Schulfähigkeit ist demzufolge nicht nur eine Eigenschaft des Kindes, sondern entwickelt im Zusammenwirken der Beteiligten: Kind, Kindertageseinrichtung, Schule und Eltern. Kommunikation, Partizipation und Kooperation sind Voraussetzungen
Früher glaubte man, man müsse nur abwarten, bis biologische Vorgänge dazu führten, dass ein Kind reif für die Schule sei. Daher stammt der im vorigen Jahrhundert weit verbreitete Begriff der "Schulreife". Allerdings zeigten Untersuchungen sehr bald, dass Umwelteinflüsse, wie z.B. die Lernmöglichkeiten in Familien und in Kindertageseinrichtungen viel wichtiger für die Erlangung der Kompetenzen sind, die Kinder brauchen, um den Schulalltag erfolgreich zu bewältigen. Heute spricht man von "Schulfähigkeit", manchmal auch von "Schulbereitschaft". Als eine Folge der Auffassung von "Schulreife" hat sich bei vielen Menschen die Vorstellung erhalten, dass ein möglichst hohes Schuleintrittsalter den Schulerfolg sicherer macht.
Um schulfähige von nicht schulfähigen Kindern unterscheiden zu können, hat man versucht, psychologische Schulreife- bzw. Schulfähigkeitstests zu entwickeln. Diese Bemühungen führten zu keinen befriedigenden Ergebnissen. Die Tests erfassen immer nur den Entwicklungsstand eines Kindes zum Testzeitpunkt. Prognosen bezüglich des Schulerfolgs durch Tests erwiesen sich als unzuverlässig
Keine allgemein gültige Definition von Schulfähigkeit
Heute besteht Einigkeit darin, dass es eine allgemein gültige Definition von "Schulfähigkeit" nicht gibt und auch gar nicht geben kann. Die Anforderungen einer Schule an Kinder beim Schuleintritt sind nirgends explizit festgeschrieben. Schulen haben ihr eigenes Profil
"Schulfähigkeit" soll auch nicht heißen, dass Kinder schon zu allem fähig sein müssen, was in der Schule verlangt wird. Ein Schulkind wird das Kind in der Schule. Mit anderen Worten, jedes Kind braucht die konkreten Erfahrungen in und mit der Schule, um ein kompetentes Schulkind sein zu können
Zu den Anforderungen, die mit "Schulfähigkeit" im allgemeinen verknüpft werden, gehören kognitive Leistungen, soziale Kompetenzen so wie die Kompetenzen der Arbeitshaltung und Motivation, aber auch die körperliche Verfassung ist wichtig.
Körperlich-gesundheitliche Voraussetzungen
Es bestehen Beziehungen zwischen der körperlichen Entwicklung, dem Gesundheitszustand und dem Schulerfolg. Aktive Kinder, die sich viel bewegen, lernen leichter. Eine gute Körperbeherrschung schützt vor Unfällen und ein gutes Körpergefühl trägt zu einem positiven Selbstbild bei. Das hilft, auch in schwierig erscheinenden Situationen das Selbstvertrauen zu erhalten. Besondere Aufmerksamkeit ist dem Seh- und Hörvermögen zu schenken, da diese eng mit den Lese- und Schreibleistungen zusammenhängen. Manuelle Geschicklichkeit unterstützt die Feinmotorik des Schreibenlernens.
Kognitive Voraussetzungen
Dazu gehören: Differenzierte visuelle und auditive Wahrnehmung, bestimmte Behaltensleistungen, die Fähigkeit zum konkret-logischen Denken und zur Begriffsbildung, insbesondere von Zahl- und Mengenbegriffen. Denken und Sprechen sind eng miteinander verknüpft. Sowohl das passive Sprachverständnis als auch die sprachliche Ausdrucksfähigkeit sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass das Kind dem Unterricht folgen und sich selber einbringen kann.
Aktuell richtet sich ein Großteil der fachlichen Diskussion im Zusammenhang mit dem Schuleintritt auf Projekte zur Sprachförderung. Als bisherige Erkenntnis scheint sich herauszukristallisieren, dass Förderung dann sinnvoll ist, wenn sie über einen längeren Zeitraum kontinuierlich und aufbauend erfolgt. Auch ist davon auszugehen, dass nicht der Einsatz einzelner Programme entscheidend ist. Vielmehr müssen diese in eine qualitativ hochwertige Frühpädagogik eingebettet sein, die die vielen Möglichkeiten der Förderung von Kompetenzen im Kita-Alltag nutzt, die auch für das schulische Lernen relevant sind. Unverzichtbar sind dazu fachlich fundierte Kooperationen zwischen pädagogischen Fachkräften und Lehrkräften die die Anschlussfähigkeit der Lernprozesse sicherstellt.
