Der demografische Wandel ist in vollem Gange. Schon heute muss die Bildungspolitik vielerorts reagieren, um ein pädagogisch vertretbares Angebot an Bildungseinrichtungen sicherzustellen. Wie verändert sich die Bevölkerungsstruktur in Deutschland und was bedeutet das für die Bildungsbereiche?
Deutschland ist Vorreiter einer Entwicklung, die bald auch andere Gesellschaften erreichen wird: Es werden immer weniger Kinder geboren. Die Bevölkerung schrumpft. Durch Zuwanderung von Menschen aus dem Ausland lässt sich dieser Prozess nur noch abmildern, aber nicht mehr aufhalten. Obwohl sich die weitreichenden Nebenfolgen des demografischen Wandels heute noch nicht gänzlich erfassen lassen – unser auf Wachstum programmiertes Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft wird durch ihn grundlegend infrage gestellt.
Auch für das deutsche Bildungssystem bleibt der demografische Wandel nicht folgenlos, hat doch eine sinkende Bevölkerungszahl direkte Auswirkungen auf den Bedarf an Bildungseinrichtungen und Personal sowie den Finanzbedarf des Bildungssystems. Doch auch indirekte Folgen des demografischen Wandels geraten in den Blick. Zunehmend befürchten Wirtschaft, Wissenschaft und Politik einen Fachkräftemangel, denn infolge des Bevölkerungsrückgangs sinkt auch die Zahl hochqualifizierter Arbeitskräfte. Die Bevölkerungspyramide verdeutlicht dieses Problem (s. Abb. 1): Nach dem 2. Weltkrieg stiegen die jährlichen Geburtenzahlen noch bis Mitte der 1960er Jahre stark an. Diese geburtenstarken Jahrgänge – die sogenannten Babyboomer – werden in den kommenden 20 bis 25 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Da ihnen seit den 1970er Jahren deutlich weniger starke Geburtenjahrgänge nachfolgten, wird es in Zukunft in Deutschland erheblich weniger Personen im Erwerbsalter geben als heute. Auch das setzt die Bildungspolitik unter Zugzwang. Denn allein um die heutigen höher qualifizierten Beschäftigten auf gleichem Qualifikationsniveau zu ersetzen, müsste der Anteil von besser qualifizierten Absolventen stark erhöht werden (siehe Infobox 1).
Im Folgenden wird es vor allem um die direkten Auswirkungen des demografischen Wandels für das Bildungssystem gehen. Wie verändert sich die Bevölkerung in Deutschland und welche Folgen hat das für die einzelnen Bildungsbereiche und die Bildungsfinanzierung?
Infobox 1Qualifikationsbedarf und -angebot: Wie groß ist die Qualifikationslücke?
Im Zuge des Wandels zur Wissens- und Dienstleistungsökonomie spielen hochqualifizierte berufliche Tätigkeiten eine zunehmende Rolle. Damit steigt insbesondere der Bedarf an Arbeitskräften, die einen Hochschulabschluss haben: Allein der Akademikeranteil unter den Erwerbstätigen, so zeigen Vorausberechnungen des Arbeitskräftebedarfs, wird sich voraussichtlich von 18,4 Prozent im Jahr 2010 auf 21,7 Prozent im Jahr 2030 erhöhen – das entspricht einem Anstieg um 0,9 Millionen auf insgesamt 7,8 Millionen Hochschulabsolventen (Helmrich/Wolter/Zika/Maier 2013, S. 79). Für die Bildungspolitik stellt sich somit die Frage, ob der gegenwärtige Anteil eines Altersjahrgangs, der zur Hochschulreife geführt wird, ausreichend ist, um langfristig den Ersatz- und Zusatzbedarf an Fachkräften für hochqualifizierte Tätigkeiten sicherzustellen.
Zwar hat sich bis 2010 der Anteil der Studienberechtigten eines Jahrgangs bereits auf etwa 49 Prozent erhöht. Doch nur etwas über 70 Prozent der Studienberechtigten nehmen tatsächlich ein Studium auf (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012, S. 272 und S. 294) und nur zwischen zwei Dritteln und drei Vierteln der Studierenden schließen ihr Studium auch erfolgreich ab (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012, S. 301). Daher ist die Quote der Hochschulabsolventen gegenwärtig nur gut halb so hoch wie die der Studienberechtigten. Auch wenn nicht genau vorherzusagen ist, wie sich die Bedingungen für das akademisch ausgebildete Arbeitskräftepotenzial entwickeln werden, so sind doch die Forderungen, den Hochschulzugang für mehr Menschen zu ermöglichen und die Studienbedingungen zu verbessern, um mehr Studierende zum Hochschulabschluss zu führen, durchaus begründet.
