Etwas mehr als 15 Jahre nach dem Beginn des Bologna-Prozesses sind rund 88 Prozent aller 17.437 angebotenen Studiengänge in Deutschland auf ein Bachelor- und Master-Studium umgestellt. Nur noch circa 2 Prozent aller Studiengänge führen zu den Abschlüssen Diplom, Magister oder zu einem Künstlerischen Abschluss (Stand: WS 2014/15). Im Wintersemester 2013/14 waren rund 72 Prozent der Studierenden in Bachelor- und Master-Studiengänge eingeschrieben.
1. Was sind die Unterschiede zwischen "neuem" und "altem" Studieren?
Vor der Bologna-Reform bestand das Studium in der Bundesrepublik Deutschland nur aus einer Stufe beziehungsweise Phase: Nach – in der Regel – neun Semestern wurde ein Diplom- oder Magister-Abschluss oder ein Staatsexamen angestrebt. Staatsexamen oder Staatsprüfungen gibt es nach wie vor – zum Beispiel für das Studium zum Lehrerberuf an staatlichen Schulen (das Lehramt) oder für das Studium zum Arztberuf. In Deutschland existieren folglich zweistufige und einstufige Studiengänge nebeneinander, wobei die Zweistufigkeit – wie die oben genannten Zahlen zeigen – das Studienwesen dominiert.
Neben der Stufung der Studiengänge ist noch eine zweite Strukturvorgabe mit der Bologna-Reform verbunden: die sogenannte Modularisierung. Stufung und Modularisierung hängen nicht zwingend zusammen. Die Stufung hätte auch ohne Modularisierung eingeführt werden können und umgekehrt. Die Modularisierung ist wohl die weniger plakative, dafür aber im Endeffekt tief greifendere Veränderung des Studiensystems. Vor der Bologna-Reform bestand ein Studium aus Vorlesungen, Seminaren, Übungen, Laborpraktika und so weiter. Nach der Bologna-Reform besteht ein Studium aus Modulen. Diese Module setzen sich aus Vorlesungen, Seminaren, Übungen, Laborpraktika und so weiter zusammen.
Worin besteht nun der Unterschied zwischen dem "neuen" und dem "alten" Studieren? Neu ist, dass mehrere Veranstaltungen (in ihren verschiedenen Formen) in Module zusammengeführt werden. So kann beispielsweise eine Vorlesung mit der dazugehörigen Übung ein Modul bilden. Eigentlich gab es derartige Bündel von Veranstaltungen auch schon vor der Bologna-Reform. Neu ist deren explizite Benennung als Modul, und neu ist, dass alle Veranstaltungen in einem Studiengang Bestandteil von Modulen sind.
Das Studium kann folglich als bestimmte Abfolge von Modulen definiert werden. Ein Modul wiederum ist nichts anderes als ein Kurs. Und mit einem Kurs wird ein Kursziel verfolgt: In den Dokumenten zum Studiengang (wie der Studien- und Prüfungsordnung und dem Modulhandbuch) muss explizit gemacht werden, was der Kursteilnehmer nach Abschluss des Moduls gelernt haben muss. Dies ist ein gravierender Unterschied zum alten Studiensystem: Die Definition von Lernzielen muss in den Studiendokumenten, insbesondere in den sogenannten Modulbeschreibungen, fixiert sein. Der Student erfährt somit aus der Modulbeschreibung, was er mit Abschluss des Moduls können oder wissen muss. Mit der formalen Verpflichtung, die Ziele aller Lehrveranstaltungen transparent zu machen, sind alle Lehrenden und Studienganggestalter gezwungen, tatsächlich darüber nachzudenken, was am Ende des Moduls und – nach Belegung aller erforderlichen Module – am Ende des Studiums "herauskommen" sollte.
Grundsätzlich kann es große und kleine Module geben. Deren Größe bemisst sich an der Zeit, die der Kursteilnehmer in den Veranstaltungen an der Hochschule und beim Studium zu Hause oder in der Bibliothek oder sonst wo verbringt. Die zeitliche Währung nennt man Leistungspunkt, ECTS-Punkt oder Credit Point. In der Regel entspricht ein Punkt 30 Stunden Zeitaufwand für das Studium.
