Der Bau der Mauer ...
Der Bau der Mauer ist unbestritten die wichtigste Zäsur in der Geschichte der DDR.
Der breiten Masse in der Bevölkerung der DDR war durchaus bewusst, dass die Grenzschließung darauf gerichtet war, "Republikflucht" und die Tätigkeit der Grenzgänger, also jener Menschen, die in Ost- oder West-Berlin arbeiteten, aber im anderen Teil der Stadt wohnten, zu unterbinden. Darüber hinaus richtete sie sich gegen die ganze Bevölkerung der DDR, insofern sie die offenen Grenzen und die Möglichkeit der Abwanderung in den vielfältigen Verhandlungen mit Vertretern der Staatsmacht und der Behörden dazu genutzt hatte, Lösungen auszuhandeln, zu denen diese andernfalls nicht bereit gewesen wären.
Verhaftung eines Ehepaars, das versucht hatte, die Grenzsperren nach West-Berlin zu überqueren, 13. August 1961. (© AP)
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Verhaftung eines Ehepaars, das versucht hatte, die Grenzsperren nach West-Berlin zu überqueren, 13. August 1961. (© AP)
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Denn die offene Grenze hatte der SED durchaus einige Fesseln angelegt im Umgang mit einer Bevölkerung, der als letzte Möglichkeit, sich den Zumutungen der SED zu entziehen, immer der Weg nach Westen offen gestanden hatte. Diese Drohung hatte alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Auseinandersetzungen in der DDR beeinflusst, hatte doch ein Sechstel der Bevölkerung diesen Weg bis 1961 bereits eingeschlagen. Sie war einer der Gründe für den Mauerbau gewesen, denn die SED hatte diese Fesseln als Einschränkung ihrer Souveränität in der DDR wahrgenommen – so, wie sie die Abwanderung selbst als Verrat und als eine Form von Rebellion gegen ihre Herrschaft in der DDR ansah.
Proteste und Demonstrationen
Die erste Reaktion in Berlin auf beiden Seiten des Stacheldrahts, der erst einige Tage später den ersten Mauern weichen sollte, war ungläubiges Entsetzen – und Wut, wie einige Angehörige der Kampfgruppen in der Nacht der Grenzsperrung direkt erfahren sollten: "Von 1956 bis 1966 war ich Angehöriger der Kampfgruppen, am 13. August 1961 also bei [der] Befestigung der Staatsgrenze [eingesetzt]. Unsere Hundertschaft sicherte die Bauarbeiten am Abschnitt Heinrich-Heine- und Fritz-Heckert-Straße, in einem Altbau-Gebiet, das unmittelbar die Staatsgrenze berührte. Zahlreiche Anwohner hatten sich in dieser Nacht auf der Straße angesammelt. Die meisten von ihnen zeigten sich uns und dem Geschehen nicht freundlich gesonnen. [...] Weite Kreise waren als Grenzgänger korrumpiert, darunter viele einfache Menschen. Sie sahen mit der Schließung der Grenze ihr unredliches Treiben beendet. Daß der Unmut darüber bis zum Haß gehen kann, erlebte ich in jener Nacht mit einem Genossen am Verhalten einer hochschwangeren Frau. Sie drang, vom Haß entstellt, auf uns ein und beschimpfte uns. Wir versuchten ihr verständlich zu machen, warum das hier geschehe, und baten sie, nach Hause zu gehen. [...] Sie würde bleiben, erwiderte sie, – ihr Kind solle im Mutterleib miterleben, welches Verbrechen hier geschehe."
Ost-Berliner an der abgesperrten Sektorengrenze in Berlin, 13. August 1961. (© Bundesregierung, B 145 Bild-00009768, Foto: Siegmann)
Ost-Berliner an der abgesperrten Sektorengrenze in Berlin, 13. August 1961. (© Bundesregierung, B 145 Bild-00009768, Foto: Siegmann)
Am Vormittag und im Laufe des 13. August versammelten sich in Berlin immer wieder Menschen auf beiden Seiten der Grenze, um sich zu überzeugen, dass das nicht Denkbare tatsächlich geschah. Und auf beiden Seiten der tags zuvor noch nahezu unsichtbaren Grenze kam es zu Unmutsäußerungen und spontanen Protesten. Am frühen Morgen protestierten am Übergang Wollankstraße etwa fünf- bis sechshundert Menschen gegen die Grenzschließung. Weitere Proteste formierten sich am Vormittag an den Bahnhöfen an der Bornholmer Straße, Schönhauser Allee und Französische Straße sowie im Bezirk Prenzlauer Berg.
