Strukturschwache oder "abgehängte" Regionen? – Unklarheiten im Sprachgebrauch
Die Unterscheidung zwischen strukturell stärker und schwächer aufgestellten Regionen bzw. Kreisen ist sachlich begründet und politisch unstrittig. Darauf deutet beispielsweise eine Kleinen Anfrage im Bundestag mit dem Titel "Stärkung strukturschwacher Regionen in Deutschland" hin . In der Antwort der Bundesregierung vom Februar 2017 werden strukturschwache Regionen, eine Typologie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) aufnehmend, anhand der Überlagerung mehrerer Indikatoren zu Demografie, Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Wohlstand, zu Infrastruktur und Wohnungsmarktsituation identifiziert . Insgesamt werden 27 Kreisregionen als strukturell stark oder sehr stark unterdurchschnittlich eingestuft. Darunter befinden sich gerade einmal sechs Städte. Zudem ist bemerkenswert, dass sich alle ostdeutschen Bundesländer außer Sachsen mit mindestens drei Regionen in der Liste befinden, während von den westdeutschen Bundesländern nur Bremen und Nordrhein-Westfalen auftauchen. Eine Studie des Thünen Instituts von 2016 untersucht speziell ländliche Regionen auf ihre sozio-ökonomische Lage hin. Daraus geht hervor, dass keine ostdeutsche ländliche oder sehr ländliche Kreisregion eine gute sozio-ökonomische Lage aufweist, während ca. 26 Prozent der Bevölkerung in prosperierenden ländlichen Lagen Westdeutschlands leben .
In der öffentlichen Debatte sind daraus oftmals Grenzziehungen entstanden, die bestehende räumliche Disparitäten greifbar machen sollen, jedoch zu verkürzten Schlussfolgerungen führen können. Im dreißigsten Jahr des Mauerfalls gehört das Ost-West-Gefälle zu den meistgenannten territorialen Gräben. Aber auch der Stadt-Land-Unterschied wird in jüngster Zeit aus wissenschaftlicher und medialer Sicht wieder verstärkt diskutiert. So wurden aus strukturschwachen – oftmals ländlichen – Regionen bisweilen "abgehängte Regionen" oder gar pauschal “der abgehängte Osten".
Vor dem Hintergrund dieses häufig unklaren Sprachgebrauchs in der aktuellen Debatte geht dieser Beitrag der Frage nach, welche strukturpolitischen Schlussfolgerungen aus den räumlichen Disparitäten abgeleitet werden, wie vor diesem Hintergrund der Verfassungsgrundsatz der Herstellung einer "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" (so die Verfassungsformel in Artikel 72 des Grundgesetzes) zu deuten ist und ob es überzeugende Gründe dafür gibt, strukturschwache Regionen strukturpolitisch preiszugeben.
Die Spannbreite nicht gleichwertiger Lebensverhältnisse – aktueller Befund
Über das Problem räumlich bedingten Empfindens von persönlicher Zurücksetzung (Deprivation) hinaus geht es in der Debatte – und in den sie flankierenden wissenschaftlichen Publikationen – grundsätzlich um strukturpolitische Entscheidungen der Dekade nach Ende des Solidarpakts 2 zum Januar 2020. Die Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse" unter Federführung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft sowie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat im Juli 2019 nach gut zwölfmonatiger Arbeit ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen für eine neue Strukturpolitik vorgelegt. Gleich in der Einleitung wird ein "erheblicher Handlungsbedarf" bei der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse festgestellt, wobei Strukturschwäche in städtischen wie in ländlichen Regionen, in West- wie in Ostdeutschland nachgewiesen werden könne . Während aktuelle wirtschaftliche Aktivitäten zu einer Stärkung attraktiver Großstädte und ihres Umlandes beitrügen, seien periphere ländliche Räume, insbesondere in Ostdeutschland, auf der Verliererseite . Auch Förderkriterien wie die Ko-Finanzierung staatlicher Finanzhilfen verstärkten die Benachteiligung strukturschwacher Regionen, weil diese eine solche Leistung häufig nicht aufbringen könnten .
Die Spannbreite der Disparitäten zeigt der Bericht anhand von 24 Indikatoren auf, die Regionen mit dem geringsten und mit dem größten Handlungsbedarf erkennen lassen:
Die Kommission stellt die recht allgemeine Forderung auf, dass Infrastrukturangebote, vom Breitbandanschluss über flächendeckende Kinderbetreuung bis zum Öffentlichen Personennahverkehr, "in einem Mindestmaß verfügbar und erreichbar" sein müssten . Von wissenschaftlicher Seite wird kritisch angemerkt, dass der Terminus der Gleichwertigkeit ein "leerer Signifikant" bleibe, wenn Mindeststandards zwar gefordert, aber nicht festgelegt würden .
Abschied vom "Dogma" der Gleichwertigkeit und der gleichen Strukturförderung? – kontroverse Ansichten von Ökonom*innen
Noch bevor die Kommission ihre Vorschläge zum Stand und zur Behebung von Ungleichwertigkeiten der Öffentlichkeit im Juli 2019 unterbreitet hatte, war eine kontroverse Debatte aufgeflammt, nachdem das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) Anfang 2019 in einer Studie zum ökonomischen Stand der Wiedervereinigung gefordert hatte, das "Dogma der gleichwertigen Lebensverhältnisse" aufzugeben. Strukturpolitik solle, so der alternative Vorschlag, den ländlichen Raum hinfort ausklammern, führe doch die heutige Wissensgesellschaft zu einer Konzentration von Innovationen, Forschung und Wohlstand in urbanen Zentren. Die Unterschiede zwischen den ost- und westdeutschen Städten seien, so der Präsident des IWH, Reint Gropp, deutlich höher als diejenigen zwischen den ländlichen Regionen in Ost und West, um daraus zu schlussfolgern: "Natürlich ist es hart zu sagen, wir müssen ländliche Räume aufgeben. Aber nur so haben wir eine Chance, die Unterschiede zwischen Ost und West irgendwann mal auszugleichen" .
Gropp verwies dabei auf die Ergebnisse der IWH-Studie, denen zufolge die Produktivitätsunterschiede zwischen Betrieben in Ost- und Westdeutschland immer noch 20 Prozent betragen, und führte dies auf eine verfehlte staatliche Subventionspolitik zurück, die an die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen geknüpft sei, anstatt Lohnunterschiede zwischen Ost und West auszugleichen . Kein ostdeutsches Bundesland erreiche bislang das Produktivitätsniveau des schwächsten westdeutschen Bundeslandes, des Saarlandes . Die IWH-Studie setzt auf eine gezielte Förderpolitik zugunsten der (ostdeutschen) Städte; so ließe sich die Unterauslastung von Infrastrukturen vermeiden, die bei Bevölkerungsrückgang entstehen . Zwar sei die Abwanderung Richtung Westen zum Stillstand gekommen, doch setze sich der Bevölkerungsrückgang aufgrund höherer Sterbe- als Geburtenraten fort .
Während damit die IWH-Studie wenige Monate vor Landtagswahlen in drei ostdeutschen, überwiegend ländlich geprägten Bundesländern und der Veröffentlichung des Abschlussberichts der Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse" einen eigenen Akzent in der Debatte um die Fortsetzung bundesdeutscher Strukturpolitik setzte, erschien kurze Zeit später eine von der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegebene Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW), die zu gegenteiligen Schlussfolgerungen kam . Dass Städte für die Dynamik des räumlichen Gefälles sorgten und Ostdeutschland vor allem deshalb schlechter abschneide, weil hier nur jeder zweite Erwerbstätige in einer Stadt arbeite, während es im Westen 75 Prozent seien, vermerkt die DIW-Studie in Übereinstimmung mit dem IWH . Gleichzeitig wird jedoch darauf verwiesen, dass ostdeutsche Regionen aufholen, wie etwa die Zunahme der Arbeitsproduktivität seit der Jahrtausendwende zeige: Neun der Regionen mit dem stärksten Wachstum lägen im Osten, wie etwa Nordthüringen, Oberlausitz-Niederschlesien oder Prignitz-Oberhavel . Zwar stächen auch zunehmend sogenannte Superstar-Regionen hervor, die sich nach oben absetzen und alle in Westdeutschland verortet sind . Es gäbe jedoch durchaus auch eigenständige ökonomische Entwicklungspotentiale ländlicher Räume. Das DIW schlägt deshalb vor, ländliche Regionen sowie "verstädterte Gegenden in Ostdeutschland" gezielt zu stärken, durch mehr staatliche Investitionen in Forschung und Entwicklung, in den Breitbandausbau und in die Förderung von Clusterstrukturen. Gerade im Osten sei der industrielle Sektor als wesentlicher Treiber stark im ländlichen Raum verwurzelt .
Die ausgleichende Verteilung öffentlicher Güter als Maßstab für "räumliche Gerechtigkeit" – eine gesellschaftspolitische Debatte
Hinter der aktuellen wirtschaftswissenschaftlichen Kontroverse steht eine weiter ausgreifende gesellschaftspolitische Debatte um die reale Umsetzung des Ziels gleichwertiger Lebensverhältnisse. Im Jahr 2004 stieß der damalige Bundespräsident Horst Köhler eine Diskussion um die Gültigkeit des Verfassungsgrundsatzes an. 2009 und 2013 sprach sich der Leiter des Berlin-Instituts, Reiner Klingholz, für einen Begriffswandel von der Gleichwertigkeit zu einer Vielfalt der Lebensverhältnisse aus . Die Rede ist von einer "neuen Zauberformel" , die für nicht weniger als einen "Paradigmenwandel“ im Verständnis des wohlfahrtsstaatlichen Leistungsspektrums stehe. Warum von einem Paradigmenwechsel gesprochen wird, wird mit Blick auf die traditionelle Begründung des bundesdeutschen Wohlfahrtsstaates deutlich: Dieser war mit dem Versprechen auf räumliche Gerechtigkeit und Verteilungsfragen jahrzehntelang ausgebaut worden, bevor unter neoliberalen Vorzeichen dem Anspruch auf Gleichwertigkeit oder Gleichheit von Lebensverhältnissen der weniger verbindliche Terminus der Vielfalt entgegengesetzt wurde.
Mit dem Auf- und Ausbau des traditionellen Wohlfahrtsstaates nach dem Zweiten Weltkrieg sei, so wissenschaftliche Stimmen, der Anspruch einhergegangen, nicht nur soziale Teilhabechancen individuell zu gewährleisten, sondern auch territorial ausgleichend zu wirken, indem benachteiligte Regionen an den Entwicklungsstand starker Regionen aufschließen sollten . Diese Ausgleichsformel beinhaltete den Aufbau von Infrastrukturen der Daseinsvorsorge, wie beispielsweise den flächendeckenden Anschluss an die Abwasserkanalisation, den Bau von Gymnasien im ländlichen Raum, von Schwimmbädern oder Gemeindehäusern .
Die gezielte Förderung benachteiligter Regionen gehört demzufolge zum allgemeinen Kanon gesellschaftlicher Gerechtigkeitsvorstellungen. In der Literatur wird auch von "räumlicher Gerechtigkeit" gesprochen . Zentral für die Zielmarke gleichwertiger (oder gleicher ) Lebensverhältnisse, die als gerecht empfunden würden, sei stets eine Anpassung nach oben gewesen.
Der Rückbau öffentlicher Dienstleistungen in der Fläche
Die letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts standen unter dem Vorzeichen des Rückbaus von Staatsleistungen. In der Folge dieses – sich nun möglicherweise in Teilen revidierenden – ordnungspolitischen Kurses sei, so merken kritische Beobachter*innen an, die Vorstellung eines Maximalangebots an Daseinsvorsorge einer Debatte um Mindeststandards gewichen . Anders gesagt: Das Angebot an öffentlichen Leistungen folgt der Nachfrage. Infrastrukturleistungen und zum Teil auch ihre Kosten richten sich nach der Anzahl der Menschen, die auf die Infrastruktur zurückgreifen.
Hinzu kommt, dass im Ergebnis von kommunalen Gebiets- und Verwaltungsreformen sich die räumliche Erreichbarkeit von Verwaltungsdienstleistungen gerade im ländlichen Raum verschlechtert hat. Gerade dort fehlen qualifizierte Arbeitsplätze, die Staat und Kommunen mit ihrer Lenkungsfunktion in der Fläche schaffen könnten. Aus gesamtdeutscher Perspektive weist Ostdeutschland zudem eine deutlich geringere Anzahl von Bedienstet*innen von Bundesbehörden je 1000 Einwohner*innen als Westdeutschland auf .
Die Ausdünnung der Infrastruktur kann, vor dem Hintergrund der Abwanderung aus ländlichen Räumen und deren Überalterung, eine Abwärtsspirale verstärken, die den Wegzug weiterer Einwohner*innen begünstigt sowie den Zuzug von Menschen und die Entstehung neuer Arbeitsplätze hemmt. In Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels stellen sogenannte weiche Standortfaktoren, zu denen eine gute Infrastruktur zählt, einen wachsenden Anreiz zur Ansiedlung von Menschen und Arbeitsplätzen dar. In Ostdeutschland konnte 2017 bereits jede dritte offene Stelle nicht besetzt werden; deutschlandweit liegt der Fachkräftemangel beim 1,8-Fachen des Werts von 2007 .
Peripherisierung lautet der Fachbegriff für diesen Prozess der "graduellen Schwächung und/oder Abkopplung sozialräumlicher Entwicklungen" , die territoriale und soziale Ungerechtigkeit hervorrufen . "Für Menschen im Zentrum des ‚Geschehens‘ scheinen sich die Handlungsspielräume in einer globalisierten Welt eher zu vergrößern (…), für andere in peripheren Lagen hingegen verkleinert sich die Welt“ . In betroffenen Kommunen bleiben meist die Alten und die unzufriedenen Männer zurück, was sich auf bürgerschaftliches Engagement nachteilig auswirkt. Dies ist auch deshalb problematisch, weil die Engagementbereitschaft eines Mittelschichtsmilieus gerade in ländlichen Regionen einen wesentlichen Faktor der Lebenszufriedenheit und des gesellschaftlichen Lebens ausmacht . Immer noch ist das Ehrenamt dort traditionell stärker ausgeprägt als in städtischen Regionen, wenngleich Ostdeutschland insgesamt eine geringere Engagementquote aufweist als Westdeutschland . Einige Autor*innen sehen die Zukunft der Daseinsvorsorge in einer Ko-Produktion von staatlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, wenngleich eine geringere Engagementquote bei steigenden Kompensationsleistungen die Gefahr berge, lokale Akteur*innen zu überfordern und so den Frust noch zu erhöhen .
Fazit und Ausblick
Die zentrale politische Frage, wie mit Regionen umzugehen ist, die sich aus eigener Kraft nicht mehr ihrer Peripherisierung entgegenstellen können , beantworten die zwei eingangs behandelten Studien, die 2019 im zeitlichen Umfeld der Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse" erschienen sind und eine kontroverse Debatte angeschoben haben, gegensätzlich. Während sich die IWH-Studie auf Seiten desjenigen Lagers verorten lässt, welches das Gleichwertigkeitsprinzip zugunsten einer selektiven, d.h. auf städtische Wachstumskerne konzentrierten staatlichen Förderung aufgeben möchte, sieht die DIW-Studie in einer Strukturpolitik, die schwächere Regionen sich selbst überlässt, eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch andere Studien belegen: Wo der Staat sich sichtbar aus der Fläche zurückzieht, entstehen kollektive Frusterfahrungen und gegebenenfalls auch ein politisches Vakuum, in welchem der Demokratieverdruss und der Rechtspopulismus Fuß fassen können . Vor diesem Hintergrund begrüßen Wissenschaftler die zentrale Aussage der Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse, ab 2020 eine gesamtdeutsche Förderpolitik einzurichten und diese auch mittelfristig zur vorrangigen Aufgabe zu machen. Jetzt müssten konkrete Maßnahmen und konkrete Finanzierungskonzepte folgen und ebenso müsste stärker in Prozesse statt Projekte investiert werden .
Ein Spillover-Effekt, also eine positive Ausstrahlung von Wachstumskernen auf ihr Umland, wie die IWH-Studie ihn forcieren möchte, zeigt sich in Ostdeutschland auf der Landkreisebene statistisch bislang noch nicht, wenngleich solche Effekte für West- und insbesondere Süddeutschland sowie in Ansätzen für das Berliner Umland dokumentiert sind. So liegen die prosperierenden ländlichen Räume derzeit noch ausschließlich in Westdeutschland. Eine pauschale Stigmatisierung ländlicher Regionen muss jedoch ebenso zurückgewiesen werden wie die pauschale Vorstellung eines abgehängten Ostens. Derlei Klischees verstellen den Blick auf die Gestaltungsräume, aus denen in Zukunft Chancen entstehen können, wenn Förderpolitik ganzheitlich ansetzt:
Die Digitalisierung konzentriert zwar aktuell noch wissensintensive Arbeitsplätze in Städten. In Zukunft werden jedoch vermehrt nicht nur in urbanen Räumen "digitale Nomad*innen" ortsunabhängig arbeiten können . Ein flächendeckender Breitbandausbau kann z.B. mit Telemedizin und autonom fahrenden Autos die Lebensqualität für Menschen im ländlichen Raum verbessern. Das gesellschaftliche Phänomen der 'Neuen Ländlichkeit‘ könnte mit seinen Abbildern von ländlicher Idylle, Selbstverwirklichung und einem Leben im Einklang mit der Natur Sogwirkung auf heutige Städter*innen entwickeln , sofern auch weiche Standortfaktoren wie Kunst und Kultur erhalten und gefördert werden.
Eine stärkere Dezentralisierung öffentlicher Einrichtungen , wie Bayern sie strategisch verfolgt und der Bund sie als ein Ergebnis der Kommission plant, ein Wiederaufbau stillgelegter Bahnhöfe sowie steigende Mieten in Großstädten können in der Zukunft push- und pull-Effekte zugunsten des ländlichen Raums, auch und gerade in Ostdeutschland, freisetzen. "Soziale Orte" als neue Begegnungsräume können Netzwerke aus engagierten Bürger*innen, Rückkehrer*innen, Kommunalpolitiker*innen und lokaler Wirtschaft knüpfen, sofern die Ressourcen des Ehrenamts nicht als einsamer Lückenbüßer dienen und entleerte Räume einseitig als Kreativzonen romantisiert werden (siehe auch den Beitrag "Schrumpfende Regionen").
Der gegenüber dem Konzept sozialer Orte etwas weiter gefasste Begriff der sozialen Innovationen kann Menschen zur Selbstbestimmung über ihre eigenen Lebensverhältnisse ermutigen, wie etwa bei der Gründung von Energiegenossenschaften . Aber auch hier müssen neben Fördermitteln geeignete rechtliche Rahmenbedingungen und offene Experimentierräume vorhanden sein. In diesem Sinne hat die Kommission zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse eine Anpassung der Förderpolitik für strukturschwache Regionen in ganz Deutschland – ländliche wie städtische – sowie integrierte Konzepte anstelle von Einzelmaßnahmen empfohlen. Ob sich daraus eine nachhaltige Wende zugunsten der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ergeben wird, wird sich in der Zukunft zeigen.