2. Wie kam der Bologna-Prozess in Gang?
Die europaweite Bologna-Reform hat die Hochschulen über Jahre intensiv beschäftigt und dabei tief in die Mikrostrukturen der Curricula hineingewirkt. Im Ergebnis wurde das Studiensystem in Deutschland nachhaltig verändert. Daher ist es durchaus berechtigt, von einem neuen Studiensystem zu sprechen. Die Bewertung der Bologna-Studienreform und ihre Auswirkungen auf das deutsche Hochschulwesen sind nach wie vor umstritten (siehe:
1999 erklärten 29 europäische Bildungsminister in Bologna ihre Absicht, bis Ende 2010 einen einheitlichen europäischen Hochschulraum mit vergleichbaren Studienabschlüssen zu schaffen. Angestoßen wurde diese Entwicklung ein Jahr zuvor durch ein Treffen von nur vier Bildungsministern – aus Italien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland – an der Pariser Universität Sorbonne. Nach dem politischen Auftakt des "Sorbonne-Quartetts" nahm die Anzahl der beteiligten Nationen von Treffen zu Treffen zu. Mittlerweile beteiligt sich fast das ganze geografische Europa an der Bologna-Reform. Jedes Treffen wurde mit einer Deklaration abgeschlossen, die auf den vorhergehenden aufbaut. Viele Themen werden immer wieder genannt, in einzelnen Punkten jedoch auch neue Akzente gesetzt.
InfoboxTeilnehmerländer und Etappen des Bologna-Prozesses
Aktuelle Teilnehmerländer am Bologna-Prozess (davon EU):
Albanien, Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Belgien (flämische und französische Gemeinschaft), Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, der Heilige Stuhl, Irland, Island, Italien, Kasachstan, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Mazedonien, Moldau, Montenegro, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, die Russische Föderation, Schweden, Schweiz, Serbien, Slowakische Republik, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Türkei, Ukraine, Ungarn, Vereinigtes Königreich und Zypern.
Die Europäische Kommission ist stimmberechtigtes Mitglied der Bologna Follow-up Group (BFUG). Neben den Mitgliedsstaaten wirken folgende Organisationen beratend mit: der Europarat, der Arbeitgeberverband BusinessEurope, der paneuropäische Gewerkschaftsverbund Education International (EI), die European Association for Quality Assurance in Higher Education (ENQA), die European Students' Union (ESU), die European University Association (EUA), die European Association of Institutions in Higher Education (EURASHE) und das European Centre for Higher Education (UNESCO-CEPES).
Etappen des Bologna-Prozesses und Zahl der mitwirkenden Bildungsminister (BM):*
Sorbonne 1998 (4 BM), (das namensgebende und weichenstellende Treffen in) Bologna 1999 (29 BM), Prag 2001 (33 BM), Berlin 2003 (40 BM), Bergen 2005 (45 BM), London 2007 (46 BM), Leuven/Louvain-la-Neuve 2009 (46 BM), Budapest/Wien 2010 (47 BM), Bukarest 2012 (47 BM)
Europäische Bemühungen um mehr Kooperation und Koordination in der Bildungs- und Hochschulpolitik sind an sich nichts Neues (vgl. Walter 2007). Neu war, dass der Bologna-Prozess außerhalb der europäischen Institutionen initiiert wurde und auch eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt hat, obgleich die europäischen Institutionen – allen voran die EU – nachträglich eingebunden wurden und aktiv mitwirken. Historisch einmalig ist, wie erfolgreich der Bologna-Prozess verlief. Die unterzeichnenden Länder haben alle – mehr oder weniger – flächendeckend ihr Studiensystem umgestellt
3. Was beinhaltet die Bologna-Reform?
In ihrer
Einführung eines zweistufigen Studiensystems, bei dem auf ein grundständiges Studium, das nach sechs bis acht Semestern mit einem ersten berufsqualifizierenden Abschluss endet, ein weiterführendes Studium von zwei bis vier Semestern aufbaut. In den meisten Ländern haben diese neuen Abschlüsse die englischen Bezeichnungen "Bachelor" und "Master" erhalten. Das Prinzip ist einfach: Ohne Bachelor-Abschluss (oder einen anderen ersten Hochschulabschluss) kann kein Master-Studium aufgenommen werden.
