Indien wird häufig anhand seiner starken gesellschaftlichen Gegensätze charakterisiert. Auch bei Angebot und Nutzung von Medien und Kommunikationstechnologien weist das Land äußerst unterschiedliche, wenn auch insgesamt sehr hohe Entwicklungsdynamiken auf. Allerdings entsprechen die aktuellen Trends nicht mehr zwangsläufig der Annahme eines starken Stadt-Land-Gefälles oder der Vorstellung, dass Fernsehen und Radio eher die zentralen Medien für die Kleinstädte und ländlich geprägten Regionen, das Internet sowie die Printmedien dagegen primär auf das urbane und eher privilegierte Publikum ausgerichtet seien. Durch den rasanten Zuwachs im Mobilfunkbereich, die kontinuierliche Ausweitung des Internets und nicht zuletzt durch die regionalsprachige Ausdifferenzierung und Lokalisierung von Printmedien verlagert sich der Fokus vielmehr zunehmend weg von den urbanen Zentren hin zu den neuen regionalen Zukunftsmärkten der indischen Medienindustrie.
Zunehmende Medialisierung der Gesellschaft
Allein durch die Größe des Landes und die regionalen, sprachlichen sowie soziokulturellen Unterschiede weist die indische Medienlandschaft eine einzigartige Vielfalt auf. In Indien boomen neben Fernsehen, Presse und Hörfunk seit einigen Jahren auch das Internet und insbesondere der Mobilfunksektor. Die multilinguale Fernsehlandschaft ist kaum noch überschaubar. Nach Angaben des Ministeriums für Information und Rundfunk gibt es landesweit 786 zugelassene private Satellitenkanäle, etwa die Hälfte davon im Bereich Nachrichten (Stand: 31. Januar 2014). Die neuen Angebote im Bereich Internetfernsehen sowie die mehr als 20 öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sind darin noch nicht mitgezählt.
Diese Entwicklung hängt vor allem mit der ökonomische Liberalisierung seit Mitte der 1980er und Anfang der 1990er Jahre zusammen. Mit ihr hielt die konsumorientierte Marktwirtschaft in Indien Einzug, von der die Medien nicht nur profitieren, sondern die sie auch maßgeblich mitgestalten. Seither lassen sich in so unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie der Politik, Ehepartnersuche und oder auch der zeitgenössischen Kunst beschleunigte Medialisierungsprozesse beobachten. Das heißt, die Bedingungen der Kommunikation und die darauf basierenden gesellschaftlichen Prozesse haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in Indien grundlegend verändert.
Dieser Wandel lässt sich besonders gut an Ereignissen beobachten, die zu einer kommunikativen Verdichtung und Entstehung themenbezogener Öffentlichkeiten führen. Ein Beispiel dafür ist die Antikorruptionsbewegung des Jahres 2011 und der medienwirksam inszenierte Hungerstreik des Aktivisten Anna Hazare. Die Bewegung führte später zur Gründung einer neuen politischen Partei, der Aam Aadmi Party (sinngemäß: Partei der einfachen Leute), deren Entstehung eng mit den Ausprägungen einer medialisierten Politik und Demokratie in Indien verwoben ist. Ein weiteres Beispiel ist die gesellschaftliche Debatte über sexuelle Gewalt gegen
An beiden Ereignissen hat sich auch die medienkritische Diskussion in Indien neu entzündet, denn vor allem die Rolle des Nachrichtenfernsehens, das rund um die Uhr "neue" Bilder und Geschichten liefern muss, wurde kontrovers diskutiert. Zum einen wird die Atemlosigkeit einer oftmals grellen Berichterstattung beklagt. Zum anderen wurde gerade im Kontext der Debatte über sexuelle Gewalt und Frauenrechte positiv hervorgehoben, dass das Fernsehen hier als informierendes Medium fungiert und die Diskussion weit über den Rahmen des Ereignisses hinaus maßgeblich gefördert hat.
