Kaum ein bildungspolitisches Thema wurde und wird in der Öffentlichkeit so intensiv diskutiert wie die Frage, wie lange die Schulzeit nach der Grundschule bis zum Abitur dauern soll. Sollen Schülerinnen und Schüler das Abitur am Gymnasium nach acht Schuljahren (G8: Klasse 5-12) erwerben oder erst nach neun Schuljahren (G9: Klasse 5-13)? Die Debatte um das sogenannte Turbo-Abi ist emotional aufgeladen und nicht immer sachlich.
Die Schulzeitfrage in der deutschen Bildungsgeschichte
Ein Blick in die Schulgeschichte Deutschlands zeigt: Die Schulzeitfrage ist keineswegs so neu, wie sie in aktuellen Diskussionen erscheint. Seit sich das Gymnasium vor mehr als 200 Jahren etablierte, wird sie immer wieder aufgeworfen:
Bis ins frühe 20. Jahrhundert gab es neun Jahrgangsklassen am Gymnasium, die sich an eine dreijährige Vorschule anschlossen. Damit benötigten Schülerinnen und Schüler insgesamt 12 Schuljahre bis zum Abitur.
Mit dem "Weimarer Schulkompromiss" (1919/20) verlängerte sich die Dauer der Schulzeit: Die dreijährigen Vorschulen der Gymnasien wurden nun durch die für alle Kinder verpflichtende vierjährige Grundschule ersetzt. Da man seitens der Gymnasien nicht bereit war, den neunjährigen Bildungsgang um ein Jahr zu reduzieren, wurde die Schulzeit bis zum Abitur auf 13 Jahre ausgedehnt.
In den folgenden Jahren schlugen mehrere finanzpolitisch begründete Versuche fehl, die gymnasiale Schulzeit aufgrund steigender Ausgaben für das Schulwesen auf acht Jahre zu verkürzen. Auch später – in den 1960er bis 1980er Jahren – gab es ähnliche Initiativen zur Schulzeitverkürzung aus Kostengründen, die jedoch am Widerstand von Lehrerverbänden und Elternvereinigungen (aber auch seitens der Kultusminister) scheiterten.
Ab 1936, in der Zeit des Nationalsozialismus, reduzierte man die neunjährige Gymnasialschulzeit auf acht Jahre, um so einen zusätzlichen Jahrgang an Offiziersanwärtern zu gewinnen. Diese Verkürzung der Schulzeit ist also in die damals eingeleitete Politik der Kriegsvorbereitung einzuordnen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten die Länder der damaligen Bundesrepublik wieder zu der 13-jährigen Schulzeit bis zum Abitur zurück. Das neunjährige Gymnasium hatte seitdem in allen westdeutschen Ländern über mehrere Jahrzehnte Bestand; mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz, wo das Abitur in der Regel nach 12,5 Schuljahren vergeben wird. Besonders begabte beziehungsweise hochbegabte Gymnasialschülerinnen und -schüler konnten allerdings das Abitur in Spezialschulen oder Spezialklassen freiwillig bereits nach zwölf Schuljahren ablegen (oder am neunjährigen Gymnasium eine Klasse überspringen).
In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) führte die sowjetische Militärregierung 1946 ein Einheitsschulsystem ein, das die reguläre Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre festlegte. Diese Regelung galt auch über die gesamte Zeit der DDR und wurde nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern zum Teil beibehalten.
