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Bildung – keine Wunderwaffe gegen Armut und soziale Ungleichheit | Bildung | bpb.de

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Infografik: Wie gut können Neuntklässler:innen Mathe? Infografik: Wie gut können Schüler:innen am Gymnasium Mathe? Ungleichheiten Bundesländerungleichheiten Bildungsungleichheiten - mögliche Ursachen Lehrkräfte & Bildungsungleichheit Schule & Bildungsungleichheit Brennpunktschule - ein Praxisbericht Infografik: Herkunft gleich Zukunft? "Wer kann, schickt seine Kinder auf eine bessere Schule" Geschichte Geschichte der allgemeinen Schulpflicht Schulgeschichte bis 1945 Kampf um die Schulstruktur Demokratisierung der Schulkultur Infografiken: Welche Schulen besuchten Achtklässler:innen in Deutschland, 1960-2012? Infografik: Welche Abschlüsse erreichten Schüler früher und heute? Datenreport 2021: Allgemeinbildende und berufliche Schulen Infografiken: Schule Infografik: 16 Bundesländer - 16 Schulsysteme Infografik: Welcher Anteil des Jahrgangs macht Abitur? 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Wie Bewegung den Lernprozess unterstützt Berufliche Bildung Berufsbildungsgesetz Berufsbildungsgesetz Zeitleiste: Berufsbildungsgesetz Duale & schulische Berufsausbildung Datenreport: Duale Ausbildung Duale Berufsausbildung Schulische Ausbildung Qualität dualer Ausbildung Dual und schulisch im Vergleich Bildungs-Schisma Ausbildungschancen Übergangsbereich Forschung Übergangsbereich Teilhabe durch Ausbildung Ausbildungschancen von Hauptschülern Interview: Geflüchtete Ausbildungsreife Berufswahl Interview: Berufsorientierung Berufswahl und Geschlecht Podcast: Berufswahl Grafiken zur Beruflichen Bildung Interaktive Grafik: Ausbildung, Übergangsbereich oder Studium? Interaktive Grafik: Bildungswege nach der Schule Infografik: Schulabschlüsse von Berufsanfänger/innern Infografik: Anteil der 25-34-Jährigen ohne Berufsabschluss Grafik: Berufsbildung für Jugendliche mit max. mittlerem Abschluss Grafik: Übergangsbereich oder Berufsausbildung? 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Infografik: Das monatliche Budget von Studierenden Infografiken: Welcher Anteil der jungen Erwachsenen je Bundesland erlangte das (Fach-)Abitur? (1995-2008) Infografik: Wachsender Studentenberg – Entwicklung der Studierendenzahlen in Deutschland Interaktive Grafik: Beliebte Studienfächer Geschichte des Bildungssystems Bildungsgeschichte im Überblick Überblick Geschichte des Bildungssystems Strategien für Chancengleichheit Entwicklung der Bildungsbereiche Frühkindliche Bildung Zeitleiste der frühkindlichen Bildung Schulgeschichte bis 1945 Schulgeschichte nach 1945 Abitur im Wandel Kampf um die Schulstruktur Demokratisierung der Schulkultur Strategien für Chancengleichheit Lebenslanges Lernen Bildungsexpansion Folgen der Bildungsexpansion Bildung, Erziehung und Lernen Helene Lange Bildung in der DDR Wie der sozialistische Staat die Bildungseinrichtungen prägte Von der Krippe bis zur Hochschule – das Bildungssystem der DDR Literatur Zahlen und Infografiken Grafiken: Soziale Rahmenbedingungen Infografik: Bevölkerungsstruktur in Deutschland Infografik: Wie veränderten sich die Geburtenzahlen in den Bundesländern? (1990-2012) Infografik: Arbeitnehmer im Inland nach Wirtschaftssektoren (1950-2012) Grafiken: Frühkindliche Bildung Infografik: Kita-Besuch Kinder unter 3 Jahre Kita-Besuch Kinder > 3 Jahre Bildungsbeteiligung Kinder < 3 Jahre Infografik: Betreuungsbedarf nach Bundesländern Infografik: Bildungsbeteiligung Kinder > 3 Jahre Infografik: Kitanutzung Infografik: Bildungsbeteiligung Kinder < 3 Jahre Migrationshintergrund Infografik: Kitabetreuung OECD-Länder Infografik: Betreuungsverhältnisse in der Krippe Infografik: Personalschlüssel Kita Infografik: Ausgaben OECD Infografik: Betreuungskosten OECD Grafiken: Schule Infografik: Schulabschlüsse in Deutschland Inwieweit