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Heimat als gemeinsames Projekt

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Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann arbeitet vor allem zum Thema Erinnerungskultur und erhielt 2018 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. (© Corinna Assmann)

"Man kann einen Menschen aus der Heimat vertreiben, aber nicht die Heimat aus dem Menschen". Mit diesen Worten hat Erich Kästner betont, dass wir alle eine intuitive Bindung an den Ort haben, wo wir die Welt entdeckt und nachhaltige Grunderfahrungen unseres Lebens gemacht haben. Heimat ist der Ort, wo man selbstverständlich dazugehörte, die Bewohner kannte und selbst gekannt wurde. Wenn man später an solche Orte zurückkehrt, meldet sich an jeder Ecke eine Erinnerung zu Wort. An diesem Ort schlägt die Wünschelrute der Erinnerungen aus: Gesichter, Anekdoten, Situationen tauchen plötzlich aus dem Vergessenen wieder auf. Heimat ist ein tiefer Gedächtnisspeicher und eine langfristige emotionale Bindung an einen bestimmten Ort auf der Welt.

Dieser Ort ist räumlich zugänglich aber zeitlich entrückt. Man kann ihn aufsuchen, aber in die Vergangenheit, die er festhält, nicht mehr eintreten: Die ehemaligen Nachbarn gibt es nicht mehr, vieles ist nicht wiederzuerkennen, besonders wenn sich auch noch die politischen Systeme geändert haben und die Sprache und Kultur gewechselt hat. Das gibt der Heimat ihre irreale Qualität: der Ort existiert, aber er kann nicht festhalten, was einmal war. Die Verbindung zur Heimat wird über die Zeit und gewaltsamen Verlust hinweg gehalten durch Bande der Erinnerung und des Gefühls. Sie ist eine Schöpfung der Phantasie und ein Phantasma, Ort der Sehnsucht und des Schmerzes.

"Wer seine Wurzeln verloren hat, ist nie wieder ganz zu Hause" sagt John Spalek, der 1928 in Warschau geboren ist und an seinem 21. Geburtstag nach New York auswanderte. Er hat diesen Schritt nicht bereut, denn er war in New York zwar nicht ganz zu Hause, hat dort aber eine zweite Heimat gefunden. Er fühlte sich angenommen und konnte Fuß fassen, denn "hier fragt mich niemand, wo ich herkomme". Ein selbstbestimmtes Leben, selbstverständliche Zugehörigkeit, nicht immer Auffallen, keine ständigen Nachfragen, das ist es, was eine zweite Heimat bieten kann. George Mosse (1918-1999) musste Deutschland 1933 mit 15 Jahren verlassen. Der gewaltsame Verlust der Heimat ist ein schweres Trauma. Auch er hat in den USA Fuß gefasst, sprach aber nicht von Heimat, sondern konstatierte nüchtern: "Eine Nation ist für mich so gut wie ihr Pass." Er bewahrte lebenslang seine'Refugee-Mentalität' und betonte: "Ich bleibe Emigrant".

Heimat ist weit mehr, als das, was Menschen mit sich herumtragen. Als Kollektivbegriff steht das Wort für Zugehörigkeit und Zusammenhalt. Die Romantiker schwärmten von Heimat, sie haben sie in Liedern besungen, in Bildern verewigt und in Geschichten gerühmt. Im Zuge von Modernisierung und Fortschritt wurde der Heimatbegriff radikal entwertet. Alles, was mit 'Heimat' zu tun hatte, galt als obsolet. Doch die Zeiten ändern sich. Inzwischen erleben wir eine Rückkehr und Wiederaneignung des Heimatbegriffs. In Deutschland gibt es neuerdings ein 'Heimatministerium'. In Einwanderungsländern wie Großbritannien und den USA gibt es schon länger ein 'Home Office', das für knallharte Fragen der Staatsangehörigkeit, Visa, Asylanträge und Einwanderung zuständig ist.

Im Zuge der Migrationsbewegung ist der Heimatbegriff zu einer politischen Waffe geworden. Er wird hochgespielt und aufgerüstet, um Menschen auszuschließen und Zugehörigkeit zu verweigern. Die aktuelle Frage lautet aber: Wie kann Deutschland für die, die ihre Heimat gerade durch Krieg und Gewalt verloren haben, zu einer zweiten Heimat werden? Dafür brauchen wir eine Gesellschaft, die den Migranten nicht mit Abwehr und Misstrauen begegnet, sondern ihnen Sicherheit und Schutz, sowie Raum für Entwicklungsmöglichkeiten bietet. Eine solidarische Gesellschaft, in der Vertrauen gestärkt, Zugehörigkeit erweitert und Zusammenhalt gemeinsam geschaffen wird, wäre das Projekt einer neuen Heimat - nicht nur für die Aufgenommenen, sondern auch für die Aufnehmenden.

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