Über Mittag wurden die Polizeieinheiten verstärkt, um vor allem jeden Kontakt zu Menschenansammlungen auf der Westseite zu verhindern, sodass sich kein übergreifender Protest formieren konnte. Es gelang der Volkspolizei, die meisten protestierenden Gruppen auf der östlichen Seite aufzulösen, die sich aber bald darauf neu formierten. Mehrfach wurde dabei Tränengas eingesetzt. Volkspolizei und Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) verhafteten Menschen, die zum Streik aufriefen oder im Ärger die Bekanntmachungen der Regierung abrissen. Die Proteste setzten sich, selbst in der Innenstadt, bis in die Abendstunden fort. Häufig waren es junge Leute, die diese Proteste dominierten.
Erzwungene Zustimmung
Neben Stacheldrahtverhauen gehörten Mauern aus Gasbetonquadern zu den ersten Befestigungen der Grenzsperren in Berlin. Aufnahme vom August 1961. (© AP)
Neben Stacheldrahtverhauen gehörten Mauern aus Gasbetonquadern zu den ersten Befestigungen der Grenzsperren in Berlin. Aufnahme vom August 1961. (© AP)
Eine weitere Reaktion der Bevölkerung auf den Mauerbau waren Solidaritätsadressen und Zustimmungserklärungen, die Betriebs- und Wohnkollektive aus der ganzen DDR an die Staats- und Parteiführungen richteten und in denen sie die "Maßnahmen", wie es vorerst hieß, ausdrücklich begrüßten. Denn die SED ließ sich die Grenzschließung von ihrem Staatsvolk bestätigen. Dadurch wollte sie sich, der Bevölkerung und der Welt eine Legitimität suggerieren, die tatsächlich nicht vorhanden war. Diese Briefe waren für die SED ein wichtiges Moment nachträglicher Legitimierung, die für die Propaganda intensiv genutzt wurden. Die Propagandamaschine der SED war republikweit noch in der Nacht zum 13. August angelaufen, nachdem die Genossen der Bezirks- und Kreisleitungen aus dem Bett geklingelt worden waren. Der Apparat war mit sich zufrieden: "Es hat sich erwiesen, daß die Bezirksleitungen in wenigen Stunden den Partei- und Staatsapparat sowie das Parteiaktiv zur Lösung einer neuen Aufgabe mobilisieren und zum Einsatz bringen können. Die Büros und Apparate der Bezirksleitungen sowie entscheidende Staatsfunktionäre waren in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag gegen 3 Uhr einsatzfähig. Büromitglieder und Mitarbeiter der Bezirksleitungen begaben sich in die Kreise, um die Arbeit der Kreisleitungen zu unterstützen. In den Kreisen wurden sofort Beratungen mit den Parteisekretären, mit den Vorsitzenden der Blockparteien und Massenorganisationen durchgeführt und an den Schwerpunkten Agitatorengruppen eingesetzt. Die Parteileitungen in den Schichtbetrieben haben bereits in den frühen Morgenstunden des 13.8. Versammlungen und Aussprachen organisiert. Dasselbe geschah in vielen Hausgemeinschaften. Die Mehrheit der Werktätigen wurde am Montagvormittag [14.8.] durch Versammlungen und Foren gründlich über die Maßnahmen der Regierung informiert. Die Partei wurde faktisch unter den Massen politisch wirksam, bevor der Feind überhaupt gewahr wurde, was geschehen war, und hatte die Lage fest in der Hand, wobei zu berücksichtigen ist, daß ein großer Teil der aktivsten Genossen Mitglieder der Kampfgruppen ist, zu Schutzmaßnahmen eingesetzt war und nicht unmittelbar in den Agitatorengruppen mitwirken konnten."
In den Betrieben
Bereits am 14. August seit 7.10 Uhr in der Frühe erhielt Erich Honecker, im SED-Apparat zuständig für die Organisation des Mauerbaus, die ersten Berichte über die Reaktionen und Diskussionen in der Bevölkerung. In den meisten Betrieben lief die Arbeit normal an. Nur vereinzelt forderten Arbeiter ihre Kollektive zum Streik auf, etwa in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) bei Halberstadt. Teilweise kursierten Gerüchte darüber, dass in Berlin gestreikt würde.
Andere Proteste
Der Vollständigkeit halber sei noch auf andere Protestformen hingewiesen. An vielen Orten tauchten antikommunistische Losungen an den Wänden auf:
"Heute rot – morgen tot"
"SED – nee"
"Nieder mit der SED"
"Kommunisten raus"
"erst freie Wahlen – weg mit den Panzern aus Berlin".
