"Anspruchsvoller Schulbau muss zeitgemäßen pädagogischen Kriterien folgen"
Ein Interview von Simone Grellmann
Rainer Schweppe
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Schulen sollen den neuen pädagogischen und sozialen Anforderungen auch durch veränderte Raumkonzepte gerecht werden. Die "dritte Welle des Schulbaus" verspricht, die klassische "Flurschule" des Industriezeitalters abzulösen. Experte Rainer Schweppe, der u.a. Schulneubauprojekte in Herford, München und Berlin initiiert und begleitet hat, erklärt worauf es bei zukunftsgerechtem Schulneubau besonders ankommt, wie solche Bauprojekte umgesetzt werden, wer daran beteiligt ist und wie auch im Rahmen von Schulsanierungen mit kleinsten Mitteln neue Raumstrukturen geschaffen werden können.
Wann wurden die meisten Schulen in Deutschland gebaut und welche sind die typischen Schulen?
Rainer Schweppe: Die aus heutiger Perspektive typischen Schulen wurden um 1900 gebaut: wilhelminische Gebäude aus rotem Backstein mit wertiger Bausubstanz, die heute häufig unter Denkmalschutz stehen. Schulen aus dieser Zeit sieht man eigentlich überall in den Städten, jedenfalls da, wo im Krieg nicht so viel zerstört wurde. Die zweite Schulbauwelle mit einem ganz eigenen Charakter an Schularchitektur setzte in den 1970er-Jahren ein. Damals wurden vor allem Gebäude in kubischer Form gebaut, deren Innenräume häufig in dunklen Farben, vielfach Brauntönen, gehalten waren.
Die Schulgebäude um 1900 – und die Architektur der 1970er Jahre war von der Konzeption nicht grundlegend anders – sie orientieren sich im Wesentlichen an Ideen aus den Zeiten der Industrialisierung. An lange Flure reihen sich rechts und links, manchmal auch nur zu einer Seite, Klassenzimmer. Die Unterrichtsräume sind frontal auf die Tafel ausgerichtet. Dies entsprach einer Pädagogik, die vor allem auf Belehrung, Disziplinierung und das Nachvollziehen vorgegebener Gedanken setzt. In den relativ großen Klassen lernen je etwa 30 Schülerinnen und Schüler in 45-Minuten-Unterrichtseinheiten im Gleichtakt. Solche "Lernfabriken" wurden über Jahrzehnte überall in Deutschland gebaut. Diese "Betonarchitektur" hat heute – man muss auch sagen: Gott sei Dank – einen extrem hohen Sanierungsbedarf, sodass man die Schulen bei der Gelegenheit auch gleich netter gestalten kann. Heute kommt eine dritte Schulbauphase hinzu, die durch das enorme Bevölkerungswachstum in den großen Ballungsgebieten wie Hamburg, München und Berlin getrieben wird. Das ist zugleich eine große Chance für uns in Deutschland, nun grundlegend anders an den Schulbau heranzugehen.
Was sind die Auslöser oder Anlässe für eine "dritte Welle des Schulbaus"?
Rainer Schweppe: Zunächst steigt durch das Bevölkerungswachstum insbesondere in den Ballungsgebieten – und damit meine ich auch die großen Städte unter einer Million Einwohner – der Bedarf an Schulraum. Hinzu kommen neue gesellschafts- und bildungspolitische Herausforderungen. So sprechen wir inzwischen ja bundesweit zunehmend weniger von der Halbtagsschule, sondern von der Ganztagsschule. Wir fragen uns auch, wie sich die Digitalisierung auf das Lernen in den Schulen auswirkt. Wir denken über zeitgemäßen Unterricht und die umfassendere Berücksichtigung der Inklusion nach: Wie können wir Menschen mit oder ohne Beeinträchtigung individuell fördern und angemessen beschulen? Wie nehmen wir Menschen auf, die aus der Fremde kommen? Wenn man sich darüber hinaus fragt, worauf wir junge Menschen in der Schule vorbereiten müssen, dann sehen Sie, dass die Berufs- und Arbeitswelt heute vor allem auf Kreativität, Eigenständigkeit, Teamfähigkeit, Offenheit für Neues und Verantwortungsbewusstsein setzt.
Das alles ist in einer konventionellen Halbtagsschule mit der beschriebenen architektonischen Form schwer vermittelbar. Zeitgemäßer Unterricht sieht heute einfach anders aus: Lehrerinnen und Lehrer, die frisch von der Universität kommen, möchten nicht nur Frontalunterricht machen, sondern sich mit Methodenvielfalt beschäftigen, flexiblen Unterricht anbieten, ihre Schülerinnen und Schüler in Groß- und Kleingruppen arbeiten lassen, sie individuell fördern und zum selbstständigen Arbeiten anregen und vielleicht auch mitgestalten lassen. Aber Schule findet auch heute noch überwiegend in den klassischen Halbtagsschulräumen unserer Kindheit statt. Für eine inklusive Ganztagsschule mit veränderten pädagogischen Zielsetzungen und zeitgemäßen Unterrichtsformen brauchen wir dringend auch neue Ansätze im Schulbau.
Im Zuge des Investitionsprogramms Zukunft Bildung und Betreuung (IZBB) des Bundes haben sich kommunal Verantwortliche ab 2003 erstmals Gedanken darüber gemacht, wie die Schulen der Zukunft gestaltet werden sollen. Daraufhin wurden bundesweit erste "Leuchttürme" baulich umgesetzt, die für eine neue Herangehensweise an Schularchitektur in Deutschland stehen. Mit dem sogenannten Herforder Modell wurden in dieser Stadt in Nordrhein-Westfalen neue Leitbilder unter Einbeziehung der Wissenschaft erarbeitet und zunächst in allen Grundschulen baulich umgesetzt. Die ersten "Lernhausschulen" (siehe Infobox) entstanden hier und viele Schulträger in Deutschland und darüber hinaus haben davon profitiert.
