Das Internet ist aus unserem Alltag kaum mehr weg zu denken. Es gibt uns viele Möglichkeiten an die Hand, sich mit anderen Menschen im kleinen Kreis oder in breiter Öffentlichkeit auszutauschen, zu allen erdenklichen Themen zu informieren, zu shoppen oder zu spielen. In den vergangenen Jahren ist seine Bedeutung vor allem dank der "sozialen Medien" noch einmal gestiegen. Diese Bezeichnung steht als eher lockerer Sammelbegriff für eine ganze Reihe unterschiedlicher Plattformen und Angebote, darunter zum Beispiel Wikipedia und Facebook, YouTube, Twitter oder Blogs. Sie werden gelegentlich auch das "Mitmachnetz" genannt, denn ihnen ist gemeinsam, dass sie die Hürden senken, Inhalte aller Art online zugänglich zu machen und den Kontakt zu anderen Menschen zu pflegen. Weil es dabei oft auch um persönliche Daten oder Informationen geht, werfen die sozialen Medien aber eine Reihe von sehr grundlegenden Fragen rund um Datenschutz, Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung auf.
Praktiken und persönliche Öffentlichkeiten
Was macht den Reiz der sozialen Medien aus, warum hat ihre Nutzung so rasant zugenommen? Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht ist die Antwort relativ einfach: Weil sie Nutzungsweisen ermöglichen, die für Menschen hilfreich oder wertvoll sind. Drei ganz grundlegende Praktiken lassen sich im Zusammenhang mit sozialen Medien unterscheiden: Erstens machen sie es ihren Nutzern leicht, die eigenen Interessen, Erlebnisse, Meinungen oder Erfahrungen mit anderen zu teilen, also bestimmte Facetten des eigenen Lebens anderen zugänglich zu machen. Zweitens erleichtern es die sozialen Medien, den Kontakt zu Menschen zu halten, die man bereits kennt (z.B. aus der Schule, einem Austauschjahr, dem Sportverein oder von einer Party) oder aber neue Menschen kennen zu lernen, die ähnliche Interessen oder Hobbies teilen. Drittens kann man mit Hilfe der sozialen Medien Informationen aller Art filtern, mit anderen gemeinsam bearbeiten oder diskutieren, und an andere Menschen weiter verbreiten.
Diese drei Praktiken laufen auf Facebook anders ab als z.B. auf YouTube oder in der Wikipedia. Aber gerade weil die sozialen Medien jeweils auf ihre eigene Art die Menschen bei der Selbstpräsentation, Beziehungspflege und dem Informationsmanagement unterstützen, erfüllen sie so wichtige Zwecke. Denn sie stellen Räume und Werkzeuge zur Verfügung, mit deren Hilfe ihre Nutzer ganz grundlegende Aufgaben bewältigen können: "Wer bin ich? Wer will ich sein?" (Selbstauseinandersetzung), "Wo ist meine Position in der Gesellschaft und im sozialen Umfeld?" (Sozialauseinandersetzung) und "Wie orientiere ich mich in der Welt?" (Sachauseinandersetzung).
Die sozialen Medien sind wichtige Werkzeuge, um diese Fragen zu beantworten. Deswegen geht es bei ihnen ganz oft um Themen oder Ereignisse, die für die Menschen auch "im echten Leben" bedeutsam sind. Zu Beginn der Internetverbreitung in den 1990er Jahren war die Vorstellung verbreitet, das Internet sei ein "Cyberspace" oder eine "virtual reality", mit ganz eigenen Regeln und ohne Verbindung zu dem, was außerhalb des Internets passiert. Inzwischen wissen wir, dass dies eher die Ausnahme ist: Die meisten Menschen nutzen das Internet und insbesondere die sozialen Medien als ganz selbstverständlichen Teil ihres Alltags. Sie treten dort mit ihrem echten Namen auf oder zumindest mit einem Pseudonym, das ihre Freunde und Bekannten kennen, und sie tauschen sich online über die Dinge aus, die sie auch offline interessieren, die sie erlebt haben oder die sie beschäftigen.
