eine strukturelle, personelle, inhaltliche und eine kulturelle.
Strukturumbauten
Die Rahmenbedingungen des Hochschulwesens wurden vor allem in zweierlei Hinsicht verändert. Einerseits änderten sich im Zuge eines weitgehenden West-Ost-Transfers die kompletten Strukturen: die Hochschulstrukturen, die Personalstruktur und das rahmensetzende Rechtssystem. Andererseits setzte, durch Finanztransfers getrieben, eine massive Ausstattungsverbesserung der ostdeutschen Hochschulen ein.
1990/91 erfasste die Hochschulen gleichzeitig ein großer Konflikt, als die sogenannten Abwicklungen verfügt wurden. Abwicklung bedeutete die Schließung von Einrichtungen, die als sachlich überflüssig oder politisch erneuerungsbedürftig galten. Das vorhandene Personal konnte sich zwar auf eine der Stellen bewerben, die für das anstelle der alten Einrichtung neu errichtete Institut ausgeschrieben wurden. Das war allerdings mit dem Makel behaftet, sich aus einem abgewickelten Zustand heraus zu bewerben. Moniert wurde hier ein rechtstaatlich relevantes Problem: Die Mitgliedschaft in einem Institut, also ein Kollektivmerkmal, entschied über die individuelle berufliche Existenz.
Im weiteren Verlauf wurden zahlreiche Hochschulen in der Fläche neugegründet und viele Fächer wiederbelebt, die im Zuge planwirtschaftlicher Konzentrationsanstrengungen nur noch an einzelnen Standorten vertreten waren. Hierdurch gab es dann ein weitgehend flächendeckendes Angebot sämtlicher Fächer (das im Zuge von Einsparungen in den 2000er Jahren zum Teil wieder zurückgefahren wurde). Mit den Fachhochschulen (FHs) wurde ein Hochschultyp eingeführt, den es so in der DDR nicht gegeben hatte. Wo diese FHs nicht gänzlich neu gegründet wurden, bauten sie auf vormaligen Ingenieurhochschulen auf. Politisch war hier das Ziel, dass mindestens 40 Prozent der Studierenden an die stark praxisorientierten Fachhochschulen gehen, während in den westdeutschen Ländern seinerzeit nur rund 20 Prozent ein FH-Studium absolvierten. Inzwischen hat sich dieser Wert im bundesweiten Durchschnitt bei rund 30 Prozent eingepegelt, wobei die ostdeutschen Länder nur noch wenig über den westdeutschen liegen.
Weitgehend erfolglos blieb das Vorhaben, Forscherinnen und Forscher aus Akademieinstituten in die Hochschulen zu integrieren. Dem lag eine folgenschwere Fehleinschätzung zugrunde. Ihr zufolge habe es in der DDR eine weitgehende Trennung von Forschung und Lehre entlang einer Linie zwischen Hochschulen und Akademien gegeben. Die DDR-Hochschulen, so die fehlerhafte Annahme, seien weitgehend nur Lehranstalten gewesen, während die eigentliche (Grundlagen-)Forschung an den Akademie-Instituten stattfand. Das war zwar ein Ziel der SED-Wissenschaftspolitik seit 1968 gewesen. Es hatte aber nicht umgesetzt werden können, da sich die Hochschulen subkutan dagegen wehrten, zu reinen Lehranstalten degradiert zu werden. Nun sollten über ein groß angelegtes Sonderprogramm, das Wissenschaftler-Integrations-Programm (WIP), 1.700 Akademieforscher in die Hochschulen integriert werden. Tatsächlich aber hatten die Hochschulen beträchtliche eigene Forschungspotenziale und mussten im übrigen Personal abbauen. Daher fielen die meisten der vormaligen Akademieforscherinnen und Akademieforscher, die sämtlich positiv evaluiert worden waren, nach Auslaufen des WIP wieder aus den Strukturen heraus.