QuellentextDas Konzept "Lernhausschule"
Eine Lernhausschule besteht aus mehreren Lernhäusern, die jeweils eine selbstständige Einheit bilden und wie eine eigene kleine Schule in der großen funktionieren. Ein Lernhaus umfasst in der Regel mehrere Jahrgänge eines Zuges (z. B. 1a, 2a, 3a, 4a), die zusammen eine Einheit bilden. Es wird in einzelnen Klassen unterrichtet, aber auch übergreifend, sodass Schülerinnen und Schüler verschiedener Altersstufen in bestimmten Lernphasen gemeinsam lernen können. In der Praxis gibt es verschiedene Varianten, wie sich die Stufen und Klassen auf ein Lernhaus verteilen. Lernhäuser können jedoch nicht nur organisatorisch eine Einheit bilden – in manchen Schulen werden sie auch genutzt, um thematische und pädagogische Schwerpunkte zu setzen. Für ein Lernhaus ist jeweils ein festes Team an Lehrkräften mit einer Lernhausleitung für Pädagogik und Organisation verantwortlich. Dies stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Motivation aller Beteiligten, sich für ihr Lernhaus und ihre Schülerinnen und Schüler einzusetzen.
Zu einem Lernhaus in der Grundschule (vierjährig) gehören mindestens 4 Unterrichtsräume, 2 Differenzierungsräume, 1 Forum, 1 Ruheraum, 1 Teamraum und Sanitärräume. In Berlin mit der sechsjährigen Grundschule wird entsprechend hochgerechnet.
Dieses Konzept wurde zur Grundlage für den Schulneubau und die Umgestaltung von Schulen in den umfassenden Schulbauprojekten in Herford, München und Berlin.
Woher kamen die Ideen für das Konzept einer zukunftsfesten Schule?
Rainer Schweppe: Natürlich haben wir uns die Frage gestellt, wie wir mit unseren Professionen von gestern die Schulen von morgen gestalten können. Das ist schon schwierig. Wir alle haben ja unsere eigenen Erfahrungen und Bilder im Kopf. Dazu kommt oft ein Säulendenken aus den unterschiedlichen Zuständigkeiten von Bund, Ländern und Kommunen, das es nicht einfach macht, neue tragfähige Lösungen zu entwickeln. Zunächst haben wir uns theoretisch mit dem Thema auseinandergesetzt und in Workshops mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern diskutiert, was denn ein "gutes Schulgebäude" ist. Wir haben uns bemerkenswerte Beispiele bestehender Schulbauten in Deutschland angeschaut, etwa die Evangelische Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck, die Wartburg-Schule in Münster und die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden, und uns so konkret mit neuen Raumperspektiven vertraut gemacht. Auch niederländische Konzepte und das skandinavische Konzept Skola2000 von Ingmar Mattson haben wir vor Ort kennengelernt. Dabei hatten wir erkannt, dass unsere traditionellen deutschen Schulgebäude einen sehr einengenden Charakter haben. Daher mussten wir neue Wege jenseits des konventionellen Schulbaus finden. Mit Unterstützung von Wilfried Buddensiek von der Universität Paderborn entstand schließlich das Leitbild für die neue Gestaltung der Schulen. Wir brauchten ein umfassendes Leitbild mit allgemeinen Qualitätskriterien für neue Schulräume, weil wir wussten, dass wir im Rahmen der Ganztagsentwicklung nicht nur eine Schule umzubauen hatten, sondern wie damals in Herford alle Grundschulen auf einen Schlag und zudem auch Neubauten errichten wollten. Da die Zukunft nur begrenzt planbar ist, gerade im Zeichen der Digitalisierung, war uns wichtig, dass die Räume bestimmten Mindestanforderungen für zukunftsfeste Schulen gerecht werden. Wir sind zu der Überzeugung gelangt, das Schulräume in jedem Fall flexibel nutzbar sein sowie Möglichkeiten für verschiedene Arbeitsformen, aber auch für Entspannung und Freizeitangebote bieten müssen. Nur dann können die Lehrkräfte von heute und morgen in diesem Schulgebäude, was ja sicher mindestens 50 Jahre steht, auch die jeweils zeitgemäße Pädagogik ausüben.
Worin unterscheidet sich die "Schule von heute und morgen" von der konventionellen Schule architektonisch?
Rainer Schweppe: Zunächst: Jede Schule oder jedes Gebäude folgt einer gewissen Gesetzmäßigkeit. In der Architektur heißt es: form follows function, also die architektonische Form leitet sich aus der Funktion eines Raumes ab.
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Die Frage ist also, was in dem neuen Gebäude passieren soll. Wie muss es gestaltet sein, um diese Funktionen zu erfüllen? Ganz offensichtlich kann man aus einer Halbtagsschule nicht einfach eine Ganztagsschule machen, indem man nur eine Mensa an das Halbtagsgebäude anfügt. Man muss sich damit auseinandersetzen, was es für ein Schulgebäude bedeutet, wenn sich Schüler und Schülerinnen wie auch die Lehrkräfte länger darin aufhalten sollen. Welche Raumstrukturen und Aufenthaltsqualitäten sind dafür notwendig? In allen Räumen muss es möglich sein, zwischen Entspannung und Anspannung zu wechseln, neben dem Geist auch den Körper zu bewegen und neue Zeitstrukturen jenseits des 45-Minuten-Takts etwa für Selbstlernzeiten zu etablieren.
