Die aktuelle Diskussion um Partizipation in Kindergärten hat eine längere Vorgeschichte. Zwei Beispiele: In den 1970er Jahren begannen Vertreter des Situationsansatzes in der Kindergartenpädagogik mit der intensiven Einbeziehung von Kindern in Entscheidungen; im Mittelpunkt standen dabei insbesondere thematische Projekte, die von Kindern und Erwachsenen gemeinsam entwickelt wurden. Einen anderen Impuls setzten Lothar Klein und Herbert Vogt in den 1990er Jahren; ausgehend von den basisdemokratischen Ideen des französischen Reformpädagogen Célestin Freinet empfahlen die beiden Autoren, in Kindertageseinrichtungen konsequent den Gedanken der Partizipation in die Tat umzusetzen. Emphatisch schrieben sie:
"Den Kindern das Wort zu geben, also kindzentriert zu denken und zu handeln, bedeutet (...):
In andauernden Veränderungsprozessen
mit Kindern gemeinsam,
auf nur jeweils konkrete Situationen bezogen
und individuell zugeschnitten
auszuhandeln,
wo die Grenzen der Freiheit liegen,
und wer wem gegenüber
bis wohin verantwortlich ist.
(...) In Gruppenbesprechungen, im Kinderrat, in Werkstatt- oder Finanzräten entscheiden Kinder über alle möglichen Angelegenheiten des Zusammenlebens im Alltag."
Äußerungen dieser und ähnlicher Art erzeugten zum damaligen Zeitpunkt im öffentlichen Diskurs und in offiziellen Dokumenten nur bedingt eine Resonanz. Doch wie ist der Stand heute? Hat sich das Thema "Partizipation/demokratische Teilhabe in Kindergärten" mittlerweile etabliert, welchen Stellenwert hat es?
"Partizipation" in den Bildungsplänen
Feststellbar ist zurzeit ein uneinheitlicher Etablierungsgrad. Dies lässt sich unter anderem ablesen an den aktuellen Kindergarten-Bildungsplänen der Bundesländer. Die Durchsicht zeigt, dass die Bildungspläne der Bundesländer das Thema Partizipation sehr unterschiedlich behandeln. Fasst man die Bildungspläne, die ähnlich mit dem Thema umgehen, zusammen, ergeben sich insgesamt vier verschiedene Varianten :
In Variante A wird der Kindergarten verstanden als "Kinderstube der Demokratie". Entsprechend umfangreich und detailliert sind die einschlägigen Ausführungen. Es wird unterstrichen, dass die Partizipationsrechte der Kinder institutionell verankert sein müssen. In Variante B wird das Prinzip der demokratischen Teilhabe nachdrücklich unterstützt. Offen bleibt, wann genau und in welcher Form die Teilhabe ermöglicht werden soll und inwiefern eine institutionelle Verankerung der Mitbestimmungsrechte erforderlich ist. In Variante C wird das Prinzip der Beteiligung benannt und bejaht. Offen bleibt, in welchem Umfang, wann genau und in welcher Form die Kinder bei Entscheidungen mitbestimmen können und wie verbindlich die Idee der Partizipation im Alltag verankert wird. In Variante D wird den Kindern zugestanden, dass sie ihre Meinung äußern können. Offen bleibt, welchen Stellenwert diese Meinungsäußerungen im Kindergartenalltag haben.
Schauen wir uns zwei Bildungspläne etwas genauer an; es sind Pläne, die der Variante A zugeordnet werden können: der Bildungsplan des Landes Schleswig-Holstein "Erfolgreich starten: Leitlinien zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen" und "Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung".
Zunächst zu den "Leitlinien" des Landes Schleswig-Holstein. Dort wird der demokratietheoretische und pädagogische Hintergrund eines partizipativen Kindergartenansatzes erläutert:
"Demokratie basiert auf den Menschenrechten und den damit verbundenen Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Dass diese individuellen Rechte der einzelnen Gesellschaftsmitglieder auch für Kinder gelten, ist international in der UN-Konvention für die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 vereinbart. Demokratie als Leitprinzip sichert den Kindern demokratische Rechte zu und wendet sich gegen undemokratische Verfahrensweisen.
