Einleitung
In Deutschland vollzieht sich seit einigen Jahren ein regelrechter Geschichtsboom: Städte reinszenieren und rekonstruieren aufwändig (wie Frankfurt am Main) ihre versunkenen Altstadtviertel oder bauen (wie Potsdam) ihre zerstörten Stadtschlösser wieder auf. Jeden zweiten Tag eröffnet ein neues Museum, wobei der Anteil privater Museen ständig steigt. Fast jeder Mensch ist wohl schon einmal über einen Mittelaltermarkt geschlendert, und viele mögen zudem einen der zahlreichen Histotainment-Parks besucht haben, in denen immer Mittelalter oder Römerzeit ist. Auch die jüngere Geschichte erfreut sich immer größerer Beliebtheit: An der Berliner Museumsinsel bietet ein privates DDR-Museum die "DDR zum Anfassen" an, und wer von Trabis und FKK genug hat, kann sich ein paar Straßenzüge weiter in der Stasi-Kneipe "Zur Firma" stärken.
Schon dieser kurze Aufriss zeigt, dass sich um das historische Erbe, um "Heritage", inzwischen eine erlebnisorientierte Heritage-Industrie rankt. Von ihr profitieren nicht nur kommunale, nationale und internationale öffentliche, sondern in zunehmendem Maße auch unterschiedlichste private Akteurinnen und Akteure. Historische Stoffe, begriffen als ein für die Gegenwart relevantes und daher erhaltenswertes Erbe, haben und machen in Deutschland Konjunktur.
Bis vor kurzem dominierte hierzulande eine fachwissenschaftlich geprägte Form der Vergangenheitsbetrachtung, die das materielle historische Objekt, das durch Vitrinen geschützte "Original", und eine quellenbasierte, textzentrierte Vermittlung historischer "Fakten" in ihr Zentrum stellte. Der amerikanische Geograph David Lowenthal hat diese westeuropäisch-modern geprägte Form der Vergangenheitsbetrachtung als "History" bezeichnet.
Dem Heritage-Boom steht eine große Zögerlichkeit der deutschen Politik und Wissenschaft gegenüber, sich mit den neuen, hierzulande oft vorschnell als "kommerziell", "populistisch" oder "disneyhaft" verpönten, touristisch jedoch enorm erfolgreichen, erlebnisorientierten Geschichtsvermittlungsangeboten zu beschäftigen.
Vom Checkpoint zum Scheckpoint
Der Checkpoint Charlie wurde im September 1961 von den in Berlin stationierten britischen, französischen und amerikanischen Truppen eröffnet. Er war für den innerberliner Grenzverkehr von Diplomatinnen und Diplomaten, Mitgliedern der Alliierten Streitkräfte und ausländischen Touristinnen und Touristen reserviert. Allerdings wurden nur letztere am Checkpoint Charlie kontrolliert, da Diplomaten sowie Mitarbeiter der Alliierten Streitkräfte in Berlin Freizügigkeit genossen.
Bis zum Fall der Mauer entwickelte sich der Checkpoint Charlie zum berühmtesten Grenzübergang der Stadt. Bereits im Oktober 1961 wurde er fast zum Schauplatz einer "heißen" Konfrontation im Kalten Krieg, als sich hier amerikanische und sowjetische Panzer mit laufenden Motoren gefechtsbereit gegenüberstanden. Ein Jahr später verblutete der 18-jährige Peter Fechter in der Nähe des Checkpoint Charlie bei einem gescheiterten Fluchtversuch. Zugleich konnte es der Kontrollpunkt wegen mehr als 1200 geglückter Fluchten zur Berühmtheit bringen, denn viele DDR-Bürgerinnen und -bürger nutzten seinen Sonderstatus, um den Grenzübergang, als Diplomaten oder Soldaten verkleidet, unkontrolliert zu passieren. 1963 eröffnete auf der westlichen Seite des Kontrollpunkts das Museum Haus am Checkpoint Charlie seine Türen. Es dokumentierte die Geschichte der Mauer sowie Fluchtschicksale und entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einem der meistbesuchten Museen West-Berlins. Nicht zuletzt war der Checkpoint Charlie auch deshalb international bekannt, weil er für ausländische Touristinnen und Touristen das Nadelöhr für ihre Einreise nach Ost-Berlin darstellte.
