Von Andrea Voß-Frick
Kirche Schritt für Schritt von unten verändern
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Glaube und Religion sind in Verruf geraten: Im Namen Gottes wurden und werden Kriege geführt, ganze Volksgruppen werden ihrer Heimat und Lebensgrundlage beraubt, Menschen, die sich der Kirche anvertraut haben oder ihr anvertraut wurden, wurde und wird grauenvolles Unheil zugefügt. Religionen, deren Verfasstheit, Selbstbezug und Institutionalisierung solcherlei hervorbringt, braucht die Welt sicher nicht. Und doch bin ich zutiefst davon überzeugt, dass uns Menschen eine tiefe Sehnsucht und ein tiefes Wissen nach und um einen Grund innewohnt, auf dem wir sicher stehen und vertrauensvoll alle Wege gehen können. Ein Grund, der weit über uns selbst hinausweist.
Als Christ*innen hüten wir einen Schatz - eine Frohe Botschaft die kündet vom Ende der Ausgrenzung und Verurteilung. Sie kündet von Geschwisterlichkeit, von Barmherzigkeit, von Freiheit und von Liebe. Jesus von Nazareth hat den Glauben seiner Zeit auf den Kopf gestellt. Hat die Menschen aufgerufen, einander Segen zu sein, den Blick zu richten auf den Anderen, den der meiner Hilfe und meines Erbarmens bedarf. Wenn ich mich so umschaue in der Welt, denke ich: Diese Botschaft hat die Welt nötiger denn je. Einen solchen Glauben zu leben bringt Heilung in die Welt.
Aber um einen solchen Glauben zu leben braucht es auch Gemeinschaft, als Ort der Spiritualität, der Verbundenheit und Solidarität. Doch diese Gemeinschaft - die katholische Kirche - ist unglaubwürdig geworden. Sie hat Dunkelräume der Macht geschaffen, in denen Amtsinhaber spirituelle und sexualisierte Gewalt unentdeckt ausüben konnten, in denen die Täter geschützt, ihre Taten vertuscht wurden und die Institution Kirche über die Menschen gestellt wurde. Diese Kirche diskriminiert die Hälfte der Menschheit - die Frauen - indem sie sie von der Gestaltungs- und Entscheidungsmacht fernhält. Sie bestraft Menschen für ihr Anders-Sein, für gescheiterte Lebensentwürfe, für's 'falsche' Lieben. Sie schließt aus, anstatt sich zuzuwenden. Sie hat sich von der Frohen Botschaft des Mannes aus Nazareth meilenweit entfernt.
Immer mehr Katholik*innen, so scheint mir, halten diesen Zwiespalt nicht mehr aus. Viele von uns stellen sich täglich die Frage, ob sie bleiben oder gehen sollen. Für das Gehen gibt es gute Argumente: das eigene Gewissen etwa oder die Hoffnung, dass etwas Neues wachsen kann, wo das Alte sich als obsolet erwiesen hat. Auf der anderen Seite wird uns oft gesagt, dass Veränderungsbereitschaft und Veränderungsdruck nie so groß waren, wie sie es momentan sind. Das Kirchenvolk emanzipiert sich zum Glaubensvolk und auch immer mehr Amtsinhaber - vom Priester bis zum Kardinal, wie derzeit bei der Amazonas-Synode hörbar - sprechen sich offen für dringend notwendige Veränderungen in der Verfasstheit und den Strukturen der katholischen Kirche aus.
Und die unwahrscheinliche Hoffnung auf Veränderung ist es auch, wegen der ich mich immer zum Bleiben durchringe. Wir müssen uns frei machen von der Vorstellung, dass die großen Schritte aus der Kirchenhierarchie heraus gegangen werden - das ist am Ende ja auch nur eine Form des Klerikalismus. Wenn wir es ernst meinen mit der Botschaft Jesu, dann sind wir als Getaufte alle in seine Nachfolge gerufen und müssen diese Schritte selber gehen. Uns selbst die Räume schaffen, die unserer Spiritualität entsprechen, uns selbst einander annehmen und alle Möglichkeiten der (Mit-)Gestaltung bis an ihre Grenzen ausschöpfen, immer wieder vor den Kirchentüren unserer Sehnsucht nach einer erneuerten Kirche Ausdruck geben wie wir es in den Aktionswochen im Mai und Oktober dieses Jahres getan haben und so schließlich Kirche Schritt für Schritt von unten verändern. Wir warten nicht länger darauf, dass die Kirchenherren vorangehen. Wir gehen selbst voran und laden alle herzlich ein, mitzugehen.
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