Angesichts steigender Studienanfängerzahlen gehen Arbeitsmarktforscher derzeit nicht davon aus, dass es zu Engpässen in der Versorgung mit hochqualifizierten Fachkräften kommen wird. Ihren Berechnungen zufolge wird sich ein Fachkräftemangel vor allem für berufliche Tätigkeiten der mittleren Qualifikationsstufen ergeben. (Helmrich/Wolter/Zika/Maier, S. 86-87)
Weniger Geburten, große regionale Unterschiede und veränderte Zusammensetzung der Bevölkerung
Wurden im Jahr 1990 in Deutschland noch 905.675 Kinder geboren, so ist die Zahl der Neugeborenen fünfzehn Jahre später um etwa ein Viertel auf 685.795 gefallen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012: S. 217). Experten zufolge werden die Geburtenzahlen im kommenden Jahrzehnt ungefähr auf diesem Niveau bleiben und danach sogar weiter sinken. Auffällig ist dabei, dass sich seit 1990 zunehmende Unterschiede zwischen den Bundesländern abzeichnen (s. Abb.2):
In Ostdeutschland, wo es nach der Wiedervereinigung in den 1990er Jahren zu einem regelrechten Geburteneinbruch kam, weist lediglich das Bundesland Sachsen im letzten Jahrzehnt eine vergleichsweise günstige Geburtenentwicklung auf. In den anderen neuen Bundesländern stagniert die Zahl der Neugeborenen seit dem Jahr 2000 auf niedrigem Niveau. In den westdeutschen Flächenländern und dem Stadtstaat Bremen sind die Geburtenzahlen seit 1990 durchgehend rückläufig; im Saarland sind sie sogar um fast 40 Prozent eingebrochen. Nur die Städte Berlin und Hamburg weichen vom westdeutschen Trend ab: Hier sind die Geburtenzahlen in den letzten Jahren wieder leicht angestiegen. Allerdings sind diese landesspezifischen Trends nur bedingt aussagekräftig, da es innerhalb der Bundesländer weitere beträchtliche regionale Unterschiede gibt. In ländlichen Regionen weit abseits der Kernstädte und in altindustriellen Regionen wie dem Ruhrgebiet und dem Saarland macht sich der Geburtenrückgang besonders stark bemerkbar, weil er hier durch hohe Abwanderungsraten noch verstärkt wird.
Somit ist festzuhalten, dass sich die Zahl der künftigen Kita-Kinder, Schüler, Auszubildenden und Studierenden regional ganz unterschiedlich entwickelt. Insbesondere die westdeutschen Flächenländer müssen sich auf einen fortgesetzten Rückgang der Schülerzahlen einstellen. Dies erfordert vielerorts eine Anpassung des regionalen Angebotes an Bildungseinrichtungen.
Doch nicht nur die Bevölkerungszahl, auch die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung verändert sich. Dabei hatte die Zuwanderung von Menschen aus dem Ausland nach dem Jahr 2000 für die Schulentwicklung nur randständige Bedeutung. Viel wichtiger ist der steigende Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, denn inzwischen gehört mehr als ein Drittel der Kinder im Vorschulalter zu dieser Bevölkerungsgruppe. Zwar sind sie fast ausnahmslos in Deutschland geboren und haben überwiegend auch die deutsche Staatsangehörigkeit. In ihren Familien wird jedoch häufig in der Herkunftssprache der Eltern gesprochen, sodass viele Kinder zum Schulbeginn die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen, um den Anforderungen des schulischen Lernens gerecht zu werden. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen für die frühkindliche und schulische Bildung.
Welche Folgen hat der demografische Wandel für die einzelnen Bildungsbereiche?
Bildungsplaner und -politiker beschäftigen sich schon lange mit der Bevölkerungsentwicklung und ihren Auswirkungen auf das Bildungswesen. Da der Bedarf an Bildungseinrichtungen und Bildungspersonal sowie deren Finanzmittelbedarf ganz wesentlich von der Zahl der jüngeren Menschen in der Bevölkerung abhängt, müssen demografische Veränderungen in der Bildungsplanung stets berücksichtigt werden. Obwohl sich die Bevölkerungsstruktur immer nur langsam verändert, ist es bisweilen schwierig, darauf vorausschauend zu reagieren (siehe Infobox 2). Vor allem in den strukturschwachen Regionen der ostdeutschen Bundesländer kommt zu den demografischen Entwicklungen noch eine im bundesdeutschen Vergleich sehr niedrige Siedlungsdichte hinzu, die eine Bewältigung des demografischen Wandels erschwert.