glauben junge Menschen an gleiche Bildungschancen? Gute Bildung – wovon hängt sie ab? Das denken junge Leute Infografik: PISA 2022: Mathe-Kompetenzen sinken Grafiken: Berufsbildung Interaktive Grafik: Ausbildung, Übergangsbereich oder Studium? Infografik: Schulabschlüsse von Berufsanfänger/innern Infografik: Anteil der 25-34-Jährigen ohne Berufsabschluss Grafik: Berufsbildung für Jugendliche mit max. mittlerem Abschluss Grafik: Übergangsbereich oder Berufsausbildung? Infografik: Bildungschancen verschiedener sozialer Klassen Infografik: Wie unterscheidet sich die Ausbildungsteilhabe zwischen jungen Menschen deutscher und nicht-deutscher Herkunft? Infografik: Wie hat sich die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt entwickelt? Grafiken: Hochschule Infografiken: Welcher Anteil der jungen Erwachsenen je Bundesland erlangte das (Fach-)Abitur? (1995-2008) Infografik: Wachsender Studentenberg – Entwicklung der Studierendenzahlen in Deutschland Interaktive Grafik: Beliebte Studienfächer Infografik: Wie sicher war die Entscheidung für ein Studium? Interaktive Grafik: Nutzen eines Hochschulstudiums Interaktive Grafik: Entscheidung für das Studienfach Interaktive Grafik: Was haben Studierende aus ihrem bisherigen Studium mitgenommen? Infografik: Wie das Elternhaus den Bildungsweg prägt Infografik: Das monatliche Budget von Studierenden Grafiken: Private Bildung Infografik: Wie verbreitet sind Privatschulen und wer betreibt sie? Infografik: Bildungseinrichtungen in privater Trägerschaft Infografik: Entwicklung öffentlicher und privater Bildungsangebote Infografik: Anzahl der Privatschulen in Deutschland, 1992-2012 Infografik: Anzahl der Privatschulen in Deutschland nach Schularten, 1992 - 2012 Infografik: Anteil der Privatschülerinnen und -schüler an der Schülerschaft in Deutschland, 1992-2012 Infografik: Wer nimmt Nachhilfeunterricht in Anspruch? Infografik: Wieviel wird jährlich für Nachhilfe je Schüler:in ausgegeben? Grafiken: Bildungsungleichheit Karte: Klassenwiederholer:innen an allgemeinbildenden Schulen Infografik: Herkunft gleich Zukunft? Infografik: Soziale Herkunft & die Chance auf ein Studium Infografik: Wie gut können Neuntklässler:innen Mathe? Infografik: Wie gut können Grundschüler:innen Mathe? Infografik: Wie gut können Grundschüler:innen Lesen? Infografik: Wie gut können Schüler:innen am Gymnasium Mathe? Welche Reformen für Kita und Schule befürworten Erwachsene? Sonderpädagogische Förderung in Deutschland Infografik: PISA 2018: Hohe Schulleistungen und Chancengleichheit kein Zielkonflikt Infografik: Welcher Anteil aller Schüler:innen lernt an einer Förderschule? Armut und Grundschulen Infografik: Förderung durch Eltern Infografik: Leistungsniveau und Chancengleichheit Grafiken: Erträge von Bildung Infografik: Bildungsleistungen und langfristiges Wirtschaftswachstum (1960-2000) Infografik: Entwicklung der Arbeitslosenquote je nach Bildungsstand (1975-2011) Infografik: Erwerbsstatus von Erwachsenen mit geringen Lese- und Schreibfähigkeiten (2010) Infografik: Durchschnittliches Brutto-Einkommen von Frauen und Männern je nach Bildungsabschluss (2010) Infografik: Politisches Interesse je nach Schulabschluss (2010) Infografik: Wie beeinflussten Alter und Bildungsabschluss die Teilnahme an der Bundestagswahl 2009? Infografik: Welchen Einfluss hat der Schulabschluss auf die Teilnahme an politischen Aktivitäten? (2008) Infografik: Wie beeinflusst der Schulabschluss die Mitgliedschaft in Vereinen und Organisationen? (2010) Interaktive Grafik: Schützt Bildung vor Arbeitslosigkeit? Interaktive Grafik: Arbeitslosigkeitrisiko Infografik: Bevölkerungsstruktur in Deutschland Infografik: Wie veränderten sich die Geburtenzahlen in den Bundesländern? (1990-2012) Infografik: Arbeitnehmer im Inland nach Wirtschaftssektoren (1950-2012) Glossar Redaktion Digitalisierung und Bildung Stimmt's? “Am Anfang wollte ich einfach nur Mathe schwänzen”