Und doch: In einem ganz wesentlichen Punkt funktionieren die sozialen Medien anders als Gespräche am Telefon oder in der Kneipe und auch anders als Massenmedien wie Fernsehen oder Zeitung. Die Verbindung von technischen Merkmalen und dem Gebrauch durch ihre Nutzer führt dazu, dass ein neuer Typ von Öffentlichkeit entsteht, der so derzeit nur in den sozialen Medien existiert: die "persönliche Öffentlichkeit". Auf Facebook können Menschen Themen und Erlebnisse, die für sie persönlich relevant sind, mit ihren "Facebook-Freunden" teilen. Nicht alle davon sind auch echte Freunde im engeren Sinn, aber bei den meisten der vielleicht 100, 200 oder auch 500 Kontakte auf Facebook handelt es sich ja um Personen, mit denen mich zumindest irgendetwas verbindet: gemeinsame Schul- oder Ausbildungszeiten, geteilte Interessen oder Bekanntschaft bei Partys, Konzerten oder im Urlaub.
Anders als bei journalistischen Medien ist man in persönlichen Öffentlichkeiten also nicht auf Themen beschränkt, die möglichst für große Teile der Gesellschaft relevant sind, sondern man kann auch persönliche Erlebnisse und Gedanken mitteilen. Und es gibt bei Facebook auch den direkten "Rückkanal", also die Möglichkeit, auf ein Status-Update oder ein hochgeladenes Foto direkt feedback in Form von Kommentaren oder likes zu bekommen. Hinzu kommen technische Merkmale von Facebook, die gewissermassen die "kommunikative Architektur" dieser persönlichen Öffentlichkeiten prägen. Denn Konversationen, Bilder, Videos oder andere Informationen dort erstens persistent, also dauerhaft gespeichert, und zweitens kopierbar, somit ohne Qualitätsverlust zu vervielfältigen und zu verbreiten. Drittens ist die kommunikative Reichweite skalierbar, sodass das Publikum (kommunikationstechnisch) prinzipiell beliebig groß sein kann, und viertens sind die persönlichen Öffentlichkeiten durchsuchbar, sodass sich Informationen und Daten zu einer Person oder einem Thema aus unterschiedlichen Kontexten auffinden und bündeln lassen.
Erschwerte informationelle Selbstbestimmung
Die beschriebenen Besonderheiten der sozialen Medienkommunikation über Dinge von persönlicher Relevanz in persönlichen Öffentlichkeiten einerseits, technische Gegebenheiten andererseits – machen in ihrer Kombination deutlich, warum sich unser Verständnis von Privatsphäre und Öffentlichkeit derzeit wandelt. Denn aus Sicht der Nutzer bieten die persönlichen Öffentlichkeiten eine Möglichkeit, das eigene erweiterte soziale Netzwerk von Freunden, Bekannten, ehemaligen Kolleg/innen etc. auf dem Laufenden zu halten, was man selbst gerade erlebt oder denkt. Dadurch lassen sich Beziehungen aufrecht erhalten, die in früheren Jahren vielleicht versandet wären, weil der Aufwand zur Pflege von Bekanntschaften zu groß geworden wäre. Man teilt nicht unbedingt sehr persönliche oder gar intime Gedanken in seiner persönlichen Öffentlichkeit mit, aber man lässt andere Menschen an seinem Leben teilhaben. Das "intendierte Publikum" sind also die eigenen Facebook-Freunde, von denen man eine zumindest grobe Vorstellung von Größe und Zusammensetzung hat.
Problematisch ist allerdings, dass die technischen Merkmale der Persistenz, Kopierbarkeit, Skalierbarkeit und Durchsuchbarkeit von Informationen es nahezu unmöglich machen, die Reichweite der persönlichen Öffentlichkeiten trennscharf einzugrenzen. Zum einen setzen sich mein Facebook-Freunde möglicherweise aus ganz unterschiedlichen Personengruppen zusammen. Ein Urlaubsfoto oder die Partyeinladung ist vielleicht für meine Freunde und Familie, aber nicht für ehemalige Arbeitskollegen von Interesse ist.