Wachsende Rolle der sozialen Medien
Während das Fernsehen die Medienlandschaft weiterhin stark prägt, entwickeln sich auch das Internet und die Mobilfunkindustrie in einem für viele unerwartet hohen Tempo. Vor dem Hintergrund der Protestwelle in der arabischen Welt glaubten Beobachter in der indischen Antikorruptionsbewegung ebenfalls Anzeichen eines Social Media Spring oder Tahrir Square Moment erkannt zu haben. Doch ebenso wenig wie die Proteste in der arabischen Welt durch neue Medientechnologien ausgelöst wurden, lässt sich diese medienzentrierte Vorstellung eines plötzlich auftretenden sozialen und politischen Wandels auf Indien anwenden.
Unbestritten ist dennoch, dass sich Medienpraktiken verändern und soziale Medien inzwischen eine sehr große Rolle für die Diskussion und Information einer wachsenden Zahl von Menschen in Indien spielen, vor allem bei der Organisation und Koordination von Protesten. Für die wechselseitige Konstituierung von neuen Protesträumen im Internet und den physischen Orten neuer Protestbewegungen hat die Soziologin Saskia Sassen den Begriff Global Street (sinngemäß: global werdende Straße) geprägt. Ob dieser Prozess in Indien tatsächlich neue Artikulations- und Handlungsräume für jene Gruppen schafft, die in politischen Prozessen bislang nicht oder kaum repräsentiert sind, wird jedoch von vielen Beobachtern in Frage gestellt.
Doordarshan: Katalysator der konsumorientierten Marktwirtschaft
Das Fernsehen wurde 1959 als staatliches Monopol in Indien eingeführt und die nationale Fernsehbehörde sowie der gleichnamige hindisprachige Fernsehsender Doordarshan unterstanden bis in die 1990er Jahre der Kontrolle des Ministeriums für Information und Rundfunk. Infolge langjähriger Forderungen nach mehr Autonomie für den Rundfunksektor fällte das Oberste Gericht Indiens 1995 ein bahnbrechendes Urteil, das zwei Jahre später zur Gründung einer autonomen Körperschaft des öffentlichen Rundfunks (Prasar Bharati oder Broadcasting Corporation of India) führte.
Doordarshan wurde vorrangig zur Verwirklichung entwicklungsorientierter Zielsetzungen konzipiert und spielte bis Anfang der 1980er Jahre bei der Popularisierung staatlicher Entwicklungs- und Bildungsprogramme eine bedeutende Rolle. Lange Zeit blieb das Fernsehen jedoch ein langsam wachsendes Medium.
Erst ab 1982 veränderte sich das. Ausschlaggebend dafür war die Einführung familienorientierter Unterhaltungsprogramme. Insbesondere von neuen Fernsehserien versprach sich die damalige Kongresspartei-Regierung eine verstärkte Integration der fragmentierten indischen Gesellschaft in die vorgestellte nationale Gemeinschaft. Zugleich hoffte man, dass die Zuschauer die "entwicklungsförderlichen" Einstellungen der Protagonistinnen und Protagonisten übernehmen würden. Vorbild dafür waren lateinamerikanische Telenovelas, die als Beispiel für die Theorie des sozialen Lernens konzipiert waren. Der "Entwicklungsschub" zeigte sich aber vor allem in sprunghaft steigenden Zuschauerzahlen und einem reißenden Absatz neuer Fernsehgeräte. Allein zwischen 1980 und 1985 stieg die Zahl verkaufter Geräte von zwei auf fünf Millionen.
Bis 1987 produzierte Doordarshan 40 Serien nach dem Strickmuster der Telenovelas und erreichte damit teilweise mehr als 50 Millionen Zuschauer. Die immer stärkere Konsumorientierung der Handlungsstränge verdrängte allerdings zunehmend die didaktische Komponente. Sponsoring und Werbung beförderten diese Entwicklung. Der Siegeszug der Marktwirtschaft in Indien ist somit untrennbar mit dem Erfolg der Unterhaltungsserien auf Doordarshan verknüpft und setzte lange vor der Einführung des Privatfernsehens ein.