Personeller Umbau
Zunächst begannen sogenannte Integritätsüberprüfungen, d.h. Personalkommissionen und Ministerien unternahmen politische Bewertungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und ihrer Biografien. Der Sache nach waren diese Überprüfungsverfahren Beurteilungen individualbiografischer Vergangenheit mit dem Ziel, eine Sozialprognose über die Eignung (bzw. Nichteignung) für den Öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland zu gewinnen. Das wurde völlig gegensätzlich bewertet. Die einen vertraten die Ansicht, dies stehe im vollen Einklang mit demokratischen Erfordernissen. Andere sahen Defizite, die sich etwa aus zu großer Eile ergaben. Wieder andere sahen solche Defizite auch, meinten aber, es sei der Übergangszeit geschuldet, unterläge also zeitlicher Begrenzung, was es hinnehmbar mache.
In einer nächsten Stufe wurden in den meisten ostdeutschen Ländern alle Hochschullehrerstellen neu ausgeschrieben. Die bisherigen Stelleninhaber konnten sich auch bewerben, doch dies nun in offener Konkurrenz mit westdeutschen Mitbewerbern, die im Blick auf Publikationen, Auslandserfahrungen und Vernetzungen bessere Voraussetzungen mitbrachten. Deshalb wurde an einer Reihe von Hochschulen, zum Teil auch durch Verabredungen innerhalb der Berufungskommissionen, ein ‚Ost-Bonus‘ angewandt.
Im Ergebnis gab es erhebliche Unterschiede zwischen den Fächern. Die Sozial- und Geisteswissenschaften wurden stärker verwestlicht als die Medizin und die MINT-Fächer. Innerhalb der letzteren hatten ostdeutsche Professoren in den Ingenieurwissenschaften die größten Verbleibschancen, während die Verhältnisse an den medizinischen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultäten stärker ost-west-ausgeglichen waren. Es gab Bereiche wie die Politikwissenschaft, die nahezu vollständig westdeutsch besetzt wurden, da es das Fach so in der DDR nicht gab. Dagegen verhielt es sich in der Soziologie ausgeglichener: 1997 waren von 53 für dieses Fach an ostdeutsche Universitäten berufenen Professoren elf in der DDR promoviert bzw. habilitiert worden (Kaube 1998, S. 297).
Parallel zu den Neubesetzungen der Professuren setzte an den Hochschulen ein politisch verfügter Personalabbau ein, der vor allem (Ost-)Berlin und Sachsen betraf. Dort hatte die DDR fast 50 Prozent ihres gesamten Wissenschaftspersonals konzentriert. Das war nun durch die beiden Bundesländer in diesen Größenordnungen nicht zu finanzieren. An der Universität Leipzig, der TU Dresden und der Humboldt-Universität zu Berlin, um drei Beispiele zu nennen, hatten daraufhin jeweils zwei Drittel des 1990 beschäftigten Personals ihren Arbeitsplatz räumen müssen (Gutjahr-Löser 1997, S. 33; Post 2005; Raiser 1998, S. 119). Dies betraf nun auch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterhalb der Professuren. Insgesamt verloren bis zum Ende der 1990er Jahre etwa 60 Prozent des wissenschaftlichen Personals der Hochschulen ihren Arbeitsplatz.
Ein besonders Problem waren die Schwierigkeiten, die der Transformationsmodus den jüngeren und mittleren ostdeutschen Wissenschaftlergenerationen bescherte. Deren Angehörige hatten noch in der DDR ihre ersten Schritte in der Wissenschaft absolviert, dann mit dem Umbruch ihre akademischen Lehrer und Netzwerke verloren, und sie waren nun zudem mit dem Stigma versehen, in der DDR wissenschaftlich sozialisiert worden zu sein. Aus beiden Generationen gelang es nur wenigen, sich in die neuen Strukturen zu integrieren.
