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"Ein erster Schritt, dass Menschen ihre Stimme erheben" | Themen | bpb.de

"Ein erster Schritt, dass Menschen ihre Stimme erheben"

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Ein Gespräch mit Jan-Hinrik Schmidt vom Hans-Bredow-Institut über politische Partizipation im Internet

Anne Wizorek spricht auf der re:publica über den "#aufschrei". Dieses hashtag verwendete sie, nachdem sexistisches Verhalten von Politikern öffentlich wurde. In der Folge griffen klassische Medien die Protestaktion auf. Die Debatte wurde damit vom Netz in die Offline-Welt getragen. (© picture-alliance/dpa)

Wie würden Sie digitale Partizipation definieren? Ich verstehe darunter alle Formen der politischen Teilhabe, die mit Hilfe digitaler Medien ablaufen. Digitale Medien sind derzeit vor allem Online-Medien: Da gehören zum Beispiel Apps für Smartphones dazu, aber im weitesten Sinne auch Webseiten, auf denen ich meine Meinung mitteilen, wo ich Argumente austauschen und vielleicht auch eine bestimmte Wahl treffen kann.

Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Instrumente der digitalen Partizipation? Dazu zähle ich die klassischen Angebote journalistischer Medien, die Online-Angebote politischer Parteien und Gruppierungen. Auch die Informationen von Bürgerinitiativen und Nichtregierungsorganisationen.

Die Möglichkeit, sich selbst einzubringen geht bei der E-Partizipation aber über die reine Information hinaus. Noch spezieller sind die Formen die einem erlauben, andere zu aktivieren und die politische Arbeit zu koordinieren. Da denke ich zum Beispiel an die Möglichkeit, über das Internet Ideen für Demonstrationsplakate zu sammeln. Oder Absprachen zu treffen, die notwendig sind, um eine politische Veranstaltung auf die Beine zu stellen.

Welche Formate würden sie als Einstieg in die digitale Partizipation herausheben? Interessant für uns sind derzeit die Sozialen Medien. Weil das Kanäle sind, wo die Menschen sehr intensiv ihre Kontakte und Freundschaften pflegen. Dadurch werden die Portale auch für die politische Teilhabe wichtig. Denn der Freundeskreis ist auch der Raum für politische Unterhaltungen. So kann Facebook der erste Anlauf sein, wo man den Hinweis auf ein lustiges Wahlvideo bekommt, oder auf eine Petition, die man unterzeichnen soll.

Welche konkreten Ziele verfolgen die Akteure? Das Besondere bei der E-Partizipation ist ja, dass die endgültigen politischen Entscheidungen außerhalb des Internets gefällt werden. Ganz einfaches Beispiel: Online-Petitionen, bei denen sich viele Menschen beteiligen, haben zum Ziel, dass der deutsche Bundestag ein bestimmtes Gesetz verabschiedet.

Fallen Ihnen konkrete Initiativen ein, die über das Internet einen starken Einfluss auf die Gesellschaft ausgeübt haben? Die Proteste um Stuttgart 21, die auch über das Internet koordiniert wurden. Was noch wichtiger ist: Über das Internet haben die Kampagnen eine zusätzliche Reichweite bekommen. In dem Fall hat das Internet eine Öffentlichkeit hergestellt. Ein anderer Fall, bei dem das Internet maßgeblich für ein politisches Ansinnen benutzt wurde, war das GuttenPlag-Wiki.

Wie hat das funktioniert? Dabei wurde dokumentiert, dass der damalige Verteidigungsminister in seiner Doktorarbeit abgeschrieben hat, ohne es kenntlich zu machen. Hier hat eine Internet-Anwendung -- ein Wiki, an dem Laien und Experten theoretisch gleichberechtigt mitarbeiten können -- dazu beigetragen, dass viele Menschen Informationen zusammengetragen gaben. Damit haben sie eine Wucht entfaltet und gemeinsam mit klassischen Medien und öffentlichen Protesten bewirkt, dass der Minister zurückgetreten ist.

Haben die neuen Kanäle auch einen strukturellen Wandel bei der Partizipation bewirkt? Das ist eine der ganz entscheidenden Fragen, auf die man antworten muss: Ja und Nein. Das Internet macht es Menschen leichter, die sich informieren, austauschen und mit anderen vernetzen wollen. Es macht aber Menschen, die bisher kein politisches Interesse hatten, nicht automatisch zu politisch Aktiven. Immer wieder hört man, die Plattform XY oder die App Z würde das politische Handeln revolutionieren. Mit dem Internet waren von Anfang an Hoffnungen verbunden gewesen, dass wir alle zu stärker partizipierenden Menschen werden. Das war ein Fehlschluss, weil man allein von den technischen Partizipationsmöglichkeiten darauf geschlossen hat, dass viel mehr diese Möglichkeiten auch nutzen. Davon kann man nicht ausgehen, da viele Menschen die Instrumente gar nicht nutzen wollen.

Warum nicht? Weil sie vielleicht desinteressiert sind, oder manche Teilhabemöglichkeiten zu kompliziert sind. Oder weil sie das Gefühl haben, dass sie eh nichts bewirken können.