Zudem sollte ein in allen teilnehmenden Ländern gleichermaßen gültiges Leistungspunktesystem, das "European Credit Transfer (and Accumulation) System" (ECTS) zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen eingeführt werden.
Um die Transparenz zwischen den nationalen Bildungssystemen zu verbessern, soll jedem Studienabschlusszeugnis ein europäisches Studiendokument, das "Diploma-Supplement", beigefügt werden. Dieses enthält Informationen zum Studiengang und dokumentiert in der Landessprache und in Englisch den Studienverlauf mit den gewählten Modulen, Auslandsstudium- und Praxisphasen sowie die erworbenen Kompetenzen.
Generell enthalten die Bologna-Deklarationen faktisch relativ wenige Regulierungen, wenngleich von Konferenz zu Konferenz immer neue Punkte auf die Tagesordnung gesetzt und dann auch in die Abschlusserklärung aufgenommen wurden – so etwa die Themen Lebenslanges Lernen, Beschäftigungsfähigkeit, Abbau sozialer Hürden für ein Studium, studentische Beteiligung an den Reformprozessen, Kompetenzorientierung und vieles andere mehr. Die wenigen Vorgaben, wie die harmonisierten Studienstrukturen auszusehen haben, sind auf der europäischen Ebene relativ offen gehalten. Ursprünglich waren nur die Zweier-Stufung der Abschlüsse und die Einführung des Leistungspunktesystems ECTS "vorgeschrieben". Die Anführungszeichen sind deshalb gesetzt, weil die Bologna-Deklarationen keinerlei rechtliche Bindungswirkung für die Hochschulen haben, sondern nur politische Absichtserklärungen darstellen. Erst wenn diese in die nationalen Hochschulgesetze übertragen wurden, sind sie für die Hochschulen rechtlich bindend.
4. Wie wurde "Bologna" in Deutschland politisch durchgesetzt?
Da in Deutschland im Wesentlichen die Bundesländer für die Bildungspolitik und damit auch für die Hochschulen zuständig sind, ist die Umsetzung der Bologna-Reform vor allem Sache ihrer Bildungsminister und Parlamente. Über die Kultusministerkonferenz (KMK) stimmen die Länder ihre Hochschulpolitik miteinander ab. So können die Externer Link: Ländergemeinsamen Strukturvorgaben für die Akkreditierung von Bachelor- und Masterstudiengängen der KMK als der Gestaltungsrahmen für die neuen Studiengänge in Deutschland gelten, der von den Landesgesetzgebern entsprechend übernommen wurde. Parallel zu den neuen Abschlüssen wurde mit der Akkreditierung ein neues System eingeführt, das die Qualität der Studiengänge und deren Zertifizierung überprüft.
An der Entstehung der Sorbonne-Erklärung selbst waren die Bundesländer aber gar nicht beteiligt. Der damalige Bundesbildungsminister, Jürgen Rüttgers, war ohne "föderale Begleitung" nach Paris gefahren. Möglicherweise war dies das Kalkül des Bundes, um hier – vielleicht zermürbt von den komplizierten föderalen Abstimmungsprozessen – wichtige Weichen in der Hochschulpolitik zu stellen. Denn hier bot sich eine Chance, über die europäische Schiene alte wie auch neue Reformziele durchzusetzen. Lange Zeit wurde immer wieder ein Reformstau im Studienbereich an den Hochschulen beklagt: Überlastete Studiengänge, Mängel in der Qualität der Lehre, zu hohe Studienabbruchquoten und zu lange Studienzeiten waren nur einige der Kritikpunkte.
InfoboxKurzstudiengänge in Deutschland – eine alte Idee in neuem Gewand
Planungen zu Kurzstudiengängen gibt es in Deutschland schon seit Mitte der 1960er Jahre; Überlegungen dazu hat es sogar noch früher gegeben.
Der Wissenschaftsrat – eine hochschul- und wissenschaftspolitische Beratungsorganisation mit Wissenschaftlern, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie Vertretern von Bund und Ländern – veröffentlichte 1966 seine Empfehlungen zur Neuordnung des Studiums und 1967 erschien der Hochschulgesamtplan für Baden-Württemberg, der "Dahrendorf-Plan": Bereits damals wurde die Unterteilung in ein Kurzstudium von drei Jahren (mit dem Abschluss Bakkalaureus) und ein Aufbaustudium beziehungsweise ein Langstudium propagiert.
