Die Passungsprobleme auf dem Ausbildungsstellenmarkt haben sich 2014 weiter vergrößert. Die Erhebung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge ergab, dass "insgesamt 37.100 der von der Bundesagentur für Arbeit registrierten Ausbildungsstellen bis zum Bilanzierungsstichtag 30. September nicht besetzt werden" konnten, während 81.200 registrierte Ausbildungsstellenbewerber unversorgt waren.
Die Vertragslösungsquote ist hoch.
Vielfältige Anstöße und transferierbare Ergebnisse zur "Qualitätsentwicklung und -sicherung in der betrieblichen Berufsausbildung" hat der gleichnamige BIBB-Förderschwerpunkt erbracht, der in den Jahren 2010 bis 2014 mit zehn Modellversuchen unter Beteiligung von rund 390 Betrieben durchgeführt wurde.
Qualität durch Dualität
Schon hinter der bildungspolitischen Entscheidung für eine dual strukturierte, auf dem Prinzip der Beruflichkeit basierende Ausbildung stehen dezidierte Qualitätsvorstellungen. Mit seiner starken betrieblichen Säule integriert das duale System Lehren und Lernen in Anwendungszusammenhänge: Handlungskompetenz soll in Handlungskontexten entwickelt werden. Das sichert die Bedarfs- und Realitätsnähe der Lehr-Lernarrangements, wirkt motivierend, weil die Praxisrelevanz des Gelernten unmittelbar erfahrbar wird, und bietet Vorteile für Lernende, denen schulische Lernformen Schwierigkeiten bereiten. Gesetzlich fixiertes Ziel ist es, "die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche Handlungsfähigkeit)" zu vermitteln.
Vereinheitlichung und Standardisierung der arbeitsprozessintegrierten Ausbildung wurden im vergangenen Jahrhundert entscheidend durch Initiativen der Wirtschaft vorangetrieben.
Als weiteres qualitätssicherndes Element auf Systemebene ist die Berufsschule zu nennen. Der Berufsschulunterricht im Umfang von mindestens zwölf Wochenstunden soll die betriebliche Ausbildung unterstützen, aber auch "kompensierend" und "ergänzend" wirken. Zu seinen Aufgaben zählen der Ausgleich von Defiziten der Auszubildenden etwa in der Beherrschung ausbildungsrelevanter Kulturtechniken, ihre Weiterentwicklung mit Blick auf berufliche Anwendungszusammenhänge und das "systematische, theoretisch gesteuerte" Lernen, das sich beim Lernen in Handlungssituationen nicht durchgehend sicherstellen lässt. "Kompensation" und "Ergänzung" stehen im Vordergrund, wenn die Berufsschule nicht unmittelbar berufsbezogene allgemeinbildende Inhalte vermittelt und sich um die Stärkung von staatsbürgerlicher Verantwortung, extrafunktionalen Kompetenzen und Berufsidentität bemüht.
Qualitätssicherung im dualen System
Die beschriebenen systemischen Entscheidungen machen Ausbildungsqualität aber noch nicht zum Selbstläufer, bedeutet die große Stärke des Lernens im Arbeitsprozess doch zugleich eine beträchtliche Herausforderung für alle Akteure.
Dabei sind Organisation und Gestaltung des Lernens im Arbeitsprozess anspruchsvolle Aufgaben. Längst hat die konzeptionelle Entwicklung handlungsorientierter Ansätze vom einfachen Schematismus der sogenannten Beistelllehre mit den Phasen "Vormachen" und "Nachmachen" über die Vier-Stufen-Methode ("Vorbereiten – Vormachen/Erklären – Nachmachen und erklären lassen – Selbstständig anwenden") zum Konzept der vollständigen Handlung ("Informieren – Planen – Entscheiden – Ausführen – Kontrollieren – Auswerten") geführt. Findet Lernen im Arbeitsprozess weitgehend selbstständig oder gar projektförmig statt, haben Ausbildende die Rolle von Moderatoren und Lernbegleitern zu übernehmen.
