Ein Blick auf die Qualität der frühkindlichen Bildung und Erziehung
Nicole KlinkhammerKatharina C. Erhard
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Die positive Wirkung frühpädagogischer Angebote auf die Entwicklung und das Lernen von Kindern hängt maßgeblich von deren Qualität ab. In Deutschland wie Europa schwankt diese jedoch erheblich. Gerade Kinder aus sozial benachteiligten Familien haben dabei seltener Zugang zu qualitativ hochwertigen Angeboten.
Die positive Wirkung frühpädagogischer Angebote ist kein Automatismus. Wie die Forschung zeigt, ist vielmehr die Qualität des frühpädagogischen Angebots entscheidend dafür, welche fördernden Impulse diese auf die Entwicklung und das Lernen von Kindern hat. Aber was genau ist eigentlich unter einer hochwertigen frühkindlichen Bildung und Betreuung zu verstehen? Welche Merkmale sind hier wichtig?
Was bedeutet Qualität in der frühkindlichen Bildung und Betreuung?
In der fachpolitischen und wissenschaftlichen Diskussion wird die Qualität frühpädagogischer Angebote meist entlang von vier Dimensionen gemessen (siehe Infobox): Die Strukturqualität konzentriert sich auf die – im Wesentlichen politisch gesetzten – Rahmenbedingungen der pädagogischen Arbeit, etwa den Personalschlüssel, die Ressourcenausstattung oder die Ausbildung des Personals; die Orientierungsqualität erfasst die Einstellungen und Haltungen des Personals zu wichtigen Fragen der frühkindlichen Erziehung; die Prozessqualität bezieht sich auf die konkrete pädagogische Arbeit, insbesondere die Qualität der Interaktion zwischen dem Personal und den Kindern; die Ergebnisqualität nimmt schließlich die Kompetenzen in den Blick, die von den Kindern im Zuge der frühpädagogischen Förderung erworben werden (ausführlich dazu: Tietze et al. 2013; Kalicki 2015).
InfoQualitätsdimensionen frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsangebote
Strukturqualität: Hierunter werden die materiellen, personellen, räumlichen und finanziellen Rahmenbedingungen in der Kindertagesbetreuung gefasst. Dazu gehören u.a. die gesetzlich geregelte Größe der betreuten Kindergruppen, das in der Betreuungssituation bestehende zahlenmäßige Verhältnis zwischen anwesender pädagogischer Fachkraft und anwesenden Kindern, die sogenannte Fachkraft-Kind-Relation, das Qualifikationsniveau der pädagogischen Fachkräfte und der Raum, der den Kindern in der Einrichtung bzw. bei der Kindertagespflegeperson zur Verfügung steht. Die einzelnen Aspekte, die die Strukturqualität prägen, lassen sich in der Regel durch allgemein verbindliche Vorgaben politisch regulieren und somit gestalten.
Orientierungsqualität: Hier werden die individuellen Einstellungen, Überzeugungen und Haltungen der pädagogischen Fachkräfte betrachtet, denn sie bestimmen maßgeblich, wie der pädagogische Alltag in einer Kindertageseinrichtung aussieht. Dabei geht es um die Auffassung des pädagogischen Personals von Erziehung, kindlichem Lernen und den Vorstellungen darüber, wie die kindlichen Bildungs- und Entwicklungsprozesse gefördert werden können. Dies wird wesentlich davon beeinflusst, welche pädagogischen Zielen und Normen das Handeln der Fachkraft prägen. Die individuelle Sozialisation der Fachkräfte hat einen wesentlichen Einfluss auf die genannten Orientierungen. Aber auch das pädagogische Konzept einer Einrichtung bildet die Basis für ein geteiltes Grundverständnis der pädagogischen Fachkräfte in den o.g. Aspekten der Bildungs- und Entwicklungsförderung von Kindern.
