Zur Entstehung der Kindertageseinrichtungen
Die Anfänge der Kindertageseinrichtungen gehen zurück auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit entstanden in Deutschland – wie auch in anderen Ländern Europas – vermehrt Einrichtungen der öffentlichen Kleinkindererziehung. Zwar gab es auch schon im 18. Jahrhundert Einrichtungen zur Betreuung von kleinen Kindern außerhalb der Familie, zu einer Gründungswelle kam es jedoch erst in den 1830er und 1840er Jahren. Dabei kann keineswegs von einer hinreichenden Bedarfsdeckung gesprochen werden, denn um 1850 existierten im deutschsprachigen Raum nur etwa 500 bis 600 Kindertageseinrichtungen. Auffällig dabei ist, dass sie häufig den Namensbestandteil Schule enthielten, wie z.B. in Kleinkinderschule, Spielschule, Aufsichtsschule, Warteschule oder Strickschule. Daneben gab es die Bezeichnungen Pflegeanstalt, Vorbereitungsanstalt oder Kleinkinderbewahranstalt, und ab 1840, den Ausdruck Kindergarten. Für Säuglinge und Kleinstkinder wurden ab 1844 die ersten Krippen eingerichtet, zunächst in Paris, dann in Wien und anschließend in Bayern, Württemberg und Preußen.
Nicht nur bei der Namensgebung, sondern auch bei der räumlichen und inhaltlichen Gestaltung der Einrichtungen orientierte man sich an der Schule. So gehörten zur Ausstattung oft Bilder- und Schiefertafeln sowie eine Wandtafel. Meist wurde auch nach einem Stundenplan gearbeitet, mit Gesangs-, Sinnes-, Sprach-, Schreib-, Rechen- und Anschauungsübungen, aber auch körperlichen Übungen, Handarbeiten und Spielen. Dabei zeigt sich, dass sowohl die in den Stundenplänen aufgeführten Unterrichtsinhalte, als auch die Art ihrer Vermittlung oftmals ein wohl durchdachtes Verhältnis zwischen frühkindlicher und schulischer Bildung aufwiesen.
Einer der ersten Hinweise über Kindertageseinrichtungen ist einem Reisebericht über die Niederlande am Ende des 18. Jahrhunderts zu entnehmen. Hier gab es Spielschulen, in denen kleine Kinder unter der Aufsicht älterer Frauen spielten, aber auch einen ersten Unterricht erhielten (siehe Infobox).
Die ersten Kindertageseinrichtungen auf französischem Territorium waren vermutlich die ab 1770 von dem evangelischen Pfarrer Johann Friedrich Oberlin im Steintal (frz.: Ban de la Roche) in den Vogesen gegründeten Strickschulen und Kleinkinderschulen. Ganz im Sinne der damaligen Zielvorstellung einer Erziehung zu Fleiß, Regsamkeit und Arbeitsfreude, erhielten Kinder aus armen Familien in diesen Schulen eine Anleitung zur Verrichtung nützlicher Handarbeiten und wurden so frühzeitig an Arbeit gewöhnt. Daneben wurden sie an vier Tagen in der Woche in Lesen, Schreiben, Rechnen, Gesang, Naturgeschichte und biblischer Geschichte unterrichtet.
Als erste deutsche Kindertageseinrichtung gilt die 1802 durch die Fürstin Pauline zu Lippe-Detmold gegründete Aufbewahrungsanstalt kleiner Kinder. Hier wurden Kinder bis zum vierten Lebensjahr betreut, deren Eltern während der Sommermonate mit Ernte- und Feldarbeiten beschäftigt waren. Um einen Betreuungsplatz zu erhalten, mussten die Eltern nachweisen, dass sie aufgrund prekärer Lebensverhältnisse tatsächlich gezwungen waren, einer außerhäuslichen Tätigkeit nachzugehen. 1803 machte die Fürstin mit ihrem geheimnisvoll klingenden "Vorschlag, eine Pariser Mode nach Detmold zu verpflanzen" auf die Einrichtungen der öffentlichen Kleinkindererziehung aufmerksam (siehe Infobox).