Was zeichnet also neue Ansätze im Schulbau heute aus? Meiner Ansicht nach unterscheiden sich zukunftsfeste Schulen von der konventionellen Bau- und Denkweise besonders in den folgenden Punkten:
Integrierte Vormittags- und Nachmittagsräume
Die Vormittags- und die Nachmittagsräume sollten nicht mehr voneinander getrennt werden. Bisher geht man vormittags in die Schule, für die Nachmittagsbetreuung und -beschäftigung muss man andere Orte, oft an anderen Stellen des Stadtteils, aufsuchen. In einer Ganztagsschule werden die Vormittags- und Nachmittagsräume als multifunktionale Räume integriert und nicht additiv gedacht. Die Räume können dann so gestaltet werden, dass während des Schulbetriebs am Vor- und Nachmittag mehr Flächen zur Verfügung stehen, um beispielsweise verschiedene Lehrmethoden zu ermöglichen und auch externe Kooperationspartner einzubeziehen.
Schulflure als Arbeits- und Kommunikationsräume
Bekanntermaßen sind Schulflure an vielen Schulen lediglich riesige "Erschließungsflächen". Das heißt, sie werden nur als Bewegungsflächen und Fluchtwege genutzt, als Raum, den man durchquert. Solche Flure können aber vielfach nach kleineren Umbaumaßnahmen auch pädagogisch nutzbare Arbeitsbereiche und Kommunikationsflächen sein, zum Beispiel für Foren, und somit direkt in Unterricht und schulisches Leben einbezogen werden.
Mehr Transparenz und Offenheit in der Schule
In den üblichen, relativ kleinen, geschlossenen Klassenräumen kann man die Schülerinnen und Schüler, die den Raum für Gruppenarbeit verlassen, nicht mehr sehen. Die Lehrkräfte wiederum können den Klassenraum nicht verlassen, weil die Schülerinnen und Schüler darin dann unbeaufsichtigt wären. Deshalb wird in neueren Ansätzen der Innenraum der Schulen transparent und offen gestaltet. Durch (teil-)transparente Wände bleiben visuelle Bezüge zu Schülerinnen und Schülern wie auch Lehrkräften, die vielleicht im Forum, Nebenraum oder kurz im Teamraum arbeiten wollen, erhalten. So lässt es sich viel besser individuell oder in Kleingruppen lernen.
Flexiblere Klassenräume
Auch Klassenräume und die zugehörigen Differenzierungsräume können anders gestaltet werden. Warum nicht auf die klassische große Wandtafel oder große interaktive Whiteboards verzichten, die genau genommen den Frontalunterricht fundamentieren? Warum nicht mobile Tafeln und Tablets einführen? Oder flexiblere Möbel, mit denen man in Sitzkreisen arbeiten kann und nicht nur an seinem festen Schülertisch?
Toilettenanlagen
An vielen Schulen in Deutschland gibt es ständig Probleme mit den Toilettenanlagen. Gründe dafür liegen meiner Ansicht nach auch in der Architektur: Denn meist handelt es sich um dezentrale, schlecht erreichbare, große Pausentoiletten – neutrale, oft unattraktive Orte. Sie laden zu Vandalismus ein. Mit den neuen Raumkonzepten werden kleine Toilettenanlagen – wie auch im privaten Bereich – unmittelbar neben den Unterrichtsräumen und Aufenthaltsbereichen gebaut. Das erhöht die soziale Kontrolle. So fühlt sich jeder viel stärker mitverantwortlich, auch die Toiletten in einem guten Zustand zu erhalten. Zudem finden es die Kinder gut, wenn sie nicht durchs halbe Schulgebäude laufen müssen, um zur Toilette zu kommen.
Vom zentralen Lehrerzimmer zu Teamräumen
Dieses riesige Lehrerzimmer, das wir bisher an den meisten Schulen kennen, ist eigentlich ein ganz merkwürdiger Ort, der der Vergangenheit angehören sollte. Denn was kann man in so einem Lehrerzimmer wirklich machen? Es gibt darin weder geeignete Arbeitsplätze für die Lehrkräfte, noch können sie sich in Ruhe unterhalten oder in einer Pause entspannen. Deshalb sind die Lehrerinnen und Lehrer nach meinen Schulbauerfahrungen sehr offen für kleinere Teamräume. Um in einem Team von vielleicht 15 Leuten vernünftig zu arbeiten, brauchen Sie in einem Teamraum einen eigenen Arbeitsplatz, einen Besprechungstisch, eine Kaffeemaschine, einen Kühlschrank und anderes. Sie können kommunizieren, sich aber auch zurückziehen, also viel professioneller und intensiver mit Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten. Gerade der informelle, wie auch der fachliche und persönliche Austausch gelingen in multiprofessionellen Teamräumen von Lernhausschulen viel besser.
Natur
Insbesondere Lernhausschulen, also kleine Schulen in der großen Schule, können durch die mögliche architektonische Kleinteiligkeit naturnah gestaltet werden. Jedes Lernhaus könnte einen eigenen Zugang zum Außenbereich haben. Das setzt ein entsprechendes Grundstück voraus, aber dann können grüne Klassenzimmer, der Schulgarten, die Grün- und Sportflächen oder der Pausenhof sehr nah sein. Gerade bei der baulichen Verdichtung unserer Großstädte sind solche Flächen für die Kinder von großer Wichtigkeit und müssen mehr Beachtung finden. Dies kann gute Schularchitektur unterstützen.