Die digitale Partizipation weckt auch Hoffnungen einer stärkeren basisdemokratischen Ausrichtung der Gesellschaft. Welche Hindernisse sehen Sie? Da würde ich drei Punkte nennen. Das erste ist das Slacktivism-Argument, das zweite die so genannten Digitale Spaltung, und das dritte betrifft die Kontrolle über die partizipativen Räume.

Was steckt hinter Slacktivism? Die Annahme, dass digitale Partizipation folgenlos bleibt; wonach sich die Teilhabe in dem Gefällt-mir-Button erschöpft oder in einem Kommentareintrag. Wenn politische Aktivitäten auf das Internet beschränkt bleiben, entfalten sie in der Regel keine besondere Wirkung. Man kann es aber auch positiv wenden und sagen: Partizipation im Internet kann ein erster Schritt sein, dass Menschen ihre Stimme erheben, deren Meinung in der Öffentlichkeit vielleicht nicht richtig repräsentiert wird. Die digitale Kluft, Ihr zweiter Punkt, beschäftigt die Fachwelt schon seit den 90er Jahren. Die Digitale Spaltung ist sicher ernst zu nehmen. Auch wenn sich das Internet in den vergangenen zehn Jahren zu einem Massenmedium geworden ist, gibt es nach wie vor Menschen, die es nicht nutzen -- das ist etwa ein Fünftel bis ein Viertel der deutschen Bevölkerung. Auch innerhalb der Nutzer-Gruppe gibt es unterschiedliche Voraussetzungen: beispielsweise im Hinblick auf die Fähigkeit Informationen zu finden oder sich in Debatten einzubringen.

Und der dritte Kritikpunkt... Das dritte Argument gegen die digitale Beteiligung hat was damit zu tun, wie die Werkzeuge und Räume strukturiert und kontrolliert sind. Die großen Plattformen sind alles Unternehmen. Bei der Online-Kommunikation haben wir eine relativ starke Konzentration auf einige wenige und sehr mächtige Akteure, die im wörtlichen Sinne die Räume bereit stellen, in denen wir uns auch über politische Themen unterhalten. Es sind aber Betreiber, die sich nicht zur Partizipation öffnen.

Welche Folgen hat das? Nehmen wir das Beispiel Facebook: Ich bin ja kein Bürger von Facebook mit entsprechenden Rechten, sondern Kunde. Das Unternehmen kann jederzeit die Art, wie Informationen aufbereitet werden, ändern. Es kann Informationen hervorheben oder sperren -- es kann also grundlegend in das Management von Informationen eingreifen, ohne dass der Nutzer mitentscheiden kann. Das ist ein grundsätzliches Problem, dass wir uns im Internet an ganz vielen Stellen auf solche privaten Räume verlassen, um gesellschaftliche Partizipation zu organisieren. Das wird sich irgendwann beißen.

Bedeutet das alles zusammen genommen, dass Wahlen auf den unterschiedlichen föderalen Ebenen für die meisten Bürger der Inbegriff dessen bleiben, wie sie sich beteiligen können? Das Internet hat uns gezeigt, dass viele Menschen daran interessiert sind, sich in Gespräche einzubringen, die die eigene Lebenswirklichkeit betreffen. Ich glaube aber nicht, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung in absehbarer Zeit übers Internet politisch beteiligt. Wahlen haben den Vorzug, dass sie niedrigschwellig sind. Auch wenn es gewisse Voraussetzungen erfordert, sich vorher klar zu machen, wen man wählen möchte. Und solange die eigentlichen Entscheidungen in Parlamenten gefällt werden, bleiben Wahlen der entscheidende Einflussfaktor der breiten Bevölkerung.

Weitere Fragen und Antworten im Interview mit Jan-Hinrik Schmidt findet Ihr hier als Audioformat:



Wie könnte sich die Zukunft der digitalen Partizipation entwickeln?

Zukunft der digitalen Partizipation

Zukunft der digitalen Partizipation

Inhalt





Was macht eine politische Internet-Initiative erfolgreich?

Politische Initiativen

Politische Initiativen

Inhalt





Welche Rolle spielen die Sozialen Medien bei der Betrachtung von digitaler Partizipation?

Soziale Medien

Soziale Medien

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Wo liegt der Zusammenhang zwischen E-Partizipation und Liquid Democracy?

E-Partizipation und Liquid Democracy

E-Partizipation und Liquid Democracy

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Jan-Hinrik Schmidt

Jan-Hinrik Schmidt

Dr. Jan-Hinrik Schmidt arbeitet als wissenschaftlicher Referent für digitale interaktive Medien und politische Kommunikation am Hans-Bredow-Institut in Hamburg. Er beschäftigt sich mit den Entwicklungen des „Web 2.0“ bzw. der „sozialen Medien mit Schwerpunkt auf den aktuellen Veränderungen onlinebasierter Öffentlichkeiten und sozialer Netzwerke sowie deren Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Schmidt studierte Soziologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der West Virginia University Morgantown, USA.