Aber nicht nur in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland, sondern auch in Schottland und England gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts Tageseinrichtungen für kleine Kinder. Eine der ersten Einrichtungen wurde von dem britischen Unternehmer Robert Owen (1771–1858) im schottischen New Lanark gegründet. Owen war Besitzer einer Baumwollspinnerei. Für die Kinder seiner Arbeiter und Arbeiterinnen errichtete er verschiedene Erziehungseinrichtungen, darunter auch eine Kleinkinderschule (Infant School). Owens Erziehungseinrichtungen fanden breite Beachtung und inspirierten zu weiteren Einrichtungsgründungen. So eröffnete im Jahre 1820 im Londoner Stadtteil Spitalfield eine Kleinkinderschule, deren Leitung der Lehrer Samuel Wilderspin (1791–1866) übernahm. Bereits drei Jahre später veröffentlichte Wilderspin eine Schrift mit dem Titel: "On the Importance of Educating the Infant poor, from the age of eighteen month to seven years", die nach ihrer Übersetzung durch den Wiener Kaufmann Joseph Wertheimer (1800–1887) auch in deutschsprachigen Gebieten Verbreitung fand und damit den Bekanntheitsgrad der Kleinkinderschulen erhöhte.
In den Jahren 1824 und 1832 begab sich der evangelische Pfarrer Theodor Fliedner (1800–1864) auf Kollektenreisen, die ihn auch nach England führten. Hier lernte er die Londoner Kleinkinderschule kennen und eröffnete, angeregt durch diese Einrichtung, 1835 zunächst eine Strickschule in Düsseldorf und 1836 eine Kleinkinderschule in Kaiserswerth bei Düsseldorf, dem Ort seiner Pfarrgemeinde. Im gleichen Jahr begann er mit der Ausbildung von weiblichem Personal zur Erziehung kleiner Kinder und schuf damit die erste Ausbildungsstätte für frühpädagogische Fachkräfte in Deutschland. Die Sorge für kleine Kinder war ein Teilbereich des von Fliedner geschaffenen und noch heute existierenden diakonischen Werkes. Fliedner war neben Friedrich Fröbel (1782–1852) und Johannes Fölsing (1816–1882) einer der bedeutendsten Vertreter der öffentlichen Kleinkindererziehung im 19. Jahrhundert. Während Fröbel durch seinen 1840 begründeten Kindergarten und die damit verbundene Spielpädagogik einen relativ hohen Bekanntheitsgrad erreichte, sind die elementarpädagogischen Schriften Fölsings, die im 19. Jahrhundert weit verbreitet waren, heute nahezu in Vergessenheit geraten.
Gründe für die Entstehung von Kindertageseinrichtungen
Als Gründe für die Entstehung von Kindertageseinrichtungen lassen sich zwei Motive benennen: ein sozialfürsorgerisches und ein bildungspolitisches Motiv.
Das sozialfürsorgerische Motiv
Ein enormer Bevölkerungsanstieg, insbesondere in den unteren sozialen Schichten, führte im gesamten 19. Jahrhundert zu Massenarmut (Pauperismus) und einer damit verbundenen sozialfürsorgerischen Bedürftigkeit. Immer mehr Mütter waren gezwungen einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nachzugehen, da der alleinige Verdienst des Vaters zur Deckung der familialen Bedürfnisse nicht ausreichte. Allerdings waren die Mütter in der Entstehungszeit der Kindertageseinrichtungen nicht – wie vielfach behauptet wird – in Fabriken und Industriezentren beschäftigt, sondern arbeiteten z.B. als Heimarbeiterinnen in der Textilherstellung, als Fleisch-, Fisch-, Blumen- oder Gemüseverkäuferinnen, als Wäscherinnen oder als Tagelöhnerinnen, und natürlich als Bäuerinnen. Von einer flächendeckenden Industrialisierung in den deutschen Kleinstaaten kann für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts noch nicht gesprochen werden. Durch die massenhafte Erwerbsarbeit der Mütter verschlechterte sich jedoch die Betreuungssituation kleiner Kinder dramatisch. Sie verbrachten oft den ganzen Tag ohne Aufsicht auf der Straße oder wurden von älteren Geschwistern mehr schlecht als recht betreut. Angehörige der bürgerlichen Schichten wiesen auf die damit verbundenen Gefahren hin und versuchten durch die Gründung von Kindertageseinrichtungen Abhilfe zu schaffen (siehe Infobox).´
Mit ihren Forderungen befanden sich Gründer von Kindertageseinrichtungen jedoch unter erheblichem Legitimationsdruck, denn nach der damaligen bürgerlichen Familiennorm gehörten Betreuung, Erziehung und Bildung des kleinen Kindes zum primären Aufgabenkreis der Frau und damit in den Kreis der Familie. Kindertageseinrichtungen konnten also nur dann akzeptiert werden, wenn tatsächlich ein außerfamilialer Betreuungsbedarf, also eine Notsituation, vorhanden war (siehe Infobox).
