Meinung von Boris Radczun, aufgezeichnet von Anna Thewalt (Tagesspiegel)
Fleisch ja, aber bitte mit Genuss
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Darf ich noch Fleisch essen – klar! Doch es sollte weniger davon auf den Tisch kommen. Massentierhaltung, die Zustände in der Fleischproduktion und die Fütterung der Tiere mit Sojaprodukten werden zurecht kritisiert. Es ist offensichtlich, dass die konventionelle Landwirtschaft mit ihrem Latein am Ende ist. Stattdessen brauchen wir wieder Farmbetriebe mit nachhaltigen Kreisläufen: Tiere gehören auf Grünland-Acker, mit genügend Platz unter dem freien Himmel.
Grüne, weite Weiden, die Rinder abgrasen – das ist die Idealvorstellung, die in vorbildlichen Betrieben im In- und Ausland bereits umgesetzt wird. Haben die Tiere mehr Platz, ist ihre Anfälligkeit für Krankheiten geringer und es müssen weniger Medikamente verabreicht werden. Die klimaschädlichen Rodungen hätten mit weniger Gesamtfläche für weniger Tiere ein Ende. Dazu gehört Tierfutter aus Soja komplett abgeschafft. Wenn all unser Fleisch nachhaltig produziert werden soll, bedeutet das: Alle müssen weniger Fleisch essen. Der übermäßige, zur Gewohnheit gewordene Konsum wird aufhören, das gedankenlos verzehrte Fleisch auf jeder Pizza und der Speck in jedem Salat werden verschwinden. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde hierzulande eine bestimmte Vorstellung von Fleisch propagiert: Es muss hell sein und möglichst geschmacklos. Der Höhepunkt dieser "Viel-Fleisch-für- alle"-Kampagne war wohl die einzeln als Snack verpackte Wurst.
Ich bin überzeugt, dass es das bald nicht mehr geben wird. Früher war Fleisch etwas Festliches und Außergewöhnliches, es gab am Sonntag einen Festtagsbraten, das war’s. Nicht in jedem Eintopf steckte Fleisch. Unsere Ernährung ist inzwischen vollkommen aus der Balance geraten. Meiner Einschätzung nach werden Rind, Schwein und Co. nur noch ein bis zweimal in der Woche auf den Teller kommen, dafür dann qualitativ hochwertiges. Das wird mehr Geld kosten. Doch das Tierwohl und die Qualität unserer Nahrung ist es wert. Wenn der Fleischkonsum zeitgleich verringert wird, dürften sich die Kosten auch in Grenzen halten.
Wir werden nicht nur weniger Fleisch essen, sondern auch bewusster. Heute wissen die wenigsten, wo das, was sie da im Mund haben, überhaupt herkommt. Geschweige denn, wie das Leben des Tieres aussah, das sie da ohne Verschwendung von Gedanken verspeisen. Ernährung sollte ein Schulfach werden: Wie funktioniert Landwirtschaft? Warum brauchen wir Nutztiere? Welche Geschmäcker gibt es? Wenn Kinder das frühzeitig lernen, ernähren sie sich später ausgewählter.
Privat esse ich am liebsten Wild, aus meiner Sicht ist es das beste Fleisch: Das Tier hatte ein Leben in freier Wildbahn, ohne zusatzmitteldurchsetze Nahrung. Es ist paradox, dass vor den Toren Berlins, in Brandenburg, so viel Wild herumläuft, es dann aber auf den Speisekarten kaum zu finden ist. Auch hier braucht es ein Umdenken. Ein Einwand bleibt natürlich: Tiere werden geschlachtet. Die moralisch-ethische Frage kann allerdings nur jeder für sich selbst beantworten. Ich bin der Meinung, dass es eine Grundlage unserer Erde ist, dass Tiere Tiere essen.
Die Zukunft gehört daher Flexitariern, Menschen, die meistens vegetarisch leben und dazu selten ein qualitativ hochwertiges Stück Fleisch essen. Viele unserer Restaurantgäste leben schon jetzt so. Für unser Restaurant-Angebot habe ich eine Vision: In 20 Jahren wird dort die Speisekarte zu einem Drittel aus Fleischersatzprodukten bestehen, einem Drittel aus Fisch, das in zertifizierten Farmen gezüchtet wurde, und einem Drittel aus Fleisch aus der Region. Nur als seltener Schmaus statt tagtäglicher Gewohnheitsspeise wird Fleisch wieder zum Genuss.
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