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Digitale Öffentlichkeit - Facebook und Twitter im Bundestagswahlkampf 2017 | Wahlkabine - Podcast und Blog zur Bundestagswahl 2017 | bpb.de

Digitale Öffentlichkeit - Facebook und Twitter im Bundestagswahlkampf 2017

Wolfgang König und Mathias König

/ 16 Minuten zu lesen

Fast alle Politikerinnen und Politiker und ihre Parteien nutzten Soziale Medien wie Facebook und Twitter als Kommuniokationskanäle im Bundestagswahlkampf 2017. Dabei ist der Einfluss der Plattformen auf die Digitale Öffentlichkeit und womöglich Wahlergebnisse umstritten.

Die digitale Öffentlichkeit im Fokus: Parteien nutzten soziale Netzwerke aktiv im Bundestagswahlkampf 2017. (© dpa)

Bedeutung von Öffentlichkeit in der Demokratie

Die “Öffentlichkeit“ gilt als zentrale Legitimationsinstanz für Demokratien, weil beispielsweise in der Öffentlichkeit Probleme thematisiert werden, die die Politik lösen soll. Was heute unter Öffentlichkeit zu verstehen ist, wird diskutiert. Unstrittig ist, dass sich mit dem Internet und dem Aufkommen Sozialer Medien für Bürgerinnen und Bürger neue Artikulations- und Informationsmöglichkeiten ergeben haben, die ihre Wahlentscheidung beeinflussen. Mit Blick auf den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017 stellt sich die Frage, welche Rolle die in Deutschland relevanten Plattformen Facebook und Twitter als Forum der digitalen Öffentlichkeit und öffentlichen Meinung in dieser Hinsicht gespielt haben.

Was ist Öffentlichkeit?

Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann versuchte, Öffentlichkeit relativ wertfrei zu bestimmen. Es ist bei ihm folglich nicht zentral, ob westliche Demokratien betrachtet werden, oder andere politische Systeme. Öffentlichkeit ist für ihn eine Art Meinungsspiegel für Akteure des politischen Systems (Luhmann 1992). Politiker lesen beispielsweise die Zeitung, um zu erfahren, wie über sie oder andere berichtet wird. Bürger lesen die Zeitung, weil sie über die politischen Debatten informiert werden wollen. Inwieweit die Öffentlichkeit die Realität wirklich als Spiegel abbilden kann, ist fraglich. Schließlich müssen Massenmedien die Vielzahl an Informationen immer filtern und für ihre Leser aufbereiten. Journalisten orientieren sich dann beispielweise daran, was aktuell öffentlich wichtig ist, oder setzen aus ihrer Sicht wichtige Themen auf die öffentliche Agenda (Stichwort: Agenda Setting).

Wenn der Öffentlichkeitsbegriff im Kontext der westlichen Demokratie gebraucht wird, dann ist er besonders mit der Aufklärung und deren Vernunftsanspruch verknüpft (Hölscher 1993). Das bedeutet, dass politische Entscheidungen auf Vernunft und nicht nur auf Herrschaft bzw. Macht basieren sollen. Vernünftige Entscheidungen kommen aber nur zustande, wenn transparent und öffentlich diskutiert und beraten wird. Es geht dann folglich nicht primär um einen Spiegel der Realität, sondern um eine normative Funktion von Öffentlichkeit. Der deutsche Philosoph Jürgen Habermas entwickelte z.B. eine Öffentlichkeitskonzeption, die an seine Demokratievorstellung gekoppelt ist. Er favorisierte die so genannte deliberative Demokratie, in der zentrale politische Entscheidungen öffentlich und fair diskutiert werden. Dieses Aushandeln geschieht in der Öffentlichkeit (Habermas 1998). Zusammengefasst und vereinfacht formuliert sollen politische Entscheidungen durch den Einbezug der Meinungen vieler Bürger und Experten fair und transparent getroffen werden. Aus seiner Sicht führe das zu einer stärkeren Legitimation und höheren Akzeptanz politischer Entscheidungen, weil die Hintergründe ihres Zustandekommens transparenter wären. Habermas selbst ist allerdings kritisch, inwieweit dies wirklich gelingen kann. Politiker, Interessenvertreten und Bürger müssten schließlich gemeinsam Deliberation als ein wünschenswertes Gut ansehen und auf mögliche Machtvorteile zugunsten einer guten Entscheidung für die Gesamtgesellschaft verzichten.