(…)
In Kindertageseinrichtungen erleben Kinder in der Regel das erste Mal außerhalb der Familie, wie eine Gemeinschaft zwischen Kindern und Erwachsenen geregelt ist, wie Entscheidungen gefällt werden und welchen Einfluss sie auf diese Prozesse haben. Sie erleben, ob alle Entscheidungen von anderen gefällt werden oder ob ihre Stimme gehört wird und sie Einfluss auf die Gestaltung ihres unmittelbaren Alltags in der Einrichtung haben. Wenn Demokratie als Leitprinzip angewendet wird, sind Kindertageseinrichtungen ein Lern- und Übungsfeld für demokratische politische Bildung und wirken als "Kinderstube der Demokratie".
Entsprechend charakterisieren die "Leitlinien" Partizipation als durchgängiges Prinzip des Kindergartens:
"Partizipation ist mehr als eine punktuelle Beteiligung von Kindern bei einzelnen Fragen. Sie zieht sich als pädagogisches Prinzip durch den gesamten Alltag der Kindertageseinrichtung."
Nach Ansicht der Autorinnen und Autoren der "Leitlinien" bedarf es daher einer "strukturellen Verankerung" der Beteiligungsrechte in den Kindergärten:
Am Ende der "Leitlinien" werden die Leserinnen und Leser auf einen besonderen Service hingewiesen, der noch einmal den Stellenwert des Themas unterstreicht:
"Zur Unterstützung der Umsetzung der Bildungsleitlinien und der Umsetzung von Partizipation wurden Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausgebildet. Sie unterstützen Kindertageseinrichtungen bei konkreten Vorhaben zur Verbesserung der Bildungsqualität bzw. bei der Umsetzung von Partizipation im Alltag der Einrichtung."
"Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan" setzt ähnliche Akzente. Hier wird betont:
"Als (Mit-)Betroffene und "Experten in eigener Sache" werden alle Kinder in bildungs- und einrichtungsbezogene Planungs-, Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse regelmäßig mit einbezogen. Es wird ihnen dabei ernsthaft Einflussnahme auf Inhalte und Abläufe zugestanden."
Beteiligung, so die Autorinnen und Autoren, sei von klein auf möglich. Das Alter spiele für die Beteiligungsform eine Rolle, nicht hingegen für die Beteiligung als solche. Entsprechend wird dem Prinzip der Beteiligung ein hoher Stellenwert eingeräumt:
"Kinderbeteiligung erweist sich als Kernelement einer zukunftsweisenden Bildungs- und Erziehungspraxis, sie ist der Schlüssel zu Bildung und Demokratie. Sie hat einen breiten Einsatzbereich und einen hohen Wirkungsgrad".
"Partizipative Bildungsprozesse verklammern und verknüpfen alle Kompetenz- und Bildungsbereiche, sie fordern und stärken die Kinder in ihrer gesamten Persönlichkeit. Partizipation zielt auf Mündigkeit, die Fähigkeit zur Selbst- und Mitbestimmung, die Kinder nur selbsttätig erwerben können."
Soweit die Theorie. Doch wer mit dem Thema nicht vertraut ist, wird sich vermutlich fragen: Ist Partizipation im Kindergarten überhaupt machbar? Und wenn ja: Welche Partizipationsformen gibt es, und wie funktionieren sie?
Formen der Beteiligung
Evaluationen von Partizipationsprojekten zeigen, dass demokratische Teilhabe in Kindergärten realisierbar ist. Allerdings, das wird ebenfalls deutlich, hängt sie von mehreren Voraussetzungen ab: Es müssen bestimmte Rahmenbedingungen in den betreffenden Einrichtungen geschaffen werden, und die jeweiligen Fachkräfte müssen die verschiedenen Partizipationsformen kennen und kompetent handhaben. - Wie funktioniert nun Partizipation in Kindergärten im Einzelnen?
Es lassen sich grob drei Typen der Beteiligung unterscheiden: projektbezogene, offene und repräsentative Formen der Beteiligung.
Bei der projektbezogenen Beteiligung befassen sich die Kinder in einem zeitlich überschaubaren Rahmen mit einem klar abgesteckten Thema. Der Impuls zur Bearbeitung des Themas kann von den Kindern oder von den Erwachsenen ausgehen. Projektartig behandelte Themen, bei denen die Kinder mitbestimmen können, sind z.B.: die Vorbereitung eines Ausfluges, die Umgestaltung eines Raumes, der Entwurf einer Kita-Zeitung.
Zu den offenen Formen der Beteiligung zählen Kinderkonferenzen, Erzähl- und Morgenkreise und Kinderversammlungen. Hier können die Kinder ihre Anliegen einbringen, diskutieren und damit Einfluss auf den Kita-Alltag nehmen. Kinderkonferenzen und Erzähl- und Morgenkreise betreffen die Kinder einer Stammgruppe, Kinderversammlungen betreffen alle Kinder einer Kita. Die Zusammenkünfte können sowohl von den Fachkräften als auch von den Kindern moderiert werden. Hier ein Beispiel zu den Themen und Beschlüssen einer Kinderkonferenz; Ausgangspunkt des Beispieles ist die Beobachtung einer Fachkraft, dass viele Kinder ihr Mittagessen stehen lassen. Die Fachkraft fragt, was los ist:
"Ich mag die Pilze nicht", antwortet Konstantin sofort. "Pilze sind doch lecker, aber Zwiebeln schmecken nicht", erwidert Lena. Schnell wird deutlich, dass viele Kinder einzelne Zutaten nicht mögen. Die Erzieherin fragt weiter, was man denn da tun könne. Lena antwortet prompt: "Die sollen nicht immer alles in einen Topf tun." Die Fachkraft erinnert sich, dass die Probleme besonders dann auftreten, wenn es Mahlzeiten gibt, die fertig angerichtet sind und bei denen die einzelnen Bestandteile nur schwer zu trennen sind: Aufläufe oder Eintöpfe.
Die Kinderkonferenz beschließt, mit den Mitarbeiterinnen aus der Küche zu sprechen, ob sie in der nächsten Zeit die Nahrungsmittel getrennt ausrichten könnten, damit die Kinder selbst entscheiden können, welche Bestandteile sie auf ihren Teller füllen.
Repräsentative Beteiligungsformen sind der Kinderrat und das Kinderparlament. In den Kinderrat werden Delegierte der Kindergruppen gewählt. Die Gewählten sind in der Regel ältere und besonders kompetente Kinder. Sie treffen sich regelmäßig in Dienstbesprechungen mit Mitgliedern des pädagogischen Teams, der Einrichtungsleitung und evtl. mit einer Elternvertretung, um aktuelle Anliegen zu besprechen. Aus der Praxis wird Positives über den Kinderrat berichtet: "Mit dem Vertrauen der Erwachsenen in die Kinder wächst die Bereitschaft, ihnen mehr Einflussmöglichkeiten auf das Einrichtungsgeschehen einzuräumen (z.B. die Unzufriedenheit der Kinder mit den angebotenen Teesorten führt zum Beschluss, einen Teehändler für eine Teeprobe in die Einrichtung einzuladen (...))."
Was sich hinter dem Begriff "Kinderparlament" verbirgt, soll wieder ein Praxisbeispiel veranschaulichen:
"Im Kindergarten der Ev. Auferstehungsgemeinde in Frankfurt / Main nehmen alle Kinder, die im nächsten Jahr zur Schule kommen, am Kinderparlament teil. Zwei Erzieherinnen begleiten das Parlament. Sie strukturieren die Sitzungen im Hintergrund, führen Protokoll, unterstützen die Kinder nach Bedarf. Die wöchentlichen Sitzungen werden von den gewählten Vorsitzenden geleitet. Am Tag nach der Parlamentssitzung findet eine Vollversammlung aller Kinder und Erwachsenen statt, in der die Vorsitzenden die Sitzungsergebnisse vorstellen. Die begleitenden Erzieherinnen achten darauf, dass jedes Kind im Laufe der einjährigen Amtszeit einmal im Vorstand sein kann. Das pädagogische Ziel, das hier im Vordergrund steht, ist die Kompetenzerweiterung jedes einzelnen Kindes. In dem einen Jahr lernen sie u.a., ihre Interessen zu benennen, sich darüber mit anderen auseinander zu setzen oder die Ergebnisse vor vielen Zuhörern zu präsentieren".
Mittlerweile existieren Kindergärten, die sich eine Kita-Verfassung gegeben haben.
In einer Kita-Verfassung sind die Mitbestimmungsrechte der Kinder verbindlich festgeschrieben. Es werden die Mitbestimmungsformen (z.B. Kinderkonferenzen, Kinderparlament) und deren Funktionsweisen genau benannt; zudem werden die Bereiche fixiert, in denen die Kinder selbst bestimmen können (z.B. Spielgestaltung), mitbestimmen können (z.B. Themenauswahl von Gruppenaktivitäten) und nicht mitbestimmen können (z.B. Sicherheitsfragen).
Unterstützende Formen der Kommunikation
Die bisherigen Praxiserfahrungen zeigen, dass gelingende Partizipation eine unterstützende Form der Kommunikation voraussetzt. Unterstützend sind unter anderem Methoden der Visualisierung. Das heißt: Gemeinsam mit den Kindern können Symbole vereinbart werden, die es ermöglichen, Themen, Tagesordnungen und Ergebnisse von Kinderkonferenzen in einer gut verständlichen Bildersprache auf Plakaten festzuhalten. Hilfreich sind hierbei Zeichnungen, Piktogramme und Fotos.
Auch bei Abstimmungen ist eine klare Symbolisierung wichtig. Hier gibt es verschiedene Varianten, etwa Abstimmungen durch Positionierung in einer der vier Ecken des Raumes; Abstimmungen mit Ampelkarten; Abstimmungen mit bunten Glassteinen, die in die Schalen einer Waage gelegt werden, oder auf Bilder, die einen bestimmten Vorschlag symbolisieren.
Die prägnante symbolgestützte Kommunikation kann ebenso in anderen Zusammenhängen unterstützt werden, wie folgendes Beispiel zeigt: "Bei einer Begehung ihres Gruppenraumes bitten die pädagogischen Fachkräfte die Kinder, überall, wo sie gerne spielen, einen grünen Klebepunkt anzubringen, und überall dort, wo sie gar nicht gerne spielen, einen roten. Anschließend suchen sie mit den Kindern die Teile des Raums auf, in denen es viele grüne, viele rote und gleichermaßen viele rote und grüne Punkte gibt. Sie befragen die Kinder, was sie hier jeweils Tolles spielen bzw. was sie hier doof finden, notieren dies gegebenenfalls und erfahren so differenziert, welche Bereiche erhalten, welche entfernt und welche wie verändert werden sollen."
Neben den Methoden der Visualisierung ist die kompetente Gesprächsführung bei Kinderkonferenzen und anderen Zusammenkünften von entscheidender Bedeutung. Insbesondere die Art, Fragen zu stellen, hat Konsequenzen für das Gelingen oder Nichtgelingen von Partizipation. Wenig ratsam sind beispielsweise Suggestivfragen, komplizierte Fragen und Warum-Fragen, die Kinder oft nicht beantworten können. Günstig hingegen ist der Gebrauch von offenen Fragen am Anfang einer Zusammenkunft ("Was fällt euch zu X ein?") und die allmähliche Verengung der Fragen im weiteren Diskussionsverlauf ("Was genau sollen wir jetzt machen?"). So kann gewährleistet werden, dass die Kinder ihre Gedanken frei einbringen können und am Ende ein greifbares Ergebnis herauskommt.
Ergebnisse empirischer Untersuchungen
Zu der Frage, ob und welche Effekte Partizipation von Kindern in Kindergärten hat, liegen unter anderem die Ergebnisse von vier aufwendigen empirischen Untersuchungen vor.
Die erste Untersuchung wurde von Oktober 2001 bis September 2003 durchgeführt. Untersucht wurden sieben Kindertageseinrichtungen, die sich im Rahmen eines Modellprojektes des Landes Schleswig-Holstein dazu bereit erklärten, ihr pädagogisches Konzept stark zu verändern und Kindern die intensive Mitbestimmung im oben beschrieben Sinne zu ermöglichen. Die Untersuchungsdaten wurden zu Beginn und am Ende der Modellprojektphase durch schriftliche und mündliche Befragungen der Fachkräfte in den sieben Kindertageseinrichtungen erhoben. Gefragt wurde unter anderem: Was haben die Kinder durch die verstärkte Partizipation gelernt? Die Antworten darauf sind vielfältig: "Selbständigkeit", "Selbstbewusstsein", "dass ihnen zugehört wird", "dass ihre Meinung wichtig ist", "dass ihre Meinung zählt", "anderen zuzuhören", "Probleme anzusprechen", "andere Meinungen zu akzeptieren", "mit anderen zusammen Lösungen zu finden", "Entscheidungen zu treffen", "gemeinsam aufgestellte Regeln einzuhalten", "dass es Regeln gibt und dass trotzdem nicht immer alles klappt", "dass man sich einigen muss", "sich zur Wahl zu stellen", "für ein Amt zu kandidieren", "nicht genug Stimmen zu bekommen", "jemanden zu wählen", "eine Sitzung zu eröffnen", "hilfsbereit zu sein gegenüber Kleineren und Schwächeren", "dass sie etwas verändern können", "gemeinsam etwas zu planen und zu organisieren".