Das bildungspolitische Motiv
Mit der Gründung von Kindertageseinrichtungen waren also zunächst Schutzabsichten und damit sozialfürsorgerische Motive verbunden. Daneben finden sich jedoch auch bildungspolitische Begründungen, die einen starken Schulbezug aufweisen. Die Vertreter dieser Position, die der Fröbelbewegung und/oder der Volksschullehrerschaft angehörten, forderten für tendenziell alle Kinder den Besuch einer vorschulischen Einrichtung, und zwar unabhängig von einem familiären Betreuungsbedarf. Damit verbunden war auch die Forderung, den vorschulischen Bereich ins Volksbildungswesen einzugliedern.
Während Theodor Fliedners Motive zur Gründung von Kindertageseinrichtungen mehr sozialfürsorgerischer Art waren, verfolgten Johannes Fölsing und Friedrich Fröbel eher pädagogische und damit bildungspolitische und schulbezogene Motive.
Für Fölsing, der 1843 in Darmstadt eine Kleinkinderschule für höhere Stände gründete, waren die Kleinkinderschulen schulvorbereitende Einrichtungen, die er als erste Stufe des Bildungssystems verstand. Wie Fliedner und Fröbel errichtete auch er ein eigenes Ausbildungsinstitut für frühpädagogisches Fachpersonal. Seine, aus heutiger Sicht durchaus aktuellen Gedanken zur frühkindlichen Bildung, wurden im 19. Jahrhundert zwar diskutiert, jedoch nicht umgesetzt und gerieten nach und nach in Vergessenheit.
Größere Bedeutung und Aufmerksamkeit erhielt dagegen der Thüringer Pädagoge Friedrich Fröbel, der Ende der 1830er Jahre damit begonnen hatte, den frühkindlichen Bildungsprozessen vermehrte Aufmerksamkeit zu schenken. Mit der Herstellung von Spielmaterialien und der Gründung einer Spiel- und Beschäftigungsanstalt, die er ab 1840 Kinder-Garten nannte, gab er seinen Gedanken zur frühkindlichen Bildung eine praktische Gestalt. Dabei konzipierte er seinen Kindergarten zunächst nicht als Betreuungseinrichtung außerhalb der Familie, sondern als Modellspielstätte für Mütter mit ihren Kindern und nannte ihn Anstalt zur Pflege des Beschäftigungstriebes für Kindheit und Jugend. Die Mütter sollten hier über die von ihm entwickelten Spielmaterialien, die Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung erkennen und mit ihren Kindern spielen lernen. Erst einige Zeit später erweiterte Fröbel seine Kindergartenidee zu einer frühkindlichen Einrichtung und gründete 1849 in Bad Liebenstein eine Ausbildungsstätte für Kindergärtnerinnen.
Von Anfang an verstand Fröbel den Kindergarten als frühkindlichen Bildungsort und achtete auf Kontinuität zur Schule. Im Mittelpunkt seiner Pädagogik stand die kindliche Selbsttätigkeit, die er durch das Spiel anregen und fördern wollte. Eine außergewöhnliche Vorgehensweise für die damalige Zeit, denn in den meist konfessionell geprägten Kleinkinderschulen und Bewahranstalten galt das Spiel eher als Belohnung für eine geleistete Arbeit. Die Leitbilder dieser Pädagogik waren eher Unterordnung, Gehorsam und Gewöhnung an Sittlichkeit.