Seit der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 gab es ein Nebeneinander der neunjährigen Gymnasialschulzeit in den westdeutschen Bundesländern und der achtjährigen in einigen ostdeutschen Bundesländern, die die in der DDR üblichen zwölf Schuljahre bis zum Abitur fortführten. Erst Ende der 1990er Jahre einigten sich die Kultusminister der Länder darauf, beide Varianten als gleichwertig anzuerkennen, wenn den Schülerinnen und Schülern ab Klasse 5 – unabhängig von der Schulzeit bis zum Abitur – insgesamt mindestens 265 Wochenstunden Unterricht erteilt werden. G8-Schülerinnen und -Schüler können das Abitur damit zwar ein Jahr früher ablegen, sie haben aber die gleiche Anzahl an Unterrichtsstunden wie diejenigen im G9 und somit mehr Unterrichtsstunden pro Woche: Im Durchschnitt sind es in G8 etwa 33, in G9 etwa 29 wöchentlich vorgesehene Unterrichtsstunden. Wie diese Unterrichtsstunden über die einzelnen Klassenstufen und Schulfächer verteilt werden, ist allerdings in den Bundesländern und teilweise auch in den einzelnen Schulen unterschiedlich geregelt.
G8 in der Diskussion: Von großen Hoffnungen und großen Befürchtungen
Vor etwa 15 Jahren kam die Schulzeitpolitik in den westdeutschen Bundesländern wieder auf die politische Agenda: Das Saarland setzte als erstes Land ab dem Schuljahr 2001/02 eine verkürzte Schulzeit bis zum Abitur von 13 auf 12 Jahre durch. Dadurch sollte auch dem vermuteten Nachteil saarländischer Absolventinnen und Absolventen gegenüber den französischen begegnet werden, die das Baccalauréat (das französische Äquivalent zum deutschen Abitur) bereits nach zwölf Jahren erlangen, früher studieren oder eine Ausbildung aufnehmen und somit auch ein Jahr eher in den Arbeitsmarkt eintreten.
Insgesamt vollzogen die Bundesländer nach und nach einen Kurswechsel hin zum achtjährigen Bildungsgang. Die Verkürzung der Schulzeitdauer bis zum Abitur sollte dazu beitragen, dass Absolventinnen und -absolventen eher in den Arbeitsmarkt eintreten und in einer zunehmend globalisierten Welt international wettbewerbsfähig sind. Zudem sollten damit angesichts der demografischen Alterung der Bevölkerung auch die Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland gesichert und die Sozialversicherungssysteme stabilisiert werden. Denn mit dem früheren Erwerbseintritt erweitert sich auch die Basis der Beitragszahler. Dabei ist die verkürzte Schulzeit nur ein Element in einem ganzen Bündel politischer Maßnahmen, die darauf abzielen, Bildungsprozesse im Lebenslauf vorzuverlagern beziehungsweise zu verdichten. So wurden auch die pädagogische Frühförderung für Kleinkinder ausgebaut, das Einschulungsalter vorverlegt und im Hochschulbereich die Bachelor- und Master-Studiengänge eingeführt.
Diese ökonomischen und demografischen Begründungen fanden viele Befürworter in Wirtschaft und Politik. Die politischen Entscheidungsträger betonten, dass durch eine effizientere Schulorganisation und die bessere Nutzung von Unterrichtszeit ein ganzes Schuljahr ohne Qualitätsverlust eingespart werden könne. Pädagogische Argumente für eine Schulzeitverkürzung spielten eine untergeordnete Rolle, obgleich es sie schon länger gab – etwa die Chance, die Lehrpläne zu verschlanken und die Lernzeit effektiver zu nutzen, indem Unterrichtsausfall, aber auch umfangreiche Wiederholungsphasen im Unterricht und lange Orientierungsphasen vermieden werden. Für eine kürzere Schulzeit sprachen aus bildungspolitischer Sicht zudem die positiven Wirkungen, die in Modellversuchen der Begabtenförderung für besonders leistungsstarke Schülerinnen und Schüler nachgewiesen wurden: etwa die "Schnellläuferklassen" in Berlin oder die Gymnasien mit verkürzter Schulzeit in Rheinland-Pfalz.