Insgesamt erhärten die Befragungsergebnisse die Vermutung, dass das Wirkungsspektrum der Konzeptumstellung hin zu mehr Partizipation in den untersuchten Modelleinrichtungen beträchtlich war. Wie es scheint, haben sich die Kinder nicht nur in ihrem Sozialverhalten positiv entwickelt, sondern auch ihr Wissen in vielerlei Hinsicht erweitert.
Die zweite Studie, die genannt werden kann, beruht auf Untersuchungen des Projektes "Demokratie leben". Das Projekt hatte eine sechsjährige Laufzeit (2002 bis 2007) und wurde in der brandenburgischen Kleinstadt Eberswalde durchgeführt.
Einbezogen in die Untersuchungen waren sieben Kindertageseinrichtungen (drei Einrichtungen von Anfang an, vier Einrichtungen ab 2005). Im Rahmen der Studie wurden nicht nur die pädagogischen Fachkräfte befragt, sondern auch die Kinder und deren Eltern sowie weitere Personen, die in das Projekt involviert waren. Außerdem erfolgten Beobachtungen in den Kindergruppen. Ergebnisse der Selbstevaluation der pädagogischen Fachkräfte wurden zusätzlich in die Studie miteinbezogen.
Bei der Auswertung der gesammelten Daten legten die Forscherinnen und Forscher u.a. besonderen Wert auf die Wirkungen, die das Projekt bei den pädagogischen Fachkräften hinterlassen hat. Hierzu heißt es in der Studie: "Mehrmals berichten befragte Erzieherinnen, dass sie sich im pädagogischen Alltag jetzt häufiger zurücknehmen, den Kindern mehr zutrauen und mehr Handlungsspielraum gewähren. Sie sehen ihre Aufgabe jetzt darin, den Kindern zu helfen, Dinge selbständig zu tun, und selbst Lösungen für Probleme zu finden. Erzieherinnen beschreiben, dass sie die Bedürfnisse der Kinder besser verstehen und dadurch auch individuell auf sie eingehen können. Sie bemühen sich, den Kindern aufmerksamer zuzuhören, sie genauer zu beobachten und sich nicht zu schnell in Konflikte einzumischen. Sie haben das Gefühl, dass die Kinder "seitdem besser lernen". "Die Erzieherinnen beschreiben deutliche Veränderungen bei der Gestaltung und dem Verständnis von Bildungs- und Lernprozessen. Sie hätten gelernt, die Kinder zu beobachten, sich in der Alltagsgestaltung an den Interessen der Kinder zu orientieren und sich von vorgegebenen Strukturen und Arbeitsplänen zu lösen."
Eine andere Studie basiert auf einer Evaluation in zwei Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen (2009/2012). Die Forscherinnen und Forscher befragten im Rahmen ihrer Studie die Fachkräfte, die Kinder und deren Eltern befragt wurden; außerdem beobachteten sie die Kinderkonferenzen. In beiden untersuchten Einrichtungen gibt es eine Kita-Verfassung; in ihr sind die Kinderrechte und die Beteiligungsverfahren fixiert. Zu den festgeschriebenen Beteiligungsverfahren gehören die Kinder- und Gruppenkonferenzen sowie das Kinderparlament. In beiden Einrichtungen wird klar unterschieden zwischen Angelegenheiten, (1) bei denen die Kinder selbst entscheiden dürfen (zum Beispiel "was sie im Kita-Alltag wo und mit wem machen, welche Person sie wickeln darf, wie sie sich im Innen- und Außenbereich der Kita kleiden, was und wie viel sie essen und trinken"), (2) bei denen die Kinder in bestimmten Grenzen mitentscheiden dürfen (zu Beispiel "die Gestaltung des Tagesablaufs, die Regeln des Zusammenlebens in der Kita, die Gestaltung der Innen- und Außenräume") und (3) über welche die Kinder nicht mitentscheiden dürfen (zum Beispiel "über Maßnahmen zur Gesundheitsfürsorge, über die Tischkultur, über Personalfragen (nur Anhörungsrecht)".