Das preußische Kindergartenverbot
Einen herben Schlag erfuhr die Kindergartenpädagogik Fröbels durch das 1851 erlassene preußische Kindergartenverbot. Im reaktionären politischen Klima, das in Preußen nach der Niederschlagung der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49 vorherrschte, sahen die Behörden in den liberalen Fröbelschen Prinzipien der Freiwilligkeit, Selbsttätigkeit und allgemeinen Menschenbildung, eine Gefährdung der öffentlichen und staatlichen Ordnung (siehe Infobox). Das Kindergartenverbot bestand bis 1860. Friedrich Fröbel erlebte die Aufhebung nicht mehr. Er starb am 21. Juni 1852.
Kontinuitäten, aber auch Brüche erlebte die Kindergartenpädagogik durch die Schüler und Schülerinnen Fröbels, die sich 1873 im Deutschen Fröbelverband zusammengeschlossen hatten. Die Fröbelianerin Bertha von Marenholtz-Bülow sorgte für eine Verbreitung der Kindergartenidee im europäischen Raum, brachte aber zugleich durch ihre sehr dogmatische Vorgehensweise den Kindergarten in die Kritik, einer Verschulungstendenz Raum zu geben. Die Großnichte Fröbels, Henriette Schrader-Breymann setzte hingegen mit dem Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin neue konzeptionelle Akzente, indem sie den Kindergarten stärker an der Familienerziehung orientierte.
Das Verhältnis von Kindergarten und Schule aus historischer Perspektive
Staatliche Lenkung und Kontrolle
Anders als die Volksschulen, die sich im 19. Jahrhundert zu allgemeinen, öffentlichen und staatlich kontrollierten Bildungseinrichtungen entwickelten, entstanden die Kindertagesstätten als private Erziehungsanstalten in der Trägerschaft von Vereinen und häufig im Rahmen kirchlicher Gemeinden. Dabei wurden sie aufmerksam von den staatlichen Behörden beobachtet und durch Erlasse, Verfügungen und Instruktionen reglementiert. Ausgesprochen restriktive Bestimmungen, die sich auch auf die Namensgebung und die inhaltliche Ausgestaltung der Einrichtungen erstreckten, erließ beispielsweise 1839 das Königreich Bayern (siehe Infobox).
Fürsprecher und konzeptionelle Ideen zur Verbindung von Kindergarten und Schule
Interessanterweise waren es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts größtenteils Schulpädagogen, die in den frühkindlichen Einrichtungen eine bedeutende Grundlage der Volksbildung sahen. Ihr Interesse zeigte sich insbesondere 1848 auf der Gründungsversammlung des Allgemeinen Deutschen Lehrervereins in Eisenach, auf der sie ein einheitliches Volksschulsystem forderten, das mit dem Kindergarten beginnen und mit der Hochschule enden sollte. Vergleichbare Gedanken finden sich auch bei dem Pädagogen und Theologieprofessor Friedrich H. Chr. Schwarz (1766–1837), der 1832 in seiner Schrift Die Schulen die Bewahranstalten und Kleinkinderschulen als erste Stufe in das öffentliche Schulwesen einordnete.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es dann vor allem die Anhängerinnen und Anhänger der Fröbelpädagogik, die den Kindergarten als unterste Stufe im Schulsystem verankern wollten. Immer wieder diskutierten sie die Frage, wie eine Kooperation zwischen Kindergarten und Schule gelingen könne und legten interessante Thesen dazu vor.
Ein bedeutender Vertreter der Fröbelbewegung war der Gothaer Elementarschullehrer und Seminardirektor August Köhler (1821–1879). Wiederholt forderte er eine Verbindung von Kindergarten und Schule. Dabei stand für ihn fest, dass diese Verbindung nur gelingen könne, wenn der Kindergarten seine bisherige Selbständigkeit aufgibt und vollkommen in das Schulsystem integriert wird. Konsequenterweise nahm er dabei auch das Ausbildungssystem in den Blick und forderte eine Doppelqualifizierung zur Kindergärtnerin und Lehrerin. Er selbst hatte ein solches Ausbildungsinstitut in Gotha gegründet, in der Hoffnung, dass nach seinem Beispiel weitere solcher Schulen entstehen werden (siehe Infobox).