Der Gesetzgeber sieht sich vor der Aufgabe, die betriebliche Ausbildung in einer Weise zu regeln, die das öffentliche Interesse, das sich auf sie richtet, angemessen zur Geltung bringt, ohne die betriebliche Ausbildungsbereitschaft zu untergraben,
Für den Fall, dass Betriebe den Anforderungen, die eine Ausbildung an sie stellt, mit den vorhandenen Ressourcen nicht entsprechen können, wurden Unterstützungsmöglichkeiten geschaffen. Dazu gehören überbetriebliche Ausbildungszentren, die als "dritter Lernort" Ausbildungselemente übernehmen, die beispielsweise kleinere Unternehmen nicht abzudecken vermögen,
Ausbildungsbegleitende Hilfen können von förderungsbedürftigen jungen Menschen gemäß §75 Sozialgesetzbuch III wahrgenommen werden. Es handelt sich um Maßnahmen "1. zum Abbau von Sprach- und Bildungsdefiziten, 2. zur Förderung fachpraktischer und fachtheoretischer Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten und 3. zur sozialpädagogischen Begleitung". Sie übernehmen kompensatorische Funktionen, die die Betriebe und Berufsschule überfordern würden, jedoch für den Ausbildungserfolg erforderlich sind.
Als aktuelle Initiative ist das (bislang in Projekten erprobte) Modell der Assistierten Ausbildung zu nennen, das die Förderung einer individualisierten Betreuung von Ausbildung durch Bildungsdienstleister gemäß den Problemlagen von Auszubildenden und Betrieben vorsieht. Es soll vom Ausbildungsjahr 2015/2016 an zunächst befristet bis 2018 umgesetzt werden, um mehr benachteiligten jungen Menschen einen Berufsabschluss zu ermöglichen.
Da die betriebsnahe Ausbildung auf Lösungskonzepte für neue Problemlagen und berufspädagogische Innovationen angewiesen ist, diese aber unter dem Handlungsdruck der betrieblichen Praxis kaum beziehungsweise nur unter Sonderbedingungen entwickelt werden können, wurden als Qualitätsentwicklungsinstrumente im deutschen dualen System auch Modellversuche vorgesehen. Ihre Förderung ist – "einschließlich wissenschaftlicher Begleituntersuchungen" – gemäß §90 (3) BBiG ebenfalls Aufgabe des BIBB.
Last, not least ergreifen die Betriebe selbst Maßnahmen zur Qualitätssicherung in der Ausbildung. Sie nutzen unter anderem Selbsteinschätzungen der Auszubildenden, Checklisten zur Kontrolle vermittelter Ausbildungsinhalte, Einführungsprogramme für neue Auszubildende, Leitlinien für die Unterweisung von Auszubildenden oder regelmäßige Ausbilderrunden. Einige dieser Instrumente finden einer BIBB-Befragung zufolge in deutlich über der Hälfte der Betriebe Anwendung.
Ergebnisse der Modellversuche
Initiativen zur Förderung der Qualitätsentwicklung in der Berufsbildung müssen in Rechnung stellen, dass das Interesse an einer "guten Ausbildung" im dualen System an die Interessen der Unternehmen rückgekoppelt ist. Entsprechend haben sie an den Bedarfs- und Motivationslagen der betrieblichen Akteure anzusetzen. Dies bildete sich auch im Programmdesign des BIBB-Förderschwerpunkts "Qualität" ab. Eine Vorstudie
Das Modellversuchsprogramm "Qualitätsentwicklung und -sicherung in der betrieblichen Berufsausbildung" wurde gefördert vom BMBF, fachlich betreut vom BIBB und wissenschaftlich begleitet durch das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) und das Institut für Berufspädagogik und Allgemeine Pädagogik des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).
Im Folgenden werden einige Ergebnisse von strategischer Bedeutung dargestellt.
Qualitätsleitbilder entwickeln:
Ausbildungsqualität entwickelt sich in einem kommunikativen Prozess aller Beteiligten – der Auszubildenden, der Ausbildenden und der Führungsebenen. Für Unternehmen, die ihre Ausbildungsqualität steigern wollen, kann es hilfreich sein, diesen Prozess bewusst zu gestalten und Qualitätsleitbilder kooperativ zu entwickeln. Unterschiedliche Perspektiven können so abgeglichen oder zumindest transparent gemacht werden. Ein stabiles Commitment wird gefördert.