Unabhängig vom normativen Anspruch an die Funktion der Öffentlichkeit können verschiedene öffentlich wirkende Akteursgruppen definiert werden. Der Philosoph Ralf Dahrendorf schlägt folgende Einteilung vor (Dahrendorf 1993): Die Mehrheit der Bevölkerung ist nicht öffentlich aktiv (latente Öffentlichkeit). Ab und zu sind etwas mehr Bürger bereit, sich bei Interesse an politischen Debatten zu beteiligen (passive Öffentlichkeit). Wirklich aktiv beteiligen sich in der Regel diejenigen, die entweder Politiker, Journalisten oder sonstige Multiplikatoren sind (aktive Öffentlichkeit). Laut Dahrendorf bestimmen bzw. organisieren die Akteure der aktiven Öffentlichkeit üblicherweise die öffentliche Meinung. Dabei sind in der Regel auch strukturelle Vor- und Nachteile zu beobachten. Beispielsweise fällt es Politikern der Bundesregierung leichter, Themen auf die politisch-öffentliche Agenda zu setzen, als Abgeordneten der Opposition. Dies liegt unter anderem an den Aufmerksamkeitsregeln des Mediensystems. Der Aussage eines Bundesministers wird beispielsweise mehr Nachrichtenwert beigemessen, als der eines “einfachen“ Abgeordneten, weil der Minister einen wesentlichen größeren Anteil an der politischen Entscheidung hat. Mit anderen Worten gelingt es oft der politischen Elite leichter ihre Argumente in öffentlichen Diskursen zu platzieren.

Zusammengefasst ist “die Öffentlichkeit“ lediglich ein ideelles Konstrukt. Letztlich sind unterschiedliche Akteure öffentlich aktiv. Deshalb wird oft statt Öffentlichkeit der Begriff der öffentlichen Meinung verwendet. Diese ist nach (Neidhardt 1994) definiert als die herrschende Meinung unter den Öffentlichkeitsakteuren, also denjenigen, die das Publikum (passive bzw. latente Öffentlichkeit) wahrnimmt. Öffentliche Meinung und Bevölkerungsmeinung(en) sind aber unterschiedliche Größen. Fallen die Meinungen verschiedener Gruppen zu sehr auseinander gehen, kann es unter bestimmten Umständen zu Mobilisierungsprozessen kommen. Betroffene Publikumsgruppen streben dann in die Öffentlichkeit, um selber Zugang zu Massenmedien oder anderen Publikationskanälen zu gewinnen und die öffentliche Meinung sowie die Bevölkerung und politische Entscheidungsträger zu beeinflussen (Neidhardt 1994). In Wahlkämpfen ist es die Aufgabe von “Spin-Doktoren“, rechtzeitig solche Prozesse zu erkennen oder zu forcieren, um dann politische Angebote an die jeweiligen Publikumsgruppen machen zu können.

Digitale Öffentlichkeit

Vor der Entstehung des Web 2.0 konstruierten vor allem die Massenmedien aus öffentlichen Impulsen eine gemeinsame Realität der Öffentlichkeit. In diesem Prozess wählten Journalisten zwangsläufig bestimmte Meinungen aus und gaben ihnen mehr oder weniger Gewicht. Journalisten waren damit die Schleusenwärter (Gatekeeper) für Nachrichten. Außerdem verfügten Massenmedien als einzige über die Infrastruktur (Tageszeitungen, Fernsehen, Hörfunk), um Nachrichten effektiv zu verbreiten.

Durch das Web 2.0 ist diese Ordnung ins Wanken geraten, weil es sehr leicht geworden ist, Informationen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Medien- und Kommunikationsplattformen wie Facebook und Twitter ergänzen das bisherige Mediensystem. Dies wird auch als “Hybrid Mediasystem“ bezeichnet (Chadwick 2013). Die klassischen Medien reagieren auf diesen Wandel und nutzen mittlerweile Twitter und Facebook nicht nur als Veröffentlichungskanäle, sondern binden auch Nutzerkommentare von diesen Plattformen in ihre bestehenden Formate wie zum Beispiel Sendungen zur Wahl oder Talkshows ein (ARD Onlinekoordination 2012). Die Rheinische Post integrierte sogar als eine der ersten deutschen Tageszeitungen gezielt Twitter-Meldungen in ihren redaktionellen Alltag und Themenplanung. Zudem nutzen mittlerweile fast alle Politiker in Deutschland Facebook und Twitter zur direkten Kommunikation mit Bürgern (König/König 2016).

Digitale Öffentlichkeit im Bundestagswahlkampf 2017

Facebook und Twitter (relevante Dienste in Deutschland)

Online-Communities wie Facebook und Mikroblogging-Dienste wie Twitter erfüllen unterschiedliche Funktionen in der digitalen Öffentlichkeit.

Facebook ist laut ARD/ZDF-Onlinestudie 2017 die in Deutschland am häufigsten genutzte Online-Community. 33 Prozent der Deutschen besitzen hier ein Nutzerkonto. Um Personen und ihre angelegten Profile und Beiträge zu sehen, muss man sich in der Regel anmelden. Die Nutzer können die Sichtbarkeit der eigenen Beiträge durch vielfältige Privatsphäre-Einstellungen einschränken, oder aber öffentlich für alle posten. Gleichzeitig können öffentliche und private Gruppen angelegt werden. Oft sind die Beiträge, die in diese Gruppen geschrieben werden, nur für Gruppenmitglieder sichtbar. Facebook bietet damit den Vorteil, dass eine private aber auch öffentliche Kommunikation möglich ist. Ein Großteil der Nutzer verwendet Facebook vor allem, um mit Freunden und Bekannten auf der ganzen Welt in Kontakt zu bleiben. Facebook blendet Meldungen (z.B. Statusmeldungen) von Freunden bevorzugt in deren Timelines ein, während Nachrichten von professionellen Akteuren (z.B. Parteien oder Politiker, aber auch Unternehmen) in ihrer Reichweite beschnitten werden. Politikerinnen und Politiker sind meist mit eigenen offiziellen “Fanpages“ aktiv, denen Nutzer folgen können. Welche Beiträge bei welchem Nutzer ankommen, steuert Facebook durch verschiedene Algorithmen, die vor allem die Interaktionen (Likes, Teilen, Kommentare) mit einem Beitrag berücksichtigen. So erreicht der Beitrag eines Politikers in der Regel nicht alle seine Fans, sondern nur die, die häufig mit ihm interagieren. Andererseits können erfolgreiche Beiträge durch die Netzwerkeffekte auch eine Reichweite weit über die eigenen Nutzerschaft hinaus erreichen. Auf Facebook kommunizieren zusammengefasst Akteure der latenten, passiven und aktiven Öffentlichkeit in unterschiedlichen Konstellationen miteinander.

Twitter ist hingegen ein Mikroblogging-Dienst. Grundsätzlich ist es möglich private Nachrichten an andere Nutzer zu senden, aber eigentlich steht bei Twitter die massenhafte öffentliche Verbreitung von Nachrichten im Mittelpunkt. Hier kann jeder zum Nachrichtenkanal werden. Freundschaftsbeziehungen gibt es in dem Sinne nicht. Man kann aber Nutzern folgen (Follower) und somit deren Beiträge abonnieren oder auch private Nachrichten schreiben. Um Tweets zu lesen oder die Plattform zu durchsuchen, muss man nicht unbedingt angemeldet sein. Für die Suche ist insbesondere das Hashtag-Zeichen (#) relevant, mit dem Nutzer Themen in ihren Tweets kennzeichnen. Zur Bundestagswahl 2017 existierten mehrerer solcher Hashtags, wobei #btw17 von den meisten Akteuren benutzt wurde (Beispiel: “#btw17 der neue Bundestag wurde gewählt“). Selbst Tweets verfassen oder andere Tweets weiterverbreiten (retweeten) können allerdings nur angemeldete Nutzer. Tweets können zudem auch sehr einfach in Webseiten eingebunden werden, so dass Tweets als O-Töne von Bürgern, Prominenten oder Politikern sehr attraktiv für Medien sind und damit zu öffentlichen Impulsen werden können.

