Als US-Präsident George W. Bush und Indiens Premierminister Manmohan Singh am 18. Juli 2005 ankündigten, ein bilaterales Nuklearabkommen abschließen zu wollen, sorgte das weltweit für Aufregung. Vor allem für Abrüstungsbefürworter kam es einer politischen Katastrophe gleich, dass die Vereinigten Staaten Indien eine Sonderstellung innerhalb des für die Nutzung von Atomenergie etablierten internationalen Kontrollregimes einräumen wollten. Gleichwohl waren die Gegner des Abkommens davon überzeugt, des weder der US-amerikanische Kongress noch die Nuclear Suppliers Group – eine Vereinigung von 45 Staaten zur Umsetzung gemeinsamer Richtlinien für den Export nuklearen Brennmaterials – dem Ansinnen zustimmen würden, geltendes US-Recht zur Nichtverbreitung von Kernwaffen bzw. das internationale Nichtverbreitungsregime zu Gunsten eines einzigen Landes zu verändern. Hinzu kam, dass die auf dem Atomwaffensperrvertrag von 1970 aufbauende nukleare Weltordnung durch die Entwicklungen in Nordkorea und Iran bereits unter heftigen Druck geraten war.
Doch trotz aller Kritik, stimmte der US-Kongress eineinhalb Jahre später, im Dezember 2006, einer Änderung der nationalen Gesetzgebung zu und ebnete so den Weg für die Zusammenarbeit mit Indien bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie. Und nachdem diese Hürde genommen wurde, scheint es unabwendbar, dass sich auch die Nuclear Suppliers Group der Bush-Initiative anschließt und Indien als vollwertiger Partner anerkennt.
Skepsis und Kritik, mit denen das indisch-amerikanischen Nuklearabkommen weltweit – aber auch in Washington und Neu Delhi selbst – aufgenommen wurde, haben jedoch die politische Essenz der Vereinbarung völlig außer Acht gelassen. Während es in die Mehrzahl der Diskussionen um technische Einzelheiten des Vertrages ging, erkannten nur wenige (im Weißen Haus, in den
Auf den ersten Blick geht es um die Zusammenarbeit im Bereich der friedlichen Nutzung der Kernenergie und um die Nichtverbreitung von Atomwaffen. Doch in Wirklichkeit steht die Übereinkunft zwischen der einzig verbliebenen Supermacht und einer im Aufstieg begriffenen Nation für ein neues globales Gleichgewicht der Kräfte. Das erklärt auch, weshalb Bush und Singh trotz massiver Kritik im In- und Ausland gewillt waren, ihr ganzes persönliches und politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen, um das Abkommen zum Erfolg zu führen.
Fragezeichen, Kritik und eine intensive Debatte
Die getroffenen Vereinbarungen sind dabei recht einfach. Indien wird sein Atomprogramm in einen zivilen und einen militärischen Teil trennen, wobei die zivilen Anlagen Kontrolleuren der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA zugänglich gemacht werden. Zudem erklärte sich Neu Delhi bereit, formale Schritte einzuleiten, um das globale Nichtverbreitungsregime zu unterstützen. Im Gegenzug sichern die Vereinigten Staaten zu, ihr eigenes, dreieinhalb Jahrzehnte altes Gesetz zur Nichtverbreitung von Atomwaffen zu ändern und die Nuclear Suppliers Group davon zu überzeugen, ihre Regeln für den Handel mit Brennmaterial und Nukleartechnik zu Gunsten Indiens anzupassen.
Doch bevor das Abkommen von US-Kongress,
In Indien wurde nach möglichen Einschränkungen für das nationale Kernwaffenprogramm gefragt. Auch Notwendigkeit und Kosten der Trennung des seit jeher eng vernetzten zivilen und militärischen Atomprogramms wurden diskutiert. Gleichzeitig befürchtete man, dass die internationalen Kontrollen einen zu starken Eingriff in die Souveränität darstellen könnten, vor allem im Bereich der zivilen Forschung und Entwicklung sowie bei der Entscheidung, wie der nukleare Brennstoff eingesetzt wird. In diesem Zusammenhang wurde auch die Verlässlichkeit Washingtons als Partner hinterfragt. Besonders wichtig waren den Kritikern jedoch die bedingungslose Gleichbehandlung Indiens im Konzert der Atommächte und die Frage nach den Auswirkungen des Abkommens auf die "Unabhängigkeit" der zukünftigen indischen Außenpolitik.