Öffnung zum Stadtteil
Schulbesuche im europäischen Ausland, insbesondere in Skandinavien, haben uns gezeigt, dass Schulen Mittelpunkte ihres Stadtteils sein können. Hierzulande sind die Schulanlagen prinzipiell nach außen und für andere potenzielle Nutzerinnen und Nutzer abgeschlossen. Wenn wir Schulen neu bauen, können wir auch in diese Richtung denken und neben den reinen Schulräumen beispielsweise neben der Sporthalle, die Mensa, die Aula und bestimmte Multifunktionsräume für die Allgemeinheit öffnen. Das heißt, sie so zu gestalten, dass sie auch für die Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Institutionen im Stadtteil zugänglich werden. Dann wird Schule zu einem Ort des Lebens im Stadtteil, über den man etwa mit Logopäden oder mit Altenzentren zusammenarbeiten oder verschiedenste Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe integrieren könnte.
Räume in Beziehung setzen, um Lehrende und Lernende in Beziehung zu setzen
Wenn man Räume so gestaltet und anordnet, dass sie in einer besseren funktionalen Beziehung zueinander stehen, können hier mehr Kommunikation und informeller Austausch, der oft auch sehr wichtig ist, stattfinden. Oft ist es dann einfacher, miteinander umzugehen und zu arbeiten. Ein Differenzierungsraum wird also mit Blickachsen direkt neben einem Unterrichtsraum und einem Forum eingerichtet, die Teamräume der Lehrkräfte liegen in Schüler- und Unterrichtsnähe und nicht wie das Lehrerzimmer zuvor irgendwo weit weg im Schulgebäude. Die verschiedenen Räume sind nicht mehr entlang eines Flurs, sondern rund um ein einsehbares Forum gruppiert, wo man sich treffen, arbeiten oder Pausen machen kann .
"Kleinere Schulen" in der großen schaffen
Wir wollen die großen Schulen "auflösen", das heißt kleinere Schulen als soziale Raumeinheiten in der großen Schule konzipieren, die jeweils über eigene Unterrichts- und Differenzierungsräume, ein Forum und einen Teamraum sowie kleine Sanitäranlagen verfügen. Die Anonymität, die in großen konventionellen Schulen oft herrscht, wird durch kleinere und überschaubare Kommunikationseinheiten aufgegeben. So kann der Einzelne, so können Schülerinnen und Schüler wie auch Lehrkräfte in der großen Schule einen "Heimatbereich" haben, in dem sie sich wohlfühlen können und von dem aus sie ihre Exkursionen zu den Fachräumen oder zur Sporthalle unternehmen können.
Da das Lernhauskonzept kein architektonischer Typus ist, sondern eine funktionale Grundidee, lässt sich diese ganz unterschiedlich umsetzen. Entscheidend ist, dass sowohl die Räume als auch die Menschen zusammenwirken können: Je nach Grundstück kann man also in die Höhe bauen oder in die Fläche, aber auch Schulerweiterungen mit diesen Einheiten versehen. In Herford und München wurden verschiedenste Gebäude gebaut und umgestaltet, denen man von außen nicht ansieht, dass die Raumstruktur im Inneren fast dieselben Chancen für die pädagogische Nutzung bietet. Die Gebäude wirken zunächst völlig anders, aber wenn Sie hineinkommen, sehen Sie diese verbindende und kommunizierende Grundstruktur.
Es heißt, der Raum ist der "dritte Pädagoge". Inwiefern gibt das Schulgebäude vor, wie darin gelehrt und gelernt werden soll? Anders gefragt: Kann man auch in einem schlechten Gebäude guten Unterricht machen?
Rainer Schweppe: Wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, welche Räume wir als angenehm empfinden und welche nicht, wissen wir, dass das Schulgebäude natürlich eine Wirkung hat und als "dritter Pädagoge" möglichst einladend gestaltet sein sollte. Die Architektur und Raumkultur wirken sich auf die Arbeits- und Kommunikationskultur an der Schule aus und damit auch auf das Wohlbefinden von Lehrkräften wie Schülerinnen und Schülern. Zwar kann durchaus guter Unterricht in schlechteren Räumen gemacht werden. Das hängt auch von der jeweiligen Lehrkraft und dem Fach ab. Guter Unterricht ist jedoch in flexiblen und offenen Räumen eher möglich als in engen und geschlossenen. Eine angenehme, helle Umgebung und ein Raum, in dem ich auch mal in eine Nische oder einen Nebenraum gehen kann, um etwas in Ruhe vorzubereiten oder zu erarbeiten, machen es viel leichter, zeitgemäße Pädagogik einzusetzen, erzwingen sie aber nicht. Die neuen Raumkonzepte sind insofern als Angebote und als Chancen für die Lehrerinnen und Lehrer zu verstehen. Sie können da durchaus arbeiten, wie sie schon immer gearbeitet haben, auch in der Form von Frontalunterricht, sie dürfen aber auch anders arbeiten.
Zur Umsetzung: Wie baut man neue Schulen, wer ist daran beteiligt und wie lange dauern solche Prozesse üblicherweise?
Rainer Schweppe: Prinzipiell sind in Deutschland für die Schulen verschiedene politische und administrative Ebenen zuständig, die auch beim Schulbau zusammenwirken müssen: So ist per Verfassung das jeweilige Bundesland dafür verantwortlich, was in den Schulen passiert – also für die Pädagogik und die Lehrkräfte. Während den Kommunen, also Städten, Landkreisen und Gemeinden, als Schulträger obliegt, wie die Schulen gebaut und ausgestattet werden. Dafür erhalten sie finanzielle Zuschüsse vom jeweiligen Bundesland. Im Rahmen der Ganztagsschulentwicklung sind manchmal auch Jugendhilfeträger mit bundesgesetzlicher Legitimation beteiligt. Diese Kompetenzaufteilung macht es schwierig, gemeinsam darüber nachzudenken, wie eine neue Schule aussehen soll.
Nur wenige Bürgermeister, Oberbürgermeister, Landräte, Gemeinde- oder Stadträte stellen sich überhaupt die Frage, welcher Schulbau aus pädagogischer Sicht sinnvoll für die Kinder vor Ort ist. Auch kaum ein Ministerpräsident oder eine Landesregierung beschäftigt sich ernsthaft mit diesem Thema, weil sie mit jeder Forderung nach adäquater Schulgestaltung zugleich auch in der Finanzverantwortung bei den für den Schulbau zuständigen Kommunen stehen würden (Konnexitätsprinzip). Und nicht zuletzt kann auch die finanzstärkere Bundesebene derzeit durch das Kooperationsverbot noch nicht auf die Umsetzung innovativer Schulbauten hinwirken. Auch über Zuschüsse darf sie keinen Einfluss auf die Schulpolitik der Länder ausüben.
Das Interner Link: Konnexitätsprinzip und das Kooperationsverbot verhindern meines Erachtens überfällige und unmittelbare Investitionen in die Bildung, ganz besonders im unterfinanzierten Schulbereich. Ich bezeichne dies als aktions- und innovationshemmende politisch-administrative Verantwortungsstruktur. Für eine zeitgemäße Entwicklung der Schulen ist eine derartige geteilte Verantwortung nicht fördernd. Das Lehrpersonal beschäftigt das Land, das sozialpädagogische Personal die Kommune oder die Jugendhilfeträger. Für das Schulgebäude und die Ausstattung ist auch im IT Bereich die Kommune zuständig. Wer verantwortet eigentlich die Schule als Ganzes? Wie lässt sich so auf die komplexen Herausforderungen, die der Schule heute begegnen, effektiv und zukunftsweisend reagieren?
Unmittelbar für den Schulbau sind die Instanzen der Kommune verantwortlich. Sie erwerben die Grundstücksflächen und bereiten sie mit Blick auf den Bebauungsplan so vor, dass man eine Schule darauf errichten darf. Dabei muss auch die Schulentwicklungsplanung der kommunalen Schulverwaltung einbezogen werden, etwa wenn es um die Größe der Schule geht. Wenn die baurechtlichen und finanzwirtschaftlichen Fragen soweit geklärt sind, wird ein Architekturbüro gesucht, das die weitere Planung übernimmt. Sind die Planungsprozesse weitgehend abgeschlossen, müssen die Baufirmen gefunden werden und so weiter. Es ist also vieles mit zum Teil recht umständlichen Verfahren zu organisieren, die einige Zeit verschlingen. Daher dauert der Bau einer Schule bis zur Fertigstellung heute etwa vier bis fünf Jahre, wenn sie schnell errichtet wird und man alle Planungsschritte einbezieht. Diese Zeit lässt sich kaum verkürzen.
Welche sind die größten Herausforderungen, um eine anspruchsvolle Schule zu bauen?
Rainer Schweppe: Die größte Herausforderung, um eine anspruchsvolle Schule zu bauen, liegt nach meiner Erfahrung darin, die Beteiligten zu gewinnen, sich zunächst genauer mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich zu fragen, welche Funktionen die neue Schule erfüllen soll. Wenn sich dann bestimmte pädagogische Ziele mit dem Schulneubau verbinden, dann ist das Projekt schon einen sehr großen Schritt vorangekommen. Danach geht es darum, wie sich diese Ziele realisieren lassen. Man muss den Entscheidern und ausführenden Organen, der Schulverwaltung, der Bauverwaltung, den Architekten, der Politik und auch den Finanzgebern vermitteln, warum man die Schule anders als eine traditionelle Flurschule bauen möchte. Das ist der entscheidende Punkt. Dafür muss man Prozesse entwickeln.
Üblicherweise finden solche Austauschprozesse nicht statt. In der bisherigen Kommunikationskultur zwischen den Verantwortlichen geht man ja vor allem schriftlich miteinander um: Die Schulverwaltung schreibt der Bauverwaltung, dass eine Schule mit einer bestimmten Größe gebraucht wird, die Bauverwaltung bittet einen Architekten, das zu konzipieren, der Architekt oder die Bauverwaltung bittet schriftlich den Brandschutz zu diesem Konzept Stellung zu nehmen und so weiter. Man kommuniziert also auf einem Weg, bei dem jeder vor allem auf seinen Zuständigkeitsbereich schaut. So bekommt der Brandschützer einen Plan auf den Tisch und fragt sich: Sind die Erfordernisse des Brandschutzes erfüllt, wo sind sie nicht erfüllt? Dann gibt er den Plan schriftlich weiter und die nächste Instanz kann daran arbeiten. Diese Vorgehensweise ist nicht zielführend. Allgemein gesagt: Man muss die einzelnen Institutionen dafür gewinnen, auch gemeinsam für die Menschen zu bauen. Wenn man den Brandschützer also rechtzeitig in den Gestaltungsprozess einbezieht, dann schaut dieser nicht nur auf brandschutzrelevante Dinge, sondern hat auch die Gestaltungswünsche für die Schule insgesamt im Blick, und zwar so, dass sie selbstverständlich auch die Bedingungen des Brandschutzes erfüllen. Er kommt also in eine ganz andere Rolle hinein, eine produktive, konzipierende. So setzt sich auch der Brandschützer dafür ein, die Wünsche des Pädagogen im künftigen Gebäude bestmöglich aufzugreifen. Dadurch wird extrem viel gewonnen.
Dieses Vorgehen, verschiedenste Blickrichtungen zu verbinden, Institutionen auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten zu lassen, bietet die Chance, etwas völlig Neues im Konsens aller Beteiligten zu errichten. Auch wenn man schneller sein muss, braucht man neue Wege, die verschiedensten Blickrichtungen zusammenzufassen. So haben runde Tische mit allen Beteiligten, an denen sie gemeinsam die Ziele bearbeiten, eine beschleunigende Wirkung. Zudem wird eine höhere Qualität erreicht.
Sie haben Schulneubauten in Herford, München und Berlin initiiert und begleitet: Wie hat es konkret in der Praxis funktioniert, neue Ideen und Herangehensweisen an Schulbau umzusetzen?
Rainer Schweppe:
Beispiel Herford
In Herford wurde das Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung (IZBB) des Bundes zum Anlass genommen, überhaupt im größeren Maß über einen innovativen Schulneubau und -umbau nachzudenken. Das Programm stellte ausreichend öffentliche Gelder für die bauliche Umgestaltung aller 11 Halbtags- zu Ganztagsgrundschulen zur Verfügung. Damals gab es noch kein Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern. Doch wie sollten diese Ressourcen für die Schulen vor Ort eingesetzt werden? Sollte wie gewohnt gebaut oder an etwas Neues gedacht werden? Wie kommt man zu etwas Neuem? Allen Entscheidern wurde Gelegenheit gegeben, gemeinsam über diese Fragen zu diskutieren: also die Fraktionsvorsitzenden des Stadtrates, der Bürgermeister, die Bauverwaltung, die Schulverwaltung, der Brandschutz, die Schulleitungen, die Elternvertreter, Schülerinnen und Schüler und so weiter. In Kooperation mit der Wissenschaft fanden zudem Workshops statt, in denen zusammen mit den Entscheidern ein pädagogisches Leitbild erarbeitet und schriftlich festgehalten wurde. Anschließend gingen alle Beteiligten in einem Bus gemeinsam auf Reisen und besuchten Beispiele für anspruchsvollen Schulbau in Deutschland und in Schweden. Durch diese sehr intensive Arbeit und das konkrete Erleben guter Schulbauten ist ein gemeinsames Verständnis bewirkt worden. Es ist gelungen, alle Beteiligten an einen runden Tisch zu holen und den Prozess von Anfang an multiprofessionell anzugehen. Das pädagogische Ziel wurde beschrieben, Qualitätskriterien für den Schulbau wurden formuliert und der Weg bis zu den Schulbaueröffnungen wurde gemeinsam gegangen. Mit dem sogenannten Herforder Modell wurde schließlich die Basis für die Lernhausarchitektur geschaffen. Die pädagogische Umstellung der Schulen unterstützte die Stadt auch mithilfe der Wissenschaft und externer Prozessberatung.
Beispiel München
München hatte frühzeitig mit den Bildungsberichten und der zukunftsweisenden Leitlinie Bildung tragfähige Grundlagen geschaffen, den Bildungsbereich zukunftsfähig aufzustellen. Bildungsmonitoring und strategisches Management begleiteten die kommunale Arbeit und initiierten viele neue Ansätze. Beim Schulbau konnte man hier auf Erfahrungen anderer Kommunen zurückgreifen und daraus ein Münchner Konzept entwickeln. Auch im Kontext des enormen Bevölkerungswachstums und des Handlungsdruckes, Schulen zu sanieren und etwa 51 neue Schulen zu errichten, entschieden die Stadtspitze und der Stadtrat, mit dem Münchner Lernhauskonzept bei allen Schulneubauten und Großsanierungen neue Wege zu gehen und eine bildungsgerechte Pädagogik in den Vordergrund zu stellen. Auf Wirtschaftlichkeit und eine schnelle Umsetzung der Maßnahmen wurde geachtet. Die pädagogische Entwicklung der Schulen wurde und wird durch die städtische pädagogische Fachabteilung und das städtische Pädagogische Institut gefördert.
Beispiel Berlin
Berlin hat als Bundesland politisch-administrativ eine größere Dimension als eine einzelne Kommune zu bewältigen. Die Senatsverwaltung in Berlin setzte daher bewusst auf einen breit getragenen Partizipationsprozess, in dem ein gemeinsames Leitbild für den Bau von immerhin etwa 60 Schulen entstehen sollte. An diesem Partizipationsprozess waren insgesamt etwa 70 Personen beteiligt: Vertreter aus den verschiedensten Senatsverwaltungen, Elternvertreter, Vertreter der Architektenkammer, der Jugendhilfe, der Gewerkschaft "Erziehung und Wissenschaft", natürlich der Wissenschaft sowie der Schülerinnen und Schüler kamen zusammen, um dieses neue Leitbild für den Schulbau zu erarbeiten. Gerade bei den inhaltlichen Themen herrschte dabei erstaunlich große Übereinstimmung. Diskussionen gab es eher bei Fragen der Umsetzung, etwa ob man diesen völlig neuen Schulbauansatz erstmal an einem Standort ausprobieren und dann evaluieren solle, wie an dieser Schule überhaupt gearbeitet werden kann, um daraus Erkenntnisse für die nächsten Standorte abzuleiten. Berlin hat jedoch keine zehn Jahre Zeit, sich zunächst mit einzelnen Modellen auseinanderzusetzen, wenn der akute Baubedarf aktuell bei mindestens 60 Schulen liegt. Sollte man also eine Schule nach den gemeinsam getragenen neuen Vorstellungen errichten und die anderen 59 konventionell? Das konnte nur verneint werden. Diese Einsicht gab einen wichtigen Impuls im Prozess. Alle Beteiligten sprachen sich dagegen aus, jetzt Stückwerk zu machen. Mit dem Konzept der Berliner Lern- und Teamhäuser und dem darauf aufbauenden neuen Raum- und Funktionsprogramm für Schulen wurde 2017 eine hervorragende und zukunftsweisende Grundlage für den Schulneubau geschaffen. Berlin ist damit meines Wissens das erste Bundesland, das pädagogische Architektur für sich konkret beschreibt.
Gab es Planungsideen, die sich jedoch in der Umsetzung als untauglich erwiesen haben?
Rainer Schweppe: Natürlich gibt es Grenzen des Realisierbaren. Gebäude dienen den Nutzern, aber sie müssen auch sicher sein. Damit meine ich Brandschutzanforderungen, den Denkmalschutz und andere baurechtliche Zwänge. Auch die Frage der Wirtschaftlichkeit, also der Finanzierung, setzt beim Bauen gewisse Grenzen, selbst wenn sich das Bewusstsein für die Finanzierung von Schulen inzwischen positiv verändert hat. Es gilt trotzdem, Augenmaß zu bewahren. Nicht für jede gewünschte Funktion oder Arbeitsform einer Schule ist ein extra Raum sinnvoll, also zum Beispiel im Rahmen additiver Raumkonzepte ein Vormittagsunterrichtsraum, ein Nachmittagsraum für Hausaufgaben, ein Frontalunterrichtsraum, ein Arbeitsgruppenraum und ähnlich. Es war von vornherein klar, dass wir vor allem nach pragmatischen Lösungen innerhalb der baurechtlichen und finanziellen Grenzen sowie pädagogischen Möglichkeiten suchten. So entstanden erst gar keine "Wolkenkuckucksheime". Wichtig ist meiner Ansicht nach, alle Beteiligten in die Prozesse einzubeziehen und Verständnis für einander zu entwickeln. So können oft trotz aller Zwänge gute Lösungen gefunden werden.
Aus Ihren eigenen Erfahrungen im Schulbau: Worin sehen Sie die wichtigsten Hebel, um neue Schulbaukonzepte "in die Fläche" zu bekommen, sodass alle Schülerinnen und Schüler in anspruchsvollen Gebäuden lernen können?
Rainer Schweppe: Wenn auf der Bundesebene das Kooperationsverbot im Bereich schulische Bildung aufgehoben und insbesondere in Schulsanierung und -neubau investiert wird, müssten diese Mittel auch an pädagogisch zeitgemäße Lösungen geknüpft werden. Sie sollten nicht nur ausgegeben werden, um den großen Sanierungsbedarf an Schulen zu decken. Das Investitionsprogramm Zukunft Bildung und Betreuung (IZBB) war 2003 bereits ein guter Ansatz, aber es fehlte in den Ländern und vor Ort an sinnvollen Raumkonzepten. Daher sollte der Bund in meinen Augen nicht nur etwas Neues in der pädagogischen Gestaltung von Schulbauten fordern, sondern auch eine Unterstützungsstruktur dafür entwickeln, vielleicht ein Schulbauinstitut des Bundes und der Länder, das die Kommunen bei den neuen Herangehensweisen berät, das Know-how und Lösungen anbietet, das Ansprechpartner ist, das aber auch selbst agieren und die Thematik pädagogischen Schulbaus vorantreiben kann.
Von den Ländern erhoffe ich mir, dass sie offen für die Aktivitäten des Bundes sind und eine Aufhebung des Kooperationsverbotes einfordern und begrüßen. Den Kommunen, die ja sehr interessiert und offen für neue Herangehensweisen sind, wünsche ich, dass sie sich bei Schulbauvorhaben mit ihren Entscheidungsträgern auf den Weg machen und andere Kommunen besuchen, die schon Erfahrungen mit pädagogischer Architektur gesammelt haben.
Wie gehen die Schülerschaft und die Lehrkräfte Ihrer Erfahrung nach mit den neuen Schulbauten um? Was machen sie etwa mit der plötzlichen Transparenz, wo ja vorher – im Positiven wie im Negativen – ein gewisser Schutzraum bestand?
Rainer Schweppe: Sagen wir lieber, eine ziemliche Enge bestand. Wenn Schülerinnen und Schüler wie auch Lehrkräfte andere Räume noch nicht kennen, sind sie sehr kritisch und fragen: Wie wird das wohl werden, wenn wir so arbeiten müssen? Wie kommen wir als Lehrkräfte mit dieser Offenheit zurecht, verstehen wir uns wirklich als Teamplayer? Ist das wirklich produktiv? Vor allem auch: Werden Schülerinnen und Schüler nicht zu sehr abgelenkt, wenn sie mit transparenten Wänden das Schulleben in der Umgebung stärker wahrnehmen? Das ist häufig der Fall, bevor man in solchen neuen Konstellationen arbeitet. Die Praxis zeigt hingegen, dass bei den Beteiligten eher der Wunsch nach noch mehr Offenheit und mehr Teamarbeit entsteht, weil sich also tatsächlich das Zusammengehörigkeitsgefühl vergrößert. Die Architektur als dritter Pädagoge beflügelt im Grunde die Kooperation zwischen Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften, aber auch unter den Lehrkräften. Dabei wird nichts erzwungen, sondern tatsächlich wird diese neue Raumstruktur als Chance begriffen. Das sind die Rückmeldungen, die ich immer wieder bekomme.
Einige Lehrer stellten fest, dass es in diesem kleineren Teamzusammenhang und der angenehmeren Arbeitsatmosphäre wieder besser gelingt, Kollegen zu unterstützen und zu motivieren, die vielleicht schon nicht mehr so aktiv dabei waren. Und da die Lehrer über die Teamräume für die Schülerinnen und Schüler nicht mehr ganz so weit weg sind, verändert sich auch das tägliche Leben in der Schule. Sie empfinden Lehrer nicht mehr nur als Lehrer, sondern auch als Coach und Menschen, die man ansprechen kann, die einem helfen. Auch die selbstständige Arbeit in kleineren Gruppen außerhalb des Raumes setzt wieder Energien und Motivation frei, sich mit Stoff auseinanderzusetzen, eigene Recherchen in der Bibliothek oder im Internet zu machen und dabei das Vertrauen der Lehrkräfte zu haben.