Schon die ersten Vorschläge zur Stufung des Studiums vor mehr als vierzig Jahren zielten darauf ab, mehr Menschen zu einem Studium zu bewegen. Nach wie vor gilt eine höhere Studierquote als vorrangiges hochschulpolitisches Ziel. Die rohstoffarme Wissens- beziehungsweise Informationsgesellschaft Deutschlands müsse angesichts einer forcierten technologischen Entwicklung in erster Linie in ihr Humankapital investieren. Das Kalkül der Stufung der Studiengänge ist, dass mit einer Absenkung der Regelstudiendauer auf drei bis vier Jahre auch Menschen aus bildungsfernen Schichten das kostspielige Unterfangen eines akademischen Studiums wagen und sich an einer Hochschule einschreiben. Die Hemmschwelle zu studieren werde abgesenkt, weil das Studienende absehbar sei, die Investitionen in das Studium also geringer als bislang seien, und das Risiko zu scheitern kleiner ausfalle beziehungsweise besser abzuschätzen sei. Die Gefahr einer "Ablenkung" insbesondere Angehöriger bildungsferner Schichten vom Studium werde dadurch verringert.
Rund zehn Jahre später – im Jahr 1978 – hat der Wissenschaftsrat nochmals derartige Vorschläge in seinen "Empfehlungen zur Differenzierung des Studienangebots" aufgegriffen. Die Idee, das Hochschulstudium in der Bundesrepublik in grundständige und Aufbau-Studiengänge einzuteilen, wurde also bereits seit Jahrzehnten verfolgt. Über den europäischen Weg des Bologna-Prozesses konnte die Stufung möglich gemacht und durchgesetzt werden.
Seit Ende der 1990er Jahre scheint die Situation wie umgedreht. Mehrere grundlegende Reformprozesse an den Universitäten und Fachhochschulen laufen gleichzeitig. Die Bologna-Reform der Studienstruktur fiel mit einer tief greifenden Reform der Hochschulsteuerung zusammen. Neben der Umstellung der Studiengänge waren die Universitäten unter anderem mit der Einführung neuer Leitungsstrukturen, Globalhaushalte, Zielvereinbarungen, formelgebundener Mittelvergabemodelle sowie der leistungsorientierten Besoldung der Professoren beschäftigt. Durch diese Reformen sollte die Eigenständigkeit und Profilbildung der Hochschulen und damit letztlich der Wettbewerb zwischen ihnen gefördert werden.
Schon bevor die Bologna-Erklärung unterzeichnet wurde, hatte der Bund die Option auf eine neue Studienstruktur im Hochschulrahmengesetz (HRG) verankert. Bereits 1998 war die Möglichkeit geschaffen worden, Bachelor- und Master-Studiengänge "zur Erprobung" (§ 19 Absatz 1) einzuführen. Vier Jahre später wurde das HRG geändert und die Einführung gestufter Studiengänge nun generell ermöglicht. Seitdem zeichnete sich immer deutlicher ab, dass die Hochschulen in der Bundesrepublik nicht umhinkommen würden, ihre Diplom- und Magister-Studiengänge flächendeckend auf Bachelor und Master umzustellen. Wegen der europäischen Einbindung, aber auch aufgrund der Überzahl an deutschen Hochschulen, die beabsichtigten umzustellen, war der praktische Widerstand gegen die Einführung von Bachelor und Master letztlich gering. Überdies waren sowohl die Hochschulrektorenkonferenz als auch der Wissenschaftsrat von Beginn an als engagierte Befürworter der neuen Studiengänge aufgetreten. So galt es für die Hochschulen, das Beste daraus zu machen, also auf den Bologna-Zug aufzuspringen, auch wenn grundsätzlich die Richtung nicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf verbalen Protest der Hochschulangehörigen stieß. Ein paar Jahre später waren die Bachelor- und Master-Grade als Studienabschlüsse in allen Landeshochschulgesetzen verankert und – wiederum nach ein paar Jahren – waren die neuen Studiengänge an den Hochschulen eingeführt.
