Herr Reinemann, TV-Duelle haben hohe Einschaltquoten und die Medien berichten umfassend – aber kann ein Kandidat wirklich eine Wahl mit einem guten Auftritt im TV-Duell gewinnen oder mit einem schlechten Auftritt verlieren?
Ein TV-Duell kann wahlentscheidend sein, es müssen aber mehrere Dinge zusammenkommen. Das Rennen muss knapp sein und es muss in der öffentlichen Wahrnehmung sowie in den Medien einen eindeutigen Sieger des Duells geben. Die Erfahrung lehrt: Zusätzlich muss es dem zurückliegenden Kandidaten gelingen, ein Thema zu setzen, das bis zur Wahl die öffentliche Diskussion bestimmt.
Was macht das Format eigentlich so attraktiv für die Zuschauer und die Medien?
Das Format ist attraktiv, weil es im Wahlkampf die einzige Gelegenheit ist, bei der die beiden Kanzlerkandidaten der beiden größten Parteien direkt aufeinandertreffen. Der Reiz besteht darin, dass man als Zuschauer die beiden Kandidaten unmittelbar miteinander vergleichen kann – sowohl ihre Positionen als auch ihre Persönlichkeiten.
Sie sprachen eben von der Wichtigkeit, ein Thema zu setzen. Kann es gelingen, in einem TV-Duell ein ganz neues Thema in den Wahlkampf zu bringen?
Man muss sich vergegenwärtigen, dass auch Leute dem TV-Duell zuschauen, die dem Wahlkampf vorher keine große Aufmerksamkeit geschenkt haben. Neue Themen gibt es meistens nicht. Aber es kann gelingen, ein Thema, das sozusagen auf der Straße liegt, durch griffige Formulierungen oder Forderungen ins Bewusstsein zu bringen, um es auf die Agenda der Medien und der Wähler zu setzen. Das kann man machen, indem man besondere Begriffe verwendet oder ein Thema immer wieder anspricht.
Welche Rolle spielen generell die Inhalte? Oder ist es den Zuschauern wichtiger, dass die Kandidaten charismatisch auftreten?
Jemand, der charismatisch ist, der gut reden kann, hat in einem TV-Duell immer einen Vorteil. Aber wir haben in unseren Untersuchungen festgestellt, dass das Visuelle ohne den Inhalt nicht funktioniert. Das ist lediglich ein Mythos, den Medien immer wieder verbreiten. Die Zuschauer achten in einem TV-Duell zwar auch darauf, wie die Kandidaten aussehen. Aber die größte Wirkung geht von dem aus, was sie sagen.
Nun kann man als Kandidat ganz unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Gerhard Schröders Liebeserklärung an seine Frau im TV-Duell 2005 wird noch heute in Medienberichten thematisiert - welche Rolle spielen solche emotionalen Aussagen für den Erfolg bei den Zuschauern?
Man muss unterscheiden zwischen dem, was die Zuschauer unmittelbar wahrnehmen, und dem, was hinterher die Medien berichten. Wenn in der Nachberichterstattung bestimmte Gesten oder Aussagen in den Mittelpunkt rücken, kann das auch eine Wirkung entfalten. Emotionalität ist grundsätzlich ein Mittel, das eine Rolle spielen kann. Aber in der Regel ist es nicht erfolgreich, das Private in den Vordergrund zu schieben, so wie es Gerhard Schröder damals gemacht hat. Generell kommen positive emotionale Appelle besonders gut an, also wenn ich als Kandidat etwas fordere oder meine Pläne ankündige und dabei eine positive Stimmung verbreite.
Kritiker monieren, ein TV-Duell gewinnt der Kandidat, der die bessere Show abliefert.
Ich glaube, dass dieser Einwand nicht stimmt. Show ohne Inhalt ist kein Erfolgsrezept. Man vergisst eines häufig: Viele Zuschauer sagen nach dem Duell, dass sie etwas gelernt haben – über die Themen und Positionen, aber sie haben auch die Kandidaten kennengelernt. Das bedeutet nicht, dass die Kandidaten im Duell besonders konkret antworten und ihre Pläne im Detail erklären. Aber das ist Aufgabe der Moderatoren: Sie müssen den Kandidaten auf den Zahn fühlen und dürfen sie nicht nur mit Allgemeinplätzen davonkommen lassen.
Ist ein TV-Duell eine gute Möglichkeit, nicht so stark an Politik interessierte Wähler zu erreichen?
Vor allem die ersten beiden TV-Duelle in Deutschland 2002 und 2005 haben viele Menschen verfolgt, die sich nicht so sehr für Politik interessieren. Aus dieser Perspektive ist ein TV-Duell eine positive Sache. Durch den Event-Charakter zieht das Duell auch Menschen an den Schirm, die sich sonst wenig mit Politik beschäftigen und die sich eine Hilfe für die Wahlentscheidung erhoffen.
InfoboxTV-Duelle in Deutschland
Kanzlerduelle im Fernsehen gibt es in Deutschland seit 2002. Damals debattierte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit Herausforderer Edmund Stoiber (CSU). Sie trafen zwei Mal aufeinander. Genaue Regeln legten den Ablauf fest. 2005 diskutierte Schröder mit Gegenkandidatin Angela Merkel (CDU) in einem Duell zwei Wochen vor dem Wahltag. ARD, ZDF, RTL und Sat. 1 übertrugen die Diskussion. Vor vier Jahren lieferten sich Merkel und Herausforderer Frank-Walter Steinmeier (SPD) ein Rededuell vor den Kameras. Erneut übertrugen die vier TV-Sender das Duell.
Im aktuellen Wahlkampf treffen Merkel und Gegenkandidat Peer Steinbrück (SPD) am Sonntag, 1. September, im TV-Duell aufeinander. Als Moderatoren sind Anne Will (ARD), Stefan Raab (ProSieben), Maybrit Illner (ZDF) und Peter Kloeppel (RTL) im Einsatz. Es ist zeitgleich in allen vier Sendern zu sehen.
Das heißt aus demokratietheoretischer Perspektive sind TV-Duelle sinnvoll?
Ja, wenn man ehrlich zugibt, dass sich viele Menschen kaum mit Politik beschäftigen. Es gibt andere Aspekte, die aus demokratietheoretischer Perspektive kritisch sind. Problematisch ist die Konzentration auf zwei Kandidaten von zwei Parteien, obwohl wir ein Mehrparteiensystem haben. Diese Kritik verstehe ich. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass TV-Diskussionen auch mit mehr als zwei Kandidaten gut funktionieren können.
Wie entsteht die Meinung darüber, wer Gewinner und wer Verlierer des Duells ist?
Die Meinung, die die Zuschauer bereits vorher von den Kandidaten haben, spielt eine gewichtige Rolle für die Wahrnehmung des Auftritts. Sie lassen sich aber auch davon beeindrucken, was im Duell passiert. Häufig geschieht dann etwas, was man aus demokratietheoretischer Sicht sicherlich nicht will: Die Zuschauer lassen sich von eher allgemeinen, wenig konkreten Aussagen beeindrucken. Für die Kandidaten ist es deshalb eine vielversprechende Strategie, nicht so sehr ins Konkrete zu gehen, sondern eher im Allgemeinen zu bleiben. Das heißt letztlich, den Menschen das zu erzählen, was sie ohnehin wollen, anstatt zu versuchen, sie von einem politischen Programm zu überzeugen. Das gilt generell: Immer wenn man ins Konkrete geht, nimmt man zwar die eigenen Anhänger mit, verprellt aber die anderen Zuschauer. Trotzdem kann das sinnvoll sein: Die SPD hat im Moment ein Mobilisierungsproblem – viele Wähler neigen zwar zur SPD, sehen aber nicht, warum sie zur Wahl gehen sollten. In dieser Situation ist es vielversprechend, auf diese Wähler zu schauen und eine angriffslustige Strategie zu wählen.
Wie wichtig ist die Nachberichterstattung der Medien über das Duell für die Wahlabsicht der Wähler?
Die Nachberichterstattung kann eine große Rolle spielen. Dabei ist wichtig, wie einheitlich die Medien berichten. Wenn sie einmütig einen Kandidaten als Sieger darstellen, kann der dadurch einen Schub bekommen. Faszinierend ist, dass ein Teil der Zuschauer sein Urteil darüber, wer besser war, im Nachhinein auf Basis der Medienberichterstattung revidiert. Hinzu kommt: Auch die, die das Duell nicht gesehen haben, bekommen über die Medienberichterstattung einen Eindruck davon, wer besser abgeschnitten hat.
Stichwort Momentum: Welche Rolle spielt es, dass das Duell drei Wochen vor dem Wahltag stattfindet? Kann man da ein positives Momentum überhaupt aufrechterhalten?
Das ist tatsächlich schwierig, denn der Zeitraum ist relativ groß. Bis dahin ist noch die Landtagswahl in Bayern, es passiert noch viel. Der Eindruck des Duells verblasst.
Worauf kommt es aus Sicht der Wissenschaft für die Kandidaten an? Was müssen sie tun, um erfolgreich zu sein?
Ich möchte vorausschicken, dass man diese Frage aus zwei Blickwinkeln beantworten kann: als Berater und als Demokrat, der sich einen möglichst lehrreichen Wahlkampf wünscht. Als Demokrat möchte ich von den Kandidaten möglichst konkrete Aussagen zu den wichtigsten Themen. Die Moderatoren sollen darauf achten, dass ich diese Informationen bekomme. Als Berater würde ich die strategische Situation anschauen. Will ich eher alle Zuschauer mitnehmen, dann verbleibe ich im Unkonkreten und erzähle den Menschen, was der gefühlten Mehrheitsmeinung entspricht. Will ich meine eigenen Anhänger mobilisieren, dann schalte ich eher auf Angriff.