Facebook und Twitter im Bundestagswahlkampf 2017

Im Bundestagswahlkampf 2017 waren auf Facebook und Twitter sehr viele Parteien aktiv. Alle im aktuellen Bundestag vertretenen Parteien nutzten diese Dienste. Auf Facebook hatten die Parteien besonders viele Fans. Zu Beginn des Jahres 2017 hatte die AfD die meisten Likes (312.020). Dann folgten mit Abstand DIE LINKE (169.590), CSU (150.700), Grüne (132.730), CDU (124.610), SPD (121.530) und die FDP (57.820). Im Zeitverlauf konnten alle Parteien auf Facebook ihre Likes steigern, wobei die Rangfolge fast unverändert blieb. Ende August führte die AfD mit 347.930 Fans sehr deutlich. Dann folgten DIE LINKE (204.134), CSU (186.214), SPD (158.784), Grüne (150.163), CDU (143,915) und zuletzt die FDP (112,985).

Ende August 2017 zeigte sich bei den Twitter-Followern, dass die Grünen deutlich dominierten (344.728). Dann folgten SPD (310,967), FDP (224.096), CDU(208.731), DIE LINKE (188,254), CSU (156.638) und weit dahinter die AfD (64.787).

Die absoluten Followerzahlen oder Likes der Parteien sind aber immer nur zu einem gewissen Zeitpunkt aktuell und schwanken permanent. Zudem sind viele Spitzenpolitiker der Parteien mit eigenen Profilen in den sozialen Medien vertreten, die z.T. deutlich über die Follower- und Like-Zahlen der Parteiprofile hinausgehen. Die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte beispielsweise zu Beginn des Jahres 2018 2,5 Mio. Fans auf Facebook, ihr Herausforderer bei der vergangenen Wahl Martin Schulz (SPD) rund 465.000. Im Zeitraum vom 1.August bis zum 22. September 2017 konnte Martin Schulz den meisten Pagelike-Zuwachs (Fan-Zuwachs) erzielen (+108.100). Angelika Merkel lag hier lediglich bei einem Zuwachs von 21.900 Page-Likes. Ein Pagelike-Zuwachs war für Angela Merkel allerdings schwieriger, als für anderen Spitzenkandidaten, da sie bereits schon im August 2017 über 2,5 Millionen Fans hatte. Werden diese Zahlen kontinuierlich im Zeitverlauf betrachtet, dann kann ein so genannter Social-Media-Index berechnet werden. Dieser Index war besonders bei Angeboten der Partei BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und der Partei DIE LINKE hoch, unabhängig davon ob Twitter oder Facebook analysiert wurde. Danach folgten SPD, CDU, FDP und AfD. Der Social-Media-Index war bei fast allen Parteien bei Twitter höher. Zumindest aus dieser Perspektive erscheint Twitter als der relevantere Dienst für die politische Kommunikation der Parteien zur Bundestagswahl (bis auf AfD und DIE LINKE). Dies könnte daran liegen, dass Twitter professionelle Akteure in der Reichweite nicht beschneidet und Online-Journalisten schnell Tweets als O-Töne in ihre digitalen Angebote integrieren können. Bei AfD und DIE LINKE, war der Index bei Facebook höher als bei Twitter. Bei der AfD spielte Twitter auch deshalb im Facebook-Vergleich eine untergeordnete Rolle, da beispielsweise Medienaccounts (diese sind in Twitter besonders relevant) nicht für twitternde AfD-Abgeordnete zentral waren. Abgeordnete der anderen im Bundestag vertretenen Parteien kommunizierten hingegen in Twitter aktiver mit Medienaccounts (Schmidt 2017).