Prozessqualität: Hier wird gewissermaßen das „Herzstück“ der pädagogischen Arbeit erfasst, nämlich wie die pädagogische Arbeit mit den Kindern konkret aussieht. Wesentlich ist hier die Qualität der Interaktion und der Beziehung zwischen Fachkraft und Kind sowie zwischen den Kindern. Berücksichtigt werden dabei auch die Aktivitäten, die für die Kinder und mit den Kindern gemeinsam ausgewählt werden sowie deren methodische Gestaltung. Dabei sollten die Aktivitäten entwicklungsmäßig angemessen sein und zugleich das Lernen und die Entwicklung des Kindes anregen. Aspekte wie die Feinfühligkeit und Zugewandtheit der Fachkraft spielen dabei eine zentrale Rolle. Die Dimensionen der Prozessqualität beinhalten somit die dynamischen, weil interaktiven Aspekte des Alltags in der Kindertagesbetreuung. Berücksichtigt wird dabei auch die Kommunikation mit der Familie, insbesondere der regelmäßige Austausch mit den Eltern. Die Art und Weise, wie diese einerseits täglich gestaltet sowie andererseits erfahren wird, kennzeichnet die pädagogische Prozessqualität.
Ergebnisqualität: In dieser Dimension wird beschrieben, welche Wirkung oder welchen Einfluss das pädagogische Handeln auf kindliche Fähigkeiten und Fertigkeiten hat. Dabei werden verschiedene Kompetenzbereiche des Kindes betrachtet (wie sozial-emotionale und sprachlich-kognitive Kompetenzen). Eine reine Kompetenzmessung greift allerdings zu kurz und ist hierzulande für den frühpädagogischen Bereich umstritten. Deshalb gehören das Wohlbefinden der Kinder und Fachkräfte oder die Zufriedenheit der Eltern ebenso zu dieser Dimension.
Eine Vielzahl einschlägiger nationaler und internationaler Studien zur Erfassung von pädagogischer Qualität stützen sich auf diese Qualitätsdimensionen , so auch die folgenden Betrachtungen.
"Qualität" ist nicht gleich "Qualität" – Herausforderungen beim Messen und Vergleichen
Informationen zur Strukturqualität, etwa zur Fachkraft-Kind-Relation oder zum Qualifikationsniveau der Fachkräfte, werden zumeist von staatlichen Stellen wie dem Statistischen Bundesamt gesammelt und jährlich veröffentlicht. Die vorliegenden Daten werden in allgemein zugänglichen Berichten ausgewertet und aufbereitet, etwa im Bildungsbericht (Autorengruppe Bildungsbericht 2018) oder dem Fachkräftebarometer Frühe Bildung (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2017) . Fragen zur Situation und Entwicklung der Strukturqualität lassen sich demnach ohne allzu großen Aufwand untersuchen.
Dies gilt im Wesentlichen auch für international vergleichende Analysen dieser Qualitätsdimension. Allerdings ergeben sich hier auch einige Schwierigkeiten. So finden die Erhebungen häufig nur in größeren Zeitabständen statt. Zudem gilt es bei internationalen Vergleichen immer sorgfältig zu prüfen, was genau sich hinter einer Kennzahl nach der jeweiligen nationalen Definition verbirgt. Dieselbe Kennzahl kann nämlich von Land zu Land durchaus etwas Unterschiedliches erfassen. Nehmen wir beispielsweise die Fachkraft-Kind-Relation: In Deutschland gibt sie an, wie viele Kinder durchschnittlich von einer pädagogisch qualifizierten Fachkraft, wie z.B. eine Erzieherin, betreut werden. In einem anderen Land werden womöglich alle in die tägliche Arbeit eingebundenen Personen als Fachkräfte gezählt, auch jene ohne eine einschlägige pädagogische Qualifikation. Verzerrt wird das Bild zudem, wenn die gesetzlichen Vorgaben zur Regulierung der Fachkraft-Kind-Relation genannt und diese nicht differenziert zu den faktischen Verhältnissen in den Kitas betrachtet werden. Wichtig ist auch, dass der zugrunde gelegte Zeitfaktor (Ganztags- /Halbtagsbetreuung) transparent und vergleichbar ist. Wird mit einer Kennzahl nicht genau dasselbe erfasst, kann ein direkter Vergleich irreführend sein. Eine weitere Schwierigkeit internationaler Vergleiche besteht darin, dass nicht alle Länder dieselben Informationen über ihr Kita-System zusammentragen. Daher gibt es immer auch bestimmte Informationen, die lediglich für einen Teil der Länder vorhanden sind.