Bildung – keine Wunderwaffe gegen Armut und soziale Ungleichheit Ein Plädoyer für mehr finanzielle Umverteilung

Christoph Butterwegge

/ 7 Minuten zu lesen

Quer durch das politische Spektrum wird die sozialpolitische Bedeutung von Bildung hervorgehoben. So wichtig die Bildungs-förderung sozial benachteiligter Kinder ist, als Mittel gegen Armut und soziale Ungleichheit greift sie zu kurz. Die Fragen der materiellen Umverteilung drohen aus dem Blick zu geraten.

Kinder spielen auf einem Spielplatz in Berlin Marzahn, Hellersdorf in einer Plattenbausiedlung. (© picture-alliance, ZB - Fotoreport)

In der "modernen Wissensgesellschaft" wird Bildung geradezu fetischisiert. Im Wettbewerb mit anderen "Wirtschaftsstandorten", so heißt es allenthalben, sei ein hohes Qualifikationsniveau der Bevölkerung ein entscheidender Standortfaktor und eine Vermehrung des "Humankapitals" der Schlüssel für wirtschaftliche Prosperität. Glaubt man dem Mainstream in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Publizistik, kann Bildung überdies fast alle gesellschaftlichen Übel heilen oder zumindest eindämmen, seien es ausufernde Kriminalität, exzessiver Drogenmissbrauch, jugendliche Aggressivität, gewalttätiger Rechtsextremismus oder (Kinder-)Armut und soziale Ungleichheit.

Wenn es um die Erklärung und Bekämpfung gesellschaftlicher Probleme geht, steht das Verhältnis von Armut und Bildung im Mittelpunkt fast aller Debatten. Sowohl mit Blick auf die Ursachen (analytisch) wie auch mit Blick auf die Verringerung bzw. Verhinderung von Armut (politisch-strategisch) erscheint der Faktor Bildung als dominant: Armut wird in Deutschland häufig auf Bildungsmängel zurückgeführt und daher konzentrieren sich Gegenmaßnahmen folgerichtig auf bildungspolitische Maßnahmen. Es ist jedoch fraglich, ob der Hauptgrund für die soziale Polarisierung der Gesellschaft wirklich in einer wachsenden Bildungsungleichheit und kulturellen Defiziten der Unterschichtangehörigen liegt, anders gesagt: ob sich die soziale Spaltung unserer Gesellschaft durch mehr oder eine bessere Bildung für alle bewältigen lässt.