Die vielen Fragezeichen auf beiden Seiten waren die Grundlage einer intensiven Debatte, in der nicht nur unterschiedliche politische Meinungen aufeinander prallten, sondern auch einzelne Regierungsorganisationen und Ministerien verbal aufeinander losgingen. Am Ende allerdings drängten in beiden Hauptstädten politische Argumente die technischen Streitpunkte in den Hintergrund. In Washington wurde Präsident Bush nicht müde, auf die Bedeutung einer strategischen Partnerschaft mit Indien hinzuweisen. Als das verstanden wurde, war es kein Problem mehr, in den entscheidenden Abstimmungen über 80 Prozent der Abgeordneten von Republikanern wie Demokraten in beiden Häusern des Kongresses für das Nuklearabkommen und die Neuausrichtung der Beziehungen zu Indien zu gewinnen. Auch in Neu Delhi verteidigte Premier Singh den mit Bush geschlossenen Vertrag erfolgreich gegen die Kritik linker und rechter Oppositionsparteien und den offenen Widerstand einflussreicher Wissenschaftler.
Unterstützung Indiens liegt im Interesse Washingtons
Doch wie muss man das indisch-amerikanischen Nuklearabkommen im globalen Zusammenhang bewerten? Zunächst einmal ist der starke persönliche Einsatz von Präsident Bush zu erwähnen, der sich – auf den Bemühungen seines Vorgängers Bill Clinton aufbauend – frühzeitig für die Verbesserung der bilateralen Beziehung zu Indien ausgesprochen hat. Als einen Grund nennt ein außenpolitischer Berater die Bewunderung des Präsidenten für den Erfolg der indischen Demokratie – allen Widrigkeiten zum Trotz. Und obwohl in seiner ersten Amtszeit der Krieg gegen den Terror sowie die Herausforderungen in Afghanistan und Irak die politische Agenda bestimmten, hielt Bush an seinem Vorhaben fest. Besonders bemerkenswert dabei ist, dass Bush im Rahmen des Antiterrorkrieges gleichzeitig die Annäherung an Pakistan suchte. Das ist vorher noch keinem US-Präsidenten gelungen.
Bereits in seiner Amtszeit legte Bush eine Reihe von Richtlinien für die Indien-Politik fest. (1) Die Bush-Administration verfolgt eine unabhängige Politik sowohl gegenüber Indien als auch gegenüber Pakistan. (2) Im indisch-pakistanischen Konflikt verhalten sich die USA neutral. Anders als seine Vorgänger wird Bush in der Kaschmir-Frage keinen Druck auf Indien ausüben. (3) Mit der Aufhebung von Sanktionen, die nach den indischen Atomtests im Mai 1998 verhängt wurden, bemüht sich der Präsident Unstimmigkeiten zwischen Neu Delhi und Washington aus dem Weg zu räumen. (4) Die USA lassen Indien bei der Vertretung seiner Interessen gegenüber den kleinen Nachbarstaaten auf dem Subkontinent den Vortritt. (5) Die USA werden Indien nicht mehr länger als Südasiatische Macht sondern als potenziellen Global Player behandeln. In beiden Hauptstädten stießen diese Leitlinien auf große Zustimmung.
Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit 2005 überraschte Bush mit einem noch weiter gehenden Angebot: Die USA wollen Indiens Aufstieg als globale Großmacht unterstützen. Ranghohe Regierungsvertreter betonen vor allem den militärischen Stellenwert dieser Politik, die auf einer umfangreichen Neubewertung des sich verändernden Gleichgewichts der Kräfte im 21. Jahrhundert beruht. Washington erkennt an, dass der
Buchs Kritiker argumentieren, dass der indienfreundlichen Politik des Präsidenten der Plan zu Grunde liegt, China in Schach zu halten. Doch mit dieser Sichtweise tut man Bush Unrecht. Seine Regierung hat keineswegs die Entscheidung getroffen, "China in Schach zu halten". Vielmehr basiert Bushs Analyse auf der Annahme, dass ein stärkeres Indien zu einem "Gleichgewicht der Kräfte zu Gunsten der Freiheit" – so die Worte von US-Außenministerin Condoleezza Rice – im Nahen Osten und im restlichen Asien beitragen werde. Das Nuklearabkommen ist daher in erster Linie ein Zeichen für den Willen Washingtons, die Beziehungen zu Indien auf eine neue Grundlage zu stellen und langfristig eine enge Partnerschaft mit der aufsteigenden Großmacht einzugehen.
