Wie kann Elternbeteiligung Bildungsungleichheiten mindern?
Doris Holzberger
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Der schulische Erfolg von Kindern und Jugendlichen hängt in Deutschland maßgeblich von ihrem familiären Hintergrund ab. Warum ist das so? Welchen Einfluss haben etwa Sprache, Bildungsgrad oder die finanzielle Ausstattung der Eltern? Und: Womit können sie den schulischen Erfolg ihrer Kinder fördern? Kann eine Stärkung der Elternbeteiligung Bildungsungleichheiten zwischen Kindern eindämmen?
Der Befund: Der familiäre Hintergrund prägt die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen
Ob in Lesekompetenz oder in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern – zahlreiche Studien, nicht zuletzt die PISA-Studie, zeigen: Kinder und Jugendliche, die durch die soziale Herkunft ihrer Familie benachteiligt sind, schneiden in ihren schulischen Leistungen im Durchschnitt schlechter ab als ihre Mitschüler:innen. Dieser Zusammenhang fällt für Deutschland sogar stärker aus als für die Gesamtheit der OECD-Länder im Durchschnitt (siehe Grafik "Interner Link: PISA 2018: Hohe Schulleistungen und Chancengleichheit kein Zielkonflikt"). Die Gruppe der Schüler:innen mit einem Migrationshintergrund liegt sogar noch weiter zurück (siehe Grafik: "Interner Link: Wie prägt der Migrationsstatus den Bildungserfolg?").
Aber nicht nur in den schulischen Leistungen offenbart sich Bildungsungleichheit. Auch die Fragen, welche weiterführende Schulform die Kinder und Jugendlichen in der Sekundarstufe besuchen und welche Ausbildungs- und Berufswege sie später einschlagen, hängen deutlich von ihrer sozialen Herkunft ab. Dabei gilt: Je niedriger der berufliche Abschluss der Eltern, desto wahrscheinlich ist es, dass ihre Kinder im Alter von 15 Jahren, wenn wichtige Weichen für den Bildungsweg bereits gestellt sind, eine berufsbildende und keine allgemeinbildende Schule besuchen, die ihnen einen direkten Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen oder sogar einem Studium ermöglichen würde. Diese Tendenz zeichnet sich auch an den Universitäten ab. Die Wahrscheinlichkeit, ein Studium aufzunehmen, ist für Kinder aus Haushalten ohne akademisch gebildete Eltern oder aus Familien mit Migrationsgeschichte noch immer deutlich geringer als für Kinder von Eltern, die einen Studienabschluss haben. Selbst nach einer erfolgreichen Studienaufnahme setzt sich das soziale Ungleichgewicht auf jeder Stufe der akademischen Karriereleiter fort.
Diese Unterschiede sind frappierend. Auf welche Weise aber beeinflusst die familiäre Herkunft den schulischen Erfolg von Kindern? Dies beleuchten wir im nächsten Abschnitt.
Wie entsteht familiäre Bildungsbenachteiligung und was hat das Schulsystem damit zu tun?
Bereits zum Beginn ihrer Schulzeit starten Kinder je nach familiärer Herkunft mit unterschiedlichen Voraussetzungen in das Schulleben. Und auch während der gesamten Schulzeit bleibt der Einfluss des Elternhauses auf den schulischen Erfolg ihrer Kinder hoch. Warum ist das so? Dafür gibt es mehrere Erklärungsansätze. Neben Merkmalen der jeweiligen Schulen wie etwa ihre finanzielle Ausstattung und Größe sowie die soziale Zusammensetzung der Schulklassen sind es vor allem sozial ungleich verteilte Ressourcen, über die die Familien je nach sozialer Lage mehr oder weniger verfügen, ein wesentlicher Faktor für den Schulerfolg von Kindern und Jugendlichen (siehe Infobox).
Welche Arten von Ressourcen beeinflussen soziale Ungleichheit?