Die Meinungen der zum Partizipationsprojekt befragten Eltern variierten; es gab sowohl Befürworter als auch Skeptiker. Die Skeptiker äußerten unter anderem folgende Bedenken: Das Thema Partizipation werde im Vergleich zu anderen Themen überbewertet und nehme zu viel Zeit in Anspruch; die Kinder könnten die Gefahren bestimmter Dingen nicht einschätzen und sollten daher auch nicht selbst oder mitentscheiden; man vernachlässige die Erziehung der Kinder; die Partizipation vergrößere die Bürokratie im pädagogischen Alltag.
Dennoch kam das Forschungsteam nach Auswertung aller Befragungs- und Beobachtungsdaten zu einem positiven Gesamtergebnis: "Die Evaluation konnte zeigen, dass durch die Einführung der Kita-Verfassung bei den Kindern sowohl Demokratiebildung als auch allgemeine komplexe Bildungsprozesse angestoßen wurden." Die Autorinnen und Autoren der Studie sahen damit einen Nachweis dafür erbracht, "dass sich die Kinder durch die demokratische Verfasstheit der Kindertageseinrichtung zahlreiche demokratische Kompetenzen aneignen". Gemeint ist damit unter anderem, dass die Kinder lernen, Meinungen zu äußern und sich zu entscheiden, gemeinsam Ideen zu entwickeln und umzusetzen, Regeln einzuhalten, demokratische Verfahren "funktional zu praktizieren" sowie demokratisches Wissen auf Bereiche außerhalb der Kita zu übertragen; gemeint ist ferner, dass die Kinder ihre Frustrationstoleranz und Konzentrationsfähigkeit trainieren.
Die referierte Studie wurde in den Jahren 2013 bis 2016 in einem Anschlussprojekt (Titel: "Demokratiebildung in Kindertageseinrichtungen") vertieft. Dabei wurden sechs Kindertageseinrichtungen untersucht. Ausgewählt wurden die Einrichtungen aus einer Liste von "15 Best-Practice-Projekten". Eines der Auswahlkriterien besagte, dass die Einrichtungen "bereits mindestens zwei Jahre nach dem Konzept "Die Kinderstube der Demokratie" gearbeitet und eine gemeinsame Verfassung verabschiedet haben" mussten. Bei der Untersuchung standen u.a. drei Fragen im Mittelpunkt: Inwieweit sind die untersuchten Kinder dazu in der Lage, demokratisch zu agieren? Wie intensiv beteiligen sich die Kinder an der demokratischen Praxis ihrer Einrichtung? Welche Beteiligungspraxis hat sich in den Einrichtungen entwickelt? Zu Klärung der Fragen wurden verschiedene Forschungsmethoden eingesetzt: Gruppeninterviews mit pädagogischen Fachkräften, Kindern und Eltern; Einzelgespräche mit Leitungskräften; Beobachtungen von Gruppenkonferenzen, Morgenkreisen und Kitaparlamenten; Dokumentenanalysen (bezogen auf Kita-Verfassungen und Gremienprotokolle). Im Ergebnisteil des Forschungsberichtes schreiben die Autorinnen und Autoren u.a.: "Die (…) Auswertung der Gruppengespräche mit den 3- bis 4- und 5- bis 6-jährigen Kindern hat erkennbar werden lassen, dass die Kinder über ein hinreichend systematisches Wissen in Bezug auf Gremien, Verfahren und Rechte verfügen, dem sie weniger in abstrakt-analytischen Begriffen als in eigenen Worten Ausdruck verliehen haben. Die Ergebnisse lassen daher den Schluss zu, dass die Kinder in kognitiver Hinsicht als fähige Demokrat/innen einzuschätzen sind." "Die Forschungsergebnisse liefern deutliche Hinweise darauf, dass Kinder in Kindertageseinrichtungen (…) bereits engagiert Demokratie praktizieren, indem sie mit-reden, mit-handeln und mit-verantworten. Die Kinder beteiligen sich tatkräftig und selbstbewusst durch mitreden vor allem dann, wenn sie ganz konkrete Bedürfnisse zur Sprache bringen oder Interessen bekunden können." Nach Ansicht des Forschungsteams hat sich "gezeigt, dass es kein universelles Patentrezept für Demokratiebildung in Kindertageseinrichtungen geben kann. Jede Einrichtung hat über Jahre hinweg eine eigenständige partizipative Praxis erschaffen, die an die jeweiligen Anforderungen, Ideen und Vorstellungen der Beteiligten angepasst ist."