Warum Schule und Kindergarten getrennte Bereiche blieben
Alle Bestrebungen dieser Art blieben jedoch erfolglos. Die Volksschullehrerschaft, die größtenteils männlich besetzt war, zeigte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts keinerlei Interesse an den vorschulischen Einrichtungen, in denen in erster Linie Frauen tätig waren. Im Gefolge der Revolution von 1848/49 war die Volksschullehrerschaft zudem selbst durch reaktionäre staatliche Maßnahmen in die Schranken gewiesen worden. Auf ein dezidiert anti-emanzipatorisches Bildungsprogramm verpflichtet und vom Ministerium misstrauisch beobachtet, konzentrierten sie sich auf das Kerngeschäft Schule. Die wiederholt von Seiten der Fröbelbewegung geforderte Verbindung von Kindergarten und Schule wurde deshalb von ihnen ignoriert oder direkt abgewiesen. Auch die deutschen Bildungsbehörden waren zu keinerlei Zugeständnissen bereit. Sie nahmen die Bitten der Fröbelpädagoginnen und -pädagogen höflich entgegen, taten aber nichts. Warum sollten sie auch? Sie hatten genug damit zu tun, das Volksschulwesen flächendeckend auszubauen. Die Forderungen nach einer Verbindung von Kindergarten und Schule blieben deshalb folgenlos und verloren zunehmend an Vehemenz, sodass die schulbezogenen Aufgaben des Kindergartens gegen Ende des 19. Jahrhunderts weitestgehend verloren gingen.
Daneben waren es aber vor allem die Veränderungen in der Trägerlandschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die die schulbezogenen Aufgaben in den Hintergrund treten ließen. Auf der einen Seite standen die großen konfessionellen Träger, auf der anderen Seite stand der Deutsche Fröbelverband. Für die evangelische wie für die katholische Seite waren die Einrichtungen primär familienunterstützende Nothilfeeinrichtungen. Sie verfolgten ein sozialfürsorgerisches Motiv und sortierten deshalb schulbezogene Aufgaben nahezu völlig aus. Mit ihrem Verständnis als ganztägige Betreuungseinrichtung trafen die konfessionellen Träger die Bedarfslagen der Familien aus den Unterschichten jedoch entschieden besser, als die Fröbelschen Kindergärten, die meist nur wenige Stunden am Vor- und Nachmittag geöffnet hatten und sich als frühkindliche Bildungseinrichtungen verstanden.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es dann zu einer Annäherung zwischen dem Fröbelverband und den konfessionellen Trägern. Mit dem Konzept des Volkskindergartens begannen die Fröbelpädagoginnen und -Pädagogen nun auch die familienunterstützende Betreuungsfunktion zu berücksichtigen und ließen nach und nach den Gedanken der Integration des Kindergartens in das allgemeine Bildungssystem fallen. Gleichzeitig begannen sie eine eigenständige Kindergartenpädagogik zu begründen, die sich bewusst von der Schule abzugrenzen versuchte. Deutlich wurde die neue Schwerpunktsetzung im Jahre 1920 auf der Reichsschulkonferenz, auf der es kaum noch Stimmen für eine Verbindung von Kindergarten und Schule gab. Mit der Verabschiedung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes im Jahre 1922, dem Vorläufer unseres heutigen Kinder- und Jugendhilfegesetzes, wurde von administrativer Seite die traditionelle Fürsorgefunktion der Kindertagesstätten festgeschrieben.
Die (Wieder-) Annäherung von Schule und Kindergarten
Erst in der bildungspolitischen Aufbruchsphase der 1960er und 1970er Jahre stand der Bildungsauftrag des Kindergartens in der Bundesrepublik Deutschland erneut zur Diskussion. So wurden etwa im Strukturplan für das Bildungswesen des Deutschen Bildungsrates, der unter Mitarbeit von Politikern und Experten Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Bildungssystems vorlegte, weiterreichende Überlegungen zur Bedeutung der frühkindlichen Bildung und ihrer Verbindung mit dem Schulsystem angestellt (siehe Infobox).