Infobox 2Planungshorizonte für unterschiedliche Bildungseinrichtungen
Wie viele und welche Bildungseinrichtungen eine Region benötigt, hängt maßgeblich von der Geburtenentwicklung ab. Aber auch die Zu- und Abwanderung von Menschen in bzw. aus einer Region sowie Veränderungen der Bildungsbeteiligung zwischen den Geburtskohorten (z. B. Veränderungen im Schulwahlverhalten zu Ungunsten der Hauptschule) müssen in der Bedarfsplanung berücksichtigt werden.
Im Vorschul- und Schulbereich ist der gesicherte Planungshorizont für die Verantwortlichen in Bildungspolitik und -verwaltung sehr kurz, sodass auf Veränderungen in der Geburtenentwicklung kaum rechtzeitig reagiert werden kann (s. Tab.). Ganz anders verhält es sich etwa im Hochschulbereich: Die jungen Menschen, die in den kommenden 20 Jahren die Hochschulen besuchen werden, sind bereits heute geboren und der Bedarf an Studienplätzen ist somit bereits heute in etwa voraussehbar.
Sicherheit von Prognosen in den verschiedenen Bildungseinrichtungen
Prognose…
Kindergarten (3-5Jahre)
Grundschule (6-9 Jahre)
Sekundarbereich I (10-15 Jahre)
Sekundarbereich II (16-18 Jahre)
Hochschule (19-25 Jahre)
…aufgrund vorliegender Geburtenzahlen
2 Jahre im Voraus
5 Jahre im Voraus
9 Jahre im Voraus
15 Jahre im Voraus
18 Jahre im Voraus
…teilweise aufgrund vorliegender Geburtenzahlen
3-4 Jahre im Voraus
6-8 Jahre im Voraus
10-14 Jahre im Voraus
16-17 Jahre im Voraus
19-24 Jahre im Voraus
… nur aufgrund prognostizierter Geburtenzahlen
Über 4 Jahre im Voraus
Über 8 Jahre im Voraus
Über 14 Jahre im Voraus
Über 17 Jahre im Voraus
Über 24 Jahre im Voraus
Frühkindliche Bildung
Im Vorschulbereich lassen sich auch bei einer geringen Einwohnerdichte Betreuungsangebote aufrechterhalten. So können Eltern von Kindern bis drei Jahre prinzipiell auf Angebote der Kindertagespflege ausweichen, wenn für Krippeneinrichtungen keine ausreichende Nachfrage besteht. In Kindertageseinrichtungen für Kinder über drei Jahre bietet sich bei geringer Nachfrage die Bildung jahrgangsübergreifender Gruppen an. Im schulischen Bereich ist es dagegen vielerorts schon heute schwer, ein leistungsfähiges und für alle Schüler gut zugängliches Schulangebot bereitzustellen (Avenarius u. a. 2003, S. 62-67; Budde 2007).
Grundschulen
Um Schulschließungen zu vermeiden, gab es vor allem in den ostdeutschen Bundesländern Bestrebungen, kleine Grundschulen mit jahrgangsübergreifenden Klassen einzurichten. International ist dieses Modell weit verbreitet und hat sich bewährt (Fickermann/Weishaupt/Zedler 1998), ermöglicht es doch auch bei niedriger Siedlungsdichte ein wohnortnahes Angebot. In Deutschland waren kleine Grundschulen – sogenannte Zwergschulen – jedoch schon fast verschwunden, da sie im ländlichen Raum längst zu größeren regionalen Schulen zusammengelegt worden waren. Nicht zuletzt weil die Rückkehr zu kleinen Grundschulen von Eltern und Lehrkräften nicht akzeptiert wurde, sind seit 1995 in den ostdeutschen Ländern bis zu 40 Prozent der Grundschulen geschlossen worden (s. Abb. 3) – oft in Gemeinden, die damit auch das letzte Schulangebot verloren haben (Weishaupt 2006, S. 35). In diesem Fall sind längere Schulwege, etwa mit dem Schulbus, unvermeidlich.
