Entwicklung der deutschen Berufsausbildung – eine kurze Geschichte
Noch lange bevor die Industrialisierung in Europa einsetzte, gab es in Städten bereits erste Ansätze einer geordneten Berufsausbildung. Die Zünfte als Berufsvereinigungen von Handwerkern (z.B. Weber, Bäcker, Schuster, Schmied) regelten die praktische Ausbildung und führten Abschlussprüfungen durch. Lehrlinge wurden durch den Meister in einem bestimmten Beruf unterrichtet und nahmen am familiären Leben des Meisterhaushalts teil – die Lehrlingsausbildung kam somit einer Art "Berufserziehung" gleich (Stratmann 1993). Auch durften die meisten Berufe lediglich von Mitgliedern der entsprechenden Zunft ausgeübt werden, also von den Lehrlingen, Gesellen und Meistern.
Handwerksbetriebe gerieten im Laufe der Geschichte immer stärker unter Druck; zuerst durch Manufakturen, in denen bereits arbeitsteilig produziert wurde und damit wesentlich mehr Güter in kurzer Zeit hergestellt werden konnten. Nicht nur die vergleichsweise niedrige Produktivität von Handwerksbetrieben, auch liberale Strömungen und Ideen von freiem Wettbewerb, insbesondere die Prinzipien der Berufs- und Gewerbefreiheit, brachten das starre Zunftwesen und damit auch das traditionelle Ausbildungsmodell schließlich zu Fall (Henning 1996). Mit den sogenannten Stein-Hardenbergschen Reformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Gewerbefreiheit in Preußen gesetzlich verankert. Durch die technologische Revolution und die Verbreitung von Großbetrieben und Fabriken ("Industrielle Revolution") gewann die Industrie immer mehr an Einfluss (Toynbee 2004). Die europäischen Länder gingen sehr unterschiedlich mit dieser Situation um. Deutschland reagierte mit dem Handwerkerschutzgesetz von 1897 eher traditionalistisch, indem wiederum den Handwerkskammern die Regelung der Ausbildung von Lehrlingen übertragen wurde (Rinneberg 1985). Auch die deutsche Industrie orientierte sich an diesem Ausbildungsmodell und entwickelte dieses mit Blick auf die Bedürfnisse der Industriearbeit fort.
Über die Handwerksordnung (HwO) von 1953 und das Berufsbildungsgesetz (BBiG) von 1969 trat schließlich der Staat als weiterer zentraler Akteur in der Berufsausbildung neben die Wirtschaft (Greinert 2006). Die Ausbildung war fortan deutschlandweit einheitlich geregelt und der zweite Lernort neben dem Betrieb, die staatliche Berufsschule, wurde juristisch verankert. Dieses in Deutschland noch heute etablierte "duale Ausbildungssystem" ist auch in der Schweiz, in Österreich und Dänemark verbreitet (Ebner 2013). Andere idealtypische Berufsbildungssysteme sind das englische liberale "training on the job"-Modell, bei dem berufliche Fertigkeiten im Betrieb je nach betrieblichem Bedarf vermittelt werden, sowie das französisch geprägte Modell, bei dem an staatlich organisierten Berufsschulen unter schwächerem Einbezug der Wirtschaft ausgebildet wird (Greinert 2005).
Charakteristika der dualen Berufsausbildung
Das deutsche "duale" Ausbildungssystem genießt international einen hervorragenden Ruf. Die deutschen Fachkräfte bilden nach Auffassung vieler Experten die Grundlage für eine technisch ausgereifte, qualitativ hochwertige Produktion und den Erfolg Deutschlands beim Export entsprechend hochpreisiger Güter (Streeck 1991). Aber was genau sind die Kennzeichen des deutschen Ausbildungsmodells? Ein Wesensmerkmal des dualen Ausbildungssystems sind seine beiden Lernorte: die Berufsschule und der Betrieb. Mit diesen wird gewährleistet, dass theoretisches Lernen mit praktischem Lernen und Berufserfahrung kombiniert wird. Der größte Teil der Ausbildung findet dabei mit drei bis vier Tagen in der Woche im Betrieb statt. Die Ausbildung startet mit einem Ausbildungsvertrag, der zwischen Auszubildendem/r und Betrieb geschlossen wird. Während der Ausbildungszeit – diese dauert meist drei Jahre – besteht in der Regel Berufsschulpflicht. Auszubildende erhalten zudem eine Vergütung, die mit fortschreitender Berufsausbildung ansteigt und für manche Abiturienten auch ausschlaggebend dafür ist, sich gegen ein Studium zu entscheiden.
Eine weitere Besonderheit der dualen Berufsausbildung ist deren "korporatistische" Steuerung, also die gleichberechtigte Beteiligung von Staat und Wirtschaft: Der Staat legt über das Berufsbildungsgesetz (BBiG) und die Handwerksordnung (HwO) die Rahmenbedingungen und Standards für die Ausbildung fest (Rechte und Pflichten von Auszubildenden, Vergütung, Eignung von Ausbildungsstätte und Ausbildungspersonal, Regelungen zur Abschlussprüfung etc.). Und die Wirtschaft wirkt von ihrer Seite aus auf die berufliche Ausbildung ein, indem die Sozialpartner – dies sind die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften – Lerninhalte und Bedingungen für einzelne Ausbildungsberufe bestimmen, die dann in entsprechenden Ausbildungsordnungen festgeschrieben werden (siehe auch
Der Einbezug der Wirtschaft stellt sicher, dass in der Ausbildung Wissen und Fertigkeiten vermittelt werden, die im Arbeitsleben tatsächlich gebraucht werden. Dies ist etwa in Frankreich mit seinem vorwiegend staatlich organisierten vollzeitschulischen Ausbildungssystem weniger der Fall. Die Mitwirkung des Staates über das BBiG, die HwO und Ausbildungsordnungen wiederum garantiert, dass sich Betriebe in Deutschland bei der Ausbildung an klare Regeln halten müssen. Diese über alle Betriebe hinweg bestehende "Standardisierung" der Ausbildung schafft einen klaren Vorteil gegenüber anderen Ausbildungssystemen, etwa dem in England. In Deutschland werden Qualitätsstandards gewahrt und Kompetenzen ausgebildet, die für die Wirtschaft als Ganzes und nicht nur für einen bestimmten Betrieb von Belang sind. Menschen mit einem dualen Ausbildungsabschluss können ihr erlerntes Wissen somit auch in verschiedenen Betrieben einsetzen und leichter von einem zum anderen wechseln. (Zu Herausforderungen und Schwierigkeiten des deutschen Berufsausbildungssystems siehe