Angesichts dessen, wie stark die Studienstrukturreform in die Arbeit und das Selbstverständnis der Hochschulen und Hochschullehrer eingriff, war das Ausbleiben von Widerstand oder positiv formuliert: der Durchsetzungserfolg des Bologna-Prozesses in Deutschland erstaunlich. Zwar gab es hier und dort Wehklagen seitens der Interessenvertretung der Universitätsprofessoren, in das auch Teile der (organisierten) Studentenschaft mit einstimmten. Aber von Widerstand, um tatsächlich die Reform an den Hochschulen zu verhindern, kann keine Rede sein.
5. Wie wurde "Bologna" in Deutschland umgesetzt?
Konnte man die Regelungsdichte auf europäischer Ebene noch als gering bezeichnen, so wurde das Ausmaß an Bologna-Regelungen auf nationaler Ebene durch die Kultusministerkonferenz (KMK) deutlich erhöht. In den besagten Ländergemeinsamen Strukturvorgaben traf die KMK detaillierte Festlegungen zu den formalen Fragen des Studiums: Abschlussbezeichnungen, Arten von Studiengängen, Studiendauer, Akkreditierung und Modalitäten der Modularisierung und anderes mehr. Damit lässt sich die deutsche Variante des neuen Studiensystems anhand von sechs Punkten charakterisieren:
Stufung und Abfolge der Studiengänge: Auf das drei- bis vierjährige Bachelor-Studium folgt das ein- bis zweijährige Master-Studium, wobei der Bachelor als der Regelabschluss eines Hochschulstudiums dienen soll.
Berufsqualifizierung: Jeder Studienabschluss, also bereits der Bachelor, soll für das Berufsleben qualifizieren.
Explizite Vermittlung von Schlüsselqualifikationen, also überfachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die systematisch im jeweiligen Studienkonzept klar zu dokumentieren sind: Dies kann entweder "integrativ" in extra hierfür bereitgestellten Modulen (zum Beispiel Fremdsprachen) oder "additiv" im Rahmen des Fachstudiums erfolgen. Schlüsselqualifikationen wird wiederum eine hohe Bedeutung für die Beschäftigungsfähigkeit eingeräumt.
ECTS: Der Arbeitsaufwand der Studierenden ("student workload") wird in Leistungspunkten (30 Stunden = ein Leistungspunkt) statt wie bisher in Semesterwochenstunden (SWS) berechnet. Zum Arbeitsaufwand zählt nicht nur wie bisher die Veranstaltungsteilnahme, das sogenannte Kontaktstudium, sondern auch die Zeit für das Selbststudium wird mit einkalkuliert.
Modularisierung des Studiums: Module gelten als abgeschlossene Lehr- und Lerneinheiten, die über Lernziele definiert werden.
Studienbegleitende Prüfungen (Modulprüfungen) ersetzen weitgehend Abschlussprüfungen.
InfoboxDie europäische "Studien-Währung" – das Leistungspunkte-System ECTS
ECTS steht für "European Credit Transfer (and Accumulation) System", das heißt ein europäisches System zur Bemessung von quantitativen Studienleistungen, die die für das Studium aufgewendete Zeit bemessen – es sind also keine Leistungsbewertungen (Noten).
Das ECTS wurde im Zuge der "Bologna-Reform" in allen Teilnehmerländern für die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge eingeführt. Die Bologna-Studienreform baut damit auf dem älteren ECT-System auf, das im Rahmen des Erasmusprogramms der Europäischen Union für Auslandsstudien bereits Mitte der 1980er Jahre entwickelt und ab 1987 eingesetzt wurde. Das ECTS soll die für ein Studium zu erbringenden Leistungen für alle Beteiligten transparent und vergleichbar machen. Mit dieser europaweit geteilten "Währungseinheit" sollen Studierende innerhalb ihres Studiums, aber auch am Übergang zwischen dem Bachelor- und Masterstudium leichter von einer Hochschule zu einer anderen wechseln können – international wie auch im eigenen Land.