Noch komplizierter ist es, Informationen über die Prozessqualität in der Kindertagesbetreuung zu erhalten. Die einzelnen Aspekte dieser Dimension zu erfassen, ist aufwendig. Hier können nicht einfach nationale Statistiken, Gesetzesregelungen oder Bildungspläne ausgewertet werden, denn es geht ja um die tatsächliche pädagogische Praxis. Um darüber belastbare Aussagen treffen zu können, muss an vielen Betreuungsorten das pädagogische Geschehen beobachtet und das Personal sowie die Eltern und Kinder befragt werden – und dies im Idealfall über einen längeren Zeitraum. Somit ist eine regelmäßige und für alle Einrichtungen eines Landes repräsentative Erfassung dieser Qualitätsdimension sehr personal- und kostenintensiv. Entsprechend ist die Anzahl nationaler und international vergleichender Analysen zur Prozessqualität von Kindertageseinrichtungen überschaubar. Insbesondere die europäische "CARE-Studie" und die deutsche "Nubbek-Studie" lieferten jedoch eine Reihe von Erkenntnissen zu dieser Qualitätsdimension (siehe Infobox).
InfoInternationale und deutsche Studien zur Prozessqualität
Die Europäische CARE-Studie
Auf europäischer Ebene ist das sogenannte CARE-Projekt angesiedelt – das Kürzel steht für "Curriculum and Quality Analysis and Impact Review of European Early Childhood Education" (zu Deutsch: Analysen zum Bildungsplan und zur Qualität sowie Wirkung frühkindlicher Bildung in Europa). Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus elf Ländern forschten in mehreren Teilprojekten unter anderem dazu, welche Charakteristika die Bildungspläne, die umgesetzte Pädagogik und die Prozessqualität insgesamt aufweisen müssen, um die Entwicklung, das Lernen und das Wohlbefinden von Kindern zu fördern (vgl. Slot et al. 2016). Um die Prozessqualität zu erfassen, wurde das international gebräuchliche Beobachtungsinstrument "Classroom Assessment Scoring System" (CLASS) aus den USA eingesetzt, mit dessen Hilfe die Interaktion zwischen Fachkraft und Kind beschrieben werden kann. Dabei richtet sich der Fokus auf die Domänen emotionale und verhaltensbezogene Unterstützung, die Organisation des Kita-Alltags sowie die Lernunterstützung. Dimensionen, wie beispielsweise ein positives Klima in der Betreuungssituation, Feinfühligkeit der Fachkraft oder die Gestaltung der Lernarrangements konkretisieren die genannten Domänen. Entlang einer Reihe von Indikatoren, die diesen Dimensionen zugeordnet sind, beurteilen geschulte und zertifizierte Beobachter die Qualität von Interaktionen zwischen Fachkräften und Kindern (vgl. Pianta/La Paro/Hamre 2008).
Unabhängig von den Unterschieden, die sich vor allem mit Blick auf die Strukturqualität zwischen den Ländern zeigten, offenbarte die Studie einige Aspekte der Prozessqualität, die sich über alle Länder hinweg als besonders bedeutsam für die kindliche Entwicklung erwiesen. Dies galt u.a. für ein positives Gruppenklima mit feinfühligen Fachkräften, die einen kindorientierten Ansatz bei der Förderung von Lernprozessen verfolgen (vgl. Slot et al. 2016, S. 7). In der Teilstudie von Pauline Slot und Kolleginnen (2016) schnitten die untersuchten 28 Einrichtungen in sieben europäischen Ländern über die Landesgrenzen hinweg gut bei den sozio-emotionalen Dimensionen der Prozessqualität ab, also der Förderung sozialer und emotionaler Kompetenzen von Kindern. Bei den Bildungsdimensionen, die die Umsetzung von bildungsplanbasierten Aktivitäten (z.B. Sprach- und Mathematik-Förderung) bewerten, lagen sie hingegen auf der CLASS-Skala im Mittelfeld. Wenngleich durchaus Unterschiede zwischen den Einrichtungen in und zwischen den beteiligten Ländern deutlich wurden, ist ein zentraler Befund der Studie, dass sich ähnliche Muster bei der Umsetzung guter pädagogischer Praxis identifizieren lassen. Diesbezüglich markierten die Forscherinnen kleinere Gruppen als wichtig, denn diese wirkten sich insgesamt positiv auf die untersuchten Dimensionen der Prozessqualität aus. Weitere Informationen sowie die Publikationen finden sich unter: Externer Link: http://ecec-care.org/
Die NUBBEK-Studie in Deutschland
In Deutschland widmete sich zuletzt die Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit – kurz: NUBBEK-Studie – der pädagogischen Qualität in Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege (vgl. Tietze et al. 2013). Ein zentrales Anliegen der Studie war es, die Familie als ein wichtiges Betreuungssetting von Kindern in die Analysen einzubeziehen. Einerseits galt es, mehr über die Betreuungssituation von Kindern zu erfahren. Warum hatten die Eltern eine bestimmte Betreuungsform – Kindertageseinrichtung, Kindertagespflege oder ausschließlich Familienbetreuung – gewählt? Was waren die Hintergründe und Motive für diese Auswahl? Andererseits sollten näher beleuchtet werden, wie sich die außerfamiliäre Betreuung und die Qualität des Familiensettings auf den Bildungs- und Entwicklungsstand der Kinder auswirkt. Über zwei Jahre wurden in acht Bundesländern zwei- und vierjährige Kinder, ihre Familien und ihre Betreuungseinrichtungen untersucht und befragt (vgl. Tietze et al. 2013, S. 26 ff.). Ein Drittel der teilnehmenden Kinder hatte einen Migrationshintergrund, wobei hier der Schwerpunkt auf Familien mit russischen oder türkischen Wurzeln gelegt wurde (ebd., S. 27).