Bildung ist zweifellos ein Wert an sich und – folgt man dem liberalen Vordenker und Soziologen Ralf Dahrendorf – ein soziales Bürgerrecht, das allen Gesellschaftsmitgliedern zusteht. Hier wird gleichwohl argumentiert, dass eine Blickverengung auf (gescheiterte) Bildungsbiografien sozial Benachteiligter von den eigentlichen Wurzeln der sich ständig vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich ablenkt und zur Individualisierung, Psychologisierung bzw. Pädagogisierung eines sozioökonomischen Kardinalproblems der Gesellschaftsentwicklung führt, dessen erfolgreiche Lösung nur mittels einer Umverteilung materieller Ressourcen von oben nach unten möglich ist.

In einem reichen Land wie der Bundesrepublik beruht Armut auf zu hoher sozialer Ungleichheit. Um die Armut zu verringern, muss daher der im Übermaß vorhandene, aber in wenigen Händen konzentrierte Reichtum umverteilt werden. Vor einer entsprechenden Steuerpolitik aber schrecken viele Parteien zurück und verweisen stattdessen auf die überragende Rolle der Bildung zur Bekämpfung von Armut. Die dafür notwendigen Mittel aber werden nicht bereitgestellt. So wird alleinstehenden Erwachsenen ab 1. Januar 2017 im Hartz-Regelbedarf gerade einmal 1,05 Euro pro Monat für Bildung gewährt, ihren Partner(inne)n sogar nur 0,94 Euro. Symptomatisch war auch das Jahresgutachten 2016/17 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit dem Titel "Zeit für Reformen", welches statt einer Wiedererhebung der Vermögensteuer die Einführung eines verpflichtenden Vorschuljahres empfahl – Bildung ja, Umverteilung nein. Letztere ist jedoch die unabdingbare Voraussetzung für eine bessere Ausstattung der öffentlichen Schulen und eine umfassendere Bildung gerade auch der Kinder aus weniger privilegierten Familien.

Bildungsdefizite – Hauptursache von Kinderarmut?

Um die Lebenssituation sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler zu kennzeichnen, wird häufig der zur Jahrtausendwende von der Soziologin Jutta Allmendiger in die Fachdebatte eingeführte Begriff "Bildungsarmut" verwendet. Tatsächlich schlägt sich Armut nicht bloß als chronisches Minus auf dem Bankkonto oder als gähnende Leere im Portemonnaie nieder, sondern führt auch zu vielfältigen Benachteiligungen, etwa im Hinblick auf die mangelnde (Schul-)Bildung der Betroffenen. Es wäre jedoch ein Irrtum zu meinen, Armut erschöpfe sich in Bildungsdefiziten oder basiere primär darauf. Vielmehr ist das Verhältnis von Armut und Schulbildung erheblich komplizierter, als es zunächst scheint, und der Begriff "Bildungsarmut" missverständlich, wenn nicht irreführend.

Ungewollt verleitet der Begriff "Bildungsarmut" zu dem Irrglauben, eine gute Schulbildung biete die Gewähr für einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Zweifellos verhindern Bildungsdefizite vielfach, dass junge Menschen auf liberalisierten Arbeitsmärkten sofort Fuß fassen. Auch führt die Armut von Familien häufig dazu, dass deren Kinder keine weiterführende Schule besuchen oder sie ohne Abschlusszeugnis wieder verlassen. Armut in der Herkunftsfamilie zieht oftmals Bildungsdefizite der davon betroffenen Kinder nach sich. Der umgekehrte Effekt ist hingegen kaum signifikant: Ein schlechter oder fehlender Schulabschluss verringert zwar die Erwerbschancen, wirkt sich aber kaum nachteilig auf den Wohlstand einer Person aus, wenn diese vermögend ist oder Kapital besitzt. Armut führt in aller Regel zur Bildungsbenachteiligung der davon Betroffenen, Bildungsbeteiligung aber nicht zu Reichtum. Pointiert formuliert: Armut kann zwar auf die Dauer dumm machen, Dummheit deshalb jedoch noch lange nicht arm.