Wie funktioniert das ECTS? Es beziffert den zeitlichen Arbeitsaufwand, den durchschnittliche Studierende je Kurs beziehungsweise Modul investieren sollen. Über die inhaltliche Ausgestaltung und Qualität der Module sagt das ECTS nichts aus. Bei erfolgreicher Veranstaltungsteilnahme gibt es für jedes Modul eine festgelegte Zahl an Leistungspunkten ("credit points"). In der Regel entspricht ein Punkt in Deutschland 30 Stunden im Präsenz- und Selbststudium, also sowohl für den Besuch von Lehrveranstaltungen als auch für die Vor- und Nachbereitung des Lehrstoffs, der Studien- und Abschlussarbeiten, aber auch Prüfungszeiten und gegebenenfalls Studienpraktika. Für ein Semester Vollzeitstudium werden in der Regel 30 zu erwerbende ECTS-Punkte, also 900 Stunden Zeitaufwand veranschlagt (abzüglich drei Wochen Urlaub entspricht dies in etwa 39 Stunden pro Woche). In einem Bachelor-Studium mit einer Regelstudienzeit von mindestens drei bis höchstens vier Jahren sind insgesamt zwischen 180 und 240 ECTS-Punkten zu erwerben, in einem Master-Studium mit einer Regelstudienzeit von ein bis zwei Jahren zwischen 60 und 120 ECTS-Punkten.
Inhaltliche Vorgaben zur Gestaltung der Curricula wurden von der KMK indes nicht gemacht. Die Hochschulen konnten damit die starren Vorgaben der alten Rahmenprüfungsordnung – die noch für die Diplom- und Magisterstudiengänge deutschlandweit galten – verlassen und die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge relativ frei gestalten. "Profilbildung" war der Slogan der Reformbefürworter. Bologna, so ihr Argument, biete den Fachbereichen und Hochschulen die einmalige Möglichkeit, ihr Studienangebot insgesamt zu überdenken, alte Studiengänge einzustellen, neue anzubieten und die vorhandenen Studiengänge zu reformieren. So könnten die Hochschulen ihre Studiengänge gemäß ihrer (Lehr-)Kompetenzen und (Forschungs-)Schwerpunkte neu strukturieren.
Zudem verband sich mit Bologna der Anspruch, einen Perspektivenwechsel vom Lehren zum Lernen zu vollziehen ("shift from teaching to learning"). Diese Lernzielorientierung ist für viele der eigentliche qualitative Fortschritt im Gefolge der neuen Studienstruktur. Das Studium wird für die Studierenden angeboten; sie müssen am Ende etwas gelernt haben – und an dieser Maßgabe hat sich die Konzeption des Studiums zu orientieren. Im Vordergrund steht damit die Perspektive der Studierenden – und nicht wie bisher die der Lehrenden: Statt der Semesterwochenstunden ist nun der studentische Arbeitsaufwand (der "student workload") – gemessen in ECTS- beziehungsweise Leistungspunkten – ausschlaggebend, statt der Studieninhalte sind die Lernziele maßgeblich, also das, was bei der Studentin, bei dem Studenten ankommen soll. Eine solche Kompetenzorientierung war für manch einen Dozenten wahrscheinlich nichts Neues. Neu war hingegen, dass sich nun alle daran halten und Kompetenzen in Modulbeschreibungen formulieren mussten.
6. "Bologna" – eine Jahrhundertreform des Hochschulwesens?
Die Bologna-Reform hat das Studieren in Deutschland nachhaltig verändert und hat insofern historische Bedeutung. Dennoch ist diese Bedeutung in zweierlei Hinsicht etwas zu relativieren: Erstens war Bologna nicht die einzige tief greifende Reform, die das deutsche Hochschulwesen in den letzten 15 Jahren zu bewältigen hatte; das andere "Oberthema" war, wie oben erwähnt, die vielfältige Veränderung der Hochschulsteuerung.
Zweitens macht ein Blick in die deutsche Hochschulgeschichte deutlich, dass Studienstrukturen nicht in Stein gemeißelt oder gar für die Ewigkeit gemacht werden, sondern dass alle paar Jahrzehnte Revisionen im System realisiert werden. Die Geschichte lehrt: Studienabschlüsse kommen und gehen (und kommen wieder). Bachelor und Master sind sicherlich nicht der Endpunkt der Hochschulgeschichte.