Werden die Aktivtätsverteilungen (z.B: Teilen oder Kommentieren von Posts) vom 1.4.2017 bis zum 24.9.2017 (Tag der Bundestagswahl) bei Facebook bezogen auf die Spitzenkandidaten der Parteien betrachtet, dann zeigte sich, dass die Facebook-Seiten von CDU-Kanzlerin Angela Merkel (407.494) und SPD-Herausforderer Martin Schulz (289.863) dominierten. Danach folgten die Seiten von Sarah Wagenknecht (DIE LINKE; 174.789), Christian Lindner (FDP; 174.160) und Alice Weidel (AfD; 142.107). Vergleichsweise geringe Aktivität verzeichnete das Spitzenduo der GRÜNEN (Cem Özdemir (60.235) und Katrin Göring-Eckhardt (14.004). Dahinter lagen die Fan-Pages von Dietmar Bartsch (DIE LINKE; 13.818) vor Joachim Herrmann (CSU; 3.505).

Mit Blick auf die Beiträge der Parteien bei Facebook wird deutlich, dass die Parteien entsprechend ihrer Markenkerne gezielt ihre zentralen Themen auf die Agenda setzten. Bei der SPD und der Partei DIE LINKE war dies besonders die Sozialpolitik, während CSU und AfD die Migrationspolitik oder Fragen der inneren Sicherheit thematisierten.

Auf Twitter waren fast alle bekannteren Parteien (z.B. auch Die Partei, Piraten, Freie Wähler etc.) aktiv, die sich zur Bundestagswahl beworben haben und auch alle die im aktuellen Bundestag vertreten sind. Im Zeitraum vom 11. Juli 2017 bis 30. September 2017 veröffentlichten die Partei-Accounts von CDU (1.387) und SPD (1.062) die meisten Tweets (ohne Retweets). Danach folgten FDP (989), AfD (850), CSU (800), DIE LINKE (698) und die Grünen (693). Unter den Spitzenkandidaten der Parteien twitterte Christan Lindner (FDP) am häufigsten (553), danach folgten die Spitzenkandidaten der GRÜNEN Katrin Göring-Eckhardt (347) und Cem Özdemir (302). Die Politiker der LINKEN Dietmar Bartsch (221) und Sarah Wagenknecht (104) umrahmten in der Rangfolge die AfD-Politikerin Alice Weidel (176) und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz (162). Neben den im Spitzenkandidaten der im jetzigen Bundestag vertretenen Parteien stach Anja Hirschel (Piratenpartei) hervor, die mit Abstand die meisten Tweets versendete (1.175).

Im Zeitraum vom 11. Juli 2017 bis 30. September 2017 verbreiteten bzw. teilten Twitter-Nutzer hingegen Tweets der AfD am häufigsten via Retweet (2.443). Relativ knapp dahinter lag die SPD (2.353). Danach folgten mit weitem Abstand LINKE (903), CDU (652), Grüne (517), FDP (376) und CSU (285). Am meisten diskutierten die Nutzer im Zeitraum vom 11. Juli 2017 bis 30. September 2017 in ihren Tweets über die AfD. Zum Hashtag #afd wurden etwa 4,6 Mal mehr Tweets versandt, als zum Hashtag #spd, der auf dem zweiten Platz folgte. Relativ knapp dahinter lag #cdu. Zu #cdu wurde etwa doppelt so viele getwittert, wie zu #fdp, Letzterer belegte den dritten Platz. Dann folgten in relativ geringen Abständen #grüne, #linke und #csu. Mit anderen Worten wurde neben der AfD besonders oft über die Regierungsparteien SPD und CDU diskutiert. Trotz der Dominanz der Tweets über oder zur AfD gab es aber auch kurz vor der Wahl Schwankungen in der Aufmerksamkeit der Twitter-Nutzer. Je nach Analysestrategie und Methodik standen entweder AfD, CDU oder Grüne im Fokus der parteibezogenen Twitter-Diskussionen. Twitter-Analysen zum TV-Duell der Bundestagswahl allgemein legen den Schluss nahe, dass das verstärkte Verwenden von Hashtags an aktuell stattfindende öffentliche Diskussionen und Themenkonjunkturen gekoppelt zu sein scheint (König/König 2017b).

