1. Wie haben Sie den Herbst 1989 erlebt?
Als die Grenze hier fiel, ein Stückchen von hier, 15 Kilometer ungefähr Richtung Weidenried, haben wir das über den Rundfunk gehört und konnten es gar nicht glauben, beim Mittagessen, dass das gar keine Grenze mehr sein soll, dass die Menschen nun hin- und hergehen. Da haben wir uns in den Trabbi gesetzt und sind in Richtung Ellrich-Balkenried gefahren. In Niedersachswerfen sind wir schon gar nicht mehr weiter gekommen, weil der Stau so groß war. Wir haben es dann endlich nach einer Stunde nach Ellrich geschafft und sind dann so tuckernd mit dem Trabbi bis nach Balkenried gefahren. Das ist der erste Ort dann schon in den alten Bundesländern und wir wurden da so herzlich begrüßt. Das war so aufregend für alle Menschen und wir haben dann das Auto abgestellt und haben uns Balkenried, diesen kleinen Ort mal angesehen. Was ich da erlebt habe? Dass ich vor den Blumengeschäften stand, das ist für mich in Erinnerung. Und dass ich geglaubt habe, dass das alles natürliche Blumen sind. Blumen waren ja hier auch manchmal eine Seltenheit. Zu bestimmten Anlässen waren ja nur welche da. Und dass ich vor den Gemüseläden gestanden habe und nicht fassen konnte, dass, wann war das, im November, dass da Erdbeeren oder irgendwas stand. Ich konnte das gar nicht glauben. Das habe ich noch so in Erinnerung.
2. Was hat sich nach dem Ende der DDR für Sie verändert?
Für mich persönlich will ich sagen: Ich habe die Arbeit behalten können, bei der Post. Ich konnte dann mit 55 in die Vorruhe gehen und war gut abgesichert. Ich kriegte noch 5 Jahre lang dieses Vorruhegeld, das äußerte sich dann bei der Rente wieder ganz günstig für mich. Ich musste aber sehr viel eher meinen Beruf aufgeben, in dem ich sicher noch 10 Jahre gearbeitet hätte und auch ganz glücklich war, eigentlich.
3. Wie haben Sie sich 1989 die Zukunft vorgestellt?
Es war ein heilloses Durcheinander. Wir konnten uns gar nicht viel vorstellen. Bei der Post gab es Regeln, die wollten auch viele einführen. Die konnte man hier im Osten noch gar nicht durchsetzen, weil wir gar keine Unterlagen, keine Dienstanweisung und nichts hatten. Und so war das: was heute galt, war morgen schon widerrufen. So war alles ein wüstes Durcheinander, gerade auch bei uns im Dienst. Und wir wussten im Moment auch gar nicht, was wir so richtig arbeiten sollten. Weil vieles ja gar nicht mehr gebraucht wurde. Diese Dinge. Und privat eben, die Tochter, die war gerade auf der medizinischen Fachschule und das Studium wurde um ein halbes Jahr verkürzt, weil viele Fächer gar nicht mehr geprüft wurden, wie Russisch und Geschichte und diese Dinge. Und dann konnte die gleich in die Praxis einsteigen. Mein Mann behielt die Arbeit vorläufig noch, aber es stand schon bevor, dass er dann da auch nicht mehr bleiben konnte. Das war eine Investabteilung, die man dann nicht mehr führen konnte. Es war ein wüstes Durcheinander in Familien und auch in Betrieben.
4.Welche Erinnerung an die DDR ist für Sie die wichtigste?
Ich sage immer wieder: das Soziale. Aber das hat uns auch ein bisschen kaputt gemacht. Das Soziale wurde groß geschrieben, und die Menschen hielten in einer Art Not, Not will ich nicht sagen, wir haben keine Not gelitten, die hielten zusammen, mehr denn je. Heute ist das nicht mehr so. Und diese Verbundenheit zwischen den Menschen, die wurde groß geschrieben und die war da. Und die können Sie heute suchen.
5. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Nur Gesundheit. Ich wünsche mir Gesundheit. Da fange ich egoistisch bei mir und meiner Familie an. Ich hatte ein schlechtes Erlebnis und bin jetzt um so dankbarer, dass ich einigermaßen wieder gesund bin.
Juni 2004