Der Befund der Studie zur pädagogischen Qualität fällt eher ernüchternd aus: Trotz all der fachlichen Weiterentwicklungen und politischen Bemühungen in den letzten Jahren ist die pädagogische Qualität in der Kindertagesbetreuung meist nur mittelmäßig (vgl. ebd., S. 75 f.). Das NUBBEK-Team hat dabei, ebenso wie die CARE-Studie, Zusammenhänge mit Aspekten der Strukturqualität festgestellt. So wirkten sich kleinere Gruppengrößen und eine niedrige Fachkraft-Kind-Relation positiv auf die Prozessqualität aus. Zudem wird eine höhere Prozessqualität erreicht, wenn keine Altersmischung gegeben ist, aber eine offene Gruppenarbeit umgesetzt wird und eine ausgewogene Gruppenzusammensetzung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund realisiert werden kann (vgl. ebd., S. 84). Weitere Informationen finden sich unter: Externer Link: http://www.nubbek.de/
Einige Qualitätsmerkmale im Vergleich
Da die Prozessqualität ein überaus vielschichtiger Bereich bei der Erfassung von frühpädagogischer Qualität ist, gibt es in der internationalen Forschung nur wenige vergleichbare Informationen dazu (siehe Infobox 2 zur "CARE-Studie"). Dies gilt ebenso für die Dimensionen der Orientierungs- und Ergebnisqualität. Daher betrachten wir im Folgenden hauptsächlich die besser vergleichbaren Merkmale der Strukturqualität.
Wie viele Kinder werden von einer Fachkraft betreut? (Fachkraft-Kind-Relation)
Dieses für die Strukturqualität wichtige Merkmal erfasst, wie viele Kinder durchschnittlich von einer pädagogischen Fachkraft betreut werden. Verschiedene Studien zeigen, dass sich eine niedrige Zahl an Kindern je Fachkraft positiv auf die Qualität ihrer Interaktionen und Lernsituationen sowie auch auf das Wohlbefinden der Kinder auswirkt (vgl. Viernickel/Schwarz 2009; Viernickel/Fuchs-Rechlin 2016). Von erheblicher Bedeutung sind dabei zugleich Aspekte, wie die Merkmale der betreuten Kinder (z.B. Anteil von Kindern mit Behinderung oder von Behinderung bedrohte Kinder, Kinder in Armutslagen oder Kinder mit nicht-deutscher Familiensprache), die daraus entstehende Zusammensetzung der Kindergruppe ebenso wie die Qualifikation der Fachkraft. So scheint es plausibel, dass eine günstige Fachkraft-Kind-Relation entsprechend eine qualitativ hochwertige pädagogische Prozessqualität begünstigt, hat doch die Fachkraft in einem günstigeren Betreuungsverhältnis mehr Zeit und mehr Möglichkeiten, auf das einzelne Kind einzugehen und dieses stärker individuell zu fördern. Zugleich ist eine gute Fachkraft-Kind-Relation kein alleiniger Garant für hohe pädagogische Qualität und eine wirksame frühkindliche Förderung. In empirischen Studien wird vor allem auch auf den Zusammenhang von Fachkraft-Kind-Relation und fachlich einschlägiger Qualifikation des Personals verwiesen. So resümieren Viernickel und Fuchs-Rechlin in ihrer Auswertung vorliegender empirischer Befunde:
Zitat
Pädagogisch Tätige, die für weniger Kinder zuständig sind, und solche, die einschlägig frühpädagogisch qualifiziert sind, zeigen im Durchschnitt ein positiveres Interaktionsverhalten als pädagogisch Tätige, die für eine größere Anzahl von Kindern verantwortlich resp. weniger gut qualifiziert sind
Somit ist die Fachkraft-Kind-Relation ein wichtiger Faktor, der Einfluss nimmt auf die Prozessqualität in der Kindertagesbetreuung und somit auch die Lern- und Entwicklungsprozesse der Kinder. Welche teils gravierenden Unterschiede zwischen den Ländern bestehen, wird in Abbildung 1 deutlich.
Wie zu sehen ist, haben trotz großer Länderunterschiede nicht viele Länder im Durchschnitt tatsächlich eine niedrige Fachkraft-Kind-Relation und damit günstige Betreuungsverhältnisse: In Ländern wie Island, Neuseeland oder Schweden ist das Verhältnis von Fachkräften zur Anzahl der betreuten Kinder deutlich besser als in Frankreich, Mexiko oder Chile, wo eine Fachkraft auf durchschnittlich mehr als 20 Kinder trifft.
Deutschland schneidet im internationalen Vergleich mit durchschnittlich acht Kindern pro Fachkraft für den gesamten Sektor der Kindertagesbetreuung, also den Angeboten für Kinder unter wie über drei Jahren bis zum Schuleintritt, vergleichsweise gut ab. Hinter diesem Wert verbirgt sich allerdings eine große Bandbreite, wie der Blick auf nationale Daten offenbart: So betreut eine Fachkraft laut Bertelsmann-Ländermonitor in Brandenburg durchschnittlich 6,1 Kinder unter drei Jahren bzw. 11,3 Kinder in Einrichtungen für Kinder ab drei Jahren, während eine Fachkraft in Baden-Württemberg auf lediglich 3,0 unter Dreijährige und 7,2 Kindergartenkinder trifft (vgl. Abb. 2 und 3). Ähnliche Unterschiede im Betreuungsverhältnis bestehen aber auch auf regionaler Ebene innerhalb der Bundesländer. Während beispielsweise im Landkreis Wittenberg eine Fachkraft durchschnittlich 5,9 Kinder unter drei Jahren betreut, sind es im angrenzenden Landkreis Potsdam-Mittelmark bereits 6,0 Kinder oder im Rhein-Sieg-Kreis 3,8 Kinder und im Nachbarlandkreis Neuwied 3,2 Kinder. Damit wird deutlich, dass je nach Wohnort die Strukturbedingungen der Kindertagesbetreuung höchst unterschiedlich sind (vgl. Bertelsmann Ländermonitor 2018a).
Die Rahmenbedingungen, unter denen Kinder an frühkindlicher Bildung und Betreuung teilhaben, sind allein damit in Deutschland höchst unterschiedlich. Bisher gibt es keine gesetzlich vorgeschriebenen, einheitlichen Mindeststandards für die Qualität frühpädagogischer Bildung und Betreuung. Abzuwarten bleibt, welchen Einfluss der Qualitätsentwicklungsprozess von Bund, Ländern und Kommunen hier mit Blick auf die Herstellung und Sicherung einer gleichwertigen Strukturqualität haben wird Interner Link: (mehr dazu hier).
Im Alltag einer Kindertageseinrichtung sind die Betreuungsverhältnisse übrigens meist ungünstiger, als es der statistisch berechnete Durchschnitt abbildet. Der chronische Fachkräftemangel, fehlende Vertretungsregelungen im Krankheitsfall oder bei Fort- und Weiterbildungen bewirken, dass pädagogische Fachkräfte sich zumindest zeitweilig immer wieder um eine deutlich größere Zahl von Kindern kümmern müssen.
Wie qualifiziert sind die Fachkräfte?
Ein weiteres relevantes Merkmal der Strukturqualität ist die Ausbildung der Fachkräfte. Zwar konnte bisher kein direkter Zusammenhang zwischen der formalen Qualifikation des pädagogischen Personals und etwa der Qualität der Interaktion, des Austauschs und der Beziehung zwischen Kind und Fachkraft, d.h. der Prozessqualität, wissenschaftlich eindeutig belegt werden. Dennoch gibt es gute Gründe, davon auszugehen, dass sich eine höhere Ausbildung der Fachkräfte in dieser Hinsicht positiv bemerkbar macht. Zumindest einige internationale Studien weisen darauf hin, dass besser qualifizierte Fachkräfte feinfühliger sind, aufmerksamer auf die Kinder eingehen und dabei ihr pädagogisches Handeln eher reflektieren (vgl. Burchinal et al. 2002; Fukkink/Lont 2007; Early et al. 2006).
In den europäischen Ländern zeigen sich erhebliche Unterschiede mit Blick auf das erforderliche Qualifikationsniveau sowie die Mindestdauer der Erstausbildung für pädagogische Fachkräfte. Als Fachkräfte zählen dabei nur qualifizierte Erstkräfte, nicht jedoch die Assistenzkräfte (in Deutschland etwa: Erzieherinnen/ Erzieher, nicht jedoch Kinderpflegerinnen/ -pfleger, Sozialassistentinnen/ -assistenten). Im Vergleich der Länder ist die Mehrheit des Stammpersonals im frühpädagogischen Bereich auf Hochschulniveau qualifiziert: In einigen wenigen Ländern ist ein Master, in den meisten ein Bachelor und nur in der Minderheit – zu der Deutschland gehört – ein darunterliegender, nicht-akademischer Abschluss gefordert (vgl. European Commission et al. 2014. S. 98 ff.). Dies gilt in erster Linie für diejenigen Fachkräfte, die mit Kindern über drei Jahren bis zum Schuleintritt arbeiten. Im Bereich der Betreuungsangebote für unter Dreijährige liegt das Qualifikationsniveau tendenziell niedriger.
Interner Link: Der Fachschulabschluss, den Erzieherinnen und Erzieher hierzulande absolvieren können, wurde in den letzten Jahren im internationalen Vergleich aufgewertet. Denn dieses Qualifikationsniveau wird nun in der hierfür entwickelten Klassifizierungsskala (ISCED – International Standard Classification of Education) auf dem gleichen Niveau – ISCED 6 – wie der akademische Bachelor Abschluss eingeordnet. Unabhängig davon wird in Deutschland seit einigen Jahren intensiv über eine stärkere Akademisierung des Berufsfeldes, das heißt den Auf- und Ausbau von Studiengängen für pädagogische Fachkräfte diskutiert.
Wie gut wird frühkindliche Bildung und Betreuung finanziert?
Qualitätsverbesserungen, wie ein günstigeres Fachkraft-Kind-Verhältnis oder eine höhere Qualifizierung des pädagogischen Personals, kosten Geld. Schon allein um überhaupt ausreichende Angebote bereitzustellen – ganz zu schweigen von Qualitätsverbesserungen – stehen den Bildungs- und Betreuungssystemen international ungleiche Budgets zur Verfügung. Zwar führen höhere Ausgaben nicht automatisch zu mehr Qualität. Doch ist eine gesicherte staatliche Finanzierung entscheidend für den langfristigen Ausbau der Angebote sowie die Qualitätsentwicklung in der frühkindlichen Bildung. Träger von Kindertageseinrichtungen brauchen eine nachhaltige Finanzierung, um gut qualifizierte Fachkräfte in ausreichender Zahl einstellen zu können. Und diese Fachkräfte müssen in den Kindertageseinrichtungen wiederum Rahmenbedingungen vorfinden, die es ihnen möglich machen, Kinder tatsächlich qualitativ hochwertig zu fördern. Daher ist die Höhe der Ausgaben für frühkindliche Bildung und Betreuung ein weiteres wichtiges Merkmal für die Qualität der Angebote.
Abbildung 4 zeigt, welchen Anteil des Interner Link: Bruttoinlandsproduktes (BIP) die einzelnen OECD-Länder für die frühkindliche Bildung und Betreuung aufwenden, einbezogen sind sowohl öffentliche (d.h. staatliche) als auch private Mittel (etwa die von Eltern aufzubringenden Gebühren). Für den gesamten Bereich frühkindlicher Bildung bis zum Schuleintritt belaufen sich die Ausgaben im Durchschnitt der OECD-Länder auf 0,8 Prozent des BIP. Dabei fließt der überwiegende Teil (0,6 Prozent) in den vorschulischen Bereich, also Einrichtungen für Kinder unmittelbar vor dem schulpflichtigen Alter, normalerweise im Alter von 3 bis 5 Jahren, wie Kindergärten, Vorschulen oder Schulkindergärten (vgl. OECD 2017, S. 330). Hinter dem genannten Durchschnittswert verbergen sich erneut große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Während beispielsweise Irland, Japan, die Schweiz und die Türkei weniger als 0,3 Prozent des BIP für den frühpädagogischen Bereich aufwenden, geben Länder wie Island, Norwegen und Schweden mehr als 1,7 Prozent ihres BIP dafür aus. Deutschland bewegt sich wiederum mit 0,9 Prozent im Mittelfeld.
