Wikipedia ist mittlerweile eine der am häufigsten besuchten Websites im Netz. Für viele ist Wikipedia zum wichtigen Nachschlagewerk und zur ersten Anlaufstelle in puncto Wissen geworden. Einige nutzen Wikipedia auch um einen Begriff in einer anderen Sprache zu übersetzen: In der Navigationsleiste wird angezeigt, ob und in welchen anderen Sprachen ein Artikel zur Verfügung steht. Dabei wird schnell klar, Wikipedia ist nicht gleich Wikipedia. Die Mitmach-Enzyklopädie umfasst aktuell über 270 Sprachversionen, die relativ autonom voneinander agieren (können). Inwiefern unterscheiden sie sich? Und andersherum gefragt: Was hält die verschiedenen Sprachversionen außer Wiki-Technologie zusammen? Gibt es einen (Meta-)Konsens darüber, wie Wissen auf der Wikipedia ausgewählt, dargestellt und bearbeitet werden soll?
Gemeinsamkeiten in den Wurzeln
Die 'Mission‘ der (mittlerweile über 270 Sprachversionen umfassenden) Online-Plattform ist es, eine frei bearbeitbare, frei zugängliche Enzyklopädie unter einer freien Lizenz zu schreiben. Die Festlegung auf dieses Ziel wurzelt in den ersten beiden Entstehungsjahren von Wikipedia. Bereits im ersten Jahr – 2001 – äußerten User der Wikipedia Bedenken hinsichtlich einer kommerziellen Nutzung. Das Ergebnis: Die Plattform migrierte 2002 von der "dot-com"- zur "dot-org"-Domain. Spätestens seitdem zeigt sich Wikipedia in den Selbstbeschreibungen als freie Enzyklopädie. Vor diesem Hintergrund gilt die mehrsprachige Plattform als eines der prominentesten Beispiele für den Transfer der Prinzipien von F(L)OSS – Free/Libre/Open Source Software – auf die Ebene der Wissenskoproduktion. Diese F(L)OSS-Prinzipien werden unter anderem als die vier Freiheiten in der Definition freier Software verhandelt:
Freiheit 0: Das Programm zu jedem Zweck auszuführen.
Freiheit 1: Das Programm zu studieren und für den eigenen Zweck zu verändern. Zugang zum Quellcode ist eine Vorbedingung für diese Freiheit.
Freiheit 2:. Das Programm zu verbreiten, um andern zu helfen.
Freiheit 3:Das Programm zu verbessern und diese verbesserten, modifizierten Programmversionen zu verbreiten und so einen Nutzen für die Gemeinschaft zu erzeugen.
Praktisch wurden diese vier Freiheiten in der Wikipedia durch die Wahl der GNU Free Documentation License umgesetzt, welche im Frühling 2010 durch die Creative Commons Lizenz "Namensnennung, Weitergabe unter gleichen Bedingungen" (CC-By-SA) – ersetzt wurde.
Dem nicht genug: Auch der Prozess der Wissenskoproduktion von F(L)OSS und Wikipedia ähneln sich: Schreiben hier verschiedene Entwickler und Entwicklerinnen an einem Softwareprogramm, schreiben dort verschiedene User an einem Artikel. Wikipedia umfasst gewissermaßen das Herstellen, Veröffentlichen, Bewahren und Modifizieren von 'Kulturprodukten‘. Ähnlich wie bei der Programmierung von Software, können auch in der Wikipedia verschiedene User gemeinsam an einem 'Produkt‘ schreiben. Wie entscheidet man aber darüber, ob ein Artikel gut ist oder nicht? Bei der Software ist dies relativ einfach: Guter (nicht unbedingt sauberer) Code ist – verkürzt gesprochen – nach relativ objektiven Maßstäben messbar: Läuft ein Programm fehlerfrei? Läuft es schnell etc.?
