Die Schlagzeilen um den vielerorts weiter zunehmenden Mangel an Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland prägen die gegenwärtigen Bildungsdiskussionen. Doch was kann in dieser – auch auf längere Sicht bestehenden – Situation getan werden, um diesen Mangel abzufedern? Ist die vermehrte Einstellung von Quereinsteiger:innen eine sinnvolle Lösung oder sollten gar Schulwochen auf vier Tage verkürzt werden? Diese und andere „Therapie-Vorschläge“ diskutieren Doris Maull, Hörfunk-Journalistin, Dr. Heike Schmoll, Bildungsexpertin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Monika Stein, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Baden-Württemberg, und Prof. Dr. Harm Kuper, Erziehungswissenschaftler an der Freien Universität Berlin, in der Folge „Ausgebrannt und ausgedünnt – Was hilft gegen den Lehrermangel?“ des SWR Kultur-Podcasts.
Der Erziehungswissenschaftler Harm Kuper stellt zu Beginn der Diskussion nochmals klar, wie verheerend die Auswirkungen des Lehrer:innenmangels sind: Allein der Blick auf die Ergebnisse der Tests zu deutschlandweit geltenden Bildungsstandards, die das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) regelmäßig durchführt, zeige, dass je nach Fach und Bundesland ein Viertel bis fast ein Drittel der Grundschüler:innen in Mathematik und Deutsch nicht einmal die Mindeststandards erreichen. Bildungsjournalistin Heike Schmoll spitzt diese Befunde folgendermaßen zu: „Diese Kinder können einen Text nicht sinnentnehmend lesen, sie können zwar ein paar Buchstaben entziffern, aber sie werden keine Informationen aus einem Satz entnehmen können, geschweige denn einen Text so rezipieren, dass sie damit irgendwie weiterdenken könnten.“ Die Gefahr, dass der Lehrkräftemangel absehbar zu noch mehr Bildungsverlierer:innen führen wird, ist groß.
Hauptursache für den Mangel an Lehrkräften, so Harm Kuper, ist der demografische Wandel, und zwar in drei Punkten: Zum einen seien die Lehrkräfte in Deutschland im Vergleich zu anderen Arbeitnehmer:innen durchschnittlich älter, zudem die Schüler:innen-Zahlen deutschlandweit in den letzten Jahren deutlich angestiegen und drittens studierten aufgrund der eher geburtenschwachen Jahrgänge nach den „Babyboomern“ zu wenige junge Menschen auf Lehramt. Hinzu komme, dass die Struktur der Lehrkräfte-Ausbildung nicht flexibel genug organisiert sei, um auf die gegenwärtige akute Mangelsituation reagieren zu können. Beispielsweise könnten sich ausgebildete Lehrkräfte zwar bundesweit bewerben, bei der Planung von Studien- und Referendariatsplätzen orientiere sich jedes Bundesland jedoch nur am eigenen Bedarf.
Gewerkschaftsvertreterin Monika Stein ergänzt, dass mancherorts auch der Zugang zum Lehramtsstudium erschwert sei, etwa mit einem hohen Numerus Clausus für das Grundschullehramt an Hochschulen. Dies würde viele durchaus geeignete junge Menschen von einem Lehramtsstudium abhalten. Gerade an Grundschulen fehlten aktuell besonders viele Lehrkräfte. Quereinsteiger:innen wiederum, so Stein, würden zu oft ohne eine angemessene pädagogische Begleitung an den Schulen eingesetzt, teilweise stünden inzwischen sogar Personen ohne Studium und ohne pädagogische Erfahrung vor den Klassen. Diese neue Realität an den Schulen führe auf allen Seiten zu Frust und erhöhe die Gefahr, dass auch die derzeit umso wichtigeren, voll ausgebildeten Lehrkräfte verstärkt ihren Dienst quittieren.
Doch was tun, um den Mangel an Lehrkräften und die damit einhergehenden Belastungen und Überforderung im Schulsystem zu beheben? Zu bildungspolitischen Vorschlägen und Maßnahmen – etwa einer Begrenzung der Schulwoche auf vier Tage, einer Beschränkung von Teilzeitarbeit unter Lehrkräften, Hybridunterricht für Schüler:innen in der Oberstufe oder der Übertragung von Verwaltungsaufgaben an andere Fachkräfte – haben die Gäste des Podcasts teils unterschiedliche Ansichten. Während Harm Kuper die voraussetzungslos gewährte Möglichkeit für Teilzeit unter Lehrkräften für überdenkenswert hält, mahnt Monika Stein an, gerade in diesen Zeiten einen wertschätzenden Umgang mit Lehrkräften zu wahren. Um unter den besonders herausfordernden Alltagsbedingungen nicht auch noch Bestandslehrkräfte zu verlieren und das Lehramt unattraktiver zu machen, solle hierzu nicht einfach eine Anordnung erfolgen. Ratsamer sei es, die Lehrkräfte zu bitten selbst zu prüfen, welchen Spielraum sie für eine Stundenaufstockung haben.
Auch wenn die Gäste aus ganz unterschiedlichen Perspektiven über den Lehrkräftemangel berichten und sich in einigen Punkten uneinig sind, fällt das Resümee ähnlich aus: Vor allem die Schulleitungen müssten gestärkt werden und es bedürfe bessere Arbeitszeitmodelle für alle Lehrkräfte. Außerdem seien noch viele wichtige Fragen in der Sache ungeklärt, etwa die vergleichsweise hohe Abbruchquote unter den Lehramtsstudierenden oder die hohe Arbeitsbelastung der Lehrkräfte – Statistiken zufolge arbeiten nur 35 Prozent von ihnen gesund bis zur Rente.