Sekundarbereich I
Mehr noch als im Grundschulbereich machen niedrige Schülerzahlen die Organisation des Schulangebots in der Sekundarstufe I zu einer Herausforderung. Denn deren Bildungsgänge (Hauptschule, Realschule und Gymnasium) werden traditionell an separaten Schulstandorten angeboten, die folglich um die Schülerschaft des Einzugsgebiets konkurrieren. Um auch bei niedrigen Schülerzahlen alle Bildungsgänge flächendeckend bereitstellen zu können, werden zunehmend mehrere Bildungsgänge an einem Schulstandort zusammengefasst. Inzwischen gehen auch viele westdeutsche Länder dazu über, in der Sekundarstufe I neben dem Gymnasium nur noch eine weitere Schulart anzubieten, die mehrere Bildungsgänge vereint: Die zweigliedrigen Schulen führen bis zum mittleren Schulabschluss, während die dreigliedrigen auch einen Zweig haben, der zum Abitur führt. Damit haben die demografisch bedingt rückläufigen Schülerzahlen – aber auch die geringere Nachfrage nach Hauptschulen – dazu geführt, dass sich die Bildungspolitik den länger bestehenden Forderungen nach der Zusammenlegung von Haupt- und Realschule sowie der Einrichtung von Gemeinschaftsschulen als Maßnahmen des Abbaus von Bildungsbenachteiligungen nicht mehr entziehen konnte. Mittlerweile ist die Sekundarstufe I in 11 von 16 Bundesländern zweigliedrig.
Sonderpädagogische Förderung
Eine weitere Herausforderung für die Bildungsplanung ist die flächendeckende schulische Versorgung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (Sasse 2005; s. auch: Weishaupt 2006). Gerade im ländlichen Raum dürfte es bei weiter rückläufigen Schülerzahlen kaum mehr möglich sein, ein flächendeckendes Angebot der verschiedenen Förderschulen aufrechtzuerhalten, die ja immer auf eine bestimmte Art der Beeinträchtigung spezialisiert sind. Die demografische Entwicklung sollte daher dazu beitragen, dass integrative bzw. inklusive Formen der sonderpädagogischen Förderung an allgemeinen Schulen stärker ausgebaut werden. Denn ein Doppelangebot von separaten Förderschulen und inklusiver Förderung im allgemeinen Schulsystem ist besonders in ländlichen Regionen nicht umsetzbar.
Berufliche Bildung
Durch den Rückgang der Zahl der Jugendlichen hat sich in den letzten Jahren vor allem in den ostdeutschen Bundesländern die lange Zeit schwierige Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt etwas entspannt. Auch besuchen immer weniger Jugendliche eine Maßnahme des Übergangssystems, in das ausbildungsinteressierte Jugendliche einmünden, die keinen Ausbildungsplatz erhalten haben. Wie stark die demografische Entwicklung zum Abbau des Übergangssystems beitragen wird, hängt auch davon ab, inwieweit die Anbieter von Ausbildungsplätzen bei sinkender Ausbildungsplatznachfrage bereit sind, formal wenig qualifizierten Bewerbern wieder einen verbesserten Zugang zu einer Berufsausbildung zu eröffnen. Für Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf und Jugendliche, die für die Aufnahme einer Berufsausbildung schulisch nicht hinreichend qualifiziert sind, wird das Übergangssystem allerdings auch künftig seine Bedeutung behalten.
Hochschulen
Im Hochschulbereich machen sich die demografischen Entwicklungen bislang kaum bemerkbar. Denn mit dem seit Jahren steigenden Anteil von Abiturienten hat sich auch die Zahl der Studienanfänger kontinuierlich erhöht. Durch die Verkürzung der Gymnasialzeit strömen gegenwärtig auch die doppelten Abiturjahrgänge in die Hochschulen. Bis 2025 wird die Studienanfängerzahl nicht unter das derzeitige Niveau sinken: Der demografisch bedingte Rückgang dieser Altersgruppen wird durch den Trend zu höheren Bildungsabschlüssen kompensiert.
Erwachsenenbildung
Für die Erwachsenenbildung führt die demografische Entwicklung zu zwei Herausforderungen: Zum einen gewinnen Bildungsangebote für Personen im Rentenalter eine zunehmende Bedeutung, denn sie werden im Zuge der Alterung der Gesellschaft einen deutlich größeren Anteil der Gesamtbevölkerung ausmachen als heute. Zum anderen wird die Nachqualifizierung der älteren Berufstätigen künftig eine größere Rolle spielen, da ältere Menschen auch unter den Erwerbstätigen eine wachsende Gruppe bilden. Angesichts des demografisch bedingt sinkenden Erwerbspersonenpotenzials wird es kaum mehr möglich sein, ältere Arbeitnehmer einfach durch jüngere zu ersetzen. Daher wird es wichtiger denn je, erstere durch Nachqualifizierung und Weiterbildung zu befähigen, länger am Erwerbsleben teilzunehmen.
Wo bleibt die "demografische Rendite“?
Für die Finanzierung des Bildungswesens bringt der demografische Wandel Entlastungen, werden doch in den nächsten Jahrzehnten durch den erwarteten Rückgang der Bildungsteilnehmer – vor allem im Schulbereich – finanzielle Ressourcen freigesetzt. Wofür diese sogenannte demografische Rendite am besten investiert werden sollte, wird seit einiger Zeit lebhaft diskutiert (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010). Zunächst erfordern Anpassungen des Schulbestands an rückläufige Schülerzahlen indes zusätzliche finanzielle Aufwendungen, um selbst unter schwierigsten regionalen Bedingungen ein pädagogisch vertretbares Angebot für alle Kinder und Jugendlichen aufrechterhalten zu können.
Darüber hinaus werden in anderen bildungspolitischen Handlungsfeldern zusätzliche finanzielle Ressourcen benötigt. Dies betrifft zum einen die bessere schulische Förderung von Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien und von Kindern mit Migrationshintergrund. Zudem hat sich Deutschland durch die Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) dem Leitbild der Inklusion verschrieben und sich verpflichtet, Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf künftig verstärkt im allgemeinen Schulsystem zu unterrichten. Auch dies wird ohne zusätzliche finanzielle Mittel nicht zu bewerkstelligen sein.
In anderen Bildungsbereichen ist eine bessere Finanzierung ebenfalls notwendig: etwa im Vorschulbereich für eine bessere Qualifizierung und damit auch bessere Bezahlung des pädagogischen Personals oder im Hochschulbereich, wo den gestiegenen Anforderungen durch höhere Studierendenzahlen bisher nur über befristete Sonderprogramme aus Bundesmitteln begegnet wurde. Auch klagen die Kommunen bereits seit Jahren, dass sie für die Wahrnehmung ihrer Bildungsaufgaben strukturell unterfinanziert sind; hier wären Entlastungen dringend erwünscht. Dies sind nur einige Beispiele für den wachsenden Finanzbedarf im Bildungswesen.
Ausblick
Die demografische Entwicklung stellt Bildungspolitik und Bildungsplanung vor große Herausforderungen, wobei sich die Situation und die damit verbundenen Problemlagen je nach Region stark unterscheiden. Für das deutsche Bildungssystem birgt der demografische Wandel Chancen und Risiken: Zwar werden infolge des Rückgangs der Zahl der Bildungsteilnehmer Ressourcen frei, doch stehen diesen auch eine Reihe von kostspieligen bildungspolitischen Aufgaben gegenüber. Angesichts der klammen Haushaltssituation in vielen Bundesländern ist indes keineswegs gesichert, dass die demografische Rendite tatsächlich vollständig im Bildungssystem verbleibt. Damit sich die notwendigen und wünschenswerten bildungspolitischen Reformen in der Versorgung mit Bildungseinrichtungen und der Qualität der Bildungsgänge verwirklichen lassen, müssen diese Mittel im Bildungswesen gehalten und effizient eingesetzt werden. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die Träger von Bildungseinrichtungen, das in ihnen arbeitende Personal und die politischen Akteure in den Städten, Gemeinden und Regionen nicht allein im Interesse der nachwachsenden Generation handeln, sondern auch unter Berücksichtigung eigener Interessen. So mögen Schließungen oder Zusammenführungen von Bildungseinrichtungen aus Sicht der Bildungsplanung gut begründet sein – für die Kommunalpolitiker, Eltern und Lehrerkollegien vor Ort sind sie problematisch und stoßen unter Umständen auf Widerstand. Zumal sich der Bevölkerungsschwund einer Region weiter verschärfen kann, wenn keine Schule mehr vor Ort ist. Angesichts der demografischen Herausforderungen sollten solche Interessenskonflikte thematisiert und stärker in die Diskussion gebracht werden.
Horst Weishaupt, Prof. Dr. phil.; ehemaliger Leiter der Abteilung "Steuerung und Finanzierung des Bildungswesens“ am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt am Main und Rudolf-Carnap-Senior-Professor der Bergischen Universität Wuppertal; Arbeitsschwerpunkte: Regionale Bildungsforschung, Schulentwicklungs- und Planungsforschung.
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