Der Bildungsstand eines Menschen ist nicht nur in Deutschland in vielerlei Hinsicht zentral für Arbeitsmarkt- und Lebenschancen. Hat man ein Studium abgeschlossen, so ist das Risiko von Arbeitslosigkeit gering und das Einkommen vergleichsweise hoch. Hat man hingegen die Schule nur mit einem Hauptschulabschluss oder sogar ohne einen solchen verlassen, ist es schwer, einen Ausbildungsplatz zu finden. Entsprechend hoch ist dann das Arbeitslosigkeits- und Armutsrisiko. Auch andere wichtige Gesichtspunkte wie etwa Gesundheit und politische Partizipation stehen in engem Zusammenhang mit dem Bildungsstand. Nicht nur Abschlüsse, auch die im Bildungssystem erworbenen Kompetenzen sind für das spätere Leben von großer Bedeutung. Auf grundlegendem Niveau lesen, schreiben und rechnen zu können ist heute mehr denn je Voraussetzung einer vollwertigen gesellschaftlichen Teilhabe.
Spätestens seit PISA ist allgemein bekannt, dass Bildungschancen ungleich verteilt sind: etwa nach sozialer Herkunft, Geschlecht und ethnischer Herkunft. Weniger bekannt ist vielleicht, dass auch das Bundesland, in dem ein junger Mensch zur Schule geht, erheblichen Einfluss auf seine Bildungschancen hat. Im Folgenden zeigen wir anhand von ausgewählten Daten über Schülerkompetenzen, Bildungsbeteiligung, Schulabschlüsse sowie Schulkarrieren, wie sich die Bildungschancen und -ergebnisse junger Menschen zwischen den Bundesländern unterscheiden.
Kompetenzen
Mit den Daten der Ländervergleichsstudien des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) können die Kompetenzstände von Schülerinnen und Schülern aus einzelnen Bundesländern erfasst werden.
Bildungsstandards
Bildungsstandards legen bundesweit fest, welche Lernziele Schüler:innen in einem bestimmten Fach zu einer bestimmten Zeit in ihrem Bildungsgang erreicht haben sollen. Im Gegensatz zu Lehrplänen benennen sie nicht den Stoff, der im Unterricht zu behandeln ist, sondern Fähigkeiten, Fertigkeiten und Arbeitstechniken (Kompetenzen), die erworben werden sollen. Die Bildungsstandards wurden von der Kultusministerkonferenz (KMK) verabschiedet und unterscheiden sich je nach Schulform. Im Auftrag der Bundesländer überprüft das Institut zur Qualitätssicherung im Bildungswesen (IQB) in regelmäßigen Abständen durch Schüler:innentests, inwieweit die Bildungsstandards tatsächlich eingehalten werden. Die Testergebnisse sollen Anhaltspunkte für die Schul- und Unterrichtsentwicklung geben.
Abbildung 2: Anteil der Schülerschaft unterhalb Kompetenzstufe II im Fach Mathematik, 2012, in Prozent (Interner Link: Mehr dazu...) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Abbildung 2: Anteil der Schülerschaft unterhalb Kompetenzstufe II im Fach Mathematik, 2012, in Prozent (Interner Link: Mehr dazu...) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Die so gemessenen Schülerkompetenzen lassen sich auf unterschiedliche Weise auswerten. Die von den Schülerinnen und Schülern im Durchschnitt erreichten Kompetenzen können herangezogen werden, um das mittlere Leistungsniveau der Schülerschaft zu bestimmen. Betrachtet man die durchschnittlichen schulischen Kompetenzen von Neuntklässlern für die einzelnen Bundesländer, so finden sich erhebliche Unterschiede: In den Fächern Mathematik, Biologie, Chemie und Physik, die in der IQB-Vergleichsstudie von 2012 im Fokus standen, verzeichneten vor allem die ostdeutschen Bundesländer die im Mittel leistungsstärksten Schülerinnen und Schüler. Zur Schlussgruppe gehörten die drei Stadtstaaten und Nordrhein-Westfalen (Pant u.a. 2013, Tab. 5.1 und 5.3). Im Fach Mathematik ergab sich gar eine Spannweite von 65 Leistungspunkten zwischen dem Spitzenreiter Sachsen (536 Punkte) und dem letztplatzierten Bremen (471 Punkte) (siehe Abb. 1), was "einem durchschnittlichen Lernvorsprung von etwa zwei Schuljahren" (Pant u.a. 2013: 126) entspricht.
Betrachtet man das Niveau der durchschnittlichen Lesekompetenz (getestet 2008/09) in den einzelnen Bundesländern, offenbart sich ein leichtes Süd-Nord-Gefälle. Im Süden Deutschlands zeigen sich tendenziell höhere Lesekompetenzen (Köller u.a. 2010: 6, Abb. 1). In der Kompetenzdomäne Englisch (ebenfalls 2008/09 getestet) befanden sich hingegen vor allem die ostdeutschen Bundesländer unterhalb des deutschen Durchschnitts (Köller et al. 2010: 11, Abb. 4 und 5).
Abbildung 3: Anteil des alterstypischen Jahrgangs, der das Abitur erlangt, 2013, in Prozent (Interner Link: Mehr dazu...) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Abbildung 3: Anteil des alterstypischen Jahrgangs, der das Abitur erlangt, 2013, in Prozent (Interner Link: Mehr dazu...) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Darüber hinaus lässt sich mit den IQB-Ländervergleichen das Ausmaß von "Kompetenzarmut" in der Schülerschaft bestimmen. Dafür werden die Schülerinnen und Schüler in allen Fachdomänen entsprechend ihrer Testergebnisse einer von fünf Kompetenzstufen zugeordnet. Die Schülerinnen und Schüler, deren Testergebnisse unterhalb der Kompetenzstufe II liegen, lassen sich in Anlehnung an die PISA-Terminologie als "Risikogruppe" definieren. Sie verfügen in der getesteten Fachdomäne über nur elementarste Fähigkeiten, die "einer praktischen Bewährung in lebensnahen Kontexten nicht standhalten" (Deutsches PISA-Konsortium 2001: 363). Betrachtet man den 2012 getesteten Bereich Mathematik, zeigen sich von Bundesland zu Bundesland große Unterschiede im Umfang dieser Risikogruppe (siehe Abb. 2): In den Stadtstaaten, Hessen, dem Saarland und Nordrhein-Westfalen umfasste sie jeweils mehr als 25 Prozent der Schülerschaft, in Sachsen dagegen "nur" 11,5 Prozent (siehe Abb. 2).
Bundesländerunterschiede offenbart die IQB-Vergleichsstudie auch hinsichtlich des Einflusses, den die soziale Herkunft der Schülerinnen und Schüler auf ihre Kompetenzentwicklung ausübt. Während etwa in Brandenburg 25 Prozent der Unterschiede der Mathematikkompetenzen zwischen den Neuntklässlern allein auf ihre soziale Herkunft zurückgeführt werden konnten, hatte die soziale Herkunft in Thüringen tendenziell geringere Bedeutung für den Kompetenzerwerb; hier ließen sich nur 13 Prozent der Kompetenzunterschiede mit der sozialen Herkunft erklären (Pant u.a. 2013, Tab. 8.1).
Bildungsbeteiligung und Abschlüsse
Abbildung 4: Anteil der Schülerschaft, der die Schule ohne Abschluss verlässt, 2013, in Prozent (Interner Link: Mehr dazu...) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Abbildung 4: Anteil der Schülerschaft, der die Schule ohne Abschluss verlässt, 2013, in Prozent (Interner Link: Mehr dazu...) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
So sehr Kompetenzunterschiede zwischen den Bundesländern in der Folge von PISA und Co. zum Thema geworden sind, wichtiger ist – zumindest in Deutschland – etwas anderes: der Erwerb eines Bildungsabschlusses. Eine Lehrstelle wird nicht für gute Testergebnisse vergeben, sondern weil der Bewerber oder die Bewerberin einen Schulabschluss mit bestimmten Noten vorweisen kann. Abiturienten bekommen einen Studienplatz in einem begehrten Fach nicht, weil sie bei der IQB-Vergleichsstudie gut abgeschnitten, sondern weil sie eine gute Abiturnote erzielt haben. Doch auch bei den Schulabschlüssen gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern: Während 2013 in Hamburg 53 Prozent eines Altersjahrgangs die allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife erreichten und somit berechtigt waren, an deutschen Universitäten zu studieren, galt dies in Bayern und Sachsen-Anhalt lediglich für 30 bzw. 32 Prozent.
Entsprechende Unterschiede zeigen sich auch am anderen Ende der Verteilung: Während 2013 in Baden-Württemberg und Bayern nur rund 4,5 Prozent aller Absolventen die Schule ohne Schulabschluss verließen, waren es in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt mit über 10 Prozent mehr als doppelt so viele (siehe Abb. 4).
Abbildung 5: Chance, das Gymnasium zu besuchen, Dienstklasse I vs. Facharbeiter, Schülerinnen und Schüler mit gleicher Lesekompetenz, Schuljahr 2008/09 (Interner Link: Mehr dazu...) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Abbildung 5: Chance, das Gymnasium zu besuchen, Dienstklasse I vs. Facharbeiter, Schülerinnen und Schüler mit gleicher Lesekompetenz, Schuljahr 2008/09 (Interner Link: Mehr dazu...) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Große Unterschiede zwischen den Bundesländern zeigen sich ferner bei der sozialen Selektivität des Schulsystems. So besuchten in Bayern und Baden-Württemberg Kinder von Professoren, höheren Beamten und Selbstständigen mit mehr als 10 Mitarbeitern im Jahr 2008/09 selbst bei gleichen Lesekompetenzen rund sechseinhalbmal häufiger das Gymnasium als Kinder von Facharbeitern. In Hamburg und Brandenburg war der Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen dagegen "nur" etwa zweieinhalbfach so hoch (siehe Abb. 5).
Bundesländerunterschiede kommen übrigens auch bei der Berechnung von Abschlussnoten zum Tragen. Dazu ein besonders markantes Beispiel: Selbst bei gleichen Noten in der gymnasialen Oberstufe und den Abiturprüfungen können aufgrund unterschiedlicher Einbringungsregelungen und Berechnungsgrundlagen je nach Bundesland unterschiedliche Abiturdurchschnittsnoten herauskommen. Im Extremfall kann ein Schüler, der in einem Bundesland mit seinen Noten nicht einmal zur Abiturprüfung zugelassen wird, in einem anderen Bundesland das Abitur mit einer Durchschnittsnote von 1,9 abschließen (Helbig/Nikolai 2015: 227).
Schulkarrieren
Nicht minder problematisch ist die Tatsache, dass Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Schulkarriere in manchen Bundesländern wesentlich häufiger mit Erfahrungen des Scheiterns konfrontiert sind, als in anderen: So mussten in Bayern im Schuljahr 2013/14 rund 4 Prozent der Schülerschaft eine Klasse wiederholen, in Sachsen und Schleswig-Holstein waren es mit 1,5 Prozent weniger als halb so viele (siehe Abb. 6).
Abbildung 6: Anteil der Schülerschaft, der eine Klasse wiederholt hat, Schuljahr 2013/14, in Prozent (Interner Link: Mehr dazu...) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Abbildung 6: Anteil der Schülerschaft, der eine Klasse wiederholt hat, Schuljahr 2013/14, in Prozent (Interner Link: Mehr dazu...) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Ähnlich verhält es sich mit der Häufigkeit von Abschulungen auf eine niedrigere Schulform: So mussten beispielsweise im Schuljahr 2013/14 von allen Siebt-, Acht- und Neuntklässlern
Fazit
Je nachdem, welche Dimension man betrachtet, schneiden die Bundesländer unterschiedlich gut ab. Mal gehört ein Bundesland zu den "Gewinnern", mal zu den "Verlierern". Das bedeutet aber auch, dass die Bildungs- und Lebenschancen von Schülerinnen und Schülern in ganz erheblichem Maße davon abhängen, in welchem Bundesland sie zur Schule gehen. Über die Prozesse und Mechanismen, die diese ungleichen Bildungschancen hervorbringen, wissen wir allerdings noch immer relativ wenig. Denn in der Bildungsforschung wurde der Bundesländervergleich bislang stark vernachlässigt. Hier ist in Zukunft mehr Forschung nötig.
[Eine Diskussion möglicher Ursachen für Bundesländerungleichheiten in der Bildung findet sich