Menschen nutzen eine ganze Reihe an Ressourcen, die ihnen – je nach ihrer sozialen Lage – in unterschiedlichem Maß zur Verfügung stehen und so auch den Raum ihrer Möglichkeiten abstecken. Eine in der empirischen Forschung zu sozialer Ungleichheit wichtige Unterscheidung stammt vom französischen Philosophen und Soziologen Pierre Bourdieu. Er bezeichnete diese Ressourcen allgemein als "Kapital", das von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Die jeweilige Kapitalausstattung eines Menschen prägt zugleich seine soziale Position innerhalb der Gesellschaft, da damit von Anfang an ungleiche Voraussetzungen und Möglichkeiten für den individuellen Status- und Ressourcenerwerb im Lebensverlauf verbunden sind. Drei Arten von Kapital sind nach Bourdieu für die Entstehung und Verfestigung von sozialer Ungleichheit entscheidend:
Ökonomisches Kapital bezieht sich auf Besitztümer wie Immobilien, Schmuck oder andere Arten von Vermögen, die direkt in Geld umwandelbar sind.
Soziales Kapital beschreibt die menschlichen Beziehungen und Netzwerke, auf die eine Person zurückgreifen kann. Das können Kontakte sein, die bei der Wahl des Studienplatzes oder Jobsuche weiterhelfen können.
Kulturelles Kapital bezieht sich unter anderem auf kulturelle Güter wie Bücher, kann aber auch ganz allgemein die Bildung innerhalb einer Familie beschreiben.
Wenn eine Familie etwa ohne Schwierigkeiten private Nachhilfe finanziell ermöglichen kann (ökonomisches Kapital), kann das den Schulbesuch und auch den Weg in ein Studium vereinfachen. Bei der Suche nach einer Ausbildungsstelle kann das Netzwerk der Eltern von Vorteil sein, seien es berufliche Kontakte oder der Freundeskreis (soziales Kapital). Bücher oder ein hoher Bildungsgrad der Eltern erleichtern Kindern außerdem grundsätzlich den Zugang zu Bildung als einer selbstverständlichen Ressource (kulturelles Kapital). Unterschiede in diesen drei Arten von Ressourcen einer Familie schaffen von Anfang an ungleiche Startbedingungen für Kinder und beeinflussen deren Bildungschancen sowie das Ausmaß an Bildungsungleichheit.
Darüber hinaus treffen Eltern entlang ihrer sozialen Herkunft unterschiedliche Entscheidungen über die Bildungs- und Ausbildungswege ihrer Kinder. Im gegliederten deutschen Schulsystem legen Eltern – anders als in den meisten anderen Ländern in Europa, aber auch Kanada oder den USA – bereits nach vier Schuljahren an der Grundschule (in Berlin und Brandenburg nach sechs Jahren) fest, welchen weiteren Bildungsweg ihre Kinder ab der Sekundarstufe beschreiten. Gerade Eltern mit niedrigerem sozioökonomischem Status, das heißt mit einem niedrigen oder ohne Bildungsabschluss und geringen finanziellen Mitteln, wägen Kosten und Nutzen anders ab als Eltern mit höherem sozioökonomischen Status: Sie entscheiden sich im Zweifel eher dagegen, ihr Kind auf ein Gymnasium zu schicken, da dieser Bildungsweg nicht nur länger dauert, sondern auch die beruflichen Perspektiven, die ein Studium bietet, gegenüber dem klar umrissenen Berufsbild einer Ausbildung für sie weniger vertraut und greifbar sind. Nicht selten mangelt es diesen Eltern bei Entscheidungen über den Bildungsweg ihrer Kinder an wesentlichen Informationen; etwa über das deutsche Bildungssystem insgesamt und die Wertigkeit verschiedener Abschlüsse oder allgemein zu Finanzierungs- und Unterstützungsmöglichkeiten für höhere Bildungsabschlüsse. Fehlende Sprachkenntnisse oder die Sozialisation der Eltern in einem anderen Bildungssystem können hier ebenfalls eine Rolle spielen. Was den Informationsstand der Eltern anbelangt, so wissen wir aus der Forschung, dass die Kommunikation zwischen Lehrkräften und Eltern in Deutschland sehr anlassbezogen stattfindet und vor allem dann, wenn es um konkrete Probleme der Kinder geht. Ein längerfristiger und stärker auf Beratung angelegter Austausch über die Potenziale der Kinder und die Möglichkeiten, die das Bildungssystem bietet, fehlt eher. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Eltern spielen in Deutschland also – nicht zuletzt aufgrund ihrer Schulwahlentscheidungen – für den schulischen Erfolg ihrer Kinder eine besonders große Rolle.
Während also der familiäre Einfluss mit Blick auf die verfügbaren Ressourcen und das Entscheidungsverhalten der Eltern ein bedeutender Faktor in Bezug auf ungleiche Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen ist, liegt jedoch gerade im Alltag, im konkreten schulbezogenen Verhalten von Eltern auch eine Chance, um Bildungsungleichheiten zu verringern. Wie sich Eltern in die schulischen Belange ihrer Kinder aktiv einbringen können, welche sozialen Ungleichheiten sich dabei zeigen und inwiefern auf dieser Ebene Bildungsungleichheiten vermindert werden können, darum geht es in den nächsten beiden Abschnitten.
Wie können Eltern im Alltag den schulischen Erfolg ihrer Kinder beeinflussen?
Mit Blick auf den schulischen Erfolg von Kindern und Jugendlichen sind in der Forschung zwei Aspekte besonders wichtig, die als sogenannte "mehrdimensionale Bildungsziele" allgemein im Schulunterricht erreicht werden sollen: Motivation und schulische Leistung. Zum einen also ist wichtig, welche Einstellung Schüler:innen zu einem bestimmten Schulfach haben, ob sie sich dafür interessieren und sich auch aktiv darin einbringen. Zum anderen zeigt sich der schulische Erfolg ganz konkret an den erreichten Kompetenzen und an den Leistungsbewertungen der Kinder und Jugendlichen, etwa in Schulnoten. Wenn sich Eltern in den schulischen Belangen ihrer Kinder mit engagieren, kann dies also sowohl einen Einfluss auf deren Motivation als auch auf ihre Schulleistungen haben.
Wie können sich Eltern am Schulleben ihrer Kinder beteiligen? Dafür gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten: Sie besuchen Elternabende und Schulveranstaltungen, unterstützen bei den Hausaufgaben, üben gemeinsam mit den Kindern für Klassenarbeiten oder unternehmen mit ihnen außerhalb der Schulzeit Aktivitäten, die auch Unterrichtsthemen aufgreifen, z.B. Naturerkundungen oder Museumsbesuche.
In der Forschung werden drei Formen der schulischen Elternbeteiligung unterschieden (siehe Grafik "Elternbeteiligung" nach Hill und Tyson 2009):
Elterliche Unterstützung zu Hause ("Home-based parental Involvement"), also Verhaltensweisen, die im familiären Umfeld stattfinden, wie etwa die Bereitstellung eines Lernplatzes (ein eigener Schreibtisch) oder gemeinsames Lesen
Elterliche Unterstützung in der Schule ("School-based parental Involvement"), das heißt Aktivitäten oder Interaktionen der Eltern direkt in der Schule, wie etwa die Teilnahme an oder Mitgestaltung von Schulveranstaltungen, oder die Beteiligung in der Elternvertretung
Bildungsbezogene Kommunikation und Sozialisierung ("Academic Socialisation"), sprich alle Verhaltensweisen, mit denen Eltern Bildung und bildungsbezogene Inhalte thematisieren, etwa wenn Eltern konkrete Bildungserwartungen mit ihren Kindern besprechen
Ausmaß und Art der Elternbeteiligung hängen dabei stark davon ab, wie umfangreich Kinder in den Schulen betreut werden. Bieten Schulen etwa ein leicht zugängliches Nachmittagsprogramm für alle Schüler:innen an, liegt die Verantwortung für die Freizeitaktivitäten weniger bei den Eltern. In anderen Ländern – wie beispielsweise den USA – haben Ganztagsschulen eine längere Tradition als im deutschen Bildungssystem. Zwar ist das Angebot an Ganztagsschulen generell in Deutschland in den letzten Jahren gewachsen, doch liegt die Organisation von Nachmittagsaktivitäten immer noch meist bei den Eltern. Gerade Ganztagsschulen könnten dabei durch kostenfreie und für alle leicht zugängliche Angebote etwaige familiäre Benachteiligungen ausgleichen.
Wie wirkt sich die Elternbeteiligung jedoch konkret auf den schulischen Erfolg von Kindern, insbesondere die Motivation und Leistung von Schüler:innen aus? Diese Frage haben wir mithilfe einer eigenen Forschungssynthese untersucht (siehe Infobox).
Forschungssynthesen über die Effekte von Elternbeteiligung an Schulen
Dass Elternbeteiligung im Allgemeinen sowohl die Leistung als auch die Motivation von Kindern fördern kann, darauf deuten bereits diverse Forschungsbefunde und theoretische Modelle aus der internationalen Bildungsforschung hin (Dearing et al., 2006; Kloosterman et al., 2011; Myrberg & Rosen, 2009; Varghese & Wachen, 2016; Walper & Grgic, 2013). Elternbeteiligung scheint also ein wichtiger Faktor zu sein, was den schulischen Erfolg von Kindern und Jugendlichen angeht.
Zu den Auswirkungen der verschiedenen Formen von Elternbeteiligung gibt es ebenfalls bereits einen umfassenden Forschungsstand. Gerade in den letzten Jahren nahm die Anzahl an Einzelstudien – sogenannten Primärstudien –, aber auch von Überblicksarbeiten – sogenannten Forschungssynthesen – zu. Diese Forschungssynthesen haben wir wiederum in einer Forschungssynthese systematisch ausgewertet. So ist es möglich, auf eine sehr große Datenbasis zurückzugreifen, einen Überblick zu gewinnen sowie vermeintlich widersprüchliche Ergebnisse zu diskutieren. Da wir auf die Daten aus sehr vielen und zudem internationalen Studien zurückgreifen, können wir klare und eindeutige Aussagen dazu treffen, welche Arten der Elternbeteiligung sich auszahlen.
Aus unserer Studie geht eindeutig hervor: Grundsätzlich wirkt sich jede Art von Elternbeteiligung an den schulischen Belangen von Kindern und Jugendlichen positiv auf deren Schulerfolg aus (mit Einschränkung bei der Hausaufgabenkontrolle, siehe Infobox weiter unten). Im Großen und Ganzen profitieren davon alle Schüler:innen, und zwar unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, ihrem Alter oder anderen Faktoren. Das Engagement der Eltern kann sowohl die Leistungen als auch die Motivation von Kindern und Jugendlichen fördern. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass der Zusammenhang auch umgekehrt sein kann: dass sich Eltern von erfolgreichen Schüler:innen mehr in schulische Belange einbringen. Die Ergebnisse für die einzelnen Bereiche der Elternbeteiligung:
Elternbeteiligung, die an der Schule stattfindet, hat durchweg positive Effekte. Besonders vielversprechend, um die Leistungen von Schüler:innen zu steigern, scheinen vor allem ehrenamtliche sowie mitbestimmende Tätigkeiten zu sein, beispielsweise die Mitgliedschaft von Eltern in schulischen Entscheidungsgremien. Zudem sind Schüler:innen, deren Eltern sich an schulischen Aktivitäten wie Klassen- oder Schulveranstaltungen beteiligen, motivierter in schulischen Belangen. Erstaunlich wenig Einfluss auf die Schulleistungen hat dagegen die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrkräften. Womöglich verändern sich damit eher die Erwartungen der Lehrkräfte an ihre Schüler:innen, sodass nicht unmittelbar ein Zusammenhang mit der Schulleistung messbar ist.
Bei der Elternbeteiligung zuhause ist die Art der Unterstützung entscheidend. Eltern können damit vor allem die Motivation ihrer Kinder stärken. Für die Schulleistungen erweist es sich als besonders wirksam, wenn Eltern einen angemessenen Lernplatz und eine lernförderliche Umgebung zuhause bereitstellen. Hingegen ist insbesondere die Hausaufgabenbetreuung durch die Eltern nicht per se förderlich für die Schulleistung ihrer Kinder. Denn dabei kommt es ganz auf die Art und Weise an. Eine reine Kontrolle von Hausaufgaben durch die Eltern kann sogar einen negativen Einfluss auf die Schulleistungen haben (siehe Infobox).
Wie können Eltern ihre Kinder wirkungsvoll bei Hausaufgaben unterstützen?
Hilfreiche Unterstützung bei den Hausaufgaben:
Regeln festlegen, in welchem Zeitrahmen und an welchem Ort die Hausaufgaben zu erledigt werden
Klare Erwartungen zur Anfertigung der Hausaufgaben kommunizieren
Loben, wenn die Kinder oder Jugendlichen ihre Hausaufgaben gut angehen, um erwünschtes Verhalten zu verstärken, das zu selbstreguliertem Lernen führt
Feedback über die Genauigkeit bei der Bearbeitung ihrer Aufgaben geben
Hilfestellungen und Anleitungen zum Vorgehen anbieten
Ermutigen, eigene Lösungswege und Ideen zu entwickeln
Verhaltensweisen, die sich negativ auswirken können
Die Anfertigung der Hausaufgaben nur überwachen
Die Hausaufgaben ausschließlich im Nachhinein kontrollieren
Die größten Effekte hat jedoch die bildungsbezogene Kommunikation zwischen Eltern und ihren Kindern. Besonders wichtig für die Leistungen von Schüler:innen ist die möglichst differenzierte und konkrete Kommunikation der Eltern mit ihren Kindern über realistische Bildungserwartungen. Denn diese können vor allem das Selbstkonzept der Kinder und deren eigene Bildungserwartungen positiv beeinflussen und so zu besseren Schulleistungen führen.