Mit dem Fall der Mauer wurde der Kontrollpunkt über Nacht obsolet. Bereits im Juni 1990 wurden die Grenzanlagen abgetragen; das plötzlich in der neuen Mitte der bald wiedervereinigten Stadt gelegene Gelände wurde zu einem attraktiven Anlageprojekt. Als Bewerberin trat die Central European Development Corporation (CEDC) auf, eine auf Immobilienprojekte in Osteuropa spezialisierte internationale Investmentgesellschaft, die am Checkpoint Charlie ein American Business Center errichten wollte. Bereits im Oktober 1991 wurde der Grundstein gelegt. Doch geriet die Investorin aufgrund des Überangebots von Büroflächen in Berlin bald in finanzielle Nöte. Als die CEDC im Jahr 2003 in die Insolvenz und der Checkpoint Charlie in den Besitz einer Bankaktiengesellschaft überging, waren nur drei der geplanten fünf Gebäude errichtet worden.
Angesichts der verbliebenen Brachen und der steigenden touristischen Nachfrage nach Zeugnissen der Berliner Teilungsgeschichte versuchten in den folgenden Jahren unterschiedliche Anbieter, den demontierten früheren Grenzübergang in den Stand des Erinnerungswürdigen zu erheben. Diese Versuche werden im Folgenden vorgestellt. Dabei wird gezeigt, dass der Checkpoint Charlie, international betrachtet, als typische Heritage-Industriestätte gelten kann. Dies belegt ein kurzer Exkurs zu einer ihrer Pioniereinrichtungen, der Plimoth Plantation an der Ostküste der USA. In der Nähe des heutigen Plymouth war einst die "Mayflower" angelandet.
Checkpoint Charlie als typische Heritage-Stätte
Bereits im 18. Jahrhundert war in Plymouth die Stelle, an der 1620 die erste Pilgerin ihren Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hatte, mit einer Gravur versehen worden (siehe die Abbildung 1 der PDF-Version). Der so markierte Plymouth Rock wurde 1920 mit einem kunstvoll gestalteten Portikus überbaut, der den Fels weithin sichtbar machen sollte. Um auch die Lebenswelt der Pilgerinnen und Pilger anschaulich werden zu lassen, wurde in den 1940er Jahren ganz in der Nähe die Plimoth Plantation eröffnet. Sie bestand aus einem Museum, das Fundstücke der Ausgrabungsstätte des alten Pilgerdorfs präsentierte, und Plimoth Village, einer Rekonstruktion des Dorfes, das mit epochengerecht kostümierten Schauspielerinnen und Schauspielern belebt war. Diese sollten den Besucherinnen und Besuchern vergangene Lebensweisen in Form kleiner Szenen näher bringen und zur Interaktion mit der Stätte auffordern. Die amerikanische Anthropologin Barbara Kirshenblatt-Gimblett hat den Mehrwert einer solchen Verknüpfung von topographisch genau markierten historischen Schauplätzen und künstlerischen Symbolen ("exhibition as knowledge") mit museal präsentierten Originalen und räumlichen Rekonstruktionen ("exhibition as museum display") sowie der Aufführung von Kultur als Heritage ("exhibition as performance"
Die hier vorgestellte Kombination ähnelt der am Checkpoint Charlie aufzufindenden auf frappierende Weise. Wie am Plymouth Rock findet sich am Checkpoint Charlie mit einer im Auftrag des Berliner Senats 1997 im Asphalt verlegten Doppelpflastersteinreihe eine topographisch genaue Markierung des ehemaligen Mauerverlaufs, also des "Themas", das für die internationale Bekanntheit des Ortes sorgte (siehe die Abbildung 2 der PDF-Version).
