Das Problem
Lehrerinnen und Lehrer sollen im Unterricht keine Politik machen, sondern sich parteipolitisch neutral verhalten. Gleichzeitig sollen sie jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten, die im Grundgesetz verankert ist. Wie Schülerinnen und Schüler können sich auch Lehrerinnen und Lehrer auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen. Wenn Schülerinnen und Schüler sich in der Schule politisch äußern, können Lehrerinnen und Schüler gefordert sein pädagogisch zu reagieren. Welchen Rahmen gibt die Rechtsordnung insoweit vor?
Der rechtliche Rahmen
1. Das Beamtenrecht
Das Beamtenrecht verpflichtet Lehrerinnen und Lehrer, ihre Aufgaben unparteiisch zu erfüllen und sich durch ihr ganzes Verhalten zu der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten. Betätigen sich Lehrerinnen und Lehrer politisch, müssen sie die Mäßigung und Zurückhaltung wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt (§ 33 Beamtenstatusgesetz).
Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule weder im Unterricht noch außerhalb des Unterrichts Parteipolitik betreiben. Sie sind zur Verfassungstreue verpflichtet, müssen sich also aktiv für die Verfassung und deren Werte einsetzen. Die Pflicht erstreckt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf die gesamte geltende Verfassungsordnung, auch soweit Bestimmungen des Grundgesetzes im Wege der Verfassungsänderung umgestaltet werden können. Eine bloß verbale Bejahung der grundgesetzlichen Wertordnung reicht nicht aus. Vielmehr muss das Lehreramt aus dem Geist der Verfassung heraus geführt werden. Für angestellte Lehrerinnen und Lehrer gilt im Wesentlichen das Gleiche.
2. Das Schulrecht
In die gleiche Richtung zielt das Schulrecht, das sich zwar im Wortlaut in den einzelnen Ländern unterscheidet, im Kern jedoch in allen Ländern gleich ist. Die folgende Darstellung orientiert sich am Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (SchulG NW). Die Ergebnisse sind jedoch auf andere Länder übertragbar.
Der Schulunterricht und die schulische Erziehung erfolgen auf der Grundlage des Grundgesetzes und der Landesverfassung, insbesondere ihrer Bildungs- und Erziehungsziele. Bildungs- und Erziehungsziele sind die Achtung vor der Würde des Menschen und die Bereitschaft zum sozialen Handeln. Die Erziehung soll im Geiste der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, aber auch in Liebe zu Volk und Heimat sowie zur Völkergemeinschaft und Friedensgesinnung erfolgen und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen hinführen (Art. 7 Landesverfassung Nordrhein-Westfalen). Schülerinnen und Schüler sollen befähigt werden, am politischen Leben teilzunehmen. Sie sollen lernen, die eigene Meinung zu vertreten und die Meinung anderer zu achten, Menschen unterschiedlicher Herkunft vorurteilsfrei zu begegnen, für ein diskriminierungsfreies Zusammenleben und für die Demokratie einzustehen sowie die grundlegenden Normen der Verfassung zu verstehen.
Die Schule wahrt Offenheit und Toleranz. Sie respektiert im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unterschiedliche Auffassungen. Schülerinnen und Schüler dürfen nicht einseitig beeinflusst werden. Lehrer_innen dürfen in der Schule keine politischen Bekundungen abgeben, welche die Neutralität des Landes gegenüber Schüler_innen sowie Eltern oder den politischen Schulfrieden gefährden oder stören. Unzulässig ist ein Verhalten, das den Eindruck hervorruft, dass Lehrerinnen und Lehrer gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftreten (§ 2 SchulG NW).
3. Die Grundrechte
Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler können sich auch in der Schule auf ihre Grundrechte berufen. Das gilt insbesondere für das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Das Beamtenrecht und das Schulrecht schränken die grundrechtliche Meinungsfreiheit aber zulässig ein. Bei dieser Einschränkung ist allerdings die hohe Bedeutung der Meinungsfreiheit zu beachten. Die Einschränkungen müssen strikt verhältnismäßig sein. Das heißt insbesondere, dass sie Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler zumutbar sein müssen.
4. Ein Zwischenergebnis
Lehrerinnen und Lehrer können sich ebenso wie Schülerinnen und Schüler auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen. Der Grundrechtsgebrauch wird allerdings durch das Amtsrecht und das Schulrecht eingeschränkt. Beamtenrechtlich sind Lehrerinnen und Lehrer verpflichtet, ihre Aufgaben unparteiisch zu erfüllen, sich durch ihr ganzes Verhalten zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für den Erhalt dieser Grundordnung einzutreten. Das Schulrecht verpflichtet Lehrerinnen und Lehrer sowie ihre Schülerinnen und Schüler im Geiste der Verfassung zu bilden und zu erziehen. Insoweit wird die Meinungsfreiheit der Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler eingeschränkt.
Die Folgerungen
1. Situation mit Lehrerin bzw. Lehrer im Unterricht zum Thema EU und ihre Außengrenzen
Eine Schülerin sagt "im Spaß": "Deutschland ist eigentlich viel größer als auf der Karte, die Grenzen von vor 1945 gehören doch auch dazu."
Die Lehrerin bzw. der Lehrer muss die Schülerin darauf hinweisen, dass nach der Präambel des Grundgesetzes mit der Wiedervereinigung die Einheit Deutschlands vollendet ist. Gebiete außerhalb des Staatsgebiets der Bundesrepublik Deutschland gehören folglich nicht zu Deutschland im Sinne der Verfassung. Mit einem solchen Hinweis erfüllt eine Lehrerin, bzw. ein Lehrer die Pflicht, sich für die gesamte geltende Verfassungsordnung einzusetzen.Kurz nach Unterrichtsende zeigt ein Schüler im Klassenzimmer den Hitler-Gruß.
Das Zeigen des Hitlergrußes ist nach § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) strafbar, auch wenn damit nicht ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus zum Ausdruck gebracht werden soll. Die Meinungsfreiheit der Schülerinnen und Schüler ist insoweit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in zulässiger Weise eingeschränkt. Da sich das Zeigen des Hitlergrußes nicht mehr im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hält, sondern als Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates strafbar ist, dürfen Lehrerinnen und Lehrer das Verhalten nicht mehr als bloße unterschiedliche Auffassung respektieren, sondern müssen sich aktiv für die Verfassung und deren Werte einsetzen, wenn das Verhalten in den Räumen der Schule erfolgt, auch wenn der Unterricht bereits beendet ist.
2. Situation mit Lehrerin, bzw. Lehrer im Unterricht, Diskussion zum Thema "Asyl / Migration"
Eine Schülerin fordert: "Deutsche zuerst! Unser Sozialversicherungssystem sollte grundsätzlich Deutsche bevorzugen".
Die Forderung, dass unser Sozialversicherungssystem grundsätzlich Deutsche bevorzugen sollte, hält sich im Rahmen der Meinungsfreiheit. Die Sozialversicherung beruht auf dem Solidaritätsprinzip und macht Versicherungsleistungen von der Beitragszahlung abhängig. Ausländer und Geflüchtete haben deshalb nicht automatisch Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen. Lehrerinnen und Lehrer sollten allerdings darauf hinweisen, dass die Menschenwürdegarantie der Verfassung jedem das Existenzminimum gewährleistet. Das gebietet die Achtung vor der Würde des Menschen.Ein Schüler behauptet: "Ausländer sind zu faul zum Arbeiten und wollen uns nur unser Geld aus der Tasche ziehen".
Die Schülerinnen und Schüler sollen lernen, Menschen unterschiedlicher Herkunft vorurteilsfrei zu begegnen. Lehrerinnen und Lehrer sind deshalb auf eine solche ausländerfeindliche Äußerung hin, die nicht mehr von der Meinungsfreiheit in der Schule gedeckt ist, zum Handeln verpflichtet. Sie müssen den Schülerinnen und Schülern vermitteln, dass auch Ausländer einen Anspruch auf Achtung wie Deutsche haben und dass die freiheitliche Ordnung der Verfassung keine ehrverletzenden Äußerungen deckt.Eine Schülerin schließt von einer ihr bekannten Person auf alle: "Flüchtlinge sind eigentlich reich, das sieht man ja schon an dem Smartphone, das XY besitzt".