Wie gering diese Ausgaben für den frühpädagogischen Bereich sind, zeigt der Vergleich mit den Ausgaben für den Primarbereich, also dem Grundschulsektor. Mit einem durchschnittlichen Anteil von 1,5 Prozent des BIP ist das dem Bereich der Primarbildung zugewiesene Budget im OECD-Durchschnitt fast doppelt so hoch wie das der frühkindlichen Bildung (vgl. OECD 2017, S.232, Tab. 2.3).
Wenn man die Ausgaben für frühkindliche Bildung in Verbindung mit anderen Qualitätsmerkmalen wie der Fachkraft-Kind-Relation oder der Qualifikation der Fachkräfte betrachtet, erhält man einen Eindruck davon, wofür die Ausgaben getätigt werden: Länder wie Island und Schweden, die im Durchschnitt eine niedrige Fachkraft-Kind-Relation aufweisen und in denen Fachkräfte ein hohes Qualifikationsniveau haben, investieren einen höheren Anteil ihres BIP in den Bereich frühkindlicher Bildung und deren Strukturqualität. Das deutet darauf hin, dass eine höhere Grundfinanzierung den Handlungsspielraum für verbesserte Rahmenbedingungen und damit für eine qualitativ hochwertige pädagogische Arbeit vergrößert.
Fazit
Neben dem weiteren Ausbau frühpädagogischer Angebote muss auf der politischen Ebene noch viel getan werden, um die großen bundesweiten Unterschiede in der Qualität der bestehenden Angebote zu reduzieren. Dazu gilt es, den auf Bundesebene gestarteten und von Ländern und Kommunen mitgetragenen Qualitätsentwicklungsprozess konsequent voranzutreiben und hierfür eine tragfähige gesetzliche Grundlage zu schaffen (mehr dazu hier). Ohne eine weitere Konkretisierung der Finanzierungsregelung und der Verbindlichkeit der Qualitätsziele werden jedoch keine nachhaltigen Verbesserungen erreicht werden können. Demnach müssen in wesentlichen Fragen der Kita-Qualität verbindliche Grundlagen mit klar abgesteckten Zielen und verbindlichen Standards v.a. in der Strukturqualität geschaffen werden.
Eine gute Qualität von Kindertageseinrichtungen in allen Regionen Deutschlands zu gewährleisten, ist gerade mit Blick auf den frühpädagogischen Förderanspruch und die Unterstützung benachteiligter Kinder von großer Bedeutung. Dabei ist ein Mindestmaß an guter Qualität die Voraussetzung dafür, dass benachteiligte Kinder von einer frühen Förderung profitieren. Letztlich kommt eine gute Qualität der frühkindlichen Bildung und Betreuung aber allen Kindern zugute, unabhängig von ihrer Herkunfts- und Lebenssituation.
Dr., geb. 1978, ist wissenschaftliche Referentin im Internationalen Zentrum frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung (ICEC) am Deutschen Jugendinstitut e.V. und Lehrbeauftragte an der Hochschule für angewandte Wissenschaften sowie der Katholischen Stiftungshochschule München. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören u.a. Fragen der Politik und der Governance von Qualitätsentwicklung sowie von Zugang und Teilhabe in frühkindlichen Bildungs- und Betreuungssystemen.
Katharina C. Erhard
Katharina C. Erhard
Katharina C. Erhard
Katharina C. Erhard, Dr., geb. 1985, ist Soziologin und war bis Ende 2018 als wissenschaftliche Referentin im Internationalen Zentrum frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung (ICEC) am Deutschen Jugendinstitut in München tätig. Schwerpunkte ihrer Arbeit liegen in der vergleichenden Sozialforschung u.a. in den Bereichen Zugang und Teilhabe in Systemen der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung, Theorie und Vergleich von Wohlfahrts- und Genderregimen und Educational Governance.
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