Der Kindergarten wird seit dieser Zeit als "Elementarbereich" des Bildungssystems verstanden – allerdings nur dem Namen nach. Auf der Ebene der gesetzlichen Zuständigkeiten blieb die Sonderstellung der frühkindlichen Bildung erhalten: Während etwa die Gestaltung des Schulwesens als Bereich der Kulturpolitik im Wesentlichen den Landeskultusministerien obliegt, gehört der Kindergarten organisatorisch nach wie vor zum Kinder- und Jugendhilfebereich und damit zum Bereich der öffentlichen Fürsorge. Aus der im Strukturplan empfohlenen "Einbeziehung des Kindergartens in das Bildungssystem" ergaben sich lediglich landesgesetzliche Aufforderungen zur Zusammenarbeit von Kindergarten und Schule. Als ein wesentliches Ergebnis der Bildungsreform der 1960er und 1970er Jahre kann allerdings die Verabschiedung von Kindertagesstättengesetzen auf Bundeslandebene genannt werden, wodurch ein höherer Verbindlichkeitsgrad (z.B. zu Fragen der Finanzierung oder der Ausstattung von Kitas) angestrebt wurde. Ein anderes Ergebnis ist in dem quantitativen Ausbau der elementarpädagogischen Einrichtungen zu sehen, in dessen Zuge bis heute eine nahezu flächendeckende Angebotsstruktur entstanden ist. Eine Integration des Kindergartens in das bestehende Bildungssystem erfolgte jedoch nicht.
Frühkindliche Bildung in der DDR
Eine vollkommen andere Entwicklung vollzog sich in der DDR. Hier hatte der Kindergarten einen klaren schulvorbereitenden Charakter. Er gehörte zum Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Volksbildung und bildete die erste Stufe des sozialistischen Schulsystems (siehe Infobox).
Die zentrale Aufgabe des Kindergartens bestand darin, die Kinder systematisch auf die Schule vorzubereiten. Um dieses Ziel zu erreichen, aber auch um Frauen an der sozialistischen Produktion zu beteiligen, existierte in der DDR ein nahezu vollständig ausgebautes System der Kindertagesbetreuung – von der Kinderkrippe über den Kindergarten bis zum Hort. Entsprechend dieser Bereiche gab es spezielle Ausbildungsformen für den Beruf der Krippenerzieherin, der Kindergärtnerin und der Hortnerin. Die Ausbildung zur Kindergärtnerin konzentrierte sich auf den Altersbereich der drei- bis sechsjährigen Kinder und dauert ab 1974 drei Jahre.
Ab 1968 gab es in der DDR einen einheitlichen Bildungs- und Erziehungsplan für Kindergärten, der 1985 zum Programm für die Bildungs- und Erziehungsarbeit im Kindergarten erweitert wurde (siehe Infobox). Mit dem Programm für die Erziehungsarbeit in Kinderkrippen existierte ab 1985 auch eine staatliche Planungsvorgabe für die im Gesundheitsbereich angesiedelten Kinderkrippen. In Anbetracht dieser klaren staatlichen Zielvorgaben konnte sich in der DDR – anders als in der Bundesrepublik – keine Trägervielfalt und damit auch keine konzeptionelle Vielfalt der Kindertagesstätten entwickeln.
Frühkindliche Bildung: Das Zauberwort der aktuellen Reformdebatte
Nach der ersten bundesdeutschen Vorschulreform in den 1960er und 1970er Jahren, sind seit der Jahrtausendwende die Kindertagesstätten und damit die frühe Kindheit wieder verstärkt in den Blick geraten. Das neue Zauberwort heißt jetzt frühkindliche Bildung. Ausgelöst durch die ernüchternden Ergebnisse der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 sollen die Kindertagesstätten nun zu frühkindlichen Bildungseinrichtungen werden. Dabei wird den deutschen Kindertageseinrichtungen im Vergleich mit dem europäischen Ausland ein erheblicher Nachholbedarf zugeschrieben. Dieser bezieht sich auf die Einrichtungsqualität, auf den weiteren Ausbau der Betreuungsplätze und –zeiten sowie auf die Ausbildung der Fachkräfte. Der Umgang mit Heterogenität, Diversität und die damit verbundenen Fragen der Inklusion sowie die Krippenpädagogik stellen weitere aktuelle Herausforderungen für die Kindertagesstätten dar. Daneben gibt es seit einigen Jahren erste Ansätze für Funktionserweiterungen, die beispielsweise darin bestehen, dass sich die Kindertagesstätten zu Familienzentren erweitern und im Sozialraum vernetzen sollen.
