Politisch gelenkt und ohne Wettbewerb des freien Marktes – die Situation in der DDR
Der Zusammenbruch der DDR hat zunächst auch zu einem Zusammenbruch der kulturellen Infrastruktur geführt. Im Gefolge des Systemumbruchs fand einerseits eine Re-Dezentralisierung der kulturellen Zuständigkeiten statt, unter anderem durch die Verlagerung dieser Aufgaben in die kommunale Selbstverwaltung. Andererseits sind mit der Auflösung der großen Kombinate auch vormals betriebliche Kulturangebote weggebrochen. Die kurzfristigen Folgen für den Kulturbetrieb in Ostdeutschland waren teilweise katastrophal: Zahlreiche Kultur- und Medieneinrichtungen mussten geschlossen werden, wodurch viele bildende Künstler, Schriftsteller und andere Kulturschaffende ihre Arbeitsmöglichkeiten verloren. Der plötzliche Wegfall der staatlichen und betrieblichen materiellen Unterstützung führte zu einer merklichen Verschlechterung der kulturellen Produktionsbedingungen. Zudem verloren ehemalige DDR-Künstler den Schutz der vormals den Absatz nicht marktlich regulierenden Mechanismen (Preisbindung, Subventionen, feste Aufträge etc.) und sahen sich fortan einer – schlagartig gesteigerten – Konkurrenzsituation ausgesetzt.
Die Ziele und Bestrebungen der offiziellen DDR-Kulturpolitik standen den Herausforderungen, welche die neuen Freiräume in Kunst und Kultur sowie der freie Markt für kulturelle Aktivitäten und Impulsen nach dem Systemumbruch öffnete, geradezu diametral entgegen. Die DDR-typischen Anleitungen sollten insbesondere auch Zwecken gesellschaftlicher ideeller Lenkung dienen: durch Kontrolle eines weitgehend gleichgeschalteten Vereinswesens; durch erzieherische Einwirkung auf breite Bevölkerungsschichten (Beispiele hierfür waren Pionierparks, Pionierhäuser oder Kulturräume in großen Betrieben); durch staatlich organisierte Jugendklubs, die unkontrollierten Gruppenbildungen entgegenwirken sollten .
Offizielle "Kulturarbeit" fand in der DDR nur organisationsbezogen statt. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) war die für die Kulturarbeit in der DDR wichtigste Massenorganisation. Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) widmete sich vor allem kulturpolitischen Fragen der Jugendkultur. Im Unterschied zum Kulturbund, der sich zu einer Künstlerorganisation entwickelte, nahm der FDGB aus zentralistischer Warte eher kulturpädagogische Aufgaben wahr.
Nach der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik 1949 wurden alle Volkskunstgruppen faktisch verstaatlicht und auf die bereits vorhandenen Massenorganisationen aufgeteilt. Eine Zentralstelle sollte geschaffen werden, welche die künstlerische Anleitung für alle (!) Volkskunstgruppen übernehmen sollte . So entstand 1952 zunächst das "Zentralhaus für Laienkunst" in Leipzig, später das "Zentralhaus für Volkskunst" und schließlich 1962 das "Zentralhaus für Kulturarbeit der DDR Leipzig". Am 24. April 1959 fand die programmatisch wegweisend angelegte Bitterfelder Konferenz statt. Sie sollte den Weg zu einer neuen und einzigartigen "sozialistischen Nationalkultur" ebnen. Ziel war die Mobilisierung von Kulturschaffenden in der Arbeiterklasse, aus ihr sollten die zukünftigen Künstler hervorgehen. Als Leitvorstellung wurde der "schreibende, musizierende, zeichnende, theaterspielende und tanzende Arbeiter" ausgerufen (ebd., S. 17).
Unangepasste Kulturschaffende wurden von der SED konsequent über die gesamte Lebenszeit der DDR abgekapselt, dies geschah vor allem durch die staatliche Zensur in Form von Auftritts- und Veröffentlichungsverboten oder gar dem Ausschluss aus den jeweiligen Künstlerverbänden, deren Mitgliedschaft für die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler existentiell war.
Die ganz zu Beginn (damals noch in der sowjetischen Besatzungszone) in Teilen noch geforderte Freiheit der Kultur wurde nur kurze Zeit später mit dem Beginn der Formalismus-Debatte durch die sowjetische Besatzung grundlegend revidiert und von der in der DDR neu entstandenen Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten endgültig bestätigt . Letztlich wurden alle Kulturgüter (Oper, Theater, Film, Malerei, Architektur, Musik und Literatur), welche sich nicht am sozialistischen Realismus orientierten, als bloßer Formalismus abgetan und entwertet. Die betraf auch einen Großteil der schon in der Nazidiktatur als "entartet" bezeichneten Kunst . Die Regierung formulierte ihre zukünftigen kulturellen Vorstellungen wie folgt:
Der andauernden Beengtheit der von oben verordneten Staats- und Parteikultur wollten sich im Laufe der Jahre keineswegs alle DDR-Künstler widerstandslos anpassen. Ereignisse wie beispielsweise die Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976 nach seinem "Kölner Konzert" und die sich anschließende Verurteilung Stefan Heyms und dessen Ausschluss aus dem Schriftstellerverband, welche einen Höhepunkt der künstlerischen Unterdrückung in der DDR markiert, führten zu einer Abwanderung von vielen Kulturschaffenden, die sich der vorgegebenen politischen Richtung des Ministeriums für Kultur in der DDR nicht unterwerfen wollten. In der Folge siedelten Künstler wie Manfred Krug, Eva-Maria Hagen (mit Tochter Nina Hagen), Jurek Becker, Bettina Wegener, Katharina Thalbach, Jürgen Fuchs, Sarah Kirsch sowie Armin Mueller-Stahl in die Bundesrepublik über oder wurden von der Staatsmacht indirekt – beispielsweise durch den Entzug der Arbeits- und Existenzgrundlage – zur Ausreise gezwungen. Da sich Kultur seit jeher im Wesentlichen über das Medium Sprache vermittelt, verwundert es nicht, dass das Band der gemeinsamen Sprache beide Teile Deutschlands auch zu Zeiten der staatlichen Trennung weiterhin verbunden hat. Ebenso ist das gemeinsame historische künstlerische und kulturelle Erbe, von der Musik des mitteldeutschen Barock und der Dichtung der Weimarer Klassik über das Bauhaus bis zur neorealistischen Malerei Inhalt der einen deutschen "Kulturnation", die auch Jahrzehnte der deutschen Teilung nahezu unbeschadet überdauert hat. Auch zur jüngeren kritischen kulturellen Aufarbeitung der Lebenswelten in der DDR tragen ostdeutsche Künstler maßgeblich mit bei. Beispiele hierfür sind in den letzten Jahren entstandene Theaterstücke und Filme (u.a. "Bornholmer Straße", "Sonnenallee", "Good bye Lenin", "Das Leben der Anderen"), Serien (u.a. "Weißensee") und zahlreiche Bücher (u.a. Jana Hensels "Zonenkinder", Thomas Brussigs "Helden wie Wir", Uwe Tellkamps "Der Turm", Lutz Seilers "Kruso" und Eugen Ruges "In Zeiten des abnehmenden Lichts").
Kein zahlenmäßiges Ost-West-Gefälle bei Kultureinrichtungen – die Situation nach der Wiedervereinigung
Nach der Wiedervereinigung kamen auch die Kultureinrichtungen der DDR auf den Prüfstand. Die Frage war: Welche kulturellen Errungenschaften waren es wert, trotz ihrer Herkunft aus einer politisierten Staatskultur erhalten zu werden? Die spätere rückblickende Frage lautet: Welche Spuren des Kulturlebens der DDR sind in der heutigen kulturellen Infrastruktur Ostdeutschlands noch erkennbar? Da es hier vor allem darum geht, die Entwicklung der kulturellen Institutionen vergleichend darzustellen, werden diese Fragen nicht nach inhaltlichen Kriterien, also dem "kulturellen Wert", beantwortet, sondern anhand zahlenmäßiger und räumlicher Indikatoren behandelt. Mit Hilfe der verfügbaren Zahlen zu Museen, Theatern und öffentlichen Bibliotheken in Ost- und Westdeutschland wird untersucht, ob sich die DDR-Vergangenheit bis heute auf die räumliche Erreichbarkeit und Verteilung von kulturellen Einrichtungen nachteilig ausgewirkt hat.
