Meinungsfreiheit – ein Menschenrecht, festgeschrieben im fünften Artikel unseres Grundgesetzes. Durch meine Teilnahme bei Jugend Debattiert habe ich erfahren, wie wichtig es für eine lebendige Demokratie ist, kontrovers zu diskutieren und zu debattieren.
Es ist erst die Gegenposition, die mir meine eigene Ansicht vor Augen führt, sie prüft und anzweifelt. Der Kontrahent stachelt mich an, meine Meinung mit Argumenten und Beispielen zu belegen, sie zu verteidigen und zu überdenken. Wobei ich gerade das Überdenken und das Infragestellen wichtig finde. Denn im echten Leben kommt es darauf an, Kompromisse zu finden. Und sich einigen kann man nur, wenn man die eigene Meinung überdenkt und andere Meinungen wertschätzt und sie als Meinung respektiert, auch wenn man den Inhalt für sich nicht akzeptieren kann.
Wann hört die Meinungsfreiheit auf, wann fängt die Beleidigung an? Selbstverständlich gibt es Grenzen: Keine Äußerung darf gegen unsere Verfassung verstoßen. Doch wenn man sich dieser Grenzen bewusst ist, sollte jeder das große Feld der Debatte bis zum Rande ausnutzen und von seinem Recht, die Meinung frei und in jeglicher Form zu äußern, Gebrauch machen. Oft schaut einen ein Gedanke noch mal ganz anders an, wenn er, nachdem er artikuliert und ausformuliert ist, seine Wirkung entfaltet.
Bis vor wenigen Jahren habe ich mich oft, nachdem ich ein besonders einleuchtendes oder vermeintlich schwer zu widerlegendes Argument gehört hatte, gefragt, was ich darauf erwidern würde. Ich wurde von der Schlagfertigkeit mancher Personen und der Vielzahl von unterschiedlichen Blickwinkeln überrascht. Nach einiger Zeit hatte ich das Gefühl, es gebe fast nichts, auf das man nichts erwidern kann und fast immer etwas, das in sich nicht stimmig ist.
Dass wir hier im Rechtsstaat Deutschland unsere Meinung frei sagen können, ist ein Privileg, welches wir und vielleicht gerade meine Generation nicht mehr richtig wertschätzen, weil es für uns alltäglich geworden ist, seine Haltung zu Themen offen zeigen zu können. Und eigentlich sollte die Meinungsfreiheit auch eine Selbstverständlichkeit sein. Doch de facto ist sie dies nicht. Manipulierte Wahlen, Zensur, das Mundtotmachen derer, die die "falschen" Ansichten haben, sind keine Seltenheit in der modernen Welt. Und auch Deutschland ist nicht seit Anbeginn der Zeit ein demokratisches Vorzeigeland, das Pluralismus und Kontroversen begrüßt.
Monarchien, Diktaturen, zwei Weltkriege – und 30 Jahre ist es erst her, dass die Mauer gefallen ist. 30 Jahre: das sind doppelt so viele Jahre, wie ich alt bin. Für mich ist das unglaublich weit weg, so viel ich auch in Geschichtsbüchern lese, mich mit Eltern und Großeltern darüber unterhalte. Dass Deutschland und Berlin mehr als 28 Jahre von einer Mauer geteilt waren und Meinungsfreiheit nicht selbstverständlich war, ist für mich schwer vorstellbar.
Andere Generationen haben dafür gekämpft, dass es die Meinungsfreiheit gibt, meine Generation muss dafür kämpfen, dass sie weiter besteht.
Gerade in Zeiten der Digitalisierung tun sich neue Probleme auf. Wie unterbindet man Aussagen, die aufgrund ihres verfassungswidrigen Inhalts nicht unter dem Schutz der Meinungsfreiheit stehen und im Deckmantel der Anonymität im Internet vermehrt geäußert werden? Wir müssen die Meinungsfreiheit in der digitalen Welt so neu interpretieren, dass sie es mit der Komplexität des Internets aufnehmen kann.
Auf der anderen Seite muss man immer weiter im Dialog bleiben, keine Themen tabuisieren: Sie müssen immer wieder neu angesprochen und diskutiert werden. Das sollte und darf nicht an Hemmschwellen in unserer Gesellschaft scheitern. Denn was wirklich gefährlich ist, ist nicht das Argument des Gegners, sondern wenn es gar keine Debatte gibt und man in einer Form der Sprachlosigkeit gefangen ist.