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"Dieses Bewusstsein von Endlichkeit" Sebastian Kloppfleisch

/ 5 Minuten zu lesen

Das Ende der DDR erfuhr Sebastian Kloppfleisch als einen Moment, in dem alles aus den Fugen zu geraten schien. Die damit verbundene biografische Erfahrung sei die Gewissheit, dass alles enden kann.

Fünf Fragen an... Sebastian Kloppfleisch

1. Wie haben Sie den Herbst 1989 erlebt?
Ich war damals knapp 12 Jahre und woran ich mich noch ganz gut erinnere ist der 9. November selbst. Es war ein Donnerstagabend und mein Vater hat damals relativ viel arbeiten müssen. Er ist Arzt und hat im Krankenhaus gearbeitet und er kam irgendwann so gegen sieben nach Hause und guckte so ganz verblüfft. Ihm hätte gerade auf der Straße irgendjemand erzählt, die hätten die Mauer aufgemacht. Das war dann einer der wenigen Tage, an denen man auch die Aktuelle Kamera geguckt hat, was das passiert ist und wir saßen eigentlich relativ paralysiert vor dem Fernseher, auch wenn ich nur 12 Jahre alt war. Auch durch die Ereignisse, die davor schon stattgefunden haben, diese täglichen Berichte, wie 1000 Leute über die Grenze im Sommer geflüchtet sind. Diese Grenzöffnung in Ungarn, wo auch relativ viele aus der Nachbarschaft, aus dem Freundeskreis, plötzlich Familien nicht mehr da waren, wo Arbeitskollegen von den Eltern nicht mehr da waren. Man hatte sozusagen auch mit 12 Jahren, wo natürlich dieses politische Bewußtsein völlig fehlte, immer mitgekriegt, dass hier was passiert, was irgendwie sehr stark verändert.

2. Was hat sich nach dem Ende der DDR für Sie verändert?
Es hat sich insofern was verändert, dass ich dann schon zu der Alterskohorte gehört habe oder gehöre, für die eben das Leben nicht mehr strukturiert wurde: staatlicherseits. Bewusst verändert hat sich eigentlich, glaube ich, sehr viel erst am Ende der Schulzeit, weil dann alles, was ich danach gemacht habe, glaube ich, so nicht passiert wäre ohne die Wende. Das hat sich insofern ausgewirkt, dass natürlich diese Arbeitswelten sich geändert haben. Bei meinen Eltern war es Gott sei Dank so, dass sie zu keiner Zeit von Arbeitslosigkeit akut bedroht waren und eben auch nie arbeitslos geworden sind, was eben im Freundeskreis, Verwandtenkreis ganz anders war. Da sind sozusagen auch ganz viele Existenzen daran gescheitert, dass Lebensmittelpunkte weggebrochen sind.

Zurückblickend würde man sagen, dass für einen Moment lang alles irgendwie aus den Fugen geraten war. Das ist nichts, womit man nicht auch umgehen könnte, nicht aber gegangen ist, jeder für sich. Aber es ist eine biographische Erfahrung, glaube ich, die jemandem aus dem Westen dann eben fehlt. Auch dieses, für mich würde ich es so erklären, dieses Bewusstsein von Endlichkeit, dass etwas auch vorüber gehen kann. Und das ist vielleicht etwas, was uns an dieser Wendeerfahrung ausgemacht hat. Dass es nicht diese Gewissheit gibt von Kontinuität.

3. Wie haben Sie sich 1989 die Zukunft vorgestellt?
Dafür bin ich sicherlich zu jung, um mir die Zukunft der DDR vorgestellt zu haben. Aber für mich war das eigentlich nie eine Frage. Ich wusste natürlich schon irgendwie aus dem Heimatkundeunterricht, dass es auch mal keine DDR gab, dass es mal ein Deutschland gab. Aber das war alles so weit weg und so völlig unvorstellbar, dass das mal irgendwie wieder kommen könnte. Dass die DDR irgendetwas wäre, was an ein Ende geraten könnte. Ich kann mich noch entsinnen, dass ich mal, da war ich vielleicht 10 Jahre oder so, mit meinem Vater gewettet habe. Sein großer Traum war auf der Golden Gate Bridge zu stehen. Für mich war es so unvorstellbar, wie man diesen Traum haben kann, denn das ging einfach nicht und ich fand das auch gar nicht so schlimm, dass das nicht ging. Ich bin eben damit aufgewachsen und es war halt so.

4. Welche Erinnerung an die DDR ist für Sie die wichtigste?
Ganz normale Kindheitsgeschichten aus dem Kindergarten und aus der Schule, an die ich mich erinnere. Aber es hat sozusagen alles nicht mit dem Staat DDR in irgendeiner Form zu tun. Das was mit Staat zu tun hat, wie eben dieses Dasein als Pionier, das sind mir keine wichtigen Erinnerungen. Ja, ich glaube, dass das alles in allem so gelaufen ist, dass wir damit eigentlich froh sein können. Wenn ich einfach 20 Jahre älter wäre, hätte ich wahrscheinlich die Erfahrung von Arbeitslosigkeit gemacht und würde über bestimmte Sachen ganz einfach anders denken und reden. Das ist natürlich auch so ein bisschen eine Altersfrage und der eigenen Positionierung natürlich. Ich würde sagen, mir geht es ganz gut in diesem System und das, was ich bin hab ich eigentlich diesem gesamtdeutschen System zu verdanken und hab sozusagen nichts nachzutrauern.

5. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich würde mir Verständnis von allen Seiten füreinander wünschen. Das fehlt mir wirklich auf beiden Seiten. Das ist keine Einbahnstraße, dass man jetzt sagen würde, die Ossis schimpfen auf die Wessis oder umgekehrt, sondern es ist in der Tat so, das beide so ein bisschen sich zunehmend, habe ich so den Eindruck, einmauern. Dieses aus dem Westen "die verbraten unseren Solidarbeitrag und dann wählen sie trotzdem noch PDS" und die Ossis eben mit ihrem "die haben uns hier alles kaputt gemacht, unsere Fabriken abgebaut und Geld gescheffelt".

Ich weiß auch, dass viele meiner Freunde oder einige meiner Freunde, die in den Westen gegangen sind, eben genau deshalb, weil sie damit nicht umgehen konnten, dass sie immer der Quoten-Ossi waren, dass sie eben auch wieder zurückgekommen sind. Vielleicht ist es nicht so, dass es sich verfestigt, aber dann ärgert es mich zumindest, dass es auch nicht besser wird. Dass man sozusagen diese ganzen Ressentiment-Strukturen vor sich herschiebt und die gar nicht auflöst. Die sind so sozusagen verinnerlicht, dass sie gar nicht mehr hinterfragt werden. Das ist schon was, was mich ein bisschen ärgert und was mir auch ein bisschen Sorge bereitet. Weil, dass, was ich vorhin so als diese Wendeerfahrung beschrieben habe, dieses Bewusstsein von Endlichkeit, das gilt dann natürlich auch für dieses wiedervereinte Deutschland.

Juni 2004

Fussnoten

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