Die innerdeutsche Teilung und Migration seit 1949, insbesondere aber seit 1961, hat ihre Spuren hinterlassen und ist vor allem in Familien spürbar, die dadurch getrennt beziehungsweise zusammengeführt wurden. So auch in meiner Familie: Mein Vater ist in Leipzig geboren und hat einen Teil seiner Kindheit beziehungsweise Jugend dort verbracht. 1984 hat er mit meiner Tante und meinen Großeltern die DDR auf legalem Wege nach der Bewilligung eines Ausreiseantrags verlassen. Meine Mutter ist in Solingen geboren, dort aufgewachsen und somit in der damaligen BRD sozialisiert. Das Thema der Ausreise aus der DDR wurde in meiner Kindheit gelegentlich thematisiert, meistens auf Treffen der Familie. Es war jedoch zu keinem Zeitpunkt omnipräsent.
Ich bin 2002, also 13 Jahre nach dem Mauerfall, geboren und habe von der innerdeutschen Teilung und der Wiedervereinigung bereits im Kindesalter in Form von Anekdoten erzählt bekommen: Wie in der DDR gewählt wurde, dass schon die Benutzung einer Wahlkabine verurteilt wurde, inwiefern eine staatliche Kontrolle bei symbolischen Handlungen – wie der Positionierung der Flagge der DDR an einem Feiertag – stattfand, aber auch, dass man wusste, dass die zugeschickten Briefe gelesen wurden. Mir fiel irgendwann auf, dass meine Mutter und mein Vater unterschiedliche Erfahrungen bezüglich mancher Themen aus der Zeit ihrer Jugend aufweisen. Teilweise gab es auch intuitiv andere Verhaltensweisen, die ich beobachtet habe, beispielsweise, dass mein Vater mit Gütern, die in der DDR als Luxusgüter galten, weitaus sparsamer umgeht als meine Mutter oder auch ich.
Als Kind konnte ich diese Beobachtungen und Erzählungen nicht einordnen. Das ist mittlerweile anders. Denn ich nahm am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten teil, für den ich eine Arbeit mit dem Titel "Die politischen und sozialen Missstände in der DDR und die daraus resultierenden Motive einer Ausreise anhand eines Familienbeispiels" schrieb. Bei meinen Recherchen bemerkte ich, dass die Anekdoten im Zusammenhang mit den politischen Missständen in der DDR stehen, die für viele ein Ausreisemotiv waren.
Obwohl ich eindeutig durch mein Leben im westlichen Teil Deutschlands geprägt bin, gibt es einige ostdeutsche Einflüsse. Die Halloren-Kugeln sind in westlichen Teilen Deutschlands tendenziell unbekannt, meine Familie und ich kennen sie jedoch. Außerdem besitzen wir ein DDR-Backbuch, was wahrscheinlich nicht der Fall wäre, wenn wir keinen Binnenmigrationshintergrund hätten. Das mag vielleicht albern klingen, aber es sind kleine und subtile Einflüsse in meinem Leben, die mich an die Herkunft meiner Familie väterlicherseits erinnern.
Ich finde es sehr wichtig, dass sich auch die jüngere Bevölkerung mit der innerdeutschen Geschichte von 1949 bis 1989 beschäftigt und auch die Möglichkeit bekommt, sich damit auseinanderzusetzen. Viele Gedenkorte bieten diese Möglichkeiten, etwa solche an ehemaligen Grenzübergängen oder Museen wie das Haus der Geschichte in Bonn, die der Öffentlichkeit teilweise kostenlos zur Verfügung stehen. Ich denke, dass man nicht nur aus den Ereignissen der NS-Diktatur für den Aufbau und die Erhaltung einer demokratischen Gesellschaft lernen sollte. Auch die SED-Diktatur ist als solches Negativbeispiel ebenfalls mit einzubeziehen, um einen Staat aufrechtzuerhalten bei dem Freiheit, Würde und Gleichheit die Kernwerte darstellen. Die Redewendung "aus Fehlern lernen" sollte man in der heutigen Bundesrepublik umsetzen, beziehungsweise die Umsetzung jener beurteilen. Allerdings kritisiere ich die Denkweise, die Deutschland immer noch in Ost und West einteilt. In meinen Augen ist Deutschland heute ein Land und Leipzig gehört für mich zum gleichen Deutschland wie Wuppertal. Man sollte nicht in der Geschichte verharren, sondern sie vielmehr studieren, um die Gegenwart und Zukunft besser zu gestalten.