Armut und Bildung stehen in einem Wechselverhältnis zueinander, aber nicht in dem Sinne, dass Bildungsdefizite der Eltern die Kinderarmut herbeigeführt hätten. Kinder aus sozial benachteiligten Familien gehören zwar zu den größten Bildungsverlierer(inne)n, ihre Armut basiert jedoch selten auf falschen oder fehlenden Schulabschlüssen, denn die Letzteren sind höchstens Auslöser und Verstärker, aber nicht Verursacher materieller Not. Bildungsdefizite führen allerdings oft zu einer Verfestigung der Armut, weil die Chancen eines Menschen auf dem Arbeitsmarkt und Berufskarrieren heute immer stärker an Qualifikationen gebunden sind, die man an (Hoch-)Schulen erwirbt.

Wenn man so tut, als führten hauptsächlich mangelnde Bildungsanstrengungen zu materieller Armut, wird ausgerechnet den von Armut Betroffenen – im Sinne eines individuellen Versagens (der Eltern) – die Verant-wortung dafür zugeschrieben. Die gesellschaftlich bedingte Begrenzung ihrer Handlungsmöglichkeiten gerät dabei ebenso aus dem Blick wie die politischen Strukturzusammenhänge, die Armut als gesellschaftliches Phänomen bedingen. Die soziale Ungleichheit des Bildungserfolgs geht wesentlich auf die Ungleichheit der materiellen Lebensverhältnisse zurück.

Sowenig ein ökonomistisch verkürzter Armutsbegriff das Phänomen in seiner ganzen Komplexität erfasst, sowenig Sinn macht ein kulturalistisch verkürzter Armutsbegriff. Ohne die Berücksichtigung der Schlüsselrolle materieller Güter für die Existenz, das Ansehen und die Wertschätzung eines Menschen im Gegenwartskapitalismus kann das Problem der Armut nicht verstanden werden. Geradezu paradox erscheint, dass die überragende Bedeutung des Geldes sowie seiner halbwegs gleichmäßigen und gerechten Verteilung auf die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ausgerechnet zu einer Zeit immer häufiger angezweifelt wird, in der es aufgrund einer fortschreitenden Ökonomisierung und Kommerzialisierung fast aller Lebensbereiche ständig an Relevanz für die Grundversorgung und den gesellschaftlichen Status von Individuen gewinnt. Wer nicht über ausreichende materielle Mittel verfügt, kann keine kostenpflichtigen Weiterbildungskurse absolvieren, um seine persönlichen Arbeitsmarktchancen zu verbessern und keine private Rentenversicherung abschließen, um sich vor Altersarmut zu schützen. Schon ein Ausflug ins städtische Spaßbad, das vielerorts die öffentliche Schwimmhalle ersetzt hat, kommt angesichts der gestiegenen Eintrittspreise für so manche arme Familien nicht in Frage.

Konsequenzen für die Armutsbekämpfung: "Bildung für alle" statt Umverteilung des Reichtums?

Wenngleich Bildung unter günstigen Umständen fraglos zum individuellen beruflichen Aufstieg taugt, versagt sie als gesellschaftliches Patentrezept. Denn die Vorteile, die ein höherer Bildungsabschluss dem Einzelnen auf dem Arbeitsmarkt einbringt, beruhen gerade darauf, dass andere Mitbewerber den entsprechenden Abschluss nicht vorweisen können. Wenn es der Bildungspolitik tatsächlich gelänge, sämtliche benachteiligten Jugendlichen zu höheren Bildungsabschlüssen zu führen, was ihnen sehr zu wünschen wäre, würde dies nicht unbedingt größere Berufs- und Einkommenschancen für alle bedeuten. Vielmehr würde sie um die wenigen Ausbildungs- bzw. Arbeitsplätze womöglich nur auf einem höheren Bildungsniveau, nicht aber mit größeren individuellen Erfolgschancen konkurrieren. Eine bessere (Aus-)Bildung erhöht die Konkurrenzfähigkeit eines Heranwachsenden auf dem Arbeitsmarkt, Erwerbslosigkeit und (Kinder-)Armut vermag sie jedoch nicht zu beseitigen.