Eine im Jahr darauf eingeweihte Leuchtkasteninstallation mit den Porträts eines amerikanischen und eines sowjetischen Soldaten zeugt, wie der Portikus in Plymouth, vom Wunsch des Senats, die Mauermarkierung auf Höhe des früheren Grenzübergangs mit einem weithin erkennbaren zeitgenössischen Symbol anzureichern. Das bereits erwähnte Museum Haus am Checkpoint Charlie stiftete dem ehemaligen Kontrollpunkt im Jahr 2000 eine Rekonstruktion der 1990 demontierten Kontrollbaracke. Zusammen mit einer Kopie des mittlerweile im Museum ausgestellten berühmten Schildes "You are leaving the American Sector" dient sie, wie in Plymouth das rekonstruierte Plimoth Village, dazu, den früheren Grenzübergang auch räumlich erneut erlebbar zu machen (siehe die Abbildungen 3 und 4 der PDF-Version).
Seit 2004 finden sich am früheren Checkpoint Charlie zudem täglich als Grenzsoldaten kostümierte Schauspielstudierende ein, die vor der Kontrollbarackenkopie posieren und sich gegen Bezahlung mit Touristinnen und Touristen fotografieren lassen, Original-Grenzstempel in Pässe drücken oder auch "Bananenkontrollen" in Kofferräumen durchführen. Diese Aktion lässt sich als Versuch interpretieren, den bisher durch rekonstruierte Artefakte gekennzeichneten ehemaligen Grenzübergang anhand kleinerer Szenen und Interaktionen um die Erfahrung der sozialen Dimension der Berliner Teilungsgeschichte zu bereichern.
Die Initiativen des Senats ("exhibition as knowledge"), des Museum Haus am Checkpoint Charlie ("exhibition as museum display") und der Schauspielstudierenden ("exhibition as performance"
Checkpoint Charlie als außergewöhnliche Heritage-Stätte
Und doch ist der Checkpoint Charlie ein ganz besonderer Fall. Denn international betrachtet treten bei der Planung und Gestaltung von Heritage-Stätten nationale oder lokale Regierungen üblicher Weise als Struktur vorgebende Akteurinnen auf, die Heritage als ökonomisches Entwicklungsmodell, politisches Herrschaftsinstrument oder als Medium kultureller Verständigung nutzen und hierzu hoch regulierte Allianzen mit privaten Akteuren schmieden. Am 1992 privatisierten Checkpoint Charlie allerdings gibt es keine eine solche Struktur vorgebende öffentliche Akteurin. Entsprechend zeigt sein Beispiel die Entstehung einer Heritage-Industrie abseits geregelter Verfahren. Als ein Ort, der in Reaktion auf die touristische Nachfrage in zahlreichen unverbundenen, zudem miteinander konkurrierenden Einzelaktionen entwickelt wurde, markiert der Checkpoint Charlie ein Handlungsfeld unterschiedlicher privater und öffentlicher Erinnerungsanbieter, die um die Deutungshoheit über den Ort und die mit ihm verbundenen Profite ringen.
Wohin ein solches Steuerungsdefizit führt, illustriert die Konstruktion des Checkpoint Charlie als Opfer-Ort. Dieser Prozess wurde ab 2004 maßgeblich von Alexandra Hildebrandt, der Chefin des 2002 privatisierten Museums Haus am Checkpoint Charlie vorangetrieben, das den Schrecken der Mauer und die Unüberwindbarkeit der Grenze thematisierte. Dass die Schauspielstudierenden mit ihrem Angebot den Grenzübergang - und damit die Durchlässigkeit der Grenze - betonen, stellte für Hildebrandt, ebenso wie die Präsenz zahlreicher fliegender Händlerinnen, die am Checkpoint Charlie DDR-Devotionalien feilbieten, eine "Verhöhnung der Opfer"
Obwohl Hildebrandt vom Bezirk Mitte lediglich eine "temporäre Kunstaktion" genehmigt worden war, erklärte die Museumschefin nach der Einweihung des Mahnmals, ihre Installation stehenlassen zu wollen. Ihr Argument lautete, dass das bisherige "offizielle" Mauergedenken am von Bund und Land in den 1990er Jahren an der Grenze zwischen den Bezirken Mitte (Ost) und Wedding (West) errichteten Gedenkort Bernauer Straße, wo sich viele dramatische Fluchtgeschichten abgespielt hatten, zu verkopft und für Touristinnen und Touristen nur schwer zu erreichen sei. Demgegenüber sei der Checkpoint Charlie ein international bekanntes Symbol der Weltenteilung, und so sei es nur folgerichtig, an diesem zentral gelegenen touristischen Ort auch der Opfer dieser Weltenteilung zu gedenken.