Doch das "potentielle Publikum" ist weit größer. Erstens, weil ich morgen oder in einem Jahr neue Personen zu meinen Kontakten hinzufügen kann, die dann ja auch in meiner eigenen Chronologie nachblättern können, was ich in der Vergangenheit so schrieb. Und zweitens, weil Postings, Fotos etc. durch Schneeballeffekte auf einmal eine ungeahnte Reichweite erhalten können. Wenn nur drei oder vier meiner Kontakte eine Information von mir an ihre eigenen Kontakte weiterleiten, sind schnell mehrere hundert Personen zu meinem Publikum gekommen, die ich möglicherweise gar nicht mehr mehr alle kenne. Wenn aber "intendiertes Publikum" und "potentielles Publikum" meiner eigenen persönlichen Öffentlichkeit nicht mehr deckungsgleich sind, fällt es mir auch schwer, meine Privatsphäre zu wahren. Nun bedeutet Privatsphäre nicht für alle Menschen und zu allen Zeiten das gleiche. Für eine Person sind zum Beispiel Urlaubsziele, politische Meinung oder das eigene Einkommen Privatsache, während andere Menschen kein Problem damit haben, diese Informationen anderen zu offenbaren. In der Psychologie und Soziologie weiß man, dass sich kein Kriterienkatalog von "privaten Informationen" aufstellen lässt, der universelle Gültigkeit hat. Stattdessen geht man davon aus, dass Privatsphäre denjenigen Bereich meines Lebens umfasst, für den ich kontrollieren möchte und kann, wer davon Kenntnis bzw. dazu Zugang hat. Dieses Verständnis liegt auch dem Gedanken der informationellen Selbstbestimmung zugrunde, das die Grundlage für die Datenschutzregelungen in Deutschland darstellt: Menschen sollen in der Lage sein, über die Preisgabe und Verwendung von personenbezogenen Daten selbst entscheiden zu können. Das schließt auch mit ein, dass man diese Daten freigibt, zum Beispiel weil man im Gegenzug bestimmte Leistungen oder Vergünstigungen erhält. Entscheidend ist dabei aber, dass man über den Umfang und die Zwecke der Datenverarbeitung aufgeklärt wird, weil man nur so eine informierte Einwilligung treffen kann.
Das "Privatsphäre-Paradox"
Im Internet und speziell den sozialen Medien kommt es nun zu einer eigentümlichen Situation, die man auch als "Privatsphäre-Paradox" bzw. "privacy paradox" bezeichnet: Aus Umfragen wissen wir, dass Menschen jeden Alters, also auch Jugendliche und junge Erwachsene, den Schutz ihrer Privatsphäre nach wie vor für sehr bedeutsam halten und ihr einen hohen Wert beimessen. Zugleich nutzen sie aber Kommunikationstechnologien, in denen sie die Kontrolle über die Speicherung und den Fluss ihrer persönlichen Daten und Informationen weitgehend verloren haben. Nutzer der sozialen Medien stehen also vor einem Dilemma: Facebook, YouTube und Co. sind in unserem Alltag ein wichtiger Teil von Beziehungspflege und Informationssuche, doch wir können nicht mehr wirklich abschätzen, wer eigentlich welche Informationen über uns einsehen und für welche Zwecke nutzen kann.
