1. Wie haben Sie den Herbst 1989 erlebt?
Ich habe abends vor dem Fernseher gesessen und habe die Pressekonferenz verfolgt, mit Schabowsky, als der diesen besagten Zettel herüber gereicht bekam. Die Männer aus unserem Ort hatten sich an diesem Abend in der Gastwirtschaft getroffen und wollten zur Demo nach Leinefelde fahren. Mein Mann ist dann nochmal kurz rüber gekommen und hat dann gesagt: "Wir fahren jetzt los. Werner, also unser Nachbar, fährt heute mit dem Auto." Ich habe dann Panik bekommen und gesagt: "Bleib um Himmels willen zu Hause, es gibt Krieg!" Und dann hat er mich so angeguckt und gesagt: "Warum gibt es denn jetzt Krieg?" Und ich habe gesagt, dass das im Fernsehen gesagt wurde: "Die Grenze ist auf." Und ich konnte mir das nicht anders vorstellen. Das geht nicht so sang- und klanglos vonstatten. Wir haben das aber in dieser Nacht dann trotzdem ein bisschen verschlafen. Vielleicht konnten wir es auch nicht glauben.
2. Was hat sich nach dem Ende der DDR für Sie verändert?
Bislang konnte ich ja nur 500 Meter bis an den Zaun sehen. Nun war Kontakt zum Nachbardorf, zum Westen möglich. Man musste sich neu orientieren, mit allen Dingen. Man durfte zum ersten Mal alles sagen, was man wollte. Ob das immer Sinn macht, weiß ich nicht. Es gab nach der Wende tolle Begegnungen. Aber nicht nur solche, die einem Freude gemacht haben, man ist auch beschimpft worden. Von Menschen, die viele Dinge nicht so richtig wussten, wie sie in der DDR gelaufen sind. Es ist alles anders geworden.
3. Wie haben Sie sich 1989 die Zukunft vorgestellt
Ich weiß nicht, ob ich mir vorgestellt habe, dass die Grenze auf bleibt, aber viele Bürger in der DDR haben sich das auch nicht vorstellen können. Ich denke immer: Soweit haben wir gar nicht gedacht.
4. Welche Erinnerung an die DDR ist für Sie die wichtigste?
Ich muss gestehen, ich bin in der DDR groß geworden. Ich bin 1945 im Januar geboren. Sie hat eigentlich den Großteil meines Lebens ausgemacht. Und es wäre gelogen, wenn ich jetzt sage: Ich denke von mir schlecht, weil ich ein DDR-Bürger war. Das war meine Heimat. Ich werde oft bei Führungen gefragt, warum ich nicht in den Westen abgehauen bin. Nein, hier war meine Heimat, mein Zuhause, meine Eltern, meine Geschwister. Im Nachhinein waren viele Dinge überhaupt nicht gut. Viele Dinge hätte man aber auch beibehalten können. Nicht nur das grüne Männchen an der Ampel. Es war nicht schlecht, dass Kindergärten und Kindergrippen da waren.
5. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich habe drei Kinder. Ich wünsche mir, dass diese Kinder in Frieden weiterleben können, ihrerseits ihre Kinder wieder großziehen können und dass sie vor allen Dingen Arbeit haben. Das ist auch ein großes Thema. Das ist ganz wichtig, besonders für unsere Region im Eichsfeld, wo ganz wenige Arbeitsplätze geblieben sind. Aber Frieden ist das Wichtigste, und dass wir alle etwas dazutun müssen, nicht nur meckern und mosern. Wir müssen uns bemühen, und das sollten wir vielleicht auch den Kindern vermitteln.
*Name geändert
Juni 2004