Mädchen zeigen geringere Kompetenzen in den MINT-Fächern (Mathe, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) und in Studiengängen und Berufen der MINT-Fächer sind deutlich weniger Frauen vertreten als Männer
Tatsächlich zeigte sich in den PISA Studien 2012, 2015 und 2018, dass Jungen sowohl im Durchschnitt aller OECD-Staaten als auch speziell in Deutschland geringfügig bessere Ergebnisse in MINT-Kompetenzen erreichten als Mädchen (Reinhold u.a., 2019; Sälzer u.a., 2013; Schiepe-Tiska u.a., 2016). Im IQB-Bildungstrend 2018 und 2021 erzielten Jungen hingegen nur in Mathematik höhere Kompetenzen als Mädchen, wobei diese Unterschiede ebenfalls gering ausfielen (Gentrup u.a., 2022, Schipowski u.a., 2019). In den Kompetenzen naturwissenschaftlicher Fächer hingegen schnitten Mädchen insbesondere in den Fächern Biologie und Chemie sogar besser ab als Jungen (Schipowski u.a., 2019). Es gibt starke Evidenz dafür, dass solche Unterschiede nicht aufgrund angeborener Geschlechterunterschiede entstehen (Hutchison u.a., 2018; Kersey u.a., 2018). Hirnphysiologisch haben Mädchen und Jungen nachweislich die gleichen Voraussetzungen (Kersey u.a., 2019).
Die Ursachen für das teils schlechtere Abschneiden von Mädchen in den MINT-Fächern liegen vielmehr in der Sozialisierung und den Rollenklischees, die Mädchen von klein auf erfahren (Hannover & Wolter, 2019). Sowohl Eltern als auch pädagogische Fachkräfte haben oft unbewusste geschlechterstereotype Überzeugungen, also bestimmte Annahmen darüber, welche Eigenschaften, Kompetenzen oder Verhaltensweisen für das jeweilige Geschlecht angemessen sind (Oppermann u.a., 2020; Updayaya & Eccles, 2014). Daher neigen sie dazu, Jungen im MINT-Bereich bei gleicher Leistung besser einzuschätzen als Mädchen (Oppermann u.a., 2020; Schneider u.a., 2022). Aufgrund der geschlechterstereotypen Überzeugungen werden Jungen und Mädchen darüber hinaus in den Bereichen Technik, Mathe und Naturwissenschaften von früh auf unterschiedlich gefördert (Oppermann u.a., 2020). Schon früh machen Eltern ihren Kindern geschlechtsstereotype Spielangebote (Kollmayer u.a., 2018). Während Jungen, noch bevor sie sprechen können, Spielzeug mit Bezug zu Technik, Wettbewerb und Konstruktion erhalten (z.B. Bagger, Autos, Werkzeug), wird Mädchen eher Spielzeug angeboten, das für Fürsorge, Pflege, Attraktivität und Schönheit steht (z.B. Puppen, Schmuckbastelsets, Küche). Studien zeigen außerdem, dass Jungen von ihren Eltern öfter naturwissenschaftliche Bücher vorgelesen bekommen und dreimal mehr Erklärungen zu naturwissenschaftlichen Fragen erhalten als Mädchen, auch wenn Mädchen genauso häufig fragen (Crowley u.a., 2001; Mantzicopoulos & Patrick 2010). Da ist es kaum verwunderlich, dass sich Mädchen bereits im Kita-Alter weniger in diesen Bereichen zutrauen als Jungen und schon früh ein geringeres Selbstkonzept in Mathe, Technik und Naturwissenschaften ausbilden (Oppermann u.a., 2019). Auch bei gleichen kognitiven Voraussetzungen schätzen sie ihre diesbezüglichen Fähigkeiten grundsätzlich geringer ein. Das wirkt sich wiederum auf ihre Lernmotivation und schließlich auf ihre Leistungen in den MINT-Fächern aus (Oppermann u.a., 2020). Doch das Selbstkonzept bildet nicht unbedingt die tatsächlichen Kompetenzen ab. So neigen Jungen in MINT-Fächern eher dazu, ihre Fähigkeiten zu überschätzen, während Mädchen sich eher unterschätzen (Stanat u.a., 2018). Diesen ungünstigen Kreislauf, in dem die geschlechterstereotypen Überzeugungen von Eltern und pädagogischen Fachkräften das Selbstkonzept von Mädchen und Jungen derart prägen, dass sie zu geschlechterspezifischen Leistungsunterschieden führen, die wiederum problematische geschlechterstereotype Überzeugungen verstärken, gilt es zu durchbrechen. Daher ist es wichtig, über diesen Bildungsmythos aufzuklären, Rollenstereotype abzubauen und das akademische Selbstkonzept von Mädchen im MINT-Bereich zu stärken.