In Demokratien, die sich auf die Erklärung der Menschenrechte gründen, darf jeder Mensch seine Meinung in der Öffentlichkeit frei äußern. Jeder kann dieses Recht heute vollkommen risikolos zur Geltung bringen. Das geschieht auch tatsächlich in den sozialen Medien. Allerdings herrscht dort ein so wüstes Tohuwabohu von Meinungen, dass ich mich dort nicht wohlfühle.
Nun greifen wir Menschen auf die Hilfe anderer Menschen zurück, wenn wir bestimmte Informationen benötigen, oder wenn wir uns bestimmte Arbeitstechniken aneignen wollen. Manchmal brauchen wir auch eine Beratung, die sich auf die existentiellen und moralischen Grundfragen des Lebens bezieht. Diese Hilfeleistung vollzieht sich tausendfach in Gesprächen unter Freunden oder in der Familie.
Auf diesem Gebiet sind aber auch regelrechte Berufe entstanden. Wer eine Sprache oder eine neue Sportart lernen will, sucht sich einen Lehrer oder Trainer. Wer Orientierungshilfe braucht, kann sich an einen Therapeuten, Berater oder Pfarrer wenden, bei gesundheitlichen Problemen an einen Arzt. Und wer an Informationen und Nachrichten interessiert ist, hofft sie bei Journalisten zu finden.
Eine Zeitung abonniere ich, weil ich von den Journalisten zwei Dienstleistungen erwarte. Sie sollen aus einem Meer von Informationen die wenigen Nachrichten herausfiltern, die wirklich wichtig sind. Diese wichtigen Nachrichten sollen sie so formulieren, dass ich sie verstehen kann, aber dennoch die Wirklichkeit richtig beschreiben. Als pensionierter Lehrer weiß ich, dass das eine schwere Aufgabe ist. Das Handwerk des Journalisten muss daher wie in anderen Berufen gelernt werden.
Natürlich genießen Dienstleister wie Pfarrer, Ärzte, Lehrer und Journalisten ebenfalls das Recht auf freie Meinungsäußerung. Bei ihrer professionellen Tätigkeit darf dieses Recht aber nicht im Vorder-grund stehen. Sie werden von ihren Klienten nicht für ihre private Meinung bezahlt, sondern dafür, dass sie ihnen in einer bestimmten Sache helfen. Dazu müssen sie sich nüchtern mit der Realität ihrer Klienten beschäftigen. Sie können dabei auf etwas stoßen, was in ihrer Vorstellungswelt zuvor noch nicht vorhanden war. Allzu feste Meinungen sind daher für ihre Arbeit kontraproduktiv.
Wenn Journalisten in einer Zeitung über das Privileg einer eigenen Meinungsseite verfügen, ist diese für den Leser nur dann interessant, wenn dort unterschiedliche Meinungen zur Geltung kommen. Auf allen anderen Zeitungsseiten, bei seinem eigentlichen Kerngeschäft, muss jeder einzelne Journalist die Aufklärung über Fakten ins Zentrum seiner Arbeit stellen. Dazu gehört es auch, Positionen von Minderheiten zu berücksichtigen. Das ist für den modernen Politiker besonders wichtig, der seine Informationen leider oft nur noch aus dem Meinungszwielicht der Netzwerke, Institutionen und Lobbyisten-Zirkel bezieht, aus denen er stammt. Der Blick in die Presse ist für ihn häufig die einzige Gelegenheit, mehr über die Welt außerhalb seines Horizontes zu erfahren. Wenn nun auch die Presse nur noch partei- oder glaubenskonforme Meinungen in die Welt hinausposaunt, dann ist der politische Blindflug fast unvermeidlich.
Wie der Schuster bei seinem Leisten sollte also der Journalist bei einer sachlichen Darstellung von Nachrichten bleiben. Wenn ich mich ernsthaft mit dem jüngsten Gericht und mit dem drohenden Weltuntergang beschäftigen will, wende ich mich besser an einen Pfarrer, Prediger, Beichtvater, Propheten oder Therapeuten, der mich in meinen existentiellen Ängsten versteht und mir aus dem Herzen spricht. Wenn ich mich belehren lassen will, suche ich mir besser einen Lehrer aus, der von der Sache was versteht. Dazu brauche ich keinen Journalisten und keine Zeitung.