Laut Hildebrandt sollten also nicht die Touristinnen und Touristen zu den Gedenkorten, sondern vielmehr das Gedenken an die touristischen Aufenthaltsorte reisen. Dort sollten die Kreuze die Symbolik der Mauer und ihrer Opfer unmittelbar und drastisch vermitteln und Emotionen auslösen. Im Gegensatz zum - in der Tradition der "History" stehenden - fachwissenschaftlich geprägten Angebot des Gedenkorts Bernauer Straße, der eine abgeschlossene künstlerische Rekonstruktion der Berliner Mauer, ein Mauer-Dokumentationszentrum sowie eine Gedenkkapelle aufwies, wurde das Mauermahnmal am Checkpoint Charlie als erlebnisorientierte Heritage-Stätte präsentiert, die sich in erster Linie an den Erwartungen internationaler Besucherinnen und Besucher orientierte.
Authentizität als Kampfbegriff
In Berlin stieß die Thematisierung kaum vergangenen menschlichen Leids in einem touristischen Kontext durch eine private Anbieterin, ebenso wie die Rekonstruktion der Mauer, auf ein höchst kritisches Echo. Dabei schälte sich "Authentizität" als zentrales Unterscheidungsmerkmal zwischen der öffentlichen Gedenkstätte und dem privaten Mahnmal heraus.
Die britischen Heritage-Forscher John Tunbridge und Gregory Ashworth haben gezeigt, dass unterschiedliche Auslegungen des Begriffs eines der häufigsten Szenarien für Konflikte um die Präsentation einer Vergangenheit als Heritage darstellen.
Laut Tunbridge und Ashworth durchmischen sich beide Auffassungen von Authentizität in der Praxis sehr häufig, was die Forscher nicht nur auf die Akteursvielfalt, sondern auch auf die besondere Organisationsstruktur der Heritage-Industrie zurückführen: "(D)ie verwendeten Materialien, das heißt Museen, denkmalgeschützte Gebäude, historische Stadtbilder und so weiter, stehen unter der Obhut von Personen oder Institutionen, die ein angebotszentriertes Verständnis ihrer Arbeit haben, während die Produzentinnen von Heritage ein nachfragorientiertes Verständnis aufweisen."
Diese Konstellation spiegelt auch die Debatte um den Checkpoint Charlie wider. Sie illustriert den Moment, in dem das Recht der bisher mit der Aufgabe der Geschichtspflege befassten Regierungsvertreterinnen und -vertreter, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Denkmalexpertinnen und -experten auf Authentifizierung von einer privaten Anbieterin herausgefordert wurde. Da die Einflussmöglichkeiten der politischen Akteure auf den privatisierten Checkpoint Charlie begrenzt waren, musste die ins Wanken geratene soziale Ordnung auf dem Feld der Geschichtspflege nun diskursiv wiederhergestellt und dieses Recht mit Hilfe des Disneyfizierungs-Vorwurfs kulturell verteidigt werden.