Mengen-und zahlenbezogenes Vorwissen haben sich als Prädiktor für die Mathematikleistung in der Grundschulzeit erwiesen, so dass es sinnvoll erscheint, Kindern in der vor Schulzeit Anregung zum Erlangen von Mengen und Zahlen Vorwissen zu geben. Allerdings ist auch hier auf die Anschlussfähigkeit des nachfolgenden Lernens zu achten
Motivationale und soziale Voraussetzungen
Dazu gehören Motivation und Anstrengungsbereitschaft, die Fähigkeit zur Selbststeuerung der Aufmerksamkeit und zur Hemmung störender Impulse bzw. Bedürfnisse, so dass die Aufmerksamkeit ausreichend lange aufrecht erhalten werden kann. Sein Selbstbewusstsein sollte dem Kind gestatten, angstfrei mit altersgemäßen sozialen Situationen umzugehen, sich sowohl als Gruppenmitglied als auch als Individuum einzufügen und zu behaupten. Seine Selbstständigkeit sollte soweit entwickelt sein, dass es von einer andauernden direkten Zuwendung durch Erwachsene unabhängig ist.
Lernen mit gutem Gefühl ist am Anfang der Bildungslaufbahn besonders wichtig. Nicht zufällig lautet ein Grundsatz moderner Pädagogik: "Kein Kind darf beschämt werden."
Übergänge sind Entwicklungsimpulse
Übergänge, wie der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule, stellen vielfältige Anforderungen an die Bereitschaft und Fähigkeit zur Anpassung an die neuen Gegebenheiten. Die neuen Situationen enthalten aber gleichzeitig wichtige Entwicklungsanreize und mobilisieren Kräfte zur ihrer Bewältigung. Forscher sprechen von "verdichteten Entwicklungsanforderungen", auf die Kinder mit verstärkter Lernbereitschaft reagieren. Optimal ist es, wenn die neuen Anforderungen pädagogisch so gestaltet werden. dass sie den individuellen Kapazitäten entsprechen, um eine Überforderung aber auch eine Unterforderung zu vermeiden.
Kinder sind verschieden
Die Frage der Schulfähigkeit nur an den Kompetenzen des Kindes zu diskutieren, greift allerdings zu kurz. Die Jungen und Mädchen, die sich am ersten Schultag zu einer neuen Klasse zusammenfinden, sind sehr verschieden. Selbst dann, wenn sie alle am selben Tag auf die Welt gekommen wären, wäre ihr Entwicklungsstand unterschiedlich, sie hätten unterschiedliche Temperamente, sie hätten unterschiedliche Muttersprachen als Erstsprache gelernt und ihre ersten Lebensjahre in unterschiedlichen kulturellen und sozialen Familienumwelten verbracht und wären in unterschiedliche Kindergärten gegangen.
Der Schulfähigkeit des Kindes steht die "Kindfähigkeit" der Schule gegenüber. Damit ist gemeint, dass die Schule als aufnehmende Bildungseinrichtung die Übergangsbewältigung jedes Kindes so unterstützen sollte, dass kein Kind "zurückgestellt" werden muss. Kinder werden nicht eingeschult (im passiven Sinne), sondern sie müssen den Übergang aktiv bewältigen und haben Anspruch auf eine pädagogische Übergangsbegleitung die in Kindertageseinrichtung und Familie beginnt und in der Schule fortgeführt wird.
Alle Beteiligten sind gefordert
Das Zusammenwirken der Bildungseinrichtungen beschäftigt die pädagogischen Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen, die Lehrkräfte in Schulen, BildungsforscherInnen, BildungspolitikerInnen und nicht zuletzt Eltern seit einigen Jahren. Kindertageseinrichtungen sind heute als Bildungseinrichtungen anerkannt. In allen Bundesländern gibt es, ähnlich den Lehrplänen für Grundschulen, für die Kindertageseinrichtungen Bildungspläne bzw. Bildungsempfehlungen oder –richtlinien. In der Regel wird darin auch eine gemeinsame Gestaltung des Übergangs gefordert. Vielerorts gibt es bereits erprobte und erfolgreiche Kooperationen von Kindergärten und Grundschulen, die die gemeinsamen Aspekte ihres Bildungsauftrages umsetzen. Nur im Dialog, in der Zusammenarbeit kann geklärt werden, was unter Schulfähigkeit "bei uns" verstanden wird, und selbstverständlich sind in diesen Austausch auch die Eltern und die Kinder einzubeziehen. Neben Kindergarten und Schule bleibt das Elternhaus der nachhaltigste Bildungsort.