Wie lassen sich die hier knapp referierten Untersuchungen einordnen? Die Untersuchungen liefern Belege für die Behauptung, dass die Partizipation in Kindertageseinrichtungen realisierbar ist und dass konsequent und kompetent eingesetzte Partizipationsverfahren nicht nur politisch bildend, sondern auch allgemein bildend wirken. Allerdings: Aufs Ganze gesehen ergeben die Daten der bislang vorliegenden Untersuchungen immer noch eine recht schmale empirische Basis. Anders gesagt: In Anbetracht des Gewichtes, welches das Thema mittlerweile erlangt hat, und angesichts der Fülle von Aspekten, die bei diesem Thema zu berücksichtigen sind, erscheint es ratsam, die Untersuchungen zu intensivieren. Dabei müsste die Zahl der einbezogenen Kindertageseinrichtungen vergrößert, die Untersuchungsdauer verlängert und noch konsequenter mit Beobachtungsverfahren gearbeitet werden; überdies sollten auch Vergleiche mit Kontrollgruppen, in denen es keine Kita-Verfassungen gibt, bemüht werden.
Schluss
Eine Episode aus der Kindergartenpraxis veranschaulicht noch einmal die Mühen eines demokratisierten Alltags und das mit ihm verknüpfte Prinzip von Versuch-und-Irrtum:
"Die Fahrzeuge (Bobby-Cars, Dreiräder etc.) sind beliebte Spielzeuge im Außengelände. Da es sie aber nur in begrenzter Anzahl gibt, kommt es immer wieder zu Streit, wer welches Fahrzeug wie lange benutzen darf. Die Kinder beschweren sich bei den Kinderbesprechungen in den Gruppen, dass sie diese Situation doof finden. Einige stehen immer als Erste vor der Tür des Schuppens, in dem die Fahrzeuge aufbewahrt werden, andere geben die Fahrzeuge dann nur unter ihren Freunden weiter. Die Kinder beschließen: "Das soll anders sein." Die Fachkräfte unterstützen die Kinder dabei, eine Lösung zu finden, indem sie in den einzelnen Gruppen mit den Kindern Ideen sammeln, wie man diese Situation ändern könnte. Die Ideen werden im Kinderrat vorgestellt und diskutiert.
Zuerst entscheiden sich die Kinder für die Lösung "Abklatschen": Wenn einer ein Fahrzeug haben will, kann er abklatschen, und derjenige, der gerade auf dem Fahrzeug sitzt, muss es ihm geben. In der Probephase stellen die Kinder bereits nach einem Tag fest, dass diese Lösung unpraktikabel ist, weil ständig abgeklatscht wird und nun kein Kind mehr in Ruhe mit den Fahrzeugen spielen kann.
Nach einer erneuten Diskussion findet der Kinderrat eine zweite Lösung: Jedes Kind darf 10 Minuten mit einem Fahrzeug fahren. Die Idee: Die Kinder steigen alle zur gleichen Zeit auf die Fahrzeuge und nach 10 Minuten zeigt die Erzieherin mit einer Trillerpfeife an, dass die Zeit um ist und nun andere Kinder fahren dürfen. Diese Variante wird eine Woche lang ausprobiert. So richtig zufrieden sind die Kinder auch mit dieser Entscheidung nicht. Auch die Fachkräfte sind nicht wirklich glücklich damit: "Das geht jetzt zu wie auf dem Kasernenhof", bemerkt eine Erzieherin.
Schließlich kommen einige Kinder auf die Idee, eine Haltstelle zu bauen: Wenn ein Kind mit Fahren fertig ist, stellt es das Fahrzeug auf einem Platz ab. Dort gibt es (wie bei einem Bus) eine Haltstelle, an der die Kinder, die fahren wollen, sich hinsetzen. Und das Kind, das vorne sitzt, ist als Nächstes dran."