In den aktuellen Reformdebatten werden die elementarpädagogischen Einrichtungen immer wieder als frühkindliche Bildungseinrichtungen bezeichnet. Dadurch wird der Eindruck vermittelt, dass die Kindertagesstätten ihren bildungspolitischen Standort innerhalb des Bildungssystems haben. Die außerfamiliale Betreuung kleiner Kinder ist in Deutschland jedoch seit der Zuordnung zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz im Jahre 1922 ein Teilbereich der Kinder- und Jugendhilfe und damit ein Teilbereich der öffentlichen Fürsorge. Betrieben werden die Kindertageseinrichtungen von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe (Städte, Gemeinden und Kreise) und der freien Jugendhilfe (Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbände, Vereine, Elterninitiativen). Das wesentliche Merkmal der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher und freier Trägerschaft besteht in dem Prinzip der Subsidiarität (Nachrangigkeit), d.h. die Träger der öffentlichen Jugendhilfe stellen erst dann geeignete Maßnahmen zu Verfügung, wenn diese von keinem freien Träger erfüllt werden. Gleichzeitig gewährt der Gesetzgeber den Trägern der freien Jugendhilfe eine inhaltliche Gestaltungsfreiheit mit dem Ergebnis, dass die deutsche Kita-Landschaft durch konzeptionelle Vielfalt geprägt ist. Die Kindertagesbetreuung kann dabei sowohl in Kindertageseinrichtungen (Krippen, Kindergärten und Horten), als auch in verschiedenen Formen der Kindertagespflege erfolgen.
Elementarpädagogische Bildungs- und Erziehungspläne
Anders als in der Schule gibt es für die Kindertagesstätten keine curricularen Festlegungen. Zwischen 2002 und 2006 wurden jedoch in allen Bundesländern elementarpädagogische Bildungs- und Erziehungspläne veröffentlicht, mit dem Ziel eine gewisse Einheitlichkeit in die konzeptionelle Vielfalt der Kindertageseinrichtungen zu bringen. Ausgangspunkt war auch hier wieder der vergleichende Blick mit dem europäischen Ausland, denn seit 1966 gibt es beispielsweise elementarpädagogische Bildungs- und Erziehungspläne in Finnland und Norwegen, seit 1998 in Schweden, seit 1999 in Schottland und seit 2000 in England. Angestoßen wurde die Einführung der elementarpädagogischen Bildungs- und Erziehungspläne durch einen im Jahr 2002 erlassenen Beschluss der Jugendministerkonferenz, in dem die Kindertageseinrichtungen erstmals als Bildungseinrichtungen verstanden wurden (siehe Infobox).
2004 konkretisierten die Jugendminister zusammen mit den Kultusministern ihre Vorstellungen zur frühkindlichen Bildung in einem Gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen. In diesem Beschluss wurden die Bundesländer dazu aufgefordert elementarpädagogische Bildungs- und Erziehungspläne zu entwickeln und zu veröffentlichen, auf deren Grundlage die Kindertageseinrichtungen träger- bzw. einrichtungsspezifische Konzeptionen erstellen sollen. Dieser Aufforderung folgten alle Bundesländer. Die damit angestoßene Entwicklung ist vollkommen neu, denn nie zuvor hat es – im Gegensatz zur DDR – in der Bundesrepublik etwas Vergleichbares gegeben.
Anders als in der DDR weisen die aktuellen elementarpädagogischen Bildungs- und Erziehungspläne jedoch eher Empfehlungscharakter auf und verstehen sich als Orientierungshilfe zur pädagogischen Gestaltung der frühkindlichen Bildungsarbeit. Sie sind in enger Absprache mit den freien Trägern der Jugendhilfe entstanden und belassen den Kindertageseinrichtungen einen großen pädagogischen Freiraum. Dadurch wird gewährleistet, dass sich alle frühpädagogischen Konzeptionen, wie zum Beispiel die Waldorfpädagogik, die Montessoripädagogik, der Situationsansatz oder auch die Reggio-Pädagogik, in den Bildungs- und Erziehungsplänen wiederfinden können. Damit stellt sich jedoch die Frage, welchen Zweck die Bildungs- und Erziehungspläne erfüllen sollen bzw. können und ob sie zur Qualitätsverbesserung der Kindertagesstätten tatsächlich einen wesentlichen Beitrag leisten. Gleichzeitig drängt sich die Frage auf, inwiefern die aktuellen Forderungen nach einer Verbindung von Kindergarten und Schule dazu führen könnten, dass zukünftig die konzeptionelle Vielfalt der Kindertagesstätten zugunsten eines einheitlichen und verbindlichen Bildungsplanes aufgegeben wird. Dies wäre jedoch mit einem Autonomieverlust der freien Träger verbunden. Bisher verhielten sich die Träger der freien Jugendhilfe zu den Entwicklungen der gegenwärtigen Reformdebatten erstaunlich schweigsam, allerdings wurde bislang ihre Betätigungsfreiheit auch nicht wirklich angegriffen. So sind die Bildungs- und Erziehungspläne auf der Ebene von Empfehlungen verblieben, ohne Verbindlichkeit und unter Berücksichtigung der konzeptionellen Vielfalt.