Die Äußerung, dass Flüchtlinge eigentlich alle reich seien, wie man am Beispiel einer Person sehe, dürfte noch von der Meinungsfreiheit gedeckt sein, gibt aber für Lehrerinnen und Lehrer Anlass zu einer pädagogischen Reaktion im Sinne des Auftrags der Schule, Menschen unterschiedlicher Herkunft vorurteilsfrei zu begegnen. Es sollte deutlich werden, dass solche Verallgemeinerungen gerade mit Bezug auf Geflüchtete Vorurteile darstellen, die mit der Lebenswirklichkeit nichts zu tun haben.Schülerinnen und Schüler beziehen sich auf einen ihnen bekannten Fall und schließen auf alle: "Ausländer sind alle kriminell, wie der Fall im Asylbewerberheim XY letzte Woche gezeigt hat".
Diese Äußerung steht an der Grenze zur Ehrverletzung und dürfte nur deshalb nicht strafbar sein, weil die beleidigte Personengruppe der Ausländer nicht überschaubar ist. Eine pädagogische Reaktion ist aber unabhängig von der (fehlenden) Strafbarkeit der Äußerung geboten, weil die Schülerinnen und Schüler lernen sollen, Menschen unterschiedlicher Herkunft vorurteilsfrei zu begegnen.
3. Meinungsäußerungen im Unterricht von Lehrerinnen und Lehrern oder Schülerinnen und Schülern
Eine Lehrerin vertritt die Meinung: "Menschen in Not muss man helfen, auch wenn man dabei Gesetze bricht, und deshalb muss man z.B. die Flüchtlinge auf den Schiffen im Mittelmeer vor Malta aufnehmen."
Die Äußerung der Meinung, dass man Menschen in Not helfen muss, auch wenn man dabei Gesetze bricht, ist zwar grundsätzlich von der Meinungsfreiheit der Lehrerinnen und Lehrer umfasst. Die Meinungsfreiheit der Lehrerinnen und Lehrer findet aber dort ihre Grenze, wo ziviler Ungehorsam durch ein gesetzwidriges Verhalten befürwortet wird. Eine solche Befürwortung verletzt das Gebot zur Mäßigung und Zurückhaltung, zumal das Grundgesetz alle Amtsträger verpflichtet, Gesetz und Recht zu beachten. Anderes würde nur gelten, wenn ziviler Ungehorsam als ethisches und rechtliches Problem in Auseinandersetzung mit den Argumenten der Befürworter und Gegner abgehandelt und nicht auf eine plakative Aussage reduziert würde.Ein Schüler trägt einen Button der Partei XY und sagt: "Ich finde die Partei XY toll".
Das Bekenntnis von Schülerinnen und Schülern zu einer politischen Partei ist von ihrer Meinungsfreiheit gedeckt und entspricht dem Auftrag der Schule, Schülerinnen und Schüler zu befähigen, am politischen Leben teilzunehmen. Nur wenn der politische Schulfriede im Einzelfall ernstlich gefährdet wäre, müssten Lehrerinnen und Lehrer pädagogisch reagieren und die Bedeutung der Meinungsfreiheit und der Achtung der Meinung anderer herausarbeiten.Eine Lehrerin sagt: "Ich finde die Partei XY toll".
Lehrerinnen und Lehrer müssen ihre Aufgaben unparteiisch erfüllen und dürfen in der Schule keine politischen Bekundungen abgeben, welche die Neutralität des Landes gefährdet. Insoweit ist ihre Meinungsfreiheit eingeschränkt. Deshalb wäre die Äußerung, eine politische Partei sei toll, eine Verletzung ihrer Dienstpflichten.Eine Schülerin: "Ich finde, die Partei XY sollte verboten werden, weil sie gegen Ausländer wettert und Unsicherheit schürt".
Die Äußerung ist von der Meinungsfreiheit der Schülerinnen und Schüler gedeckt. Lehrerinnen und Lehrer dürfen sie allerdings nicht unkommentiert lassen, sondern müssen derart für die Erhaltung der Verfassung eintreten, dass ein Parteiverbot nicht bereits bei einem Wettern gegen Ausländer zulässig ist, sondern nur wenn die Abschaffung der zentralen Grundprinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung wie die Garantie der Menschenwürde und das Prinzip des demokratischen Rechtsstaats angestrebt werden.Ein Lehrer: "Die Partei XY sollte verboten werden, weil sie gegen den Islam wettert".
