Von Abdul Alzuabi
Heimat ist kein Ort, Heimat das bin ich
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Ab und zu kommt es vor, dass ich unerwartet mit dem Konzept "Heimat" konfrontiert werde. Beispielsweise habe ich mich letztens detailliert auf die üblichen Fragen eines Vorstellungsgespräches vorbereitet: "Was sind meine Stärken und Schwächen und wie sieht es mit der Berufserfahrung aus?". Allerdings hat sich mein Gegenüber als Erstes für andere Fragen interessiert, wie: "Ah, Sie kommen aus Syrien, wann wollen Sie zurück?". Ich wuchs in Damaskus auf, der syrischen Hauptstadt, die eine der ältesten bewohnten Städte der Welt ist. Bis ich dort mit 24 Jahren meinen Bachelor in Bauingenieurwesen abschloss und das Land anschließend verließ, lernte ich immer, in was für einem Paradies ich leben durfte. Dass Syrien, das zwischen drei Kontinenten liegt, der Nabel der Welt sei und man stolz auf diese Heimat mit ihren über tausende Jahre währenden Traditionen und der bewegten Geschichte sein könne. Die Liebe zum Vaterland und Patriotismus wird einem in die Wiege gelegt, in der Schule gelehrt und im sozialen Umfeld gefestigt.
Reisende, die nach einem langen Auslandsaufenthalt wieder nach Syrien zurückkehrten, berichteten, wie sehr sie ihre Heimat vermisst hatten. Kein anderes Land und keine andere Stadt konnten ihnen das Gefühl geben, das sie spürten, wenn sie das berühmte Damaszener Wasser tranken oder durch die nach Jasmin duftenden Gassen ihrer Stadt liefen. Obwohl ich mein Land geliebt habe, kamen mir immer öfter Zweifel, inwieweit diese Aspekte für mich ausreichten, um mich wirklich heimisch fühlen zu können. Sollte man sich in seiner Heimat nicht auch frei und sicher fühlen? Muss dieses Wort "Heimat" mit der Kindheit, mit Wurzeln und Geborgenheit verbunden sein? Ist das Konzept der Heimat vielleicht ein individueller Gedanke, den jeder für sich selbst entwickeln kann? Diese anfänglichen leisen Zweifel haben sich in den letzten vier Jahren, in denen ich in Berlin gelebt habe, gefestigt. Es ist wieder eine Hauptstadt, sie ist wieder berühmt für die bewegte Geschichte und ihre Bewohner sind überzeugt, dass es keinen besseren Ort auf der Welt für sie geben könnte. Die Menschen kommen von überall her, um die berühmte Hauptstadt kurzzeitig zu besichtigen oder sich langfristig ein neues Leben aufzubauen.
Meine neue Sprache begleitet mich in der Uni, auf der Arbeit, in meiner WG und mit meinen Freunden. Ich habe die Geschichte Deutschlands gelernt und die Gewohnheiten der Deutschen beobachtet. Wie sie Müll trennen, auf den Bus warten oder mir sehr ausführlich auf "Wie geht es dir?" antworten. Momentan schreibe ich an meiner Masterarbeit, in der es um den Radverkehr in Berlin geht. Diese Beschäftigung mit den Berliner Straßen, auf denen ich schon viel erlebt habe, geben mir ein zusätzliches heimatliches Gefühl.
Wenn ich jetzt höre, dass bald eine neue Wirtschaftskrise ausbrechen könnte, mach ich mir Sorgen und ich fühle mich gleichzeitig verantwortlich. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass es der Gesellschaft hier weiterhin gut geht. Bedeutet das, dass Berlin meine neue Heimat geworden ist, wie es Damaskus früher einmal war? Oder mache ich mir schlicht Sorgen, dass die rechtsextremen Parteien die üblichen Argumente gegen die Migranten finden? Ich bin mir nicht sicher, ich denke, die Antworten auf diese Fragen werden mit der Zeit kommen. Aber eines weiß ich ganz genau: In den letzten vier Jahren habe ich viele Länder bereist und überall, ob in den Alpen, wo Heidi mit ihrem Großvater gewohnt hat, an der französischen Küste, wo es die besten Croissants gibt, oder im heißen Khartoum, wo das Leben langsamer ist, könnte ich mir vorstellen zu leben. Mein Alltag, meine Projekte und mein soziales Umfeld – wo auch immer es gerade stattfindet – festigen mein Heimatgefühl und ich habe gelernt, dass ich überall zu Hause sein kann. Meine Heimat ist kein Ort, meine Heimat, das bin ich.
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