Im Zeitraum vom 11. Juli 2017 bis 30. September 2017 interagierten durch direkte Ansprache oder Erwähnung durch das Verwenden des @-Zeichens in einem Tweet die Mehrheit der Nutzer mit dem Partei-Account der AfD. Danach folgten die Partei-Accounts von CDU, SPD, Grüne, DIE LINKE, FDP und CSU. Bei den Spitzenkandidaten führte Martin Schulz (SPD). Er wurde doppelt so oft erwähnt wie der zweitplatzierte Christian Lindner (FDP). Danach folgten Alice Weidel (AFD), Cem Özdemir (Grüne), Katrin Göring-Eckhardt (Grüne), Sarah Wagenknecht (DIE LINKE) und Dietmar Bartsch (DIE LINKE). Kanzlerin Merkel ist nicht auf Twitter angemeldet und konnte folglich auch nicht direkt angeschrieben bzw. erwähnt werden.

Für die heiße Wahlkampfphase (September 2017) wurde deutlich, dass die allgemeine Twitter-Aktivität an zwei “klassische“ Medienevents (TV-Duell und Berichterstattung am Wahlabend) gekoppelt war. Das TV-Duell (3. September 2017) sorgte für die höchste Nutzerkommunikation (zu #bundestagswahl, #btw2017, #btw17, #btw oder #bundestagswahl2017) vor dem eigentlichen Wahltag. Am Wahltag selbst wurde insgesamt betrachtet am intensivsten getwittert. Im Vergleich zum TV-Duell war das Tweetaufkommen sogar elf Mal höher.

Eine exemplarische Analyse des zentralen Hashtags zur Bundestagswahl (#btw17) am Wahltag zeigte, dass insgesamt 457.643 Tweets von 136.983 Nutzern zu #btw17 versandt wurden. Bis zur Verkündung der ersten Hochrechnung um 18 Uhr wurden 141.109 Tweets versandt, ab 18 bis 24 Uhr waren es über drei Mal mehr (316.534). Die meisten Nutzer veröffentlichten und diskutierten zu Beginn der ersten Wahl-Sondersendungen (9.480 Tweets von 6.995 Nutzern im Intervall 18:05-18:10).

Die Masse der Nutzer sah in Twitter die passende Plattform, um nicht den eigenen Wahlgang, sondern vor allem das vorläufige Wahlergebnis zu kommentieren. Werden verifizierte Twitter-Nutzer (insgesamt 2.690) analysiert (dies sind in der Regel Prominente, Politiker, Journalisten), dann war das Muster ähnlich. Die Gruppe der Journalisten (3.859; nicht alle sind verifiziert) sendete bis 18 Uhr 4.590 Tweets und im Zeitraum danach bis 24 Uhr mehr als doppelt so viele (9.355).

Werden gewählte Abgeordnete betrachtet, die am Wahltag zu #btw17 twitterten, dann zeigt sich, dass die Abgeordneten der späteren AfD-Bundestagsfraktion (26) am aktivsten waren (293 Tweets). Danach folgten die Abgeordneten der Grünen (34 Abgeordnete; 153 Tweets), die der SPD (34 Abgeordnete, 83 Tweets), die der CDU/CSU (27 Abgeordnete; 59 Tweets), die der FDP (21 Abgeordnete; 64 Tweets) und die der LINKEN (20 Abgeordnete; 41 Tweets).

Auch bei den von allen Nutzern am meisten verwendeten additiven Hashtags zu #btw17, zeigte sich eine deutliche Dominanz der AfD. Die AfD bzw. deren Wahlergebnis wurde mit Abstand am meisten in Tweets thematisiert (#afd = 50.733), gefolgt SPD (#spd= 9.383 bwz. #schulz=1.650) und CDU (#cdu = 6.374 bzw. Angela Merkel #merkel = 7.287), #fdp (4.279), #csu (2.361), #linke (1.929) und #grüne (1.733).

Bei den verifizierten Nutzern zeigte sich das ähnliche Muster. Die AfD dominierte (#afd=1.106) ebenso. Dann folgten SPD (#spd=351 bzw. #schulz=79), CDU (#cdu 220 bzw. #merkel 290), #fdp (168), #csu (100), #linke (69), #grüne (66).

