Der Zugang zur dualen Berufsausbildung ist in Deutschland – im Unterschied zur schulischen oder hochschulischen Ausbildung sowie zu Berufsbildungssystemen der meisten anderen Staaten – marktförmig organisiert. Auch wenn vonseiten der Politik regelmäßig gefordert wird, dass Jugendliche mit einem ausreichenden Angebot an Ausbildungsstellen "versorgt" werden sollen, entscheiden die Betriebe frei darüber, wie viele Ausbildungsstellen sie anbieten und mit wem sie diese besetzen (Granato/Ulrich 2013, S. 315). Im Unterschied zur Begriffsverwendung am Arbeitsmarkt (Ulrich 2005) bezeichnet man am Ausbildungsmarkt als Angebot die angebotenen Ausbildungsstellen, als Nachfrage die Personen, die eine Ausbildung absolvieren möchten.
Die Angebotsseite: Ausbildungsplätze in den Betrieben
Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge sowie die bei der Bundesagentur gemeldeten und noch nicht besetzten Ausbildungsstellen werden zusammen als das Ausbildungsplatzangebot in der dualen Berufsausbildung erfasst. Es belief sich für das Ausbildungsjahr 2014/2015 auf rund 563.055 Ausbildungsplätze (vgl. Matthes u.a. 2016). Dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) wurden für diesen Zeitraum rund 522.093 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge gemeldet. Unbesetzt waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit am Ende des Ausbildungsjahres immer noch rund 40.960 Ausbildungsstellen.
Außerbetriebliche Ausbildung
Bei der überwiegend öffentlich finanzierten Berufsausbildung werden über 50 Prozent der Kosten des praktischen Teils im ersten Jahr der Ausbildung im Rahmen von Sonderprogrammen und Maßnahmen durch finanzielle Zuweisungen der öffentlichen Hand bzw. der Arbeitsverwaltung getragen. Diese Form der Berufsausbildung richtet sich an sogenannte marktbenachteiligte, sozial benachteiligte und lernbeeinträchtigte Jugendliche. Meist sind es außer- bzw. überbetriebliche Bildungsträger, die die entsprechenden Ausbildungsverträge mit diesen Jugendlichen abschließen. Die außerbetriebliche Ausbildung ist ebenfalls dual organisiert, wobei der praktische Teil der Ausbildung zumeist in der Werkstatt eines Bildungsträgers absolviert wird. Die Vermittlung erfolgt bei der außerbetrieblichen Ausbildung durch die Bundesagentur für Arbeit, eine direkte Bewerbung ist nicht möglich.
Um die Qualität der beruflichen Ausbildung aufrechtzuerhalten, sind die jeweils zuständigen Stellen (je nach Ausbildungsberuf etwa die Handwerkskammer, die Industrie- und Handelskammer, Landwirtschaftskammer etc.) nach §32 des BBiG dazu verpflichtet, die Eignung der Ausbildungsstätten (§27) sowie die persönliche und fachliche Eignung der Ausbilder (§28-§30) zu überprüfen. Etwas mehr als die Hälfte aller Betriebe in Deutschland (57%) hatte im Jahr 2014 eine Ausbildungsberechtigung (BIBB-Datenreport 2016, Kapitel A4.10.2). 53 Prozent alleine, weitere 4 Prozent waren nur im Verbund mit anderen Betrieben oder Bildungseinrichtungen dazu berechtigt, auszubilden.
Abbildung 1 zeigt die längerfristige Entwicklung der beschriebenen Kennzahlen. Da das Ausbildungsplatzangebot auch von der allgemeinen Wirtschaftslage abhängt, wurde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) für Deutschland mit eingezeichnet
Die Nachfrageseite: Junge Menschen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz
Kommen wir nun zur Situation junger Menschen auf dem Ausbildungsmarkt. Das Ausbildungsjahr beginnt formal am 1. Oktober eines jeden Jahres und dauert bis zum 30. September des Folgejahres. Für das Ausbildungsjahr 2014/15 ergab sich eine Nachfrage von 602.900 ausbildungssuchenden Personen. Von diesen hatten 522.093 (knapp 87 %) bis zum 30. September 2015 einen Ausbildungsvertrag im dualen System erhalten (vgl. Matthes u.a. 2016). Bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren zu diesem Stichtag noch 80.791 Ausbildungsstellenbewerber als suchend registriert. Betrachtet man nicht nur die am Stichtag noch als suchend registrierten, sondern alle institutionell erfassten Ausbildungsinteressierte (also alle, die einen Ausbildungsvertrag im dualen System unterschrieben hatten oder irgendwann im Ausbildungsjahr bei der BA als Ausbildungsstellenbewerber registriert waren), so liegt deren Zahl deutlich über der offiziell ermittelten Nachfrage, nämlich bei 804.369 Ausbildungsinteressierten. Als Bewerber werden hierbei allerdings lediglich jene Personen gezählt, die von den Vermittlern der BA als "ausbildungsreif" eingestuft wurden. Hervorzuheben ist auch, dass ein erheblicher Teil der Bewerber nicht unmittelbar von der Schule kommt. Wie die BA/BIBB-Bewerberbefragung 2014 zeigt, hatten sich 28 Prozent von ihnen schon in früheren Jahren um eine Ausbildungsstelle bemüht, waren also sogenannte "Altbewerber" (BIBB-Datenreport 2016, Kapitel A3.1.2).