Schulsanierung
Viele Schulen in Deutschland sind sanierungsbedürftig. Wie kommt es, dass so ein riesiger Sanierungsstau entsteht? Warum wurde der Schulbau eigentlich so lange in Deutschland vernachlässigt?
Rainer Schweppe: Die Gebäudeunterhaltungsmittel der Gemeinden sind sehr große Finanzpositionen der kommunalen Haushalte. In schlechten konjunkturellen Phasen musste auch auf der kommunalen öffentlichen Ebene deutlich eingespart werden. Wenn Sie sich in der Zeit als für die Finanzen verantwortlicher Kämmerer fragten, wo Sie in Ihrer Kommune einsparen konnten, wollten Sie möglichst niemandem unmittelbar wehtun, etwa keine laufenden sozialen oder kulturellen Projekte beenden. Dann schien es einfacher, an den großen Töpfen, etwa im Schulsanierungsbereich zu sparen. So entwickeln sich häufig über Jahre hinweg Einsparschleifen bei den großen Titeln, bis eine bautechnisch und politisch nicht mehr tragbare Situation gegeben ist.
Das betrifft aber auch andere Bereiche, wie beispielweise die Straßen- oder Brückenunterhaltung. Überall da, wo Infrastruktur vorgehalten werden muss, muss sie gepflegt werden. Da sind zugunsten kurzfristiger Ziele und zulasten der Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit viele falsche Entscheidungen getroffen worden. Das ist auf der einen Seite sehr bedauerlich, auf der anderen Seite bietet dieser große Sanierungsaufwand eine große Chance zu modernisieren. Insofern ist auch ein "Phönix-Effekt" entstanden, denn im Zuge der Sanierungen können wir die Schulen für die Nutzer und für die Pädagogik von heute gestalten.
Lassen sich denn in zu sanierenden Schulen auch neue Raumkonzepte umsetzen, das heißt mit der Sanierung Schulen erneuern, oder muss man solche Schulen gleich neu bauen?
Rainer Schweppe: Es kommt unter anderem auf die Entwicklung der Schülerzahlen an: In Städten, in denen neue Schulen gebaut werden müssen, ist in den vorhandenen Schulen bereits zu wenig Platz. Hier können sehr gute Ergebnisse durch die Verbindung von Erweiterung und Sanierung im Sinne pädagogischer Architektur erzielt werden. In Kommunen mit stagnierenden oder sinkenden Schülerzahlen, werden Räume frei, die sich insgesamt anders gestalten lassen und dann neue Chancen bieten. Im Normalfall ist bei einer Schule mit einem hohen Sanierungsbedarf, das heißt einer Generalsanierung auch der Gebäudesubstanz, die Chance immens, die Gestaltung mit pädagogischen Impulsen zu verknüpfen und für die Schülerinnen und Schüler wie für die Lehrkräfte zu optimieren. Doch auch in Schulen, bei denen die Bausubstanz noch gut erhalten ist, können neue räumliche Konzepte für das schulische Leben umgesetzt werden. Beispielhaft ist hier die Grundschule Herringhausen in Herford (Schulbaupreis 2008 des Landes NW), die durch kleine Maßnahmen das Innere des Gebäudes wesentlich umgestaltet hat. Auch an anderen Schulen wurden einzelne Konzepte wie zum Beispiel die Lernhausstrukturierung im Rahmen der Möglichkeiten umgesetzt: ganz einfach zum Beispiel durch Farbgebung, indem sie zu Pinsel und Farbe gegriffen haben und die Klassen des Lernhauses A mit roten Türen versehen wurden, die des Lernhauses B mit blauen. Man kann auch normale Türen durch Glastüren ersetzen und dadurch zu einer offeneren Gestaltung kommen. Oder man schafft die Schulklingel ab, die ja ganz stark den 45-Minuten-Rhythmus prägt, und beginnt mit neuen Arbeitskulturen. Oder Schulen treffen mit dem Brandschutz eine Vereinbarung, dass sie auch auf dem Flur Möbel aufbauen dürfen, die fest mit dem Boden verbunden sind, also den Fluchtweg nicht gefährden. So kann schon differenziert gearbeitet werden. Es gibt also ganz unterschiedliche Ansätze, viele Lösungen sind möglich.
Rainer Schweppe berät Politik, Institutionen und Verwaltungen im Bereich Schulbau und pädagogischer Architektur. 2016 und 2017 leitete er die Facharbeitsgruppe Schulraumqualität des Landes Berlin, die das "Konzept der Berliner Lern- und Teamhäuser" entwickelt hat. Als berufsmäßiger Stadtrat und Stadtschulrat in München leitete er von 2010 bis 2016 das Referat für Bildung und Sport und begründete das "Münchner Lernhauskonzept". Bis 2010 stand er der Bildungsabteilung der Stadt Herford vor und realisierte unter Einbindung der Universitäten Duisburg-Essen und Paderborn mit dem "Herforder Modell" ein neues Schulbaukonzept, in dessen Zentrum sog. Lernhäuser standen. Zudem war er u. a. 2014 - 2017 Mitglied der Jury des Deutschen Schulpreises der Robert Bosch Stiftung und der Heidehof Stiftung. Kontakt per E-Mail: E-Mail Link: rainer.schweppe@gmx.de
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