Der junge Mann ist es offensichtlich nicht gewohnt, Krawatten zu tragen. Auf seinem Smartphone überprüft er Schritt für Schritt, wie der Knoten richtig gebunden werden muss. Jan-Philipp Albrecht ist eher leger, er sieht nicht so aus, wie man es von einem
Politische Entscheidungsprozesse? Wie spannend!
Im Januar 2014 findet diese Abstimmung über die Datenschutzverordnung statt – und damit etwa zwei Jahre, nachdem die
Ein Film über einen politischen Entscheidungsprozess, über Aushandlungen und Anhörungen, klingt nicht besonders aufregend. Was Bernet jedoch aus seinem Thema macht, ist ebenso aktuelles wie spannendes politisches Kino. Dabei kommt ihm zweierlei zugute: dass er mit Jan Philipp Albrecht einen charismatischen Protagonisten gefunden hat, der das Publikum – auch unterstützt durch die Inszenierung von Bernet – leicht für sich gewinnt. Und dass das Themenfeld Privatsphäre seit den Enthüllungen von Edward Snowden und der folgenden
Das neue Öl
Daten, so sagt man es in Wirtschaftskreisen, sind das Öl des 21. Jahrhunderts. Sie würden unser Leben verändern, wie es früher das Öl getan hat. Jan Philipp Albrecht wird diesen Vergleich im Film aufgreifen und kritisch weiterführen: "Wenn Daten das neue Öl sind, dann ist Datenschutz der neue Umweltschutz.“ Rückhalt findet er mit dieser Sichtweise bei der damaligen EU-Kommissarin für Justiz, Bürgerschaft und Grundrechte Viviane Reding aus der EVP-Fraktion, die den Schutz der persönlichen Daten als Bürgerrecht begreift und auch die Interessen der Wirtschaft in ihre Argumentation mit einbezieht. Denn wer das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger stärkt, indem er den Wunsch nach informationeller Selbstbestimmung und Privatsphäre respektiert und schützt, der stärkt nach Reding auch die digitale Wirtschaft. International arbeitende Unternehmen wiederum fürchten die Restriktionen, die mit einer derartig ausgelegten Verordnung in Verbindung stehen.
Nachdem Albrecht im Frühjahr 2012 vom
„Ring frei für die Lobbyisten“
Ohne zu tief in die organisatorische Struktur der Europapolitik einzudringen, gelingt es Bernet, mit wenigen knappen Texteinblendungen und gut gewählten Erläuterungen seiner Protagonisten, die Zusammenhänge, Aufgabenverteilung und Arbeitsabläufe zwischen Kommission, Rat und Parlament begreifbar zu machen. Dabei gestatten ihm die Politikerinnen und Politiker, auch an informellen Gesprächen und Telefonaten, an kleinen Besprechungen sowie fraktionsübergreifenden "Shadow Meetings“ teilzunehmen und so das Bild der politischen Arbeit überaus differenziert und intim darzustellen. Den üblichen bekannten Aufnahmen großer öffentlicher Sitzungen und Anhörungen stellt der schweizerische Regisseur all das gegenüber, was ansonsten hinter verschlossenen Türen stattfindet – wo jedoch, das wird hier besonders deutlich, wichtige politische Entscheidungen gefällt und die Weichen gestellt werden. Besonders interessant wird dies, wenn die Lobbyistinnen und Lobbyisten auf den Plan treten.
Selten zuvor hat ein Dokumentarfilm gezeigt, wie weit deren politischer Einfluss reicht und wie in diesem Bereich gearbeitet wird. Der Streit um die Datenschutzverordnung dient in dieser Hinsicht als besonders gutes Beispiel, war dieser doch so stark von Lobbygruppen umkämpft wie noch keine Verordnung zuvor. Nach der Nominierung von Albrecht sucht jeder seine Nähe, von Vertreterinnen und Vertretern internationaler IT-Unternehmen und Banken bis hin zu NGOs, die jeweils ihre Bedenken äußern und ihre Anliegen auf die Agenda bringen wollen. Auch hier profitiert Bernet von den pointierten Kommentaren von Albrecht und seinem Mitarbeiter Ralf Bendrath, der nach Vorlage des ersten Berichts trocken bemerkt, man befinde sich nun "im Kriegsmodus“.
David gegen Goliath im 21. Jahrhundert
Nur ein halbes Jahr habe es gedauert, betont Viviane Reding einmal bei einer Anhörung, bis eine Lockerung der Privatsphäre in Brüssel politisch durchgesetzt worden sei. Eine Erweiterung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger hingegen dauere nach zwei Jahren noch an. "Wir sind halt eher so die Bürgerrechtler, die halt hier im Europäischen Parlament nicht unbedingt die Mehrheit haben“, formuliert es Albrecht selbst. Man könnte auch sagen: Albrecht und Bendrath werden als Underdogs des Brüsseler Politikbetriebs inszeniert.
Weder Albrecht noch Bendrath tragen normalerweise Krawatten, Bendrath liebt nerdige T-Shirts und mit ihrem IT-Wissen repräsentieren sie ganz eindeutig als Vertreter einer jungen Generation, die um den Wert der digitalen Freiheit wissen und das Internet nicht nur als Geschäftsmodell und lukrativen Datenschatz für Unternehmen sehen wollen. Damit hat "Democracy“ durchaus etwas Rebellisches an sich und greift auf ein bewährtes dramaturgisches Muster des Hollywoodkinos zurück. Die Sympathien liegen auf der Seite der Benachteiligten, die jedoch moralisch und idealistisch über den anderen stehen und wie David einen Kampf gegen Goliath führen müssen, der zunächst nicht gerade erfolgversprechend erscheint.