Zwar kann ein Individuum durch die Beteiligung an Bildungsprozessen einer prekären Lebenslage entkommen, eine gesamtgesellschaftliche Lösung bietet sie allein jedoch nicht. Die bestehenden Ungleichheitsstrukturen werden durch das mehrgliedrige Bildungssystem der Bundesrepublik nicht aufgebrochen, sondern reproduziert und zementiert. Nur wer sich der Grenzen einer Strategie bewusst ist, die auf vermehrte Bildungsangebote für Kinder aus sozial benachteiligten Familien setzt, kann einen Beitrag zur Bekämpfung des Armutsrisikos dieses Personenkreises leisten.

Ohne eine Verbesserung der Bildungseinrichtungen und der Bildungschancen für alle (Wohn-)Bürgerinnen und Bürger bzw. ihre Kinder ist die Armut nicht erfolgreich zu bekämpfen. Aber nur mittels eines Ausbaus im Bildungsbereich lässt sich das Problem ebenso wenig lösen. Vielmehr bedarf es darüber hinaus einer Vielzahl anderer Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Infrastruktur (etwa der öffentlichen Kinderbetreuung, des Gesundheitswesens und der sozialen Sicherung) einerseits sowie zur Umverteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen andererseits. Schließlich können Bildungspolitik und Pädagogik weder eine gerechte Steuerpolitik noch eine die Armut konsequent bekämpfende Sozialpolitik ersetzen.

Bildungsbeteiligung ist kein Garant für eine gesicherte materielle Existenz. Andernfalls hätten nicht über 10 Prozent aller Beschäftigten im Niedriglohnsektor einen Hochschulabschluss. So wichtig Bildungs- bzw. Kulturangebote für Kinder sind, so wenig taugen sie allein als Wunderwaffe im Kampf gegen die Armut. Zwar werden die Armen häufig dumm (gemacht), die Klugen aber deshalb nicht automatisch reich. Bildung ist daher auch nur ein begrenzt taugliches Mittel gegen (Kinder-)Armut, denn sie kann zwar Partizipationsdefizite junger Menschen mildern, die auf Unkenntnis beruhen, aber nicht verhindern, dass materielle Ungleichgewichte auf deren Arbeits- und Lebensbedingungen durchschlagen.

Da die "Bildungsferne" armer Familien eine Folge gravierender materieller Defizite ist, die teilweise über Generationen hinweg bestehen, lässt sich die Benachteiligung von Kindern nur dadurch verringern, dass der ursächliche Mangel an finanziellen Ressourcen behoben wird. Wenn man Inklusion nicht bloß als (sonder)pädagogisches Prinzip, sondern auch – in einem sehr viel umfassenderen Sinne – als gesellschaftspolitisches Leitbild begreift, muss ein inklusiver Wohlfahrtsstaat, der eine gleichberechtigte Partizipation aller Bürgerinnen und Bürger am gesellschaftlichen Reichtum wie am sozialen, politischen und kulturellen Leben ermöglicht, das Ziel sein. Grundlage dafür müsste ein Konzept bilden, welches unterschiedliche Politikfelder (Beschäftigungs-, Sozial- und Steuerpolitik) miteinander verknüpft, ohne die Bildungspolitik aus ihrer Verantwortung für bessere Entwicklungschancen der nachwachsenden Generation zu entlassen.

Fussnoten

Prof. Dr. Christoph Butterwegge ist Politikwissenschaftler und Armutsforscher. Bis zu seinem Ruhestand 2016 lehrte er Politikwissenschaft an der Uni Köln. Zuletzt erschien im April 2018 zusammen mit Gudrun Hentges und Bettina Lösch sein Buch „Auf dem Weg in eine andere Republik? Neoliberalismus, Standortnationalismus und Rechtspopulismus“. Weitere Texte des Autors unter Externer Link: www.christophbutterwegge.de