Die Nachfrage nach betrieblichen Ausbildungsstellen hängt zum einen von der demografischen Entwicklung ab, also von der Geburtenzahl und der Zahl der Schulabgänger. Schon seit der Jahrtausendwende sinkt die Bevölkerungszahl in Deutschland (BIBB-Datenreport 2015, Kapitel C1.2) und es wird auch von der Zuwanderung abhängen, wie sie sich künftig entwickeln wird. In welchem Maße es gelingen wird, die aktuell in Deutschland aufgenommenen Flüchtlinge auch in das duale Ausbildungssystem zu integrieren, ist weiterhin offen. Seit Mitte der 2000er Jahre nimmt die Zahl der Abgänger aus den allgemeinbildenden Schulen ab, obgleich die doppelten Abiturjahrgänge zwischen 2007 und 2013 den Rückgang zwischenzeitlich etwas gemildert haben (BIBB-Datenreport 2015, Kapitel C1.2). Zum anderen wird die Nachfrage nach Ausbildungsstellen auch davon beeinflusst, welche (Aus-)Bildungsentscheidungen die Jugendlichen treffen, also welche Schulabschlüsse sie erwerben und welche Ausbildungswege sie anschließend wählen. So strebten in den vergangenen Jahren
Die Ausbildungsmarktlage
Wie gut Angebot und Nachfrage am Ausbildungsmarkt zusammenpassen, in welchem Maße die Betriebe ihre Ausbildungsplätze besetzen können bzw. ob Ausbildungsinteressierte einen Ausbildungsplatz erhalten, betrachtet man bei der Analyse der Ausbildungs(stellen)marktlage. Häufig wird dazu die sogenannte Angebots-Nachfrage-Relation (ANR) herangezogen. Sie setzt die Zahl der verfügbaren Ausbildungsstellen und die Zahl der Ausbildungssuchenden ins Verhältnis zueinander (siehe Infobox zu den Details ihrer Berechnung). Für das Ausbildungsjahr 2014/15 standen entsprechend der ANR bundesweit rechnerisch 90 betriebliche Ausbildungsplatzangebote 100 Nachfragenden gegenüber. Inklusive der überwiegend öffentlich finanzierten Ausbildungsplätze ergab sich eine ANR von 93,4 Prozent, also rechnerisch 93 Ausbildungsplatzangebote je 100 Nachfragenden. Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen seitens der ausbildungsreifen Bewerber war demnach etwas höher als die Zahl der tatsächlich angebotenen Ausbildungsplätze.
Angebots-Nachfrage-Relation (ANR)
Die Angebots-Nachfrage-Relation (ANR; "erweiterte" Definition) auf dem Ausbildungsstellenmarkt errechnet sich aus dem Quotienten von Angebot und Nachfrage. Das Ausbildungsplatzangebot setzt sich aus der Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge zum 30.09. und der zum 30.09. bei der BA gemeldeten und noch unbesetzten Ausbildungsplätze zusammen. Die Nachfrage wird als Summe aus den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen zuzüglich der bei der BA registrierten Ausbildungsstellenbewerber, die zum 30.09. weiterhin einen Ausbildungsplatz suchen, errechnet. Berücksichtigt man nur das betriebliche Ausbildungsplatzangebot, schließt also die außerbetrieblichen Ausbildungsstellen aus, ergibt sich die betriebliche ANR. Konkret beträgt diese für das Ausbildungsjahr 2014/2015:
ANR = | 522.093 + 40.960 | = | 563.055 | = 93,4 |
522.093 + 80.791 | 602.886 |
ANRbetrieblich = | 503.229 + 40.960 | = | 544.188 | = 90,3 |
522.093 + 80.791 | 602.886 |
Quelle: Matthes u.a. 2016; Daten: Ausbildungsstatistik der BA und BIBB-Erhebung über neu abgeschlossene Ausbildungsverträge zum 30. September (Einzelwerte der BIBB-Erhebung aus Datenschutzgründen jeweils auf ein Vielfaches von drei gerundet, deshalb können Summenwerte von der Summe der Einzelwerte geringfügig abweichen.)
Diese rein statistische Durchschnittskennzahl ist allerdings kritisch zu sehen. So gibt es deutliche Unterschiede zwischen Regionen: Während zum Beispiel im Arbeitsagenturbezirk Regensburg oder Greifswald eine ANR von über 114 ausgewiesen wird (dort gab es also mehr Ausbildungsplätze als ausbildungsreife Bewerber), liegt diese in Recklinghausen oder Hameln deutlich ungünstiger bei weniger als 80 (dort gab es also weniger Ausbildungsplätze als Bewerber).
Probleme am Ausbildungsstellenmarkt können sich aber nicht nur in einer zu niedrigen (Mangel an Ausbildungsstellen) oder einer zu hohen (Mangel an Ausbildungsstellenbewerbern) Angebots-Nachfrage-Relation zeigen. Schwierig ist auch, wenn zeitgleich Ausbildungsstellenangebote nicht besetzt und Nachfragende nicht in Ausbildung vermittelt werden können. Diese sogenannten "Passungsprobleme" nehmen seit 2009 zu (Matthes u.a. 2016). Warum werden die offenen Ausbildungsstellen nicht mit den noch suchenden Bewerbern besetzt? Dass Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt nicht zusammenfinden, kann verschiedene Gründe haben. Sie können auf der beruflichen Ebene liegen: Diejenigen, die noch nach einer Ausbildungsstelle suchen, wünschen sich nicht die Berufe, für die es noch offene Ausbildungsstellen gibt. Oder auf der qualifikatorischer Ebene: Diejenigen, die sich auf noch offene Stellen bewerben, haben nicht die Schulabschlüsse, die die Betriebe fordern. Schließlich kann die Region ausschlaggebend sein: In manchen Regionen sind viele Ausbildungsstellen nicht besetzt, in anderen sind viele Jugendliche ohne Ausbildungsstelle.