In der Wikipedia soll über die Frage "Was ist ein guter Artikel?" der sogenannte Neutrale Standpunkt (englisch "neutral point of view"NPOV) entscheiden. Der Neutrale Standpunkt bildet eines der unveränderlichen Wikipedia-Grundprinzipien und damit eine Art Meta-Konsens, denn: Als prozedurales Wissen soll der Neutrale Standpunkt Orientierung für die Art und Weise der Wissensdarstellung und -bearbeitung in der Wikipedia geben: Wie sieht ein guter Artikel aus? Was soll bei der Erstellung oder Bearbeitung eines Wikipedia-Artikels beachtet werden? Zudem kann der Neutrale Standpunkt als normativer Kern der Online-Enzyklopädie verstanden werden, da dieser Aussagen darüber trifft, wie ein guter Wikipedia-Artikel geschrieben werden kann. So war und ist zum Beispiel im deutschsprachigen Wikipedia-Artikel, der den Neutralen Standpunkt erklärt, zu lesen: "Die Einhaltung des Neutralen Standpunkts gilt als Voraussetzung eines guten Wikipedia-Artikels." (Wikipedia:Neutraler_Standpunkt) Dieser normative Kern ist allerdings nicht fix: Wie auch andere (Meta-)Seiten der Wikipedia kann der Artikel zum Neutralen Standpunkt laufend verändert werden. Damit bildet der Neutrale Standpunkt paradoxerweise ein unveränderliches Grundprinzip, das – in den Sprachversionen unterschiedlich ausgefüllt und formuliert, aber auch im Zeitverlauf verändert werden kann; auf den Punkt gebracht: Der Neutrale Standpunkt ist ein unveränderliches Grundprinzip, das verändert werden kann.
Schnappschuss: en- und de-Wikpedia im Vergleich
Unterschiede in den Sprachversionen gibt es, da Artikel zu verschiedenen Zeitpunkten entstehen und modifiziert werden, aber zum Teil auch unterschiedlich benannt werden. Zudem sind in den Sprachversionen in der Regel unterschiedliche User am Werk. Kurzum: Die Wikipedia-Community besteht aus vielen verschiedenen Communitys, die aktiv die Wikipedia verändern. Wählt man Länder als Ausgangspunkt, zeigt sich schnell, dass die Zusammensetzung der englischsprachigen Community heterogener ist: Dort kommen im Jahr 2011 zirka 43 Prozent der "editors" aus den USA, knapp 16 Prozent aus Großbritannien und die restlichen 41 Prozent aus verschiedenen Ländern wie Australien, Indien oder Deutschland. In der deutschsprachigen Wikipedia loggen sich mit zirka 82 Prozent "Autoren" und "Autorinnen" am häufigsten von Deutschland aus ein. Die Zahlen geben allerdings nur erste Anhaltspunkte, da sie von einer quantitativen Auswertung der IP-Adressen und nicht von einer direkten User-Befragung ausgehen. Sieht man vom institutionellen Rückgrat der Wikimedia-Foundation mit ihren Chaptern in verschiedenen Ländern ab, ist eine Wikipedia-Kultur im Plural zudem nicht in die Kategorie Nationalstaat gefasst: Die Plattform unterteilt ihre Communitys nach Sprachen, so dass im Folgenden explizit von den Kulturen der englisch- ("en") bzw. deutschsprachigen ("de") Wikipedia die Rede sein wird.
Die englisch- ("en") und deutschsprachigen ("de") Wikipedia-Versionen sind nicht nur die ältesten, sondern auch die größten Versionen. Gegründet wurde Wikipedia als englischsprachige Version im Januar 2001, im März desselben Jahres ging die deutschsprachige Version online. Vergleicht man die Anzahl der Artikel, so ist die englischsprachige Version mit zirka 4 Millionen Artikeln die größte Version, gefolgt von der deutschsprachigen Wikipedia mit ungefähr 1,4 Millionen Artikeln. Auch ähneln sich die beiden Sprachversionen, da hier durchaus User die Wikipedia schreiben und nicht wie oft in kleineren SprachversionenInterner Link: Bots – automatisierte Skripts – Artikel erstellen oder verändern. Mit neun (en-Wikipedia) und elf Prozent (de-Wikipedia) Bot-Aktivität im Jahr 2011 liegen die beiden Versionen nah beieinander. Wenn nun überwiegend Menschen in der en- und de-Wikipedia Wissen sammeln, darstellen, diskutieren, dann liegt es auf der der Hand, dass die Sprachversionen auch verschiedene sozio-technische Kulturen im Prozess der Wissenskoproduktion widerspiegeln. Inwiefern unterscheiden sich dann also die en- und de-Wikipedia? Wo und wie wird zum Beispiel entschieden, was in die Wikipedia gehört und was nicht?