Intellektuelle und Künstler
Die alten Eliten, vor allem die noch in älterer Zeit geschulte Intelligenz, stand der Grenzschließung, wie zu erwarten gewesen war, reserviert gegenüber. Besonders Ingenieure und Ärzte wurden in einem internen Bericht bezichtigt, "provokatorisch gegen unsere Maßnahmen" aufzutreten.
Abweichler in der SED
West-Berliner Polizei und Feuerwehr beobachten, wie jenseits der Mauer mit Wasserwerfern versucht wird, Fluchtversuche zu unterbinden. 14. September 1961. (© AP)
West-Berliner Polizei und Feuerwehr beobachten, wie jenseits der Mauer mit Wasserwerfern versucht wird, Fluchtversuche zu unterbinden. 14. September 1961. (© AP)
Selbst innerhalb der Partei waren sich anfangs nicht alle Genossen über die friedenserhaltende Wirkung der Mauer einig. Ein interner Bericht formuliert das Unbehagen einiger Genossen, die gefragt hätten: "Warum mußten wir Panzer einsetzen?" Auch wenn die Irritation innerhalb der Partei schwach und ohne öffentlichen Ausdruck blieb, musste man intern doch einige Widerstände einräumen. Einige SED-Mitglieder "lehnten die weitere Mitarbeit in den Kampfgruppen ab". Vor allem das Verbot, in den Westen zu reisen und mit Menschen aus dem Westen Kontakt zu haben, war vielen Parteimitgliedern unverständlich und wurde als unzulässiger Eingriff in ihr Privatleben aufgefasst. Dieses Problem schien mehr Mitglieder der SED zu betreffen, als man angenommen hatte: "Ein größerer Teil [der] Parteimitglieder erkennt noch nicht die Gefahr, die für Bürger unserer Republik bei Besuchen in Westdeutschland gegeben ist, und begreift nicht die Notwendigkeit, auf Westreisen zu verzichten."
Vor allem in den Grenzkreisen, in denen die Bevölkerung mit ökonomischen Problemen stärker zu kämpfen hatte und in denen die Zwangsaussiedlungen der SED zusätzlich Sympathien gekostet hatten, standen auch Parteimitglieder den Maßnahmen der Regierung deutlich reserviert gegenüber. In einigen Orten wurde ein Drittel der Genossen als "schwankend" eingestuft.
Ausblick
Ost-Berliner Kinder spielen "Volkspolizei" in unmittelbarer Nähe der Berliner Mauer entlang der Bernauer Straße, 22. Oktober 1961. (© AP)
Ost-Berliner Kinder spielen "Volkspolizei" in unmittelbarer Nähe der Berliner Mauer entlang der Bernauer Straße, 22. Oktober 1961. (© AP)
Der Mauerbau war für die SED zunächst ein Erfolg: Sie hatte die Bevölkerung der DDR auf dem von ihr beherrschten Territorium immobilisiert und nutzte dies, um ihre Macht zu konsolidieren. Dies zeigt sich unter anderem an der Siegeseuphorie, die sich unter den Funktionären seit dem 13. August breitmachte, die von polizeilicher und strafrechtlicher Repression begleitet war. Die Bevölkerung sollte merken, dass jetzt ein anderer Wind wehte und dass sie dem Parteiapparat noch stärker ausgeliefert war als vorher: im Wortsinne nun ausweglos. Und sie lernte es, wie es der Verteidigungsminister im September formulierte: "Seit dem 13. August 1961 haben wir auch hier bedeutsame Fortschritte in der Erziehungsarbeit unter der Bevölkerung erzielt. Im Bewußtsein und der Aktivität der Werktätigen vollzieht sich ein großer Aufschwung."
Jedoch war die SED nicht in der Lage, aus diesem Zuwachs an Macht auch eine größere Zustimmung in der Bevölkerung und damit einen Zuwachs an Legitimität zu generieren. Dafür hätte sie ihre Politik stärker auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausrichten müssen, wozu sie sich nicht verständigen konnte.
West-Berliner Kinder versuchen an der Liesenstraße im Wedding einen Blick nach Ost-Berlin zu erhaschen. 23. August 1961. (© AP)
West-Berliner Kinder versuchen an der Liesenstraße im Wedding einen Blick nach Ost-Berlin zu erhaschen. 23. August 1961. (© AP)
Erst mit dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker kam verspätet eine gewisse Ausrichtung auf die Konsumbedürfnisse der breiten Masse, die zudem von der Wirtschaftsentwicklung nicht getragen wurde und zu einer Dauerkrise führte, die das Ende der DDR mit herbeiführte. Statt eines Wandels der Politik setzte die SED zu Sicherung ihrer Herrschaft darauf, die Immobilisierung der Bevölkerung auch auf das Innere der DDR auszudehnen und zu zementieren.