Während in Berlin eine breite Koalition aus Opferverbänden und Tourismusanbietern Hildebrandts Mahnmal dafür lobte, dass angesichts der drastischen Symbolik des Todesstreifens mit den Kreuzen am Checkpoint Charlie "selbst ein Tourist aus Japan sofort begreift, was die Mauer für Berlin bedeutete",
Diese Argumentation führte jedoch in ein Dilemma. Denn angesichts des längst vollzogenen Abrisses der Mauer musste auch das "offizielle" Mauergedenken an den meisten Orten der Stadt ohne historische Substanz auskommen. Überdies war auch der Mauergedenkstätte am Gedenkort Bernauer Straße von ihren Kritikerinnen und Kritikern stets ein Authentizitätsdefizit attestiert worden: Die von "Mauerspechten" skelettierten dortigen Mauerreste waren einer umfassenden Betonsanierung unterzogen worden. Auch diese Gedenkstätte zeigte keine "authentische", sondern eine künstlerisch überhöhte Rekonstruktion des Todesstreifens, und auch an der Bernauer Straße hatte nie ein Sterben hunderter Maueropfer stattgefunden.
In dieser misslichen Lage entwickelte der Senat ein modernisiertes Authentizitätskonzept, das auch ohne historische Relikte auskommt. Es kann als "am Ort des Geschehens angesiedelt" tituliert werden. Es schrieb einem Ort eine spezifische, sich jeweils aus dem dortigen historischen Geschehen ableitende Thematik zu, für die dann nur dieser Ort Authentizität beanspruchen konnte. Dieser Sichtweise zufolge sollte am demontierten Checkpoint Charlie allein die Thematisierung des Einsatzes der Alliierten für Berlin als authentisch gelten. Legitimer Ort des Maueropfergedenkens zu sein, wurde allein der Bernauer Straße zuerkannt - auch wenn das international wohl berühmteste Maueropfer, Peter Fechter, am Alliierten-Kontrollpunkt gestorben war. Hier lautete die vom historischen Geschehen abgeleitete Begründung, dass die Bernauer Straße, lokal betrachtet, Schauplatz besonders vieler dramatischer und einiger tödlicher Fluchten gewesen sei.
In die erbitterte Konkurrenz der (auf der Relevanz der lokalen Perspektive beharrenden) öffentlichen und der (international ausgerichteten) privaten Mauergedenkstätte kam erst 2005 erneut Bewegung, als die Bankaktiengesellschaft, auf deren Grundstück das touristisch enorm erfolgreiche private Mahnmal stand, Räumungsklage gegen die Museumschefin einreichte. Hildebrandts Appelle an die Öffentlichkeit, für den Erhalt ihres Mahnmals einzutreten, verhallten in Berlin, für das der "Ausländerübergang" stets ein "fremder Ort" gewesen war, weitgehend ungehört. Nur kurz von einigen ehemaligen Stasi-Häftlingen aufgehalten, die sich aus Protest gegen die mangelnde Würdigung der Opfer der SED-Diktatur in Berlin an die Kreuze angekettet hatten, konnten die Bagger ihre Arbeit pünktlich verrichten.
Und doch hatte das private Mahnmal ein unerwartet langes Nachleben: 2005 empfahl ein fraktionsübergreifender Antrag des Deutschen Bundestages das Brandenburger Tor als Gedenkort an die Mauer und ihre Opfer. Die Abgeordneten argumentierten, dass das (für die Berlinerinnen und Berliner über Jahre nicht zugängliche) Brandenburger Tor, im Gegensatz zur Bernauer Straße, ein international bekanntes Mediensymbol der Teilungsgeschichte und daher am besten dazu geeignet sei, bei Touristinnen und Touristen sowie Nachgeborenen "authentische Gefühle" hervorzurufen. Damit standen sich das vom Senat verfochtene Modell des authentischen "Ortes des Geschehens" und das ursprünglich von Hildebrandt propagierte, nun vom Bund sekundierte Modell des "Ortes der (inter)nationalen Aufmerksamkeit" erneut gegenüber.
Wie reagierte der Senat auf diese schwierige Situation? Und was wurde aus dem Checkpoint Charlie?