An diesem Dilemma sind zwei unterschiedliche Gruppen beteiligt, nämlich erstens andere Personen: Jugendliche werden immer wieder vor dem ominösen Personalchef gewarnt, der nach persönlichen Informationen von Bewerber googelt und dabei auch auf peinliche Partyfotos stoßen könnte. Viel direkter und möglicherweise problematischer kann aber sein, wenn Menschen aus dem direkten Umfeld (z.B. Eltern, Lehrer oder der/die Ex-Freund/in) auf Updates oder Fotos stoßen, die sie eigentlich nicht sehen sollten. All dies kann als Verlust der Privatsphäre empfunden werden, weil Menschen Zugriff auf persönliche Informationen haben, die eigentlich nicht zum intendierten Publikum gehören. Abhilfe können hier einerseits die "Privatsphäre-Einstellungen" der jeweiligen Plattformen bieten, also Features und Funktionen, mit denen sich die Reichweite oder Durchsuchbarkeit des eigenen Profils beispielsweise nur auf bestätigte Kontakte beschränken lässt. Andererseits hilft oft sich vor der Veröffentlichung eines Updates, Videos etc. zu fragen: Will ich, dass diese Information auch in ein oder zwei Jahren noch zu finden ist? Und sind eventuell auch andere Menschen davon berührt, die ich erst um Einverständnis bitten sollte?
Zweitens entsteht dieses Dilemma, weil die Betreiber der sozialen Medien eine unüberschaubare Vielzahl von personenbezogenen Daten sammeln, miteinander verknüpfen und für kommerzielle Zwecke auswerten bzw. verwenden. Neben den Informationen, die die Nutzer bewusst (mit)teilen, werden zusätzlich auch viele Daten erhoben und ermittelt, ohne dass dies unmittelbar transparent ist. Darunter fallen zum Beispiel Daten zum Standort, wenn ich eine Plattform mit einem mobilen Gerät nutze; daraus können sich unter anderem Profile meiner typischen Aufenthaltsorte erstellen lassen, aus denen man in Verbindung mit Nutzungszeiten auch Wohnort oder Arbeitsstelle ermitteln könnte. Und weil Menschen dazu tendieren, sich mit Personen zu befreunden, die ähnliche Interessen und Vorlieben teilen, sind auch die Informationen über meine soziale Einbettung in das Netzwerk meiner Kontakte und deren Kontakte sehr aufschlussreich. Denn selbst wenn ich bestimmte Informationen über mich – zum Beispiel meine politische Neigung oder musikalische Vorlieben – nicht direkt preisgebe, können sie aus den Informationen über die Meinungen und Präferenzen meiner Kontakte indirekt und zumindest mit einer gewissen statistischen Wahrscheinlichkeit erschlossen werden.
Fazit
Die sozialen Medien bieten Jugendlichen, aber auch erwachsenen Nutzern eine Vielzahl von Werkzeugen und Räumen, um sich auszuprobieren, mit anderen auszutauschen und Informationen zu bekommen. Sie verschieben aber die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre, weil sie einerseits nahelegen, dass Menschen Informationen von persönlicher Relevanz mit anderen teilen, andererseits die Abgrenzung von intendiertem und potentiellem Publikum erschweren. Weil zudem der Umfang und die Zwecke von Datenspeicherung und –verarbeitung für die allermeisten Nutzer/innen intransparent bleiben, ist ihre informationelle Selbstbestimmung erschwert, wenn nicht sogar unmöglich macht. Daher ist zum einen die Politik gefordert, Datenschutzregelungen an diese neuen medientechnischen Bedingungen anzupassen. Zum anderen ist es aber auch Aufgabe von uns Nutzern, uns über die technischen und ökonomischen Bedingungen unserer Internetnutzung zu informieren, um nicht vollends die Kontrolle über unsere Privatsphäre zu verlieren.
Literatur:
Schmidt, Jan-Hinrik: Social Media. Wiesbaden, 2013.
Schmidt, Jan-Hinrik / Paus-Hasebrink, Ingrid / Hasebrink, Uwe (Hrsg.): Heranwachsen mit dem Social Web. Berlin, 2009.
Schenk, Michael / Niemann, Julia / Reinmann, Gabi / Rossnagel, Alexander (Hrsg.): Digitale Privatsphäre. Heranwachsende und Datenschutz auf Sozialen Netzwerkplattformen. Berlin, 2012.