In der Wikipedia gibt es verschiedenste Wege, Artikel zu modifizieren und/oder über sie zu streiten: Jede und jeder kann – sofern ein Artikel nicht gesperrt ist – Artikel verändern oder aber auf der Diskussionsseite über Änderungen diskutieren. Gibt es Streit, bieten die Wikipedia-Communitys verschiedene (in)formelle Wege, die von der Abstimmung bis zu einem Wikipedia-Vermittlungsausschuss reichen können. Vergleicht man die de- und en-Wikipedia, so zeigt sich im Vergleich zu anderen Sprachversionen besonders, dass stärker Diskussionsseiten genutzt werden, um sich über Artikelmodifikationen und/oder gar 'Existenzberechtigungen‘ auszutauschen oder zu streiten. Hier wurde von einem User insbesondere die en-Wikipedia gar als zentrales 'Kampffeld‘ beschrieben: "The whole world comes to 'fight‘ on the English Wikipedia". Quantitativen Forschungen des spanischen Wissenschaftlers Felipe Ortega, der sich mit den bisherigen Entwicklungen im Bereich der Editor- und Artikelzahlen in zehn Sprachversionen beschäftigt hat, zeigen jedoch, dass der Stellenwert der Diskussionsseiten auch in der deutschsprachigen Version hoch ist, wohingegen in anderen Sprachversionen die Diskussionsseite eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint (vgl. Grafik).
Konsensfindung oder der Versuch einer Konsensfindung auf Diskussionsseiten werden gegenüber Abstimmungen von der Community in der Regel vorgezogen. In der en-Wikipedia zeigt sich dies deutlich: Konsens wird dort gefasst als ‘the primary way in which editorial decisions are made’ (Wikipedia:Consensus). Damit knüpft Wikipedia explizit an netzkulturelle Praktiken an: ‘We reject kings, presidents and voting. We believe in rough consensus and running code’. Diesen mittlerweile bereits vielzitierte Satz, sagte Internet-Vordenker und einer seiner "Gründerväter" David D. Clark im Juli 1992 auf der 24th Annual Internet Engineering Task Force-Konferenz. Der Satz ist mittlerweile zu einem "Glaubenssatz" für diejenigen geworden, die an einen groben Konsens glauben und denen es primär darum geht, gemeinsam ein System am Laufen zu halten. "Rough consensus" betont, dass Konsens nie fixiert werden kann, stets veränderbar ist und Raum für Ambiguität in der Interpretation und Aneignung lässt. Zudem bedeutet "rough consensus" nicht, dass jede und jeder inhaltlich einen Konsens akzeptiert, sondern dass das Zustandekommen eines Konsens‘ als legitim betrachtet wird. In den Worten einer Wikipedianerin:
Der Neutrale Standpunkt im Plural
Wikipedia knüpft an dieses netzkulturelle Deutungsmuster des groben Konsens‘ an, indem – trotz der mittlerweile vielen Artikel und Essays zu den Grundprinzipien der Wikipedia – Konsens sprachversionsübergreifend als Funktionsprinzip wie Konfliktlösungsmechanismus dominiert, denn: Auf der Möglichkeit von Konsens baut die Online-Enzyklopädie auf; diese Möglichkeit ist der "Grundstein" des Projektes. In der Wikipedia basiert der "rough consensus" dabei auf dem Prinzip des Neutralen Standpunktes. Dieses Grundprinzip soll Orientierung bieten. Wie es aber nicht nur eine Wikipedia oder eine Community gibt, so gibt es auch nicht nur einen Neutralen Standpunkt wie der Blick auf die ersten Sätze zum Grundprinzip in beiden Sprachversionen zeigt:
"Der Externer Link: Neutrale Standpunkt (Neutraler Gesichtspunkt/Neutrale Sichtweise, engl. Neutral Point Of View, kurz NPOV) ist eines der vier unveränderlichen Grundprinzipien der Wikipedia. Der Neutrale Standpunkt dient dazu, Themen sachlich darzustellen und den persönlichen Standpunkt des WP-Autors zum Thema nicht nur in den Hintergrund treten zu lassen, sondern aus WP-Artikeln möglichst ganz herauszuhalten."
"Externer Link: Neutral point of view (NPOV) is a fundamental Wikimedia principle and a cornerstone of Wikipedia. All Wikipedia articles and other encyclopedic content must be written from a neutral point of view, representing fairly, and as far as possible without bias, all significant views that have been published by reliable sources."
Während also die deutschsprachige Sprachversion Sachlichkeit in den Vordergrund stellt, wird auf der englischsprachigen Artikelseite Ausgewogenheit betont; Standpunkte sollen angemessen (en: fair) repräsentiert werden und alle wesentlichen Standpunkte sollen berücksichtigt werden. Beide Ausschnitte zeigen zudem, dass Wikipedia von den Usern nicht als primärer Ort von Wissenskoproduktion beschrieben wird, sondern als Tertiärquelle von Wissen. Der eigene Bezug auf Quellen, der in beiden Sprachversionen eng an das 'unveränderliche‘ NPOV-Grundprinzip geknüpft wird, wird als Voraussetzung für Neutralität bzw. Ausgewogenheit angesehen. Die an der Diskussion auf den untersuchten NPOV-Seiten beteiligten User möchten Wikipedia idealerweise als Medium verstanden wissen, das auf Sekundärquellen fußt. Wissen soll quellenbasiert 'gemappt‘ werden, also vorhandenes Wissen soll in strukturierender Form nach dem NPOV-Grundprinzip dargestellt werden. Ein User der englisch-sprachigen Community beschreibt dies folgendermaßen: "We’re providing a roadmap to the discussion/debate/views on it. That’s a lot easier. NPOV makes editing easy."
Was darf rein, was nicht? – Beispiel eines binären Konfliktes
Noch konkreter zeigt sich die (Nicht-)Aushandlung eines "rough consensus" auf den Diskussionsseiten der Artikel selbst. Ein im doppelten Sinne anschauliches Beispiel ist der Bilderstreit rund um den Artikel "Mohammed" (en: Muhammad) auf der en- und de-Wikipedia: Soll der Artikel mit historischen Mohammed -Bildern illustriert werden oder nicht? Dieser binäre, unteilbare Konflikt gipfelte in einer Petition, die die Löschung der historischen Bilder forderte und einen Agonismus zwischen "Wikipedia editors" einerseits und beteiligten Diskussionsteilnehmern und –teilnehmerinnen andererseits aufmachte, die sich in ihren Selbstbeschreibungen vordergründig als Muslime vorstellten:
Initiator der im Dezember 2007 auf der Plattform thepetitionsite.com gestarteten englischsprachigen Petition "Remove the Illustrations of Muhammad from Wikipedia" ist der (mittlerweile ehemalige) Wikipedia-User Farazilu, der auf der englischsprachigen Diskussionsseite die Entfernung der Muhammed-Bilder forderte und den die Petition begleitenden Blog Externer Link: the-petition.blogspot.com schrieb [2]. Seine Begründung für die Petition rahmt den Konflikt als Wertkonflikt, in dem Werte wie Respekt und Freiheit sowie eine Kritik an der Instrumentalisierung des Neutralen Standpunkts im Mittelpunkt stehen:
Neben der mittlerweile geschlossenen Petition existieren bis heute auf der Graswurzel-Plattform "Externer Link: causes.com" weitere Aufrufe, die mit Facebook verknüpft sind:
Auch wurde eine Gegen-Petition auf der Plattform "Externer Link: thepetitionsite.com" gestartet, die allerdings im Februar 2008 mit über 300 Unterschriften weitaus weniger User als die vom User Farazilu gestartete Petition mobilisieren konnte. Die Gegen-Petition trug den Titel "Fight Islamic Pressure To Censor Wikipedia" und richtete sich an diejenigen, "who support freedom of speech". Es ist also vor allem die Petition des Users Farazilu, die besondere Aufmerksamkeit erweckte: Im Februar 2008 verzeichnete die Petition, die den Respekt von Wikipedia-Editoren gegenüber der Religion anderer sowie die Entfernung der Mohammed-Abbildungen forderte, über 80.000 Unterschriften; am 05. Februar berichtete die NY Times darüber und auch im deutschsprachigen Raum fand die Petition mediale Resonanz. Bereits im Dezember wird die Anzahl der Petitionsunterstützer /innen in der Diskussion mit einem Weblink auf die Petition selbst auf der entsprechenden Wikipedia-Diskussionsseite angeführt, die Reaktionen darauf folgen prompt:
I wouldn't repeat what has been said before about removing those offensive Pictures...I just want you to know aboutExterner Link: thepetitionsite.com/2/removal-of-the-pics-of-muhammad-from-wikipedia#signatures those 13600+ and counting who voted for the removal...so where are the people who what the pictures to be published????????
Wikipedia is not censored we do not remove things just because people find them offensive. The censorship policy can be found at WP:CENSOR. --Daniel J. Leivick (talk) 19:26, 24 December 2007 (UTC)
Wikipedia does not function by snout-counting. We have rules, the number of people who want something to be removed is irrelevant if the rules say it should stay. We operate by consensus but this isn't a democracy. Again the images aren't meant as an insult you have to realize that the whole world doesn't live or function according to the laws of any one sect or religion. RecentlyAnon (talk) 19:45, 24 December 2007 (UTC)
(Externer Link: Quelle: en.wikipedia.org/wiki/Talk:Muhammad/images/Archive_3)
In diesem kurzen Ausschnitt aus der Diskussion wird der unversöhnliche Charakter des Wertkonflikts deutlich. Die Unversöhnlichkeit zeigt sich im ersten Beitrag in der Empörung und einem Sich-Angegriffen-Fühlen ("offensive pictures") einerseits und in der darauffolgenden Replik durch den Hinweis auf ex-negativo formulierte Normen wie Keine Zensur ("no censorship") andererseits. Neben diesem moralischen Dissens steht ein auf der Verfahrensebene begründeter rationaler Dissens. Auf der einen Seite wird auf der Grundlage des Mehrheitsprinzips ein Geltungsanspruch formuliert, indem die Anzahl der Petitionszeichner und -zeichnerinnen angeführt wird ("13600+"); auf der anderen Seite wird in der Replik auf der Folie eines Konsensprinzips und Wikipedia-Regeln ein vom Demokratie-Begriff losgelöster Geltungsanspruch artikuliert und das Mehrheitsprinzip zumindest sprachlich abgewertet ("snout-counting"; wörtlich in deutscher Sprache etwa "Schnauzen-Zählen").
Auch in der deutschsprachigen Diskussion finden sich Verweise auf die Petition sowie auf die englische- wie deutschsprachige Medienberichterstattung. Externer Link: In der Diskussion über die Petition und die Medienberichterstattung werden ähnlich wie auf der englischsprachigen Diskussionsseite gegen das Mehrheitsprinzip die Wikipedia-eigenen Regeln, allen voran der Neutrale Standpunkt, angeführt:
Wie in diesem User-Beitrag sichtbar, findet sich in der deutschsprachigen Wikipedia ein dominantes Deutungsmuster, das die Konsensfähigkeit an eine universelle Verallgemeinerungsfähigkeit und an eine Verfahrensorientierung koppelt: Insbesondere die Verwendung des Begriffs "Präzedenzfall" im Rahmen der Diskussionen über den Mohammed-Artikel führt einen Bezug zu Regeln, Richtlinien und (ungeschriebenen) 'Wikipedia-Gesetzen‘ ein, die auf Dichotomien wie richtig/falsch oder geboten/verboten basieren.
Im Vordergrund der englischsprachigen Diskussionen steht hingegen stärker ein Deutungsmuster, das Konsens mit der Kollaboration unterschiedlicher Wikipedia-User verknüpft. Dabei wird in der Diskussionen ein moralisch-ethisches Muster herangezogen: Dieses vor allem in der en-Wikipedia auffindbare Muster kann mit " current civil consensus" überschrieben werden. Im Rahmen eines moralisch-ethischen Musters wird so neben das Prinzip eines "rough consensus", ein Meta-Konsens gestellt, der den 'Geist der Kollaboration‘ fasst: Gegenseitiges Vertrauen, zivile Umgangsformen – in der viel betonten Richtlinie "Assume good faith" (de: Geh von guten Absichten aus) ausbuchstabiert – und die Anerkennung des/der Anderen werden als Normen expliziert, auf deren Grund sich ein Konsens erst entfalten kann:
Mit den Verweisen auf die verschiedenen Richtlinien wie NPOV (Neutral Point of View) zeigt sich, dass auch in der en-Wikipedia der "current civil consensus" sich in bestimmten Korridoren bewegt, die Grenzen in der Wissenskoproduktion und -darstellung definieren, welche wiederum modifiziert oder gar verändert werden können.
Wohin Konsens führt(e) ...
In beiden Sprachversionen wurden die Mohammed-Bilder nicht gelöscht. Als sogenannte Forking-Lösungen 4wurde unter anderem die Erstellung einer eigenständiger "muslim friendly" oder einer "halal"-Wikipedia imaginiert. In dieser Perspektive steht nicht eine gemeinsame Lösung im Vordergrund; vielmehr werden hier die 'Bild-Gegner‘ in der Verantwortung gesehen, eigene, ihren Wünschen gerechte Räume zu schaffen. In diese Richtung, aber weniger extrem, weist auch die (in der de- und noch prominenter in der en-Wikipedia diskutierte) technische Möglichkeit, individuell die Browserkonfiguration einzustellen oder einen Proxy-Filter zu nutzen, so dass auf bestimmten Seiten Bilder nicht angezeigt werden, wie die folgende 'Zitat-Collage‘ illustriert:
Aus der Diskussion auf der en-Wikipedia ging eine Externer Link: neue Hilfe-Seite hervor – namentlich:–, die die Browserkonfiguration bzw. die Einrichtung eines Proxy-Filters genau erklärt. Ein User rahmt diese Lösung als gelebte Wiki-Kultur:
Mit der technischen Lösung wird Konsens nicht nur vielgestaltig umgesetzt, sondern auch die Trennlinie zwischen Inklusion und Exklusion etwas dynamischer. Was darf rein, was nicht? Diese Frage wird mit der technischen Lösung ambivalent beantwortet und auf die individuelle Ebene verlagert.
Kontroverse: Persönlicher Bilderfilter als Opt-IN
Der Streit zwischen Inklusionisten und Exklusionisten ist ein langjähriger, der Heavy-Wikipedia-User vielleicht schon langweilt. In der Community waren die Unterschiede im Umgang mit den 'digitalen Bilderstürmern‘ wahrscheinlich keine Überraschung. So ist es nicht verwunderlich, dass auch in der jüngeren, grundsätzlicheren Diskussion der Einführung einer individuell einstellbaren Bildfilterfunktion die de-Community ein anderes Meinungsbild zeichnete als die en-Community. Insgesamt nahmen mehr als 24.000 Wikipedia-User an der Abstimmung teil. Ergebnis: Ein Teil befürwortete die Funktion und gleichzeitig regte sich vor allem in der de-Wikipedia Protest. Eine Auflistung der verschiedenen Protestformen haben User Externer Link: hier zusammengestellt: Gegner des persönlichen Bildfilter sahen und sehen darin unter anderem eine Verletzung des Grundsatzes Wikipedia:Neutraler Standpunkt, ein Mittel zur Zensur und einen Widerspruch zum enzyklopädischen Auftrag, so formuliert ein User deutlich: