Aus ökonomischer Sicht kann Bildung als Investition in das Wissen und die Fähigkeiten der Bevölkerung angesehen werden. Bildung stattet die Menschen mit den Fähigkeiten aus, die sie beim Ausführen ihrer Arbeitsaufgaben produktiver machen. Zudem vermittelt sie das Wissen und die Kompetenzen, die es den Menschen ermöglichen, neue Ideen zu entwickeln und anzuwenden, die wiederum Innovation und technologischen Fortschritt hervorbringen. In dem Ausmaß, wie Fähigkeiten, Wissen und Kompetenzen die individuelle Produktivität erhöhen, werden besser gebildete Menschen höhere Einkommen erzielen können und weniger von Arbeitslosigkeit bedroht sein. Auf Ebene der gesamten Volkswirtschaft kann Bildung das langfristige Wirtschaftswachstum beflügeln, indem sie die gesamtwirtschaftliche Produktivität erhöht und indem sie hilft, Innovationen hervorzubringen und zu verbreiten, die technologischen Fortschritt mit sich bringen.
InfoboxWas ist Bildungsökonomik?
Die Bildungsökonomik untersucht Bildung aus ökonomischer Sicht. Dabei geht es einerseits darum, wie sich Bildung auf den wirtschaftlichen Wohlstand sowohl des Einzelnen als auch der Gesellschaft insgesamt auswirkt.
Andererseits untersucht die Bildungsökonomik auch die Ursachen von erfolgreicher Bildung etwa im Bereich des familiären Hintergrunds, der Finanzierung und Ressourcenausstattung der Bildungseinrichtungen und der institutionellen Rahmenbedingungen des Bildungssystems.
Bildung und gesamtwirtschaftlicher Wohlstand
Neuere wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die Bildungsleistungen der Bevölkerung, wie sie etwa als Kompetenzen in internationalen Schülertests gemessen werden, in der Tat der wohl wichtigste Bestimmungsfaktor für das langfristige volkswirtschaftliche Wachstum sind (Hanushek und Wößmann 2008, 2015). Um dies zu untersuchen, haben wir die Ergebnisse der seit Mitte der 1960er Jahre in vielen Ländern der Welt durchgeführten internationalen Schulleistungsstudien in Mathematik und Naturwissenschaften – quasi die PISA-Vorgängerstudien – zu einem Maß zusammengefasst, das die durchschnittlichen schulischen Leistungen der Bevölkerung dieser Länder abbilden soll. Anschließend haben wir berechnet, welchen Einfluss diese durchschnittlichen Schülerleistungen auf das Wirtschaftswachstum dieser Länder hatten.
Für die 50 Länder, für die neben den Schülerleistungsdaten auch international vergleichbare Wirtschaftsdaten vorliegen, ergibt sich das in der Abbildung dargestellte Bild: Je besser die Leistungen in den PISA-Vorgängertests, desto höher ist das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf seit 1960. Der eindeutige Zusammenhang ist frappierend: In Ländern mit hohen Kompetenzen ist die Wirtschaft schnell gewachsen, Länder mit niedrigen Kompetenzen sind kaum von der Stelle gekommen. Während etwa Singapur (SGP) als eines der Länder mit den besten Bildungsleistungen jährlich mit durchschnittlich über 6 Prozent gewachsen ist, lag die Wachstumsrate von Peru (PER) als einem der Länder mit den schlechtesten Bildungsleistungen bei unter 1 Prozent. Anders ausgedrückt: Die Einwohner Perus sind im Jahre 2000 durchschnittlich um etwa die Hälfte reicher als noch 1960; die Einwohner Singapurs hingegen sind über dreizehnmal so reich wie 1960!
Mit einem so einfachen Modell, das neben den Bildungsleistungen lediglich das Ausgangsniveau des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf einbezieht, lässt sich der Großteil der internationalen Unterschiede im langfristigen Wirtschaftswachstum erklären. Der Einfluss der Bildungsleistungen auf das Wirtschaftswachstum ist dabei ausgesprochen robust, er bleibt auch dann bestehen, wenn man weitere für das Wirtschaftswachstum wichtige Faktoren hinzunimmt wie Offenheit für internationalen Handel, Eigentumssicherheit, Lage in den Tropen, Fertilität oder Kapital.
Sobald die Bildungsleistungen im Wachstumsmodell berücksichtigt werden, erweist sich darüber hinaus die bloße Anzahl der Bildungsjahre als bedeutungslos. Anders ausgedrückt: Bildung wirkt sich nur in dem Maße wirtschaftlich aus, wie sie auch tatsächlich höhere Kompetenzen vermittelt. Es reicht nicht, nur die Schul- oder Universitätsbank zu drücken; auf das Gelernte kommt es an.
Nun könnte der Zusammenhang ja prinzipiell auch umgekehrt sein: Länder mit starkem Wirtschaftswachstum können ihre Schulen besser ausstatten und erreichen deshalb höhere Bildungsleistungen. Oder nicht betrachtete dritte Faktoren wie kulturelle Unterschiede oder ökonomische Rahmenbedingungen könnten für den Zusammenhang verantwortlich sein, indem sie sowohl das Wirtschaftswachstum als auch die Bildungsleistungen verbessern. Die aktuelle Forschung belegt jedoch eindrucksvoll, dass es sich bei dem Zusammenhang um einen ursächlichen Effekt höherer Bildungsleistungen handelt (siehe Hanushek und Wößmann 2015 für Details).
Zusätzlich zeigt sich, dass sich sowohl eine gute Bildungsbasis in der Breite der Bevölkerung als auch eine genügend große Leistungsspitze wesentlich auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Insofern darf man niemals die Bildung in der Breite der Bevölkerung und die Leistung an der Spitze gegeneinander ausspielen: Es kommt auf beides an. Gute Bildungsleistungen – in der Breite wie an der Spitze – sind die Basis des langfristigen Wachstums und damit des wirtschaftlichen Wohlstands einer Gesellschaft.
Im Umkehrschluss heißt das: Unzureichende Bildungsleistungen kommen eine Gesellschaft teuer zu stehen. Berechnungen anhand des in der Abbildung gezeigten Zusammenhangs zwischen Bildungsleistungen und Wirtschaftswachstum kommen für Deutschland zu dem Ergebnis, dass sich langfristig (über den Lebenszeitraum eines heute geborenen Kindes gerechnet) über 13 Billion Euro an zusätzlichem Bruttoinlandprodukt erzielen ließe, wenn die Bildungsleistungen auf das Niveau führender europäischer PISA-Länder wie Finnland gesteigert würden. Die Folgekosten unzureichender Bildung durch entgangenes Wirtschaftswachstum sind gewaltig.
Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten 1975-2011 (
Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten 1975-2011 (
Das gilt für Entwicklungsländer genauso wie für entwickelte Volkswirtschaften. So zeigt sich zum Beispiel, dass die außergewöhnlich schlechte Wirtschaftsentwicklung Lateinamerikas über das vergangene halbe Jahrhundert sich statistisch gesehen weitgehend auf eine unzulängliche Qualität ihrer Bildungssysteme zurückführen lässt. Zwar weisen viele lateinamerikanische Länder eine durchaus ansehnliche durchschnittliche Bildungsdauer ihrer Bevölkerung auf. Aber in internationalen Vergleichstests der tatsächlich erworbenen Kompetenzen schneiden die lateinamerikanischen Länder – wie auch Länder aus Subsahara-Afrika – sehr schlecht ab. Statistisch gesehen lassen sich damit ihre insgesamt niedrigen langfristigen Wachstumsraten seit 1960 vollständig erklären.
Bildung und individueller Wohlstand
Nicht nur für die Gesellschaft insgesamt, sondern auch für jeden Einzelnen zahlt sich eine bessere Bildung aus. Aus individueller Sicht sinkt mit einem besseren Bildungsabschluss das Risiko der Arbeitslosigkeit und steigt das Erwerbseinkommen. In Deutschland beträgt die Arbeitslosigkeit unter Personen mit Hochschulabschluss etwa 2 Prozent, bei Personen mit abgeschlossener Lehre 5 Prozent und bei Personen ohne Berufsbildungsabschluss rund 20 Prozent. Eine gute Bildung ist die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, die in Deutschland heutzutage vor allem eine Arbeitslosigkeit der Geringqualifizierten ist.
Einkommen nach Bildungsabschluss (
Einkommen nach Bildungsabschluss (
Und auch unter denen, die einen Job haben, gilt: Das durchschnittliche Einkommen von Personen mit Hochschulabschluss ist rund 70 Prozent höher als das von Personen mit abgeschlossener Lehre und etwa doppelt so hoch wie das von Personen ohne Berufsbildungsabschluss. Grundsätzlich steigt das durchschnittlich auf dem Arbeitsmarkt erzielte Einkommen mit dem erreichten Bildungsabschluss. Generell zeigt die empirische Arbeitsmarktforschung, dass sich das spätere Einkommen mit jedem zusätzlichen Bildungsjahr je nach Studie um rund 7 bis 10 Prozent erhöht. Dieser positive Zusammenhang der Bildung mit dem Erfolg am Arbeitsmarkt ist wohl einer der robustesten Befunde der empirischen Wirtschaftsforschung überhaupt (Card 1999; Heckman u.a. 2006).
Die wenigen Studien, die neben den Bildungsjahren auch direkte Kompetenzmaße mit dem Arbeitsmarkterfolg verknüpfen können, belegen auch eine große Bedeutung der tatsächlich erworbenen Kompetenzen. So misst die Externer Link: PIAAC-Studie, das sogenannte Erwachsenen-PISA, beispielsweise die alltagsmathematischen Kompetenzen Erwachsener in fünf Kompetenzstufen. Es zeigt sich, dass hierzulande jede höhere Kompetenzstufe einen durchschnittlichen Mehrverdienst von knapp einem Viertel ausmacht – das sind pro Stufe über 650 Euro im Monat (Hanushek u.a. 2015).
Wie die großen gesamtwirtschaftlichen Wachstumseffekte besserer Bildung verdeutlichen, geht die bessere Bildung des einen nicht zulasten der wirtschaftlichen Chancen des anderen. Vorstellungen, eine gute Bildung sei nichts mehr wert, wenn jeder sie hätte, sind völlig irrig. Sie basieren auf der falschen Vorstellung eines in seiner Größe feststehenden wirtschaftlichen Kuchens, den es zu verteilen gelte. Ganz im Gegenteil zeigen die Wachstumseffekte, dass die gesamte Volkswirtschaft von der besseren Bildung jedes Einzelnen profitiert. Die Fakten belegen, dass der Kuchen größer wird, wenn alle ein höheres Kompetenzniveau erreichen. Damit ist nicht nur für jeden besser Gebildeten mehr da, sondern gesellschaftlich steht etwa durch ein höheres Steueraufkommen und eine verringerte Zahl von Hilfsbedürftigen auch mehr für die sozialen Sicherungssysteme zur Verfügung. Kurzum: Weil die moderne Volkswirtschaft vor allem von den Fähigkeiten der Bevölkerung getragen wird, ist Bildung der Schlüsselfaktor für die zukünftige Entwicklung unseres Wohlstands.
Neben der Bedeutung für wirtschaftlichen Wohlstand lassen sich auch zahlreiche positive Effekte in wichtigen anderen Dimensionen belegen: Gute Bildung befähigt zu menschlich selbstverantwortlichem Handeln und zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie kann zivilgesellschaftlich reguliertes Verhalten und staatsbürgerliches Bewusstsein fördern und zu einem gemeinsamen Wertekanon und gesellschaftlichem Zusammenhalt beitragen. Darüber hinaus belegen zahlreiche Studien, dass bessere Bildung etwa mit gestärktem Gesundheitsbewusstsein, weniger Schwangerschaften bei Teenagern und sinkender Kriminalität einhergeht (Lochner 2011).
Ansatzpunkte für die Bildungspolitik
Mit der Schlüsselfunktion guter Bildung für den wirtschaftlichen Wohlstand stellt sich die Frage, wie die Politik die Bildungsleistungen der Bevölkerung effektiv steigern kann. Ein erster Forschungsbefund ist ernüchternd: Eine umfangreiche Literatur kommt nahezu einheitlich zu dem Ergebnis, dass bloße Verkleinerungen der Klassengrößen und sonstige zusätzliche Ausgaben bei gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen die Schülerleistungen kaum verbessern (Hanushek 2003; Hanushek und Wößmann 2011). So besteht im internationalen Vergleich keinerlei Zusammenhang zwischen dem Ausgabenniveau und den gemessenen Schülerleistungen: Die besten Länder geben nicht systematisch mehr aus. Beispielsweise gibt Finnland nicht mehr pro Schüler aus als Spanien oder Italien, schneidet in den Leistungsvergleichen aber wesentlich besser ab. Es fehlt nicht in erster Linie am Geld – es muss vor allem effektiv eingesetzt werden.
Zum einen geht es hier um die Verteilung der Mittel über die Bildungsstufen von der frühkindlichen Bildung bis hin zur Erwachsenenbildung. Dabei ergibt sich das stilisierte Bild eines Lebenszyklus der Bildungsfinanzierung: Die wirtschaftlichen Erträge von Bildungsinvestitionen etwa in Form zukünftiger Erwerbseinkommen sinken tendenziell mit zunehmendem Alter (Cunha u.a. 2006). Das liegt vor allem daran, dass Bildung ein dynamischer Prozess ist, in dem früh erlernte Fähigkeiten späteres Lernen erleichtern. Die höchsten Erträge öffentlicher Investitionen liegen im Bereich der frühkindlichen Bildung für Kinder aus sozial benachteiligten Schichten, da gerade hier nicht automatisch davon ausgegangen werden kann, dass die Kinder zu Hause ein bildungsanregendes Umfeld erfahren (Heckman 2006, 2008).
Im internationalen Vergleich sind die öffentlichen Bildungsinvestitionen pro Kind in Deutschland derzeit im frühkindlichen und Grundschulbereich relativ gering, im Hochschulbereich relativ hoch. Eine Verlagerung der öffentlichen Ausgaben aus späten in frühe Phasen des Bildungslebenszyklus könnte die Bildungsfinanzierung deshalb sowohl effizienter als auch gerechter machen, da von den frühen Investitionen vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Schichten profitieren könnten. Dabei ist zu bedenken, dass Eltern hierzulande durch Krippen- und Kindergartengebühren einen gehörigen Teil der Bildung der Kleinkinder selber finanzieren müssen, während der Staat ein gebührenfreies Hochschulstudium finanziert, was insbesondere Kindern aus bessergestellten Familien zugutekommt.
Zum anderen hängt ein besserer Mitteleinsatz von den institutionellen Rahmenbedingungen des Bildungssystems ab. Diese sollten Anreize für alle Beteiligten schaffen, damit sich ihre Anstrengungen für bessere Bildungsergebnisse lohnen. Unsere Analysen der internationalen Schülervergleiche deuten darauf hin, dass dafür vor allem drei institutionelle Faktoren wichtig sind: externe Überprüfungen der in Bildungseinrichtungen von den Lernenden tatsächlich erzielten Leistungen, mehr Selbstständigkeit für Schulen und Lehrer ("Schulautonomie") sowie mehr Wettbewerb zwischen den Schulen (Hanushek und Wößmann 2011). Zwar ist man sich in der Bildungsforschung zum Teil uneins, ob beziehungsweise unter welchen Bedingungen Bildungsleistungen durch entsprechende Maßnahmen nachhaltig verbessert werden können.
Aus bildungsökonomischer Sicht lässt sich die positive Wirkung dieser Faktoren jedoch gut begründen: Externe Leistungsprüfungen machen die Ergebnisse der pädagogischen Arbeit sichtbar; sie geben Aufschluss darüber, inwieweit die erwarteten Lernergebnisse (Kompetenzen) an einer Schule tatsächlich erreicht werden, und nehmen so vor Ort tätige Akteure wie Schulleitungen und Lehrkräfte in die Verantwortung für ihr Handeln. Auch stellen sie sicher, dass die Ergebnisse der Lernanstrengungen der Schülerinnen und Schüler für andere sichtbar werden und sich deshalb später auszahlen können. Werden die zu erreichenden Kompetenzen in Form von Bildungsstandards extern gesetzt und überprüft, kann es den Schulen und Lehrkräften selbst überlassen werden, mit welchem Stoff und welchen Lehrmethoden sie die Bildungsstandards erreichen. Denn die Schulen wissen zumeist am besten, was vor Ort funktioniert und was nicht. Wenn Eltern schließlich größere Wahlmöglichkeiten zwischen Schulen haben, dann können sie für ihr Kind die aus ihrer Sicht beste Alternative wählen und schlechte Schulen verlieren ihre Schüler. So entsteht ein Wettbewerb der Schulen um die besten pädagogischen Konzepte, von dem das gesamte System profitieren kann.
Alles in allem ist gute Bildung der zentrale Faktor für individuellen wie gesellschaftlichen Wohlstand. Wirtschaftliches Wachstum, Erwerbstätigkeit, zufriedenstellendes Einkommen und Armutsverhinderung – und damit die Finanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme und die Errungenschaften der Sozialen Marktwirtschaft – stehen und fallen mit dem Wissen und den Kompetenzen der Bevölkerung. Die volkswirtschaftliche Dimension von Bildung zu ignorieren würde deshalb den Wohlstand zukünftiger Generationen gefährden. Darum ist eine Bildungspolitik, die sicherstellt, dass alle Menschen die bestmöglichen Kompetenzen erreichen können, die beste Sozial- und Wirtschaftspolitik.