Der weitgehende Verzicht auf das vorhandene Personal und die fast komplette ostdeutsche Nachwuchskohorte hatte eine wesentliche Voraussetzung: Die akademische Grundversorgung Ostdeutschlands konnte vergleichsweise problemlos aus den vorhandenen personellen Ressourcen der westdeutschen Wissenschaft erfolgen. Dies verschaffte auch Anwärtern eine Chance, die nach menschlichem Ermessen in der westdeutschen Normalsituation ihre Chancen ausgereizt hatten, ohne auf eine Professur gelangt zu sein. "Nicht zuletzt aufgrund des großen Zeitdrucks", so formulierte es zurückhaltend der seinerzeitige Generalsekretär des Wissenschaftsrates, "ist es nur teilweise gelungen, den internationalen Standards entsprechende Berufungsverfahren durchzuführen" (Krull 1994, S. 215).
Gleichwohl muss das – je nach Fächergruppe relative oder absolute – Übergewicht westdeutscher Berufungen in Ostdeutschland grundsätzlich weder verwundern, noch musste sich dahinter prinzipiell ein Problem verbergen: Die ostdeutschen Länder einschließlich Ost-Berlin stellten in den 1990er Jahren nur 21 Prozent der gesamtdeutschen Bevölkerung. Insbesondere in den Geistes- und Sozialwissenschaften hätte man es wohl auch keinem Studierenden ernsthaft wünschen dürfen, ausschließlich von früherem DDR-Personal belehrt zu werden. Allerdings wäre die zahlenmäßige westdeutsche Dominanz in Ostdeutschland nur dann völlig unproblematisch gewesen, wenn sich alsbald auch eine dem ostdeutschen Bevölkerungsanteil entsprechende Veröstlichung an westdeutschen Hochschulen ergeben hätte. Dies war nicht der Fall.
Hinzu traten hierarchische Unterschiede. Die ostdeutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler saßen nach dem Umbau an den Hochschulen typischerweise auf C3- statt C4-Stellen, waren häufiger an Fachhochschulen als an Universitäten anzutreffen, eher Stellvertreter denn Chefs. Das gilt bis heute. Eine aktuelle Studie zur Zusammensetzung der Leitungen deutscher Universitäten stellt fest: "Aus den ostdeutschen Bundesländern stammt keiner der aktuellen Universitätsleiterinnen und -leiter" (CHE 2019, S. 6). Da es 81 öffentliche Universitäten in Deutschland gibt und heute 20 Prozent der deutschen Bevölkerung in den östlichen Bundesländern einschließlich Berlin leben, müsste man statistisch 16 Universitätsrektorinnen oder -präsidenten ostdeutscher Herkunft erwarten.
Insgesamt hatte nahezu jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler in Ostdeutschland seit 1990 eine Veränderung des beruflichen Status erfahren: "Beendigung oder Neudefinition der Karrieren nahezu aller DDR-Wissenschaftler", fasste dies Dieter Simon, seinerzeit Wissenschaftsratsvorsitzender, zusammen (Simon 1998, S. 509). Für einige in der DDR benachteiligte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatte der Vorgang auch zuvor undenkbare Chancen geboten. Gleichzeitig wurden aber auch früher benachteiligte Wissenschaftler von der allgemeinen Welle des Stellenabbaus erfasst.
Inhaltliche Entwicklungen
Inhaltlich galt es, vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften, nach der marxistisch-leninistischen Monokultur der DDR deutlich mehr Pluralität herzustellen. Der Wissenschaftsrat (1992, S. 43) hatte hier gefordert, der "inneren Vielfalt der Zugriffe, Fragestellungen und Methoden" Beachtung zu schenken. Das gelang in den 1990er Jahren nicht überall in der nötigen Breite. Entsprechend verfügte die Neustrukturierung bald über ein recht eindeutiges Image: "In Germanistik, der Literaturwissenschaft und der Philosophie werden die Lehrstühle mit ganz, ganz wenigen Ausnahmen konservativ besetzt", war eine hierfür typische Einschätzung (Gebhard Rusch in Jung 1995, S. 31).
Aufschlussreich ist es, sich noch einmal eine Frage vorzulegen, die Anfang der 1990er Jahre gelegentlich gestellt worden war: Gibt es nicht auch Aspekte des DDR-Hochschulwesens, die eine gesamtdeutsche Bereicherung sein könnten, da auch die westdeutschen Hochschulen seinerzeit als dringend reformbedürftig galten? Die Antworten darauf fielen durchgehend negativ aus. Inzwischen ist aber auffällig, dass sich eine Reihe von Merkmalen der DDR-Hochschulen in aktuellen Reformentwicklungen wiederfindet, allerdings ohne Bezugnahmen auf die DDR, sondern als neu erfunden gelten. Der Kasten fasst diese zusammen (ohne damit jeden erwähnten Einzelfall als Verlust oder Gewinn zu markieren).
Infobox: In aktuellen Hochschulreformen neu erfundene DDR-Hochschulmerkmale
Profilierung ist ein Schlagwort der Hochschulreform seit Ende der 1990er Jahre. Es bezeichnet die Konzentration auf vorhandene oder zu entwickelnde Schwerpunkte, die entweder institutionelle Stärken sind oder solche werden sollen – und das gleichzeitige Vermeiden einer Verzettelung in zu vielen Feldern. Unabhängig davon, für wie sinnvoll man das im Einzelnen halten mag: Auffällig ist, dass wenige Jahre zuvor die durchprofilierten Spezialhochschulen des überkommenen DDR-Hochschulwesens als "überspezialisiert" entprofiliert worden waren.
Eine intensive fachliche Studierendenbetreuung, ein höherer Stellenwert der Lehre und der Regelstudienzeit ist ein (bislang uneingelöstes) Hochschulreform anliegen bereits seit Mitte der 90er Jahre (zeitgleich wurden die an den ostdeutschen Hochschulen noch bestehenden personellen Voraussetzungen für die Umsetzung dieser Anliegen durch Budgetkürzungen abgeschafft). Inzwischen wird, im Zuge der Bologna-Reform, das Lernen in kleineren Gruppen zumindest in den Master-Programmen realisiert.
Mehrere an DDR-Hochschulen existierende Arbeitsgruppen der soziologischen Studentenforschung, die faktisch Aufgaben einer institutional research erfüllten, waren 1990 "mangels Bedarf" aufgelöst worden. Anderthalb Jahrzehnte später wurden dann an allen deutschen Hochschulen Qualitätsmanagement-Einheiten mit ähnlichen Aufgaben aufgebaut und mit beträchtlichen Fördermitteln ermöglicht.
Der DDR-Lehrer im Hochschuldienst (LHD) lässt sich in neu eingeführten (wenngleich wenig genutzten) Personalkategorien wie Lecturer, Dozentin/Dozent oder Lehrprofessur wieder entdecken.
Dass in der DDR eine hochschulpädagogische Qualifizierung Voraussetzung der Lehrberechtigung war, ähnelt stark den heutigen Bemühungen, hochschul-didaktische Zertifikate als Teil der Postdoc-Qualifizierung durchzusetzen.
Ein Echo des in der DDR flächendeckend angebotenen Fernstudiums könnte man in den vielfältigen Bemühungen entdecken, berufsbegleitende Weiterbildungsprogramme zu etablieren.
Das 1990 zunächst ersatzlos gestrichene DDR-Forschungsstudium wurde in den 2000er Jahren in Gestalt strukturierter Promotionsprogramme neu erfunden.
Die handwerkliche Orientierung künstlerischer Hochschulausbildungen, wie sie in der DDR prägend war und nach 1990 als konservativ geschmäht wurde, ist zurückgekehrt, da Ausstellungsbetrieb und Kunstmarkt hier deutliche Umwertungen vorgenommen haben.
In Lehramtsstudiengängen wurde nach langen Diskussionen über die Art und Weise der Theorie-Praxis-Verflechtung ein Praxissemester eingeführt, zudem meist erst im Masterstudium. In der DDR hatten alle pädagogischen Studierendenjahrgänge von Studienbeginn an jeweils eine Partnerschule, in der sich die Kandidatinnen und Kandidaten regelmäßig studienbegleitend ausprobierten.
Ebenfalls in der Lehrerbildung wird heute Sprecherziehung und Stimmbildung flächendeckend eingeführt. In der DDR war dies Standardbestandteil des Curriculums.
Hinsichtlich der praktischen Orientierung des Medizinstudiums, insbesondere in der vorklinischen Phase, ähnelt das, was von den Reformstudiengängen der letzten 20 Jahre verallgemeinert wurde, stark den DDR-Üblichkeiten.
Kulturelle Dimension
Die deutsch-deutsche Wissenschaftszusammenführung war auch eine Kollision zweier extrem fremder Wissenschaftskulturen. Nach einer Untersuchung aus der Mitte der 1990er Jahre (Stenger/Lüchauer 1998) ließen sich die Ost-West-Beziehungen an ostdeutschen Universitäten als "Experten-Laien-Konstellation" mit einem charakteristischen Statusgefälle beschreiben. Dabei werde unter den Bedingungen der Konkurrenz um knappe Ressourcen die andere Vergangenheit der ostdeutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu einem Stigmatisierungspotenzial. Wolfgang Kaschuba, Ethnologe an der Humboldt-Universität, verdankt sich der Hinweis, dass die Situation durchaus im Stile eines ethnologischen Feldtagebuchs beschrieben werden könne: "Fremde rücken in das Gebiet einer indigenen Stammeskultur vor, sie übernehmen dort die Schlüsselpositionen der Häuptlinge und Medizinmänner, zerstören einheimische Traditionen, verkünden neue Glaubenssätze, begründen neue Riten. Das klassische Paradigma also eines interethnischen Kulturkonflikts, nur daß sein Schauplatz nicht in Papua-Neuguinea liegt, sondern ganz unexotisch nah, in Berlin, Unter den Linden." (Kaschuba 1993)
Auswirkungen hatte das vor allem in Konkurrenzsituationen, in denen Ost- und Westdeutsche aufeinanderstießen. Hier kam es zu einer wechselseitigen Befestigung zweier Tatbestände: Die hierarchische Untergeordnetheit verursachte eine schwächere Vertretung der Ostdeutschen in örtlichen wie in überregionalen akademischen und wissenschaftspolitischen Gremien. Das behinderte sie darin, ihre unzulängliche Verfügung über symbolisches, (wissenschafts-)politisches und ökonomisches Kapital aufzuholen. Infolgedessen wurde wiederum die Unterrepräsentanz in Entscheidungsgremien perpetuiert.
Fazit
Vollbracht wurde in den 1990er Jahren eine Systemintegration der ostdeutschen Hochschulen, die jedoch nicht mit einer Sozialintegration einherging. Der ostdeutsche Hochschulumbau hatte sich als ein Anpassungsprozess an das normsetzende und strukturtransferierende westdeutsche Hochschulsystem vollzogen. Dieser Vorgang war gekennzeichnet durch einen (zu) engen Zeitrahmen, Schwächen der Problemdefinition, in ihrem Anspruchsniveau stark differierende Zielsetzungen, ungleiche Organisiertheit der Interessen und dadurch dominierenden Einfluss von Interessenkartellen.
Neben der strukturellen Anpassung der ostdeutschen an die westdeutsche Wissenschaft und der inhaltlichen Pluralisierung des Forschungs- und Lehrbetriebs war es vor allem der Personalumbau, der den Gesamtvorgang kennzeichnete. Hier gab es Kompromisse zwischen Unverträglichkeiten: Aus dem Charakter des Systemwechsels als eines grundstürzenden Vorgangs konnten einerseits revolutionäre Forderungen – etwa: radikaler Elitenwechsel – abgeleitet werden. Dem stand andererseits das Gebot legalen Handelns gegenüber, also die Forderung nach Rechtsbindung jeglicher Verfahrensschritte.
Auf der Seite derjenigen, die an den Umbauprozessen aktiv beteiligt waren, setzte sich im Laufe der Jahre eine doppelte Argumentation durch. Einerseits müsse man Fehler anerkennen, die im einzelnen gemacht worden seien, "die auch verletzt haben, die Personen betroffen haben, die es verdient hätten, anders behandelt zu werden". Andererseits sei der Weg im Grundsatz richtig gewesen, da "fast jede denkbare Alternative … zu schlechteren Ergebnissen geführt hätte" (Markl 1997, S. 31).