Aufstieg des privaten Kabel- und Satellitenfernsehens
Ein weiterer bedeutender Einschnitt erfolgte 1991, als die Live-Berichterstattung des zweiten Golfkriegs weltweit den Beginn des transnationalen Fernsehzeitalters einleitete. Auch in Indien wurden die Zuschauer von der Vorstellung erfasst, "live" am Geschehen partizipieren zu können, und Doordarshan sah sich nun mit der Herausforderung durch das stärker nachrichtenorientierte Kabel- und Satellitenfernsehen konfrontiert. 1991 begann Rupert Murdochs Satellitenunternehmen STAR TV von Hongkong aus nach Indien zu senden und wurde dort von Anfang an gut angenommen. Wenig später erhielten auch indische Kabelanbieter Zugang zu den STAR-Programmen, was deren Verbreitung weiter erhöhte.
Anfangs sendete STAR TV nur auf Englisch, doch die Ausweitung des regionalsprachigen Fernsehens ließ nicht lange auf sich warten. Für die privaten Hindi-Sender leistete ZEE TV Pionierarbeit und war zugleich treibende Kraft bei der Verbreitung des Kabelfernsehens. Die Aufholjagd um Quoten und Werbeeinnahmen hat Doordarshan durch grundlegende Programmreformen in den Folgejahren gut gemeistert und konnte nicht zuletzt durch eigene Satellitensender in indischen Regionalsprachen neue Publikumsgruppen gewinnen.
Anfang der 2000er Jahre zeigte der indische Staat erneut einen stärkeren Regulierungswillen zugunsten der nationalen Medienindustrie. So wurde 2003 ein neues Gesetz verabschiedet, wonach ausländische Nachrichtensender, die per Satellit nach Indien ausstrahlten, mehrheitlich in den Besitz indischer Partnerunternehmen überführt werden mussten. Da dies sowohl die redaktionelle als auch die operationale Kontrolle über die Sender beinhaltete, ließ sich darin die Absicht erkennen, zumindest in diesem Bereich den global fortschreitenden Prozess der "Murdochisierung" aufzuhalten. Für Murdoch bedeutete dies, dass er binnen kurzer Zeit einen indischen Partner für die Übernahme der Mehrheitsanteile (74 Prozent) an seinem Sender STAR News finden musste und im Medienunternehmen ABP Group (Anandabazar Patrika) aus Westbengalen auch fand. Die großen Pressehäuser des Landes zeigten grundsätzlich seit Beginn der Medienglobalisierung und Ausdifferenzierung der Medienlandschaft in den 1990er Jahren ein ausgeprägtes Interesse am Fernsehen sowie generell an einer branchenübergreifenden Verankerung ihrer Unternehmen.
Im Jahr 2013 hat die indische Regierung zwar den erlaubten Umfang für ausländische Direktinvestitionen im Telekomsektor auf 49 Prozent erhöht, doch stand eine analoge Entscheidung in den als "sensibel" eingestuften Bereichen Fernsehen, Radio und Presse Anfang 2014 noch aus. Angesichts des zunehmenden Wettbewerbs haben Vertreter der privaten Fernseh- und Radiosender sowie der Presse in den letzten Jahren jedoch wiederholt eine stärkere Öffnung des Mediensektors gefordert. So argumentiert etwa der Interessenverband Indian Newspaper Society, dass die Beteiligung ausländischer Investoren von bis zu 49 Prozent in der Kategorie "Nachrichten und aktuelle Angelegenheiten" und von bis zu 100 Prozent im Bereich der spezialisierten Magazine und Faksimile-Ausgaben ausländischer Zeitungen eine neue Dynamik in den indischen Zeitungsmarkt bringen könnte.
(Noch) keine Zeitungskrise in Sicht: Die indische Tagespresse