Schlussbemerkungen
In den aktuellen Reformdebatten steht die Forderung nach einer Verbindung zwischen Kindergarten und Schule erneut auf der Tagesordnung. So geht es darum zu klären, wie die Kinder in den Kindertagesstätten auf die Schule vorbereitet werden können und in welcher Weise die Schule an vorschulische Bildungsprozesse anknüpfen kann. Den Kindertagesstätten wird damit ein vorschulischer Bildungsauftrag zugeschrieben, der im Kinder- und Jugendhilfegesetz allerdings so nicht zu finden ist. So nennt der Gesetzgeber im Paragraph 22 als Aufgabe der Kindertagesstätten neben Erziehung und Betreuung zwar auch Bildung, allerdings ohne diesen Begriff näher zu bestimmen bzw. diesen in ein Verhältnis zu Schule zu setzen. Von einem vorschulischen Bildungsauftrag des Kindergartens kann also nach wie vor nicht die Rede sein. Allerdings findet sich in den Kita-Gesetzen der Bundesländer häufig der Hinweis, dass der Kindergarten einen eigenständigen Bildungsauftrag habe. Mit dieser Formulierung grenzte sich der Kindergarten ursprünglich von der Schule ab. Im Zuge der aktuellen Reformdebatten, in denen es darum geht, die Bildungsprozesse des Kindergartens mit denen der Schule in eine Verbindung zu bringen, scheint ein Festhalten an der Formulierung des eigenständigen Bildungsauftrages merkwürdig. So soll der Kindergarten einerseits mit der Schule eine fruchtbare Verbindung eingehen und sich andererseits über seine Eigenständigkeit von ihr abgrenzen. Der dadurch erzeugte Widerspruch verlangt eine Klärung der Frage, wie frühkindliche Bildung zu konzipieren ist, ohne dabei eine Abgrenzung zur Schule vornehmen zu müssen. Dabei sollte sich die Bildungsarbeit des Kindergartens jedoch nicht einseitig an der Schule orientieren, sondern auch die Grundschule am Kindergarten.
Weiterführende Literatur
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Erning, G./ Neumann, K./ Reyer, J. (Hrsg.) (1987): Geschichte des Kindergartens. 2 Bde. Freiburg: Lambertus
Franke-Meyer, D. (2011): Kleinkindererziehung und Kindergarten im historischen Prozess. Ihre Rolle im Spannungsfeld zwischen Bildungspolitik, Familie und Schule. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Konrad, F.-M. (2012): Der Kindergarten. Seine Geschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart. 2., überarb. und aktualisierte Aufl., Freiburg im Breisgau: Lambertus. Reyer, J. (2006): Einführung in die Geschichte des Kindergartens und der Grundschule. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Reyer, J. (2015): Die Bildungsaufträge des Kindergartens. Geschichte und aktueller Status. Weinheim & Basel: Beltz Juventa.
Reyer, J./ Franke-Meyer, D. (Herbst 2015): KlassikerInnen der Pädagogik der frühen Kindheit. Weinheim & Basel: Beltz Juventa.
Wasmuth, H. (2011): Kindertageseinrichtungen als Bildungseinrichtungen. Zur Bedeutung von Bildung und Erziehung in der Geschichte der öffentlichen Kleinkindererziehung in Deutschland bis 1945. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Link zum Bildarchiv zur Bildungsgeschichte: Externer Link: Projekt Pictura Pedagogica