Indische Unterstützung für US-Außenpolitik
Für Neu Delhi war die Verbesserung der Beziehungen zu Washington das wichtigste außenpolitische Ziel nach Ende des Kalten Krieges. Zwar wurde gleichzeitig mit den anderen Großmächten – etwa Russland – ein enges Verhältnis angestrebt, doch Indien hatte erkannt, dass allein die USA die notwendige Macht besaßen, um Indien bei der Durchsetzung seiner außen- und sicherheitspolitischen Ziele zu unterstützen.
Trotz zum Teil frustrierender Rückschläge in den 90er Jahren, verfolgten die Regierungen – ganz gleich welcher politischen Richtung zu angehörten – das Ziel, die Beziehungen mit Washington auf eine neue Stufe zu heben. Während es im letzten Jahr der Amtszeit Bill Clintons eine erste signifikante Annäherung gab, gelang unter George W. Bush schließlich der Durchbruch, da der US-Präsident die indischen Interessen erst nahm – ob in der Kaschmir-Frage, im Atomstreit oder beim Streben nach einer stärkeren internationalen Rolle.
Mit der Entfaltung der US-amerikanischen Politik stieg in Indien – anders als in den meisten Teilen der Welt – die Zustimmung für die Vereinigten Staaten und die Bush-Administration in bislang nicht gekannter Weise. Innerhalb der indischen Elite hatte es über Jahrzehnte starke Ressentiments gegenüber den USA gegeben. Doch in jüngster Zeit hat sich das nachhaltig verändert. Im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik entfernte sich Neu Delhi von seinen früheren Positionen und unterstützte etwa im Mai 2001 Bushs Plan für ein Programm zur Raketenabwehr (National Missile Defense, NMD), beteiligte sich nach dem 11. September 2001 am Krieg gegen den Terror, eskortierte 2002 US-amerikanische Marine-Verbände durch die Straße von Malakka und hätte im Sommer 2003 fast Truppen in den Irak entsandt.
In Indiens sah man diese Maßnahmen zunächst als Teil der Außenpolitik der Mitte-Rechts-Koalition unter Führung der
Selbstbewusste, themenbezogene politische und militärischen Zusammenarbeit
Es scheint, als sollte Premier Manmohan Singh, der als Finanzminister Anfang der 90er Jahre die damals
Durch die Anerkennung der Existenz des indischen Atomwaffenprogramms und die faktische Gleichstellung Indiens mit den etablierten Atommächte hat die Bush-Administration Indien auf eine Stufe mit China gehoben, was von Delhi seit langem angestrebt worden war. Darüber hinaus läuten die Veränderungen in der nuklearen Weltordnung auch ein Ende des indischen Hinterbänklerdaseins in wichtigen Institutionen der internationalen Zusammenarbeit ein. Das Nuklearabkommen ist Beweis dafür, dass Indien und die Vereinigten Staaten in Zukunft nicht nur als pflichtbewusste Demokratien kooperieren, sondern darüber hinaus als Partner gemeinsam am Aufbau einer neuen Weltordnung arbeiten. Anders als viele europäische Staaten waren der Bush-Administration Richtung und Implikation des indischen Aufstiegs bewusst, weshalb man in Washington schließlich die notwendigen Schlüsse zog und die eigene Sicherheitsstrategie anpasste.
Gleichwohl gibt es zwei offene Fragen: Was für eine Beziehungen wird sich zwischen Washington und Neu Delhi entwickeln? Und ist es angesichts der US-amerikanischen Tradition, seine Partner nicht immer gleichberechtigt zu behandeln, und des starken indischen Verlangens nach einer eigenen, unabhängigen Außenpolitik überhaupt möglich, eine zuverlässige und dauerhafte Partnerschaft aufzubauen?
Die Antwort auf die erste Frage ist, dass Indien und die USA wohl niemals ein formales Bündnis, wie etwa innerhalb der NATO, eingehen werden. Wahrscheinlicher ist einer "strategic coordination", das heißt, sich in wichtigen strategischen Fragen abzustimmen – ganz nach dem Vorbild der amerikanisch-chinesischen Beziehungen zwischen den frühen 70er und späten 80er Jahren. Was die zweite Frage angeht, so schließt die Umsetzung der "strategic coordination" von vornherein aus, dass Indien zu einem "Junior-Partner" der Vereinigten Staaten wird. Anders als Westeuropa und Japan nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es für das aufstrebende Indien keinen Grund, zu einem Untergebenen der USA zu werden. Im Gegenteil: Neu Delhi hat allen Grund eine selbstbewusste, themenbezogene politische und militärischen Zusammenarbeit mit Washington zu beginnen und zu pflegen – vor allem angesichts der zahlreichen sicherheitspolitischen Herausforderungen, mit denen die Weltgemeinschaft im 21. Jahrhundert konfrontiert ist.