Instrumente gezielt einsetzen:
Eine pragmatische Qualitätsentwicklung wird darauf abzielen, die vorhandenen, vom Gesetzgeber durch das BBiG verbindlich gemachten Instrumente auf nicht defensive, produktive Weise zu nutzen. Die Erstellung des Ausbildungsplans durch den Betrieb und der Ausbildungsnachweise (oft "Berichtshefte" genannt) durch die Auszubildenden wird dann nicht als bloßer Formalismus verstanden, sondern gezielt eingesetzt, um Planung und Reflexion der Ausbildungsprozesse zu unterstützen. Ein "Ganzheitlicher Ausbildungsnachweis", der zur Grundlage von Feedbackgesprächen wird, hilft Auszubildenden und Ausbildenden, sich über das Erreichte klar zu werden, gegebenenfalls unterschiedliche Sichtweisen abzugleichen und Zielvereinbarungen zu treffen.
Ausbildende (weiter) qualifizieren:
Dies ist erforderlich, um berufspädagogisch Qualifizierte über aktuelle Erfordernisse und neue Ansätze auf dem Stand zu halten, vor allem aber, um ausbildende Fachkräfte ohne eine solche Qualifikation zu unterstützen, in deren Händen ein Großteil der betrieblichen Ausbildung liegt.
Intermediäre Organisationen einbinden:
Auf ihre tragende Funktion in der dualen Berufsbildung wurde bereits hingewiesen. Die Wahrnehmung qualitätssichernder Aufgaben in der Berufsbildung gehört zum gesetzlich fixierten Auftrag von Kammern und Innungen. Darüber hinaus haben alle Sozialpartnerorganisationen ein starkes Eigeninteresse, ihren Mitgliedern attraktive Beratungs- und Unterstützungsangebote zu unterbreiten. So engagieren sich Verbände und Innungen für das Ausbildungsmarketing ihrer Branchen. Arbeitnehmervertretungen identifizieren Schwachstellen in der Ausbildung und ergreifen Initiativen zur Qualitätsverbesserung. Für die Qualitätsentwicklung der betrieblichen Ausbildung kommt einer weiteren Stärkung der Rolle dieser Intermediären besondere Bedeutung zu.
Am Unternehmensinteresse anknüpfen:
Wirtschaftsbereiche, die mit Qualitätsdefiziten in der Ausbildung zu kämpfen haben, können für Qualitätsinitiativen gewonnen werden, wenn den betrieblichen Akteuren deren Funktion für die Rekrutierung von Fachkräftenachwuchs in einer schwierigen demografischen Situation verdeutlicht wird. Für Betriebe in strukturschwachen Regionen und in den von Auszubildenden weniger nachgefragten Branchen kann so die Ausbildungsqualität zum substanziellsten Teil des Ausbildungsmarketings werden.
Aufgaben der Bildungspolitik
Über die Mikroebene der Interaktion zwischen Ausbildenden und Auszubildenden und die Mesoebene des Betriebs und seiner Interaktionen im gesellschaftlichen Umfeld hinaus bleibt Ausbildungsqualität ein Thema, das auch auf der bildungspolitischen Makroebene zu bearbeiten ist.
Eng mit der Frage der betrieblichen Ausbildungsqualität verknüpft ist die Kooperation der "Lernorte", die gemäß §2 (2) des BBiG "bei der Durchführung der Berufsbildung zusammen(wirken)." Dass sich dieses Handlungsfeld nach wie vor "zwischen Potenzial und Realität" bewegt,
Qualitätssicherung und -entwicklung der betrieblichen Ausbildung müssen die Berufsbildungspolitik als Querschnittsaufgaben begleiten. Hierzu können die institutionelle Verankerung des Themas im BIBB
Als bedeutender Qualitätsfaktor ist in den vergangenen Jahren die Anschlussfähigkeit beruflicher Bildung wieder stärker in den Fokus gerückt.
Aus: Interner Link: Aus Politik und Zeitgeschichte 18-19/2015: Qualitätssicherung in der Bildung