Bei einem Betrachtungszeitraum von etwa 10 Jahren zeigt sich zunächst deutschlandweit ein allgemeiner Zuwachs an Museen seit 2008: die Zahl stieg von 6.190 auf 6.771 bis 2017. Diese Tendenz ist für west- wie ostdeutsche Bundesländer ähnlich, fällt im Westen Deutschlands aber stärker aus (plus 562 im Westen, plus 19 im Osten). Nimmt man allerdings das Verhältnis von Einwohnern zu Museen in den Blick, fällt die Museumsdichte im Osten des Landes etwas günstiger aus. Hier kommen ca. neun Museen auf 100.000 Einwohner; im Westen sind es etwa acht. Mit diesem Zahlenvergleich können natürlich keine Aussagen über die tatsächliche Qualität der Einrichtungen getroffen werden, denn solche Aussagen über die Werte einer Kulturlandschaft unterliegen immer subjektiven Wertungen. Deutlich wird aber, dass Ostdeutschland an den zeitgenössischen Trend der Aufwertung und Ausweitung musealer Stätten Anschluss gefunden und diesen auch bewahrt hat (vgl. Abbildung 1).
Die Anzahl der Theaterstätten (vgl. Abbildung 2) zeigt im Vergleich einen eher stagnierenden bzw. konstanten Verlauf im Osten wie im Westen. Nach 2009 ist im Westen ein leichter Verlust und im Osten ein entsprechender Gewinn zu verzeichnen, danach kommt es nur zu unbedeutenden Schwankungen. Die Dichte der Theaterunternehmen liegt in den neuen Bundesländern allerdings durchgängig auf einem deutlich höheren Niveau als in der alten Bundesrepublik. Hier kommen auf ein Theater etwa 400.000 Einwohner, im Westen sind es etwa 670.000. Diese Differenz bleibt seit 1990 mehr oder weniger konstant.
Die Anzahl der öffentlichen Bibliotheken (vgl. Abbildung 3) hat in den letzten 10 Jahren nur in Ostdeutschland leicht zugenommen und liegt 2018 bei 1.083. Das sind gut 50 mehr als noch vor 10 Jahren. Im Westen ging die Zahl von 6.264 auf 6.151 zurück, folglich wurden hier etwas über 100 Bibliotheken geschlossen. Betrachtet man die Anzahl der Bibliotheken relativ zur Einwohneranzahl, zeigt sich, dass sich die Entwicklung in Ost-und Westdeutschland weitestgehend angeglichen hat. Die Erreichbarkeit von Bibliotheken – also die Bibliotheksdichte – liegt zwar auch 2018 in Ostdeutschland nach wie vor unter dem Niveau von Westdeutschland, sie hat sich in den letzten 10 Jahren aber weiter angeglichen (6,7 Bibl./100.000 Einwohner im Westen und 9,21 Bibl./100.000 Einwohner im Osten;).
Infrastrukturell hinkt Ostdeutschland, was die Ausstattung mit Kultureinrichtungen betrifft, dem Westen der Republik also keineswegs hinterher. Die neuen Bundesländer liegen größtenteils mit den alten Bundesländern auf einem ähnlichen institutionellen Ausstattungsniveau. Sie stehen sowohl bei der Erreichbarkeit von Theatern als auch bei Museen besser da. Für den Bereich kultureller Einrichtungen kann zumindest quantitativ nicht von einer der DDR geschuldeten Strukturlücke ausgegangen werden. Eine solche kulturelle Lücke liegt, insofern man überhaupt davon sprechen kann, eher auf der Seite der westlichen Bundesländer.