Es hängt jedoch auch vom Alter der Kinder und dem sozioökonomischen Status der Familie ab, welche Arten der Elternbeteiligung für Schüler:innen besonders hilfreich sind. Bei Jugendlichen gewinnen aus einem wachsenden Bedürfnis nach Eigenständigkeit vor allem gemeinsame Gespräche über Bildungsziele und Berufspläne an Bedeutung. Die elterliche Betreuung bei der Erledigung von Hausaufgaben scheint dagegen vor allem bei jüngeren Kindern zu positiven Effekten zu führen, während sie sich mit zunehmendem Alter der Kinder eher negativ auswirkt. Gründe dafür können sein, dass Eltern bei älteren Kindern erst eingreifen, wenn ihre Leistungen bereits schlecht sind, Druck erzeugen oder durch abweichende Erklärungen im Schulstoff sogar Verwirrung stiften.
Zudem unterscheiden sich Art und Ausmaß der Elternbeteiligung nach sozialem Status: Eltern mit hohem sozioökonomischem Status bringen sich stärker und anders in schulische Belange ein als Eltern mit niedrigem sozioökonomischem Status. Auch wirkt sich schulische Elternbeteiligung je nach sozialem Status unterschiedlich aus: Vor allem Schüler:innen aus privilegierten Familien profitieren zunächst stärker davon. Dabei spielt es eine geringe Rolle, dass die Eltern womöglich aufgrund ihres Bildungsgrades die besseren "Nachhilfekräfte" sind. Vielmehr können sie für ihre Kinder einfacher eine lernfreundlichere Umgebung schaffen, weil sie über mehr finanzielle Mittel, Raum oder Zeit verfügen. Auch sind sie in der Regel besser mit bestimmten Codes und Umgangsformen vertraut und ihnen fällt die Kommunikation mit den Lehrkräften leichter.
Während vielen Eltern die Beteiligung am Schulleben ihrer Kinder selbstverständlich erscheint, sind Eltern mit niedrigem sozioökonomischem Status in der Regel schwerer durch Schulen und Lehrkräfte zu erreichen und engagieren sich weniger stark an schulischen Prozessen. Nicht zuletzt mangelt es Familien teils an finanziellen oder zeitlichen Ressourcen, um sich an Schulveranstaltungen oder Elterngremien zu beteiligen. Auch der jeweilige Migrationshintergrund der Familie kann ein Einflussfaktor sein, da hier größere Hürden zu erwarten sind. Denn oftmals dringen schulische Informationen – z.B. aufgrund von Sprachbarrieren – gar nicht oder nicht adressatengerecht zu den Familien durch. Auch können Diskriminierungserfahrungen der Eltern bei der Kontaktaufnahme mit Schulen, Lehrkräften und anderen Eltern abschrecken. Dazu kommt bisweilen, dass sich aufgrund bestimmter kultureller Werte und Regeln, gerade Eltern mit Migrationshintergrund gar nicht als pädagogisch relevantes Umfeld ihrer Kinder wahrnehmen. Und manchmal ist auch schlicht das deutsche Schulsystem den Eltern weniger bekannt oder ihnen fehlen selbst die jeweiligen Fachkenntnisse, um ihr Kind wirksam zu unterstützen.
Kinder aus benachteiligten Familien, die im Durchschnitt ohnehin bereits in Bezug auf ihre schulischen Leistungen hinter anderen Kindern zurückliegen, erfahren so eine doppelte Benachteiligung, weil ihnen die elterliche Beteiligung und Unterstützung in ihren schulischen Belangen fehlt.
Dennoch ist ein zentraler Befund unserer Forschungssynthese: Alle Kinder profitieren – unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status – davon, wenn sich ihre Eltern in schulischen Belangen engagieren. Mit diesem Wissen lassen sich durchaus Nachteile ausgleichen, die mit einem niedrigen sozioökonomischen Status oder einem niedrigen Bildungsniveau innerhalb der Familie einhergehen. Denn im Gegensatz zum Bildungsgrad und Beruf, den Sprachkenntnissen oder finanziellem Einkommen der Eltern, können Lehrkräfte und Schulen das Interesse und die unterstützende Beteiligung der Eltern am Schulleben ihrer Kinder direkt adressieren und so mindestens einen Teil dazu beitragen, Bildungsungleichheit auf unmittelbarem Weg im Alltag abzubauen. Was aber braucht es dafür?
Wie kann Elternbeteiligung helfen Bildungsungleichheiten abzubauen?
Wenn es um das Eindämmen von Bildungsungleichheit geht, müssen wir grundsätzlich fragen: Wo wollen wir den Hebel ansetzen? Gerade in Deutschland liegt die große Verantwortung in Sachen Bildung bei den Familien. Das macht den sozioökonomischen Status einer Familie zum bestimmenden Moment, auch für den Bildungsweg der Kinder. Die in Deutschland traditionell verfestigte Haltung, dass sich Schule und Familie die Erziehungsverantwortung teilen, zeigt sich auch darin, wie wir Schule denken. So sind Ganztagsschulen in Deutschland noch immer nicht die Regel. Dabei könnten sie bildungspolitisch zum Abbau von Bildungsungleichheit beitragen. Zwar findet diesbezüglich in Deutschland durchaus ein Mentalitätswechsel statt, vor allem da in den Familien mehr und mehr beide Elternteile in Vollzeit arbeiten. Doch gestaltet sich der Umbau des Bildungssystems dahingehend sehr langwierig, denn er kostet sehr viel Geld und erfordert neue Konzepte: Schulen müssen über ausreichendes und gut qualifiziertes Personal und angemessene Räumlichkeiten verfügen sowie schlicht auch eine Verpflegung für ihre Schüler:innen anbieten. Darauf sind viele Schulen in Deutschland noch nicht ausgerichtet.
Die Förderung von Elternbeteiligung hingegen ist im Vergleich zu anderen bildungspolitischen Ansätzen bereits innerhalb des aktuellen Rahmens umsetzbar. Sie setzt aber auch auf mehr Engagement und Eigenverantwortung aller Beteiligten. Denn damit sie zur Verringerung von Bildungsungleichheit beiträgt, müssen Schulen vor allem sozial benachteiligte Familien besser erreichen und in das Schulleben integrieren. Das ist nicht einfach. Denn für diese Familien ist die Hürde, sich mit den schulischen Belangen ihrer Kinder zu beschäftigen, ungleich höher als bei gut gestellten Familien. Schulen und Lehrkräfte können Eltern helfen, diese Hürden zu überwinden (siehe Infobox).
Was können Schulen und Lehrkräfte tun?
Für Lehrkräfte und Schulen ist es wichtig zu verstehen: Geringes "sichtbares" Engagement von Eltern ist keinesfalls mit mangelnder Bereitschaft gleichzusetzen. Wenn Lehrkräfte und Schulen alle Eltern gleichermaßen einbeziehen wollen, sollten sie daher Verständnis zeigen und insbesondere auf die Eltern benachteiligter Kinder zugehen. Bisweilen kann ein informelles Gespräch am Schultor zwischen Lehrkraft und Eltern das Eis brechen. Auch Sprachbarrieren lassen sich mit Hilfe von Mediator:innen überwinden. Gezielte Schulungen von Lehrkräften zum Umgang mit sozial benachteiligten Eltern und mit Interkulturalität können Vorurteile abbauen sowie die Kommunikation erleichtern. Beratungsangebote für Eltern und ein guter Informationsfluss zwischen Eltern und Schulen sowie Lehrkräften sind hier entscheidend: Welche Möglichkeiten haben Eltern, um sich zu beteiligen? Wie können Eltern auch zuhause ihre Kinder sinnvoll unterstützen? Besonders deutlich zeigt die Forschung auch die positiven Auswirkungen der elterlichen Bildungserwartungen. So können Eltern und Lehrkräfte gemeinsam realistische Erwartungen hinsichtlich des schulischen Werdegangs oder der beruflichen Zukunft der Schüler*innen entwickeln. Werden diese an die Kinder kommuniziert, kann dies sowohl deren Motivation als auch deren Leistung fördern.