Gleiches galt auch für die Gruppe der Journalisten. Die AfD wurde auch hier am häufigsten thematisiert (#afd=1.481). Dann folgten SPD (#spd=373 bzw. #schulz=104), die CDU (#cdu=280 bzw. #merkel=304), #fdp (136),#csu (97), #linke (37),#grüne (43).

Die erfolgreichen Bundestagskandidaten thematisieren ebenfalls in der Summe am häufigsten die AfD (#afd=184). Dies lag aber daran, dass besonders AfD-Abgeordnete Tweets zu #afd twitterten (175). Grundsätzlich twitterten die Bundestagsabgeordneten entsprechend ihrer Parteizugehörigkeit an die eigenen Parteihashtags (vgl. Tabelle1).

Fazit: Relevanz von Twitter und Facebook im Bundestagswahlkampf 2017

In diesem Beitrag wurden beispielhaft für die digitale Öffentlichkeit bzw. öffentliche Meinung die Nutzung von Facebook (meistgenutzte Online-Community) und Twitter (meistgenutzter Microbloggingdienst) analysiert. Für die Bundestagswahl 2017 wurde dabei deutlich, dass mittlerweile alle im aktuellen Bundestag vertretenen Parteien zusätzlich zu klassischen Wahlkampfinstrumenten auf Twitter und Facebook als Kommunikationskanal setzten, um ihre Wähler zu erreichen: “Die Befunde aus dem Jahr 2017 zeigen, dass sich soziale Medien als Instrument der Wahlkampfkommunikation endgültig etabliert haben. Die Mehrheit der Kandidierenden ist auf Facebook und/oder auf Twitter präsent" (Schmidt 2017). Angela Merkel war als einzige der Spitzenkandidaten nicht auf Twitter vertreten. Dies könnte daran gelegen haben, dass sie als amtierende Bundeskanzlerin ohnehin über ihren Verwaltungsapparat Journalisten bestens erreicht. Dagegen sind die “einfachen“ Wähler besonders auf Facebook aktiv. Auffällig war gerade deshalb beim direkten Vergleich der Spitzenkandidaten auf Facebook, dass die Nutzeraktivität bei der Fanpage von Angela Merkel 1,4 Mal höher war, als bei Herausforderer Martin Schulz. Die Daten zeigen auch deutlich, dass besonders oft die AfD als Partei bei Twitter und Facebook im Aufmerksamkeitsfokus eines Großteils der Nutzer stand. Dies galt auf Twitter auch insbesondere für die Gruppen der verifizierten Nutzer und Journalisten.

Inwieweit die Thematisierung und die damit einhergehenden Tendenzen und Stimmungen in der Nutzerkommunikation auf den Plattformen wirklich einen wahlentscheidenden Einfluss haben, bleibt allerdings offen, weil beispielsweise ein Facebook-Like oder eine Thematisierung auf Twitter nicht mit einer Wahlentscheidung gleichzusetzen ist.

Auffällig war aber, dass für die AfD und DIE LINKE besonders Facebook ein sehr relevantes Medium war (gemessen am Social-Media-Index), während es bei den anderen im jetzigen Bundestag vertretenen Parteien umgekehrt war. Medienaccounts spielten für twitternde AfD-Abgeordnete die geringste Rolle (Schmidt 2017). Die AfD war insgesamt auch bei der Bundestagswahl erfolgreich, weil sie sich auf Basis der sozialen Netzmedien ihre eigenen Kommunikationswege schuf (Vowe 2017).

Bezogen auf den Kommunikationsbedarf aller Twitter-Nutzer zeigte sich, dass dieser nach dem Wahlakt bzw. der Ergebnisbekanntgabe (Hochrechnungen) besonders hoch war. Dieses Muster zeigte sich nicht nur bei der Bundestagswahl 2017, sondern auch beim Mitgliedervotum der SPD bzgl. des Eintretens in eine neue GroKo (König/König 2018). Analog zur Bundestagswahl wurde auch beim SPD-Votum die Empörung über den jeweiligen Abstimmungsausgang thematisiert. So stellt sich die Frage, ob Soziale Medien eher die Empörungsöffentlichkeit forcieren und weniger eine deliberative Öffentlichkeit. Erstere bedient letztlich die massenmediale Logik, da Streit und Empörung besonders gut zu vermarkten sind.

Literatur

  • ARD Onlinekoordination (2012): Bericht der ARD über die Erfüllung ihres Auftrags, über die Qualität und Quantität ihrer Telemedienangebote sowie über die geplanten Schwerpunkte (§ 11e Rundfunkstaatsvertrag), Ismaning.

  • Chadwick, Andrew (2013): The hybrid media system politics and power. Oxford.

  • Dahrendorf, Ralf (1993): Aktive und passive Öffentlichkeit. Über Teilnahme und Initiative im politischen Prozess moderner Gesellschaften. In: Wolfgang R. Langenbucher (Hrsg.), Politische Kommunikation. Grundlagen, Strukturen, Prozesse. 2. Aufl. Wien: 42-51.

  • Habermas, Jürgen (1998): Faktizität und Geltung: Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt am Main.

  • Hölscher, Lucian (1993): Öffentlichkeit. In: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hrsg.) (1993): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Band 4. Mi-Pre. Stuttgart, S. 413-467.

  • König, Mathias/König, Wolfgang (2016): #MythosTwitter. Chancen und Grenzen eines sozialen Mediums. In: OBS-Arbeitspapier, 24. (Externer Link: https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/02_Wissenschaftsportal/03_Publikationen/AP24_Twitter_Koenig_2016_10_05.pdf)

  • König, Mathias/König, Wolfgang (2017a): Social TV: Twitter- Debatten zu politischen Informationssendungen. In: Media Perspektiven, 2017 (5), S. 260-272. (Externer Link: http://www.ard-werbung.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/2017/0517_Koenig_Koenig.pdf)

  • König, Mathias/König, Wolfgang (2017b): Social TV: Die Twitter-Debatte zum TV-Duell . Untersuchung der programmbegleitenden Kommunikation zum Hashtag #tvduell bei der Bundestagswahl 2017. In: Media Perspektiven, 12/2017, S. 630-638. (Externer Link: http://www.ard-werbung.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/2017/1217_Koenig.pdf)

  • König, Mathias/König, Wolfgang (2018): Die Twitter-Kommunikation zum SPD-#Mitgliedervotum; Externer Link: König, Mathias/König, Wolfgang (2018): Die Twitter-Kommunikation zum SPD-#Mitgliedervotum; https://www.politik-kommunikation.de/ressorts/artikel/die-twitter-kommunikation-zum-spd-mitgliedervotum-86307150)

  • Luhmann, Niklaus (1992): Die Beobachtung der Beobachter im politischen System: Zur Theorie der Öffentlichen Meinung. In: Wilke, Jürgen (Hrsg.): Öffentliche Meinung, Theorie, Methoden, Befunde, Beiträge zu Ehren von Elisabeth Noelle-Neumann, Freiburg, S. 77-86.

  • Neidhardt, Friedhelm (1994): Öffentlichkeit, Öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. In: Neidhardt, Friedhelm (Hrsg.) (1994): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. Opladen, S. 7-41.

  • Schmidt, Jan-Hinrik (2017): Verbreitung, Aktivität und Informationsquellen. Twitter-Nutzung von Kandidierenden der Bundestagswahl 2017. In: Media Perspektiven, 12/2017, S. 616-629.

  • Vowe, Gerhard (2017): Sieben Tendenzen des strukturellen Wandels der politischen Kommunikation. Wie verändern sich Wahlkämpfe in der Onlinewelt? In: Media Perspektiven, 12/2017, S. 607-615.

Dr. Wolfgang König ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Koblenz-Landau. Zusammen mit Dr. Mathias König forscht er zu Bürgerbeteiligung, Medienrezeption und Social-Media. Im Jahr 2016 publizierten sie die Grundlagenstudie “#MythosTwitter. Chancen und Grenzen eines sozialen Mediums“ für die Otto-Brenner-Stiftung. Für die Fachzeitschrift “Media Perspektiven“ untersuchten sie im Jahr 2017 die Twitter-Kommunikation zu verschiedenen Social-TV-Hashtags.