Checkpoint Gallery: der Bauzaun als Manifest
Heute befindet sich am Checkpoint Charlie die Checkpoint Gallery, eine vom Regierenden Bürgermeister von Berlin beauftragte, 2006 eröffnete Open-Air-Ausstellung, welche die bis heute brachliegenden privatisierten Gelände des einstigen American Business Centers umstellt. Sie widmet sich drei Themen: Erstens präsentiert sie die geglückten und gescheiterten Fluchten über den Checkpoint Charlie, womit sie das Museum Haus am Checkpoint Charlie seines Privilegs auf die Darstellung der Fluchtschicksale am ehemaligen Kontrollpunkt beraubt. Zweitens führt die Gallery die Bedeutung des ehemaligen Grenzübergangs als Symbol der internationalen Blockkonfrontation im Kalten Krieg vor und somit die Geschichtsinterpretation des Senats ein. Und drittens präsentiert die Gallery das Themenspektrum aller weiteren, abseits der touristischen Routen gelegenen Berliner Gedenkorte an die Mauer. Auf diese Weise findet sich das vom Senat verfochtene Konzept des "Orts des Geschehens" am Checkpoint Charlie letztlich mit dem Konzept des "Orts der internationalen Aufmerksamkeit" amalgamiert: Die internationale Bekanntheit des früheren Kontrollpunkts wird nun dazu genutzt, vor Ort über die dezentral gelegenen Mauergedenkorte, die je spezifische, an "authentischen Orten" platzierte Themen adressieren, zu informieren und somit auch das lokale Authentizitätskonzept zu bewerben.
Die Probleme, die durch die Privatisierung und die mangelnde politische Steuerung der Entwicklungen am Checkpoint Charlie hervorgerufen wurden, sind allerdings ungelöst geblieben. Zum einen sehen sich heutige Besucherinnen und Besucher mit einer schier unüberschaubaren Dichte von konkurrierenden Informationen, Interpretationen und Angeboten konfrontiert. Zum anderen ist der Disneyfizierungsvorwurf nach wie vor schnell zur Hand, wenn es darum geht, sich gegen erlebnisorientierte Geschichtsvermittlungsangebote privater Akteure abzugrenzen.
Doch stehen die Touristinnen und Touristen vor der Tür, und das, was hierzulande als "disneyhaft" gilt, ist zum Beispiel für Menschen aus den USA oder Japan in der Regel ein höchst attraktives Angebot. Wenn sich die öffentliche Hand der von Heritage-Touristinnen nachgefragten Themen nicht annimmt, so tun dies private Anbieter, wie der eingangs erwähnte Fall des privaten DDR-Museums an der Berliner Museumsinsel zeigt. Entsprechend illustriert das Beispiel des Checkpoint Charlie, dass historische Ereignisse von internationalem Rang in einem globalisierten, von Reisetätigkeit geprägten Zeitalter von Gesellschaften bereits kurz nach diesen Ereignissen in Heritage verwandelt werden müssen - so sensibel dieser Prozess angesichts bestehender Zeitzeuginnenschaften auch sein mag. Die lokal unwillkommene, aber von Touristinnen und Touristen unbeirrt in Eigenregie vorgenommene Umgestaltung des "Ground Zero" in New York zu einer globalen Heritage-Stätte ist hierfür nur ein weiteres berühmtes Beispiel.
Umso wichtiger wäre es also für die Politik nicht nur in Berlin, die Ökonomisierung und Globalisierung von Vergangenheitsbezügen im Kontext einer sich internationalisierenden Heritage-Industrie zu akzeptieren, zu steuern und stadtentwicklungspolitisch nutzbar zu machen. Und umso wichtiger wäre es für die Wissenschaft, diese Prozesse vorurteilsfrei zu untersuchen und professionell zu moderieren. Ein erster Schritt in diese Richtung wird in Berlin bereits getan: Um sich im Wettbewerb um das Gedenken an die Mauer einen festen Platz zu sichern, wird der Gedenkort Bernauer Straße inzwischen zu einer "Erlebnislandschaft" umgebaut.