InfoboxAkademische Titel unterliegen Moden
In der Universitätsgeschichte kam es lange Zeit mehr auf den Besuch einer Universität als auf den formalen Abschluss eines Studiums an.
Im Laufe der Entwicklung sind Studienabschlüsse für Karriere und Status der Absolventen jedoch immer wichtiger geworden. Mal wurden die Titel entwertet, mal aufgewertet. Mal wurden sie inflationär verwendet, mal wurde der Zugang zu ihrem Erwerb oder ihr Erwerb selbst erschwert. Mal wurde ein Abschluss abgeschafft, mal ein neuer (alter) Abschluss (re-)aktiviert:
Der akademische Zwischenabschluss des Bakkalaureus, der sowohl von der Artistenfakultät – der Eingangsfakultät der mittelalterlichen Universität, die alle Studenten durchlaufen mussten – als auch von den drei höheren Fakultäten (Theologie, Jura, Medizin) vergeben wurde, verschwand aus Gründen des Imageverlustes im 16./17. Jahrhundert weitgehend aus den deutschen Universitäten.
Ebenso aus Geringschätzung verlor der akademische Grad des Magisters Ende des 18. Jahrhunderts an den deutschen Universitäten an Bedeutung. Er wurde durch den Doktor der Philosophie ersetzt.
Die im 19. Jahrhundert verbreitete Tradition, das Studium mit der Promotion zum Doktor abzuschließen, wurde an den deutschen Universitäten teilweise weit bis in das 20. Jahrhundert beibehalten. Eine Beendigung des Studiums ohne Promotion kam dabei einem Studienabbruch gleich.
Daneben hatten sich in einigen Fächern (Medizin, Jura, Lehramt usw.) im 19. Jahrhundert Staatsexamina durchgesetzt.
Ab 1950, verstärkt ab den 1960er Jahren wurde dank der Rahmenordnungen der Kultusministerkonferenz der bis dato bedeutungslos gewordene akademische Grad Magister Artium reaktiviert. Flächendeckend durchgesetzt hat sich der Magister in den Geisteswissenschaften allerdings erst in den 1980er Jahren.
Das Diplom wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit Aufkommen der Technischen Hochschulen und mit dem Bedeutungszuwachs der Natur- und Technikwissenschaften eingeführt und hat sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts auch in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und der Psychologie eingebürgert.
Die Habilitation, die als besondere Prüfung nach der Promotion die Lehrbefähigung bescheinigen sollte, wurde erstmals an der Berliner Universität 1816 verankert und setzte sich dann in ganz Deutschland durch, bis sie durch die Einführung der Juniorprofessur wieder zur Disposition gestellt wurde beziehungsweise werden sollte.
Und nicht nur im Laufe der Zeit änderten sich das Studienwesen und die Bedeutung der akademischen Titel, selbst zu einer bestimmten Zeit war Magister nicht gleich Magister, sondern unterschied sich von Region zu Region, von Universität zu Universität. Im Bologna-Prozess wird nun die "Etikettenfrage" mit Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse europaweit geregelt, sprich die Studienabschlüsse werden harmonisiert und standardisiert.
Martin Winter: Bologna – die ungeliebte Reform und ihre Folgen |
Literatur zum Thema
Walter, Thomas 2007: Der Bologna-Prozess im Kontext der europäischen Hochschulpolitik. Eine Genese der Synchronisierung internationaler Kooperation und Koordination. S. 10-36 in: Winter, Martin (Hg.): Reform des Studiensystems. Analysen zum Bologna-Prozess. die hochschule, Vol. 16, Heft 2: Externer Link: http://hsdbs.hof.uni-halle.de/documents/t1722.pdf
Winter, Martin 2009: Das neue Studieren – Chancen, Risiken, Nebenwirkungen der Studienstrukturreform: Zwischenbilanz zum Bologna-Prozess in Deutschland. Wittenberg: HoF-Arbeitsbericht 1/2009: Externer Link: http://www.hof.uni-halle.de/dateien/ab_1_2009.pdf
Witte, Johanna 2006: Die deutsche Umsetzung des Bologna-Prozesses. S. 21-27 in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Vol. 56, Heft 48: