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Die Kunst der Bürgerrechtlichkeit

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Von Jan Feddersen

Jan Feddersen ist Redakteur bei der taz und Autor. (© Privat)

Wesentliche Fortschritte in queerer Hinsicht sind erst nach dem Fall der Mauer erreicht worden – zur Erbschaft der DDR gehört auch seitens ihrer schwulen und lesbischen Bürger:innen, die sich für Liberalisierungen einsetzten, ein striktes Bürgerrechtsbewusstsein: Streite gern auch darüber, wer du bist - schwul oder lesbisch oder trans*, aber richte dein Augenmerk auf die Beseitigung aller diskriminierenden Gesetze und kämpfe für Gleichberechtigung.

Und so geschah’s. Der Paragraph 175, der seit dem späten 19. Jahrhundert nie einem anderen Zweck diente, als schwule Männer als beschämende Personen, als Objekte des Verfehlten zu skandalisieren und zu missachten, wurde erst 1994 aus dem Strafgesetzbuch getilgt. Und auch das nur, weil die letzte DDR-Regierung dieses in den Einigungsvertrag mit der Bundesrepublik hineinformulierte. Wäre es nach den Konservativen der Union gegangen, gäbe es diesen menschenrechtswidrigen Paragraphen, der als moralische Entwertungsvorschrift bis heute in den Gemütern schlummert, womöglich noch. Weiter: Die Ehe für alle ist 2017 etabliert worden, ebenso hat der Bundestag eine Rehabilitierung der Opfer des Paragraphen beschlossen, auch jener, die nach 1949 verurteilt und aussätzig gemacht wurden.

Mehr noch: Neben den Attributierungen "Mann" und "Frau" gibt es in Deutschland auch die Möglichkeit, sich als "Drittes Geschlecht" registrieren zu lassen – ein erheblicher Fortschritt, werden doch auf diese Weise intersexuelle Menschen nicht mehr ausgegrenzt. Darüber hinaus wird im Schulunterricht der meisten Bundesländer Sexualaufklärung nicht mehr allein an der Norm "Mann-Frau-Kind" ausgerichtet, tatsächlich ist es möglich, queeres Leben als ebenso gelingend zu vermitteln. Der größte Freiheitsgewinn ist wahrscheinlich aber die geänderte Moral der deutschen Gesellschaft: Schwule und Lesben offen zu diskreditieren, ist verpönt. Aversionen gegen Lesben, Schwule und überhaupt queere Personen gibt es mehr als nur selten, aber jene, die sich abschätzig äußern, wissen, dass es nicht statthaft ist, ja, dass sie keine allgemeine zustimmende Resonanz mehr finden. Politiker wie Klaus Wowereit, auch dies eine ermutigende Lernerfahrung für die queeren Communities in den frühen Jahren dieses Jahrhunderts, lassen sich durch kein "Sag nicht, dass du schwul bist" mehr aus der Bahn werfen, sie sind durch antihomosexuelle Atmosphären nicht mehr zu erledigen, im Gegenteil.

Wäre damit alles getan? Stimmt, was selbst queere Autor:innen einräumen, halbwegs zufrieden, was an rechtlichen Fortschritten erreicht werden konnte – mit der Realisierung der Ehe für alle 2017 insbesondere? Keineswegs, und das ist keine pädagogische Mahnung, keine hohle Warnung vor dem schlimmen Ende, das da noch kommen könnte. Tatsächlich haben Konservative nach wie vor keinen Frieden gemacht mit der Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen. Sie, die sich stets gegen jede Liberalisierung sträubten, hadern nach wie vor mit der Ehe für alle, und ihre Hohepriesterin ist die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, die, hätte sie Aussicht auf eine Mehrheit, das Eherecht wieder nur für heterosexuelle Paare privilegieren würde.

Und nach wie vor ist es nicht unstrittig, das in Schulen eine Sexualaufklärung angeboten wird, die alle Liebenden und einander Begehrenden wertschätzt – und ohnehin Informationen anbieten muss, die der Flut der pornographischen Bilder im Internet etwas entgegensetzen. Und schaut man sich die einschlägigen Statements der AfD an, ist der Kulturkampf um die queeren Gleichberechtigungen noch lange nicht zu Ende gefochten. Klischees zum Trotz sind es freilich nicht die Unterschichten, das, salopp formuliert aus der Perspektive lebensstilbewusster Bürger, proletarisch, so prekäre wie ungebildete Fußvolk, das die bürgerrechtlichen und atmosphärischen Fortschritte bei den queeren Politiken als "Identitätspolitiken" diskreditieren, sondern die standesbewussten Mittelschichten. Sie sind es, die an den Performances queerer Künstler:innen im Kulturbereich schiere Wut ausleben, neulich gerade wieder in Bayreuth bei den Wagner-Festspielen. Sie sind es, die ihren Kindern nahebringen, dass ein schwules oder lesbisches Leben eher nicht so, besser: nur zur Not halbwegs okay ist.

30 Jahre seit dem Fall der Mauer – sehr viel ist möglich und erreicht worden. Es kann nur ein Anfang sein, die Mühen der Ebene, die Arbeit an einer Kultur des Respekts und der Neugier hat gerade erst wirklich begonnen.

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