Die Äußerung verstößt gegen das beamtenrechtliche Gebot zur politischen Mäßigung und Zurückhaltung. Zudem reicht das Wettern gegen den Islam nicht aus, damit eine politische Partei verboten werden darf.Ein Schüler: "Mehrere Parteien braucht man nicht, eine gut aufgestellte Partei reicht und überhaupt hat die Opposition zu viele Rechte
Auf diese Äußerung hin müssen Lehrerinnen und Lehrern den Schülerinnen und Schülern erläutern, dass eine parlamentarische Demokratie auf dem Mehrparteiensystem und auf der Aufgabenteilung zwischen Regierung und Opposition basiert. Das gebietet ihre Dienstpflicht, für den Erhalt der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einzustehen.
3. Meinungsäußerungen auf dem Schulhof
Eine Schülerin bringt lautstark ihre Vorliebe für eine bestimmte Musikrichtung zum Ausdruck, die sich klar gegen Ausländer oder Geflüchtete bzw. Asylbewerber wendet.
Solche Äußerungen von Schülerinnen und Schülern erfordern eine Reaktion der Lehrerinnen und Lehrern, die Schülerinnen und Schülern befähigen sollen, Menschen unterschiedlicher Herkunft vorurteilsfrei zu begegnen und die Würde aller Menschen zu achten.Eine Lehrkraft hört Beschimpfungen der Schülerinnen oder Schüler untereinander, in denen Begriffe wie "Jude", "schwul" oder "behindert" vorkommen.
Auch insoweit ist eine pädagogische Reaktion der Lehrerinnen, bzw. Lehrer gegenüber den Schülerinnen, bzw. Schüler aus den unter a. genannten Gründen erforderlich.Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern trägt Jacken, die einer extremen politischen Richtung zuzuordnen sind.
Das Tragen der Jacken ist als Ausdruck der Meinungsfreiheit der Schülerinnen und Schülern hinzunehmen, solange sie nicht für Meinungen stehen, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar sind und/oder den Schulfrieden gefährden. Eine pädagogische Reaktion gegenüber den Schülerinnen oder Schülern zur Bekräftigung der Toleranz und als Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist angezeigt. Entscheidend für die Reaktion der Lehrerinnen und Lehrern ist, ob die Jacken für politische Auffassungen stehen, die zwar extrem, aber noch nicht verfassungsfeindlich sind. Bringt das Tragen der Jacken verfassungsfeindliche Überzeugungen zum Ausdruck, müssen Lehrerinnen oder Lehrer gegenüber den Schülerinnen oder Schülern für die Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung eintreten.
QuellentextZur Info: Der "Beutelsbacher Konsens" in der politischen Bildung
Der "Beutelsbacher Konsens" von 1977 ist nach wie vor Richtschnur politischer Bildungsangebote. Das heißt: Es gelten gleichrangig das "Überwältigungsverbot" (Absage an jedwede Indoktrination), das Kontroversitätsgebot bezüglich der Inhalte in der Bildungsarbeit (was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch beim Lernen kontrovers behandelt werden) sowie das Prinzip der Urteilsbefähigung (die Teilnehmenden verfolgen ein selbständiges Interesse am Bildungsprozess und vertreten ihre Interessen im Lernprozess eigenständig).
Der Beutelsbacher Konsens steht nicht für Beliebigkeit, sondern wurde in dem Geist verfasst, Demokratie stärken zu wollen. Er bedeutet insofern kein politisches "Neutralitätsgebot" in dem Sinne, dass auch demokratiefeindliche Meinungen gleichrangig wären – insbesondere nicht im Umgang mit jungen Menschen. Die Wertgebundenheit sowie die gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen machen ein entschiedenes Eintreten für Demokratie, Menschenrechte und die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland unverzichtbar.
Quelle: Publikation "Lernen für Soziale Demokratie" der Friedrich-Ebert-Stiftung
Dieser Beitrag erschien zuerst als Hintergrundpapier zu "Politische Bildung in der Schule" im Themenportal Bildungspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung. Es kann Externer Link: hier abgerufen werden.