Insbesondere folgende Aspekte in der Zusammenarbeit mit Eltern benachteiligter Kinder erwiesen sich dabei als wichtig und gewinnbringend:
Sprachförderung und Wertschätzung von Mehrsprachigkeit
Einsatz von Vermittlungspersonen wie Elternbegleiter:innen oder Sprachmittler:innen
Kostenfreiheit
Integration in den schulischen Rahmen (Unterstützung durch Schulleitung)
Einbeziehen pädagogischer Fachkräfte
Fortbildung des pädagogischen Personals
Aufsuchende Elternangebote
Anlassunabhängige Zusammenarbeit
Zwar kann Elternbeteiligung allein Bildungsungleichheit nicht aufheben, doch sie kann ein direktes Mittel sein, um etwas zu deren Abbau beizutragen. Das zeigt die Forschung. Die konkrete Gestaltung von Maßnahmen hängt dabei natürlich mit den lokalen Bedingungen jeder einzelnen Schule zusammen: Wie sind Schüler:innenschaft und Lehrkräftekollegium zusammengesetzt? Welche finanziellen Mittel stehen zur Verfügung? Individuelle Projekte – die sowohl Faktoren wie den Migrationshintergrund, die Sprache sowie zeitliche und finanzielle Mittel der Eltern an den verschiedenen Schulen als auch die individuellen Bedürfnisse der Kinder berücksichtigen – erscheinen hier wahrscheinlich zielführender als ein flächendeckender Top-Down-Ansatz von Seiten der Bildungspolitik mit gleichen Maßnahmen für alle (siehe Infobox).
Seitens der Schulen und vor allem der Lehrkräfte braucht die Förderung von Elternbeteiligung Zeit und besonderes Engagement – zumal, was die Einbeziehung von Eltern benachteiligter Schüler:innen anbelangt. Will die Politik also elterliche Beteiligung gezielt und vor allem auch langfristig fördern, muss sie in die personellen Ressourcen der Schulen investieren, indem sie geschultes Personal aufstockt und Lehrkräfte in der Elternarbeit weiterbildet. Das kann dabei helfen, allen Eltern die Möglichkeit zu geben, sich in den schulischen Belangen ihrer Kinder zu engagieren. Daneben könnten die Universitäten künftige Lehrkräfte bereits in der Ausbildung für das Thema sensibilisieren.
Beispiele für Initiativen zur Förderung von Elternbeteiligung
Eine systematische bundesländerübergreifende Förderung von Elternbeteiligung gestaltet sich zwar auch aufgrund der föderalen Struktur des Bildungssystems eher schwierig. Viele Projekte und Initiativen erhalten aber durchaus Unterstützung und Förderung aus der öffentlichen Hand.
Einige staatlich geförderte Projekte und Initiativen beschäftigen sich gezielt damit, gerade Eltern von benachteiligten Kindern einzubeziehen. Zu nennen ist hier beispielsweise die vom Landesinstitut Hamburg geförderte Initiative Family Literacy (FLY), die einen integrativen Ansatz zur aktiven Elternmitarbeit im Rahmen der Sprachbildung verfolgt. In Baden-Württemberg bildet die Elternstiftung Baden-Württemberg außerdem Elternmentor:innen aus, an die Eltern mit Migrationshintergrund in den verschiedenen Kommunen sich wenden können. Die Stiftung erhält staatliche Unterstützung und Förderung auf Landesebene. Auch in NRW beschäftigt sich das staatlich initiierte und geförderte FuN-Programm mit der Teilhabe von Eltern benachteiligter Kinder.
Herauszuheben sind des Weiteren die Projekte Stadtteilmütter und Rucksack Schule. Sie zeigen insbesondere, wie wichtig neben der Finanzierung ehrenamtliches Engagement für den Erfolg von Programmen zur Förderung von Elternbeteiligung ist. Beide Projekte setzen vor allem auf Sprachförderung und Teilhabe von Familien mit Migrationshintergrund.
Entstanden 2004 im Berliner Kiez Neukölln beraten inzwischen bundesweit Stadteilmütter (und -väter) mit eigenem Migrationshintergrund andere Familien auf verschiedenen Sprachen im Rahmen eines Peer-to-Peer-Ansatzes zu Erziehungsfragen, Kindergesundheit und vielen anderen Themen rund um die Familie und das Familienleben. Mit sogenannter aufsuchender Elternarbeit können die ehrenamtlich Engagierten dabei auch Eltern erreichen, die wenig zeitliche oder finanzielle Ressourcen haben.
Rucksack Schule, das inzwischen auf eine 20-jährige Erfolgsgeschichte zurückblicken kann, bildet gezielt Elternmentor:innen aus, die Eltern in ihrer Herkunftssprache ansprechen, Materialien zur Verfügung stellen und zum Austausch mit anderen Eltern gleicher Herkunft in Gruppen einladen. Eine Evaluationsstudie von 2019 deutet auf positive Effekte für die Lese- und Sprachkompetenz der Kinder hin.
Fazit
Nicht zuletzt die Corona-Krise hat gezeigt, wie eng das familiäre Umfeld von Schüler:innen mit deren Bildungschancen verknüpft ist. Armut oder Sprachbarrieren in der Familie – solche Probleme gewannen im Distanzunterricht noch stärker an Gewicht. Beim Abbau von Bildungsungleichheit kann Elternbeteiligung im schulischen Kontext also nur ein Teil der Lösung sein. Insgesamt stellt sich in Bezug auf Elternbeteiligung nämlich auch die Frage: Wieviel Verantwortung soll überhaupt bei den Eltern, wie viel bei den Schulen und Lehrkräften und damit auch bei der Politik liegen? Ist beispielsweise die Entscheidung darüber, ob ein:e Schüler:in eine Klasse wiederholt besser in den Händen der Eltern aufgehoben? Schließlich sind Lehrkräfte und Schulen Expert:innen für die Diagnose von Lernständen und die Förderung von Schüler:innen. Und muss nicht der Staat von sich aus dafür sorgen, gleiche Bildungschancen unabhängig vom Elternhaus zu schaffen? Auch Ganztagsschulen könnten hier auf lange Sicht ein wichtiger Faktor sein, weil sie die Verantwortung für schulische Unterstützung nicht mehr vor allem den Elternhäusern überlassen.
Gleichsam werden die Grenzen von Elternbeteiligung gerade dort offenbar, wo Eltern aufgrund eigener schwerwiegender Probleme keine Möglichkeit haben, sich überhaupt in irgendeiner Form am Schulleben der Kinder zu beteiligen. Auch hierfür braucht es Lösungen, die außerhalb der bloßen Förderung von Elternbeteiligung liegen müssen.
Nichtsdestotrotz liegt der Vorteil von Elternbeteiligung im schulischen Kontext eben gerade darin, auch ohne systemische Umwälzungen und mit vergleichsweise geringem Mehraufwand sowie schnell vor Ort umsetzbar zu sein, um innerhalb des bestehenden Schulsystems die Chancengleichheit in Bezug auf Bildung zu verbessern. Schulen und Lehrkräfte, aber auch die Eltern selbst haben hier die Möglichkeit, aktiv zu gestalten. Um Bildungsungleichheit abzubauen, können sie durch verschiedene Maßnahmen gezielt auf Eltern von Schüler:innen aus benachteiligten Familien zugehen und Hürden abbauen. Wichtig ist: Elternbeteiligung ist nie nur Sache der Eltern, sondern der gesamten Schule. Sie kann die Weichen stellen, damit sich Eltern unterschiedlicher sozialer Herkunft für ihre Kinder engagieren können.
Prof. Dr. Doris Holzberger, geb. 1985 in Nürnberg, ist Inhaberin der Professur für Schul- und Unterrichtsforschung an der TU München und Leiterin der Arbeitsgruppe Forschungssynthesen am ZIB, dem Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien. Sie erforscht u. a. die Motivation von Lehrkräften, deren Unterrichtsqualität und schulische Rahmenbedingungen ebenso wie die Zusammenarbeit von Lehrkräften. Gemeinsam mit ihrem Team veröffentlicht sie regelmäßig praxisorientierte Themenhefte zu relevanten Themen aus dem Bildungsbereich, darunter „Elternbeteiligung im schulischen Kontext. Potenzial zur Förderung des schulischen Erfolgs von Schülerinnen und Schülern“ (Waxmann, 2021) und „Geschlechterunterschiede im Bildungskontext. Von wissenschaftlichen Studien zu Impulsen für die Unterrichtspraxis“ (Waxmann, 2022).
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