Seit 2001 haben (fast) alle westdeutschen Länder begonnen, die Schulzeit bis zum Abitur an den Gymnasien auf acht Jahre zu kürzen. Allerdings unterscheidet sich die konkrete Umsetzung erheblich zwischen den einzelnen Bundesländern, beispielsweise hinsichtlich der Verteilung der Unterrichtsstunden auf die einzelnen Jahrgangsstufen. In den meisten Bundesländern wurde für die Umstellung auf G8 vor allem in der Sekundarstufe I die wöchentliche Unterrichtszeit erweitert und zwischen einzelnen Schulfächern umverteilt, während die dreijährige gymnasiale Oberstufe weitgehend unangetastet blieb. In vielen Bundesländern gibt es jedoch neben den Gymnasien auch andere Schulformen, die zum Abitur führen (z.B. Gesamtschulen) – dort kann das Abitur auch weiterhin nach 13 Jahren erworben werden. Auch im berufsbildenden Bereich besteht in allen Bundesländern die Möglichkeit, das Abitur erst nach 13 Schuljahren zu erwerben (z.B. an beruflichen Gymnasien, Kollegs usw.).
Schon in der Einführungsphase setzte Kritik an der verkürzten Schulzeit ein, weil die Umsetzung in den meisten Ländern überhastet und zunächst ohne die notwendigen Anpassungen (z.B. Lehrpläne, Schulbücher) erfolgte. Auch stellte die höhere Zahl an Unterrichtsstunden pro Woche – verbunden mit Nachmittagsunterricht – viele Schulen vor große Herausforderungen, weil ihnen schlicht die Mittel, Räume und das Personal fehlten, um ihre Schülerinnen und Schüler nun auch über die Mittagszeit angemessen betreuen zu können. Aufgrund der Klagen von Schulleiterinnen und Schulleitern, Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern sowie deren Eltern wurde die "G8-Reform" schließlich in Teilen nachgebessert, indem beispielsweise die Lehrpläne und Schulbücher angepasst wurden.
Die öffentliche G8-Kritik hielt jedoch an und wurde in jüngster Zeit erneut angefacht, als Abiturientinnen und Abiturienten des letzten G9- und des ersten G8-Bildungsgangs in mehreren Bundesländern parallel die Gymnasien verließen. Eine zentrale Sorge der G8-Kritiker war, dass die auf zwölf Jahre reduzierte und verdichtete Lernzeit automatisch auch weniger Qualität des schulischen Lernens bedeute und das Leistungsniveau der Schülerinnen und Schülern dadurch absinke. Kurz: Nach nur acht Jahren Gymnasium seien die Schülerinnen und Schüler nicht ausreichend darauf vorbereitet, die Allgemeine Hochschulreife zu erwerben und den Anforderungen eines Studiums zu genügen.
Zudem gefährde die Schulzeitverkürzung die Chancengleichheit im Bildungssystem, da dichtere Lernzeiten den Wechsel von Schülerinnen und Schülern aus anderen Schulformen auf das Gymnasium erschwerten und somit dem Bildungsaufstieg von Kinder aus weniger privilegierten sozialen Schichten entgegenstünden. Bei einem straffer organisierten Unterrichtsalltag würde den Jugendlichen am Gymnasium überdies auch kaum mehr Zeit für die Entwicklung ihrer Persönlichkeit und den Erwerb überfachlicher Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Kreativität oder Toleranz bleiben. Auch schulische Aktivitäten wie die Teilnahme an AGs, Praktika oder Klassenfahrten seien unter G8-Bedingungen kaum mehr zu verwirklichen. Insbesondere die Eltern beklagten, dass ihre Kinder durch die zeitliche Verdichtung größeren Belastungen ausgesetzt seien. Dies äußere sich in höherem Stressempfinden und vermehrten gesundheitlichen Belastungen der Kinder. Viel zu kurz kämen nun auch außerschulische Aktivitäten wie Sport, Musik und soziales Engagement, aber auch Erholung und gemeinsame Familienaktivitäten.
Bei aller Kritik fällt auf, dass sie fast ausschließlich in den westdeutschen Ländern vorgebracht wird – in den ostdeutschen Ländern wird das achtjährige Gymnasium hingegen nicht grundsätzlich infrage gestellt.
Was wissen wir über die Wirkungen der verkürzten Gymnasialschulzeit – und was nicht?
Die Erwartungen und die Befürchtungen zu G8 können sich bisher nur auf wenige Forschungsergebnisse stützen. Denn in keinem Bundesland wurde die G8-Reform wissenschaftlich begleitet, viele Fragen dazu sind noch gänzlich unerforscht und insbesondere die langfristigen Auswirkungen einer kürzeren Gymnasialschulzeit auf die Schülerinnen und Schüler sind unklar. In nur wenigen wissenschaftlichen Studien wurde bisher – etwa mit Leistungstests und standardisierten Befragungen der Schülerschaft – geprüft, inwieweit sich die Annahmen der Befürworter und Kritiker von G8 tatsächlich bestätigen und verallgemeinern lassen.
Bildungspolitik und Bildungsforschung
In vielen Politikbereichen stützen sich Verantwortungsträger auf Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen, um bestimmte Beschlüsse oder konkrete politische Maßnahmen zu legitimieren (oder anzufechten) und ihre Entscheidungen gegenüber der Öffentlichkeit rational und überzeugend zu begründen. Für die Bildungspolitik ist die empirische Bildungsforschung eine wichtige Bezugswissenschaft.
Die Bildungsforschung beschäftigt sich mit den Voraussetzungen, Prozessen, Ergebnissen sowie Zielen von Bildung über den gesamten Lebenslauf (vgl. Prenzel 2005); viele Forschungsarbeiten befassen sich mit der Qualität und der Qualitätsentwicklung im Schulsystem. Diese werden mithilfe von empirischen Methoden, also Befragungen und konkreten Beobachtungen in der Wirklichkeit, untersucht, um genaue und verallgemeinerbare Aussagen über die Wirkungen und Entwicklungstrends im Bildungsbereich treffen zu können. Bildungsforscherinnen und -forscher können so dazu beitragen, die öffentlichen und politischen Debatten zu Bildungsthemen mittels objektiver Daten zu versachlichen und mit ihren Forschungsergebnissen Anregungen für die Gestaltung bildungspolitischer Maßnahmen zu liefern. Allerdings ist und bleibt es Sache der Politik, konkrete Maßnahmen politisch-normativ begründet zu beschließen und schließlich auch umzusetzen (Bromme/Prenzel 2014: 2). Die Bildungsforschung kann also objektive Daten bereitstellen und darauf basierende Ansatzpunkte ableiten, jedoch trifft sie nicht die politischen Entscheidungen.
Die bisherigen Forschungsarbeiten können keine nennenswerten Unterschiede für die Schülerinnen und Schüler belegen, die sich auf G8 oder G9 zurückführen lassen. Folgende Erkenntnisse können derzeit berichtet werden:
Leistungsstudien zeigen, dass die G8-Reform nicht dazu geführt hat, dass das Leistungsniveau der Schülerinnen und Schüler generell gesunken ist. Ihre Leistungsergebnisse variieren vielmehr je nach Bundesland, Schulfach und den einzelnen Schulen. Die Befunde lassen mal gar keine Unterschiede zwischen G8 und G9 erkennen, mal lediglich geringfügige zugunsten von G8 oder G9. Das heißt: Allein mit der Dauer der Schulzeit lassen sich Leistungsunterschiede zwischen Schülerinnen und Schülern nicht erklären.
Auch konnten bislang keine Unterschiede im Hinblick auf die Studierfähigkeit von G8- und G9-Abiturientinnen und -Abiturienten festgestellt werden. Sie unterscheiden sich nicht in ihren fachlichen, methodischen und personalen Kompetenzen und auch nicht in ihrer Orientierung, dem Grad ihrer Informiertheit oder der Planung von Ausbildung oder Studium für die Zeit nach dem Abitur.
Auch die wahrgenommene Belastung von G8- und G9-Schülerinnen und -Schülern unterscheidet sich nicht: So berichten viele, aber nicht alle Jugendliche, dass sie gesundheitliche Beschwerden wie Kopfschmerzen und Schlafstörungen sowie chronische Belastungen wie Erschöpfung, Unwohlsein oder Druck erleben – und zwar unabhängig davon, ob sie den acht- oder neunjährigen Bildungsgang besuchen. In der empirischen Bildungsforschung besteht Einigkeit darüber, dass es eher von den Bedingungen an der einzelnen Schule, etwa dem "Schulklima" , und von den Merkmalen der einzelnen Schülerinnen und Schüler abhängt, ob sie sich besonders beansprucht und belastet fühlen. Insbesondere leistungsschwache Schülerinnen und Schüler erleben die Gymnasialschulzeit als sehr belastend, und zwar in G8 und G9 gleichermaßen.
Wie viel Zeit den G8- und G9-Schülerinnen und -Schülern außerhalb der Schule als Freizeit zur Verfügung steht und wie sie diese gestalten, lässt sich aus den bisherigen Studien nicht eindeutig beantworten: Einzelne Studien weisen darauf hin, dass Oberstufenschülerinnen und -schüler in G8 ebenso außerschulischen Aktivitäten nachgehen wie G9-Schülerinnen und -Schülern. Es lassen sich keine Unterschiede feststellen, die mit dem Bildungsgang zusammenhängen. Andere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Schülerschaft in G8 bedeutend weniger außerschulische Freizeit hat als in G9: Einerseits ist weniger unstrukturierte außerschulische Freizeit ohne feste Termine bei ihnen festzustellen, andererseits sind sie weniger an strukturierten Freizeitaktivitäten beteiligt und in Vereinen engagiert. Die uneinheitlichen und teils auch widersprüchlichen Befunde lassen sich vermutlich darauf zurückführen, dass G8-Bildungsgänge in den Bundesländern sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Hier ist weitere Forschung notwendig.
Die bisherige Forschungslage zeigt, dass insgesamt weder substanzielle noch verallgemeinerbare Nachteile mit der zwölfjährigen Schulzeit verbunden sind. Auch wenn Eltern zum Thema G8/G9 befragt werden, lassen sich in ihren Antworten kaum Unterschiede zwischen beiden Bildungsgängen finden (vgl. Killus/Tillmann 2014). So berichtet der Bildungsforscher Klaus-Jürgen Tillmann in der repräsentativen JAKO-O-Bildungsstudie 2014 folgende Ergebnisse:
Die Reform wird reformiert: Rolle rückwärts zu G9 oder bei G8 nachbessern?
Diese wissenschaftlichen Befunde finden in der öffentlichen Debatte bislang wenig Gehör. Vor allem publizierte Erfahrungsberichte von Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern, aber auch Alltagsbeschreibungen von Lehrenden an Schulen und Hochschulen prägen das öffentliche Bild von G8. Die Akzeptanz der zwölfjährigen Schulzeit ist repräsentativen Umfragen zufolge sehr gering – mehr als drei Viertel der befragten Eltern wünschen sich eine Rückkehr zu 13 Jahren (vgl. Killus/Tillmann 2014). Insbesondere aufgrund der anhaltenden Kritik vonseiten der Eltern wurde den Gymnasien in einzelnen Bundesländern ermöglicht, zu G9 zurückzukehren, teilweise in weiterentwickelter Form:
Die Reform der Reform
Der aktuelle Stand der G8-/G9-Regelungen in den Bundesländern (2014):
In Schleswig-Holstein und Hessen können Gymnasien gemäß Schulgesetz selbst entscheiden, ob sie den achtjährigen oder den neunjährigen Bildungsgang oder beide Bildungsgänge parallel anbieten.
Einen anderen Weg gehen Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen: Die Option der Wiedereinführung von G9 besteht in beiden Ländern im Rahmen eines Schulversuchs – die teilnehmenden Schulen bieten mehrheitlich nur den neunjährigen Bildungsgang an; insbesondere große Gymnasien auch beide Bildungsgänge parallel.
Niedersachsen wird als erstes Bundesland im Jahr 2015 flächendeckend zum neunjährigen Bildungsgang zurückkehren.
In einigen westdeutschen Ländern gibt es Bürgerinitiativen, die Unterschriften für Volksentscheide gegen das achtjährige Gymnasium oder zumindest für eine generelle Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 sammeln. In Hamburg und Bayern sind die Initiativen kürzlich gescheitert, die Entwicklung in anderen Ländern bleibt abzuwarten.
Wiedereinführung von G9 am Gymnasium – Verfahren und Beteiligungsquoten (Stand: 2014) |
| Baden-Württemberg | Hessen | Nordrhein-Westfalen | Schleswig-Holstein |
Zeitpunkt der Einführung | 2012/13 | 2013/14 | 2011/12 | 2011/12 |
Rechtliche Grundlage | Modellversuch | * | Modellversuch | Schulgesetz |
beteiligte Gymnasien (Anzahl) | 44 | 50 | 13 | 15 |
davon: nur G9 | 11 | 39 | 10 | 11 |
davon: nur G8/G9 parallel | 33 | 11 | 3 | 4 |
Beteiligungsquote (in Relation zur Gesamtzahl aller Gymnasien des Landes) | 9,7 % | 46,7 % | 2 % | 15 % |
* In Hessen ist die Option für die Rückkehr zum neunjährigen Bildungsgang dauerhaft schulgesetzlich verankert; die Möglichkeit, beide Bildungsgänge parallel anzubieten, besteht nur im Rahmen eines Schulversuchs (beginnend mit Klasse 7). |
Die Art und Weise, wie die Schulzeitdebatte geführt wird, und die zum Teil bereits beschlossene Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums erscheinen aus wissenschaftlicher Sicht zumindest fragwürdig. Zwar können in der Forschung durchaus Probleme wie etwa Stress und Belastungen bei Schülerinnen und Schülern festgestellt werden, doch lassen sich diese nicht durch die Dauer der Schulzeit bis zum Abitur erklären. Die Forschungsergebnisse machen vielmehr deutlich, dass es für den Schulerfolg und die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen nicht auf die bloße Zahl der Unterrichtsstunden oder der Schuljahre bis zum Abitur ankommt, sondern darauf, wie gut die zur Verfügung stehende Zeit genutzt wird, kurz: auf die Qualität von Schule und Unterricht. Vor diesem Hintergrund haben zahlreiche renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und andere Personen des öffentlichen Lebens einen öffentlichen Aufruf zur Versachlichung der Diskussion um G8 veröffentlicht.
Während viele Interessenvertretungen für eine Rückkehr zum neunjährigen Bildungsgang plädieren, warnen auch viele – wie etwa Lehrer- und Elternverbände – vor einer Rückkehr zu G9: Diese würde erneut einen hohen organisatorischen Aufwand für die Schulen bedeuten, die immer wieder neue Reformen im laufenden Betrieb umzusetzen haben: Wieder müssten beispielsweise Schulbücher und schulinterne Lehrpläne überarbeitet und die Organisation der Sekundarstufe und des Schullebens angepasst werden. Nicht zuletzt würde damit auch die Arbeit von Gymnasien, die bereits erfolgreich auf G8 umgestellt haben, negiert und es entstünde voraussichtlich erneut Unruhe an den Schulen.
Eine Reaktion könnte in einer produktiven Wendung der Unzufriedenheit mit G8 liegen, um die wichtige Debatte über die Qualität von Schule und Unterricht voranzutreiben und damit die Chance zu nutzen, die Schulen darin weiterzuentwickeln. Die Forschungsergebnisse weisen auf Potenziale für Nachbesserungen im achtjährigen Gymnasium hin, beispielsweise mit Blick auf den Ausbau der Ganztagsgymnasien, den besseren Einsatz und die Gestaltung von Hausaufgaben oder eine Rhythmisierung des Schultages, um die Dauerbelastung von Schülerinnen und Schülern, aber auch von Lehrenden zu verringern. Dies sind